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Zauberberggast
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München

Bewertungen

Insgesamt 168 Bewertungen
Bewertung vom 21.12.2024
Mord im Stadtpalais
Maly, Beate

Mord im Stadtpalais


ausgezeichnet

Für mich ist Beate Maly schon seit vielen Jahren die Queen des unterhaltsamen Historienromans. Oft sind ihre Romane historische Krimis, die wiederum sehr oft ihre Heimatstadt Wien als Schauplatz des Geschehens haben. Ich persönlich liebe die Reihe um Ernestine Kirsch und Anton Böck, in der es ein älteres Paar immer wieder mit Mordfällen zu tun bekommt. Aber Maly hat noch viel mehr im Repertoire und kann definitiv schneller schreiben als ich dazu komme, ihre Bücher zu lesen. Ich kenne kaum eine schreibende Person, die produktiver ist als sie.

Der vorliegende “Weihnachtskrimi” ist diesmal kein Teil einer Reihe, sondern ein eigenständiges Buch. Wir befinden uns natürlich in Wien, im Dezember 1910. Vom Elend in der Vorstadt ist in der Wiener Innenstadt mit ihrer prachtvollen neuen Ringstraße und Prestigebauten wie dem Eislaufverein - der im Roman auch eine Rolle spielt - vor wunderbarer Kulisse, nichts zu merken. Diesmal tauchen wir mit dem Fall in die vornehmen Kreise Wiens ein. Das Mordopfer ist ein reicher älterer Tabakfabrikant namens Steinhäusel, der in seinem dekadenten Stadtpalais in der altehrwürdigen Herrengasse - in nächster Nähe zur Hofburg - während der Adventszeit seine gesamte Familie mit Anhang empfängt. Ganz im Geiste der vor einigen Jahren verstorbenen ersten Frau Steinhäusel, die die Weihnachtszeit liebte und ihre Familie während dieser um sich scharen wollte. Protagonistin des Romans ist die böhmische Köchin Mila, die seit ihrem zehnten (!) Lebensjahr in Wien arbeitet. Mittlerweile ist sie über Fünfzig und spürt die jahrelange harte Arbeit in ihren Knochen. Mila arbeitet erst seit wenigen Monaten im Palais Steinhäusel, wo sie für das leibliche Wohl der Herrschaften zuständig ist. Allerdings darf der Hausherr keinen Zucker essen und auch dessen neue Ehefrau, eine ehemalige Schauspielerin, verzichtet auf Milas Mehlspeisen, achtet sie doch auf ihre schlanke Linie. Gut, dass es bereits zwei Enkelkinder gibt, die gerne naschen. Als der Hausherr nach dem Genuss zweier zuckerfreier "Marillentascherl" tot umfällt, bricht ein Familienstreit um das Erbe aus. War es vielleicht doch Mord? Mila und nette Kommissar Felix Zack, der aussieht wie der Nikolaus, ermitteln.

“Mord im Stadtpalais” ist ein sehr atmosphärischer, ruhiger Krimi. Maly versteht es wunderbar, die historischen Weihnachtsbräuche lebendig werden zu lassen. So bekommen die Kinder z.B. Nikolausstiefel, die mit traditionellem Naschwerk, Früchten und Nüssen befüllt werden. Man riecht beim Lesen förmlich die weihnachtlichen Gerüche, die die Küche des Palais ausstrahlt. Historisches Setting kann Beate Maly aus dem EffEff. Genauso wie ausführliche Charakterisierungen, bei denen die Figuren bis ins kleinste Minenspiel Gestalt annehmen. Sie hat einen besonderen Schreibstil, den ich unter Hunderten anderen blind wiedererkennen würde. Die Figur des Felix Zack und dessen traurige Geschichte gehen absolut ans Herz. Schön dass es Hoffnung für ihn gibt und er jetzt einen “Gankerl” hat. Hier wird das weihnachtliche Bedürfnis nach Harmonie und Glück für alle befriedigt, was für die zerstrittene Familie Steinhäusel natürlich nicht gegeben ist.

Der Krimi ist ähnlich gestrickt wie die von Agatha Christie - am Ende gibt es die Auslösung, bei der alle Verdächtige zugegen sind. Und anders als Beate Maly zunächst dachte - wie sie im Nachwort sagt - passen Weihnachten und Krimi sehr wohl zusammen. Für alle die historische Wohlfühlkrimis mögen, ein absolutes Muss.

Bewertung vom 18.12.2024
Flimmern im Ohr (eBook, ePUB)
Schibli, Barbara

Flimmern im Ohr (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

“Daheim beim Üben fühle ich mich einsam, wenn ich die Musik von damals höre, denn damals war das Hören ja immer ein kollektives Erlebnis. Wir gehörten zusammen, denn dabei ging es letztlich beim Hören dieser Musik. Aber das Hören, oder wie immer man das nennen will, was ich mit den Platten mache, lässt mich meine Einsamkeit, die ja eh schon da ist, noch deutlicher fühlen.” (S. 101)

In “Flimmern im Ohr” geht es um die 53-Jährige Schweizerin Priska. Der Roman, der aus der Ich-Perspektive der Protagonistin erzählt wird, spielt im Sommer 2010, Priska ist also etwa Jahrgang 1957.

Priska kämpft nach einem Unfall (welcher das ist, werden wir später im Buch erfahren) mit einem schwerwiegenden Hörverlust. Vor Kurzem wurde ihr ein sogenanntes Cochlea-Implantat eingesetzt, das ihr dank modernster Technik wieder einen Zugang zum Hören verschaffen soll. Ihre Musiktherapeutin Frau Häusermann hat ihr empfohlen, die alten Platten ihrer Jugend abzuspielen, um Musik wieder wahrnehmen zu lernen. Die Songs vergangener Zeiten triggern eine gedankliche Reise in die Vergangenheit und lassen die Eckpfeiler von Priskas Biografie für die Lesenden lebendig werden. Vor allem die Zeit der späten 1970er und frühen 1980er Jahre wird beleuchtet.

Gefiltert durch Priskas Gedankenwelt werden Tabuthemen des weiblichen Intimbereichs ganz offen auf den Tisch gelegt. Scheidenflüssigkeit (bzw. ihr Fehlen), Periode, Masturbation, Wechseljahre, Hitzewallungen, Pille und diesbezügliche Trigger-Themen wie Abtreibung, (gewollte) Kinderlosigkeit und Vergewaltigung sind Schlagworte, die auf dem Tablett von Priskas Erinnerungen einen ungezwungenen Tanz tanzen. Die Lesenden hören sie förmlich rufen: Schaut uns an, hier sind wir, uns gibt es auch noch! Auch das Stichwort Bisexualität ist untrennbar mit der Protagonistin verbunden - und auch mit David Bowie, der selbst bi war und dessen Aussage “Was sind wir sexy, alle!” sich leitmotivisch durch den Roman zieht.

Eigentlich vermeide ich die typische Rezi-Phrase “das liest sich flüssig”. Aber jetzt muss ich sie mal wieder aus der Mottenkiste oder dem Phrasenschwein hervorholen, denn ich kann das Lesegefühl tatsächlich nicht anders beschreiben. Hier stockt nichts, alles ist im Flow, wie bei einem guten Musikstück, von denen viele im Roman zitiert werden. Die Prosa von Schibli gibt einen gewissen Takt vor und wir als Lesende freuen uns, wenn wir den Refrain wiedererkennen. Es ist eine emotionale und interessante Reise und es macht Freude, am wechselhaften Leben der Hauptfigur Priska teilzuhaben - sowohl an ihrem gegenwärtigen mit dem Möchtegern-Dandy Bengt, als auch an ihrer bewegten Vergangenheit mit der Revoluzzerin Gina. Gina ist eine überaus spannende Frauenfigur, die den Feminismus in Reinkultur verkörpert. Dass sie dennoch enigmatisch und vielschichtig bleibt und nicht zur eindimensionalen Chiffre verkommt, ist der gekonnten Charakterisierung der Autorin zu verdanken. Die Protagonistin Priska selbst ist ohnehin sehr facettenreich und das übergeordnete Thema mit dem Hörverlust und dem Implantat ist keines, über das man in jedem zweiten Roman etwas lesen würde.

Ich bin ehrlich: Mit der Schweizer Geschichte kenne ich mich so gut wie gar nicht aus. Dass es so eine Art “Stasi” gab und eben diese Fichen-Affäre, die im Jahr 2010 nochmal ein Revival erlebte, war mir völlig unbekannt. Barbara Schibli schafft es wunderbar, die historischen Zusammenhänge auch für Unkundige transparent zu machen und zwar ohne dass es je dröge oder langatmig wird.

Dies ist ein Buch über weibliche Selbstbestimmung/Feminismus, versehrte Körper und einen wachen Geist, der zurückblickt auf ein Leben - voller Fülle und Musik, Liebe und Schmerz - in dem Wissen, dass da trotzdem und hoffentlich noch ganz viel Zukunft ist. Beeindruckend.

Bewertung vom 06.12.2024
Wir finden Mörder Bd.1
Osman, Richard

Wir finden Mörder Bd.1


gut

"Wir finden Mörder” könnte man wohl am besten mit Begriffen aus der Filmwelt beschreiben. Der Roman ist ein Crossover aus Krimikomödie und Actionthriller, gewürzt mit ein bisschen Spionage-Vibes, wobei ein ultratrockener englischer Humor tatsächlich der rote Faden ist, der das Konglomerat zusammenhält. Wer also keine witzigen Krimis mag, der ist bei Osman definitiv fehl am Platz. Ich persönlich kenne seine “Donnerstagmordclub”-Cosy Crime-Romane nicht, dies war meine erste Begegnung mit dem Autor.

Wir begeben uns mit diesem Buch auf eine mörderische Schnitzeljagd rund um den Erdball. Es gab einige Morde an Influencer:innen auf der ganzen Welt, die bei einer mysteriösen britischen Agentur unter Vertrag waren - und auf Protagonistin Amy, ihres Zeichens Bodyguard, hat es ein Auftragskiller abgesehen.

Die Figurenkonstellation fand ich mit das Beste an dem Buch - also der ehemalige britische Cop Steve Wheeler, der seiner Schwiegertochter Amy bei der Mörderjagd hilft. Im Schlepptau noch eine Ex-Britin und weltberühmte Schriftstellerin namens Rosie d'Antonio, die für den Glamourfaktor zuständig ist. Während Amy als die toughe “Hau-druff-Frau” mit der schrecklichen Kindheit als Protagonistin wenig greifbar bleibt, ist das mit Steve eine andere Geschichte. Er ist mit Abstand der Sympathieträger in “Wir finden Mörder”. Steve hat dem Londoner Trubel seiner Berufszeiten Adieu gesagt und lebt ein beschauliches Leben im idyllischen Dörfchen Astley in Hampshire. Leider ist seine Frau Debbie vor kurzem verstorben, weswegen ihn eine gewisse Melancholie umgibt. Zum Glück gibt es seinen Kater Trouble, das Pubquiz, seine Freunde, kleinere Detetektivjobs - z.B. das Wiederauffinden verlorener Tiere - sowie die täglichen Telefonate mit Amy, die wie sein Sohn Adam in der Welt herumjettet.

Was den Humor betrifft: Ja, typisch britisch und trocken, wie gesagt, teilweise Richtung Slapstick gehend. Die oft absurden Dialoge haben mich manchmal an Agentenfilm-Parodien wie “Pink Panther” erinnert. Ein Beispiel: “‘Du bist nicht zufällig ein Auftragskiller?’ ‘Mit meiner Arthritis?’” (S. 314) Obwohl der Roman in der Jetztzeit spielt (ca. 2023), haben viele Settings einen 60er-oder 80erJahre-Flair, vor allem dank der exzentrischen Schriftstellerin und Grande Dame Rosie di Antonio. Auch kommt man sich aufgrund der schwerreichen und skrupellosen Geldwäscher (ein astreiner Bösewicht) und Multimillionäre sowie der Jagd um den Erdball mit elitären Privatjets, mit einer Prise “Good Old England” als Kontrastprogramm, vor, wie in einem “James Bond”-Film.

Ein großes Problem des Buches ist mal wieder die Länge. Mit 420 Seiten zwar noch gerade so im Rahmen für einen Krimi, wäre nicht die Spannung mit zunehmender Länge auf der Strecke geblieben. Die Anzahl der Kapitel ist mit 101 auch überdurchschnittlich hoch - die Szenerien, Perspektiven und das Personal wechseln rasend schnell. Viele Namen und Decknamen muss man sich hier merken. Ich hätte mir etwas mehr Plot über die Influencer-Szene gewünscht, das wird aber nur anhand einer Person etwas näher beleuchtet. Stattdessen geht es eben viel um Multimillionäre, Geldwäscher und Personenschützer:innen.

Ein Krimi, der ganz okay ist, der sich für mich aber nur aufgrund der liebenswerten Szenerie rund um Steve (ich sage nur Parkbank) zu lesen gelohnt hat. Ich glaube eher nicht, dass ich die Reihe weiterlesen werde.

Bewertung vom 26.11.2024
Wandern bei Nacht
Lewis-Stempel, John

Wandern bei Nacht


ausgezeichnet

“...rings um uns herum hatte die Erde sich aufgetan und silberne Kaninchen hervorgebracht, die ihre Gesichter in Mondtau wuschen. Ich hätte sie berühren können. Der Farn hatte funktioniert. Ich war unsichtbar.” (John Lewis-Stempel “Wandern bei Nacht”, Aus dem Englischen von Sofia Blind, Dumontverlag, S. 65)

Andere machen Yoga oder meditieren, um sich zu erden und runter zu kommen. Ich lese zu diesem Zweck ganz einfach die Bücher von John Lewis-Stempel, vor allem, wenn ich gerade keine Zeit und Muße habe, selbst in die Natur zu gehen - oder, wenn es Nacht ist. Denn wie Lewis-Stempel sagt: “Nachts sind die normalen Regeln der Natur außer Kraft. [...] Die Tiere rechnen nicht damit, dass wir Menschen im Dunkeln draußen sind; das ist ihre Zeit, und die Welt gehört noch ganz ihnen.” (S. 14) Nur die Wenigsten wagen sich im Dunkel nach draußen, vor allem nicht auf dem Land, wo die wirklich wahre Dunkelheit herrscht. Denn wir modernen Menschen “haben die Nacht verbannt, schon vor langer Zeit.” (S. 16)

Lewis-Stempel nimmt uns mit auf vier Nachtspaziergänge, die er in seiner heimatlichen englischen Grafschaft Herefordshire unternommen hat. Viermal Nachterlebnisse in vier Lebensräumen (Wald, Fluss, Hügel, Feld) zu allen vier Jahreszeiten. Alles in Begleitung seines Hundes Edith, denn: “ein Mann, der nachts alleine herumläuft, wird als Krimineller betrachtet. Es sei denn, er führt seinen Hund aus.” (S. 18) Ich mag den sehr feinen Humor von Lewis-Stempel und ich mag seine wunderschöne Prosa, von der sich manche Literat:innen eine Scheibe abschneiden können. Ich könnte euch jetzt seitenweise Zitate hier einfügen, um dies zu belegen und muss mich sehr zurückhalten, diese Rezension nicht nur aus Zitaten bestehen zu lassen. Habe ich schon die “Nachtnotizen” erwähnt, die sich an die Schilderungen der Spaziergänge anschließen? Eine Art Tagebuch Lewis-Stempels, in dem er die nächtlichen Beobachtungen zur jeweiligen Jahreszeit festhält. Die Begegnungen mit verschiedenen Tieren (Fledermaus, Fuchs, Eule, bellende Rehe, Igel, etc.) und Gedanken zur nächtlichen Fauna und zum Wetter. Der Autor ist auch Landwirt, was im Buch immer wieder eine Rolle spielt. Wir begleiten ihn also durchaus auch, wenn er um fünf Uhr früh aufsteht, um seine Kühe zum Tuberkulosetest von der Weide zu holen. Wer sich also für den Alltag eines Landwirts interessiert, sollte das Buch auch lesen.

“Wandern bei Nacht” ist ein “Wohlfühlsachbuch” zum Schwelgen und Schwärmen. Durch die poetischen Worte des Autors werden wir Zeug*innen ganz wundersamer Naturschauspiele - ob es der “Mondbogen” (ein nächtlicher Regenbogen) im Winter ist, das “Irrlicht”/”Elfenfeuer” im Frühling oder “foxfire”, das Leuchten mancher Pilzarten in der Finsternis einer Herbstnacht. Typisch für das Schreiben Lewis-Stempels ist die Untermalung seiner Prosa mit Auszügen aus Gedichten berühmter Schriftsteller:innen. Das macht das Ganze fast mehr zu einem literarischen Gesamtkunstwerk als zu einem Sachbuch. Aber auch den “Faktenfreund:innen” wird der Autor mehr als gerecht. Neben dem Faktenwissen im Fließtext gibt es ein ausführliches “Glossar für Nachtwanderungen”, ein Quellenverzeichnis und im Epilog interessante Fakten zum Thema “Lichtverschmutzung” - für die Tiere ist diese leider eine zunehmend große Bedrohung. Dass es auch in Deutschland sogenannte “Lichtschutzgebiete” gibt, war mir z.B. völlig neu.

Lewis-Stempel öffnet mit seinen Büchern unseren Blick für die Schönheit und Magie der Natur. Anhand seiner Nachtwanderungen versetzt er uns in eine Welt, die uns modernen Menschen scheinbar verschlossen scheint. Möglicherweise wird die ein oder andere lesende Person nun selbst dazu animiert, auf eine ganz besondere eigene Entdeckungsreise im Dunkeln zu gehen.

Wunderschön, zum “immer-wieder-Lesen” und perfekt als Geschenk geeignet, auch für Menschen, die scheinbar schon alles besitzen. Alle Sterne des Nachthimmels für dieses Buch!

Bewertung vom 03.11.2024
Tage einer Hexe
Dimova, Genoveva

Tage einer Hexe


sehr gut

“Sie ging zum Fenster. Die Vorhänge waren zurückgezogen und gaben den Blick auf die verschneite Straße frei. Auf dem Dach gegenüber glitzerte etwas. Der Schatten einer großen Frau duckte sich hinter den nächstbesten Schornstein. Nur der Rauch ihrer Pfeife kräuselte sich noch erkennbar im Wind.” (Genoveva Dimova: Tage einer Hexe. Aus dem Englischen von Wieland Freund und Andrea Wandel, Klett-Cotta, S. 386)

Die Handlung spielt in einer fiktiven Version eines slawischen Landes (die Autorin wurde in Bulgarien geboren) während der zwölf “Schmutzigen Tage”, beginnend in der Silvesternacht, die den Start dieser Tage im Roman markiert. Bei uns gibt es ja die Raunächte, die von Weihnachten bzw. in der heidnischen Tradition von der Wintersonnenwende bis ca. zum 6. Januar andauern. Beide Zeiten haben gemeinsam, dass man ihnen nachsagt, der “Schleier zwischen den Welten” würde dünner werden und Magie in der Luft liegen. In Chernograd, einem ummauerten Ort, der aus Schwarzweiß-Tönen, Rauch, Traurigkeit und Magie zu bestehen scheint, treiben während der "Schmutzigen Tage” waschechte Monster und Geister ihr Unwesen: Upire, Karakonjule, Ruba, Rusalken, Samodiven, Varkolaks… Um die Stadt vor diesen Monstern zu beschützen, braucht es Magie und die wird dort von Hexen ausgeübt. Bzw. die Hexen versorgen die “normalen” Chernograder*innen mit Amuletten, Talismanen, Zaubertränken und anderen magischen Artefakten zur Verteidigung gegen die bösen Kreaturen.

Unsere Protagonistin Kosara Popova aus Chernograd ist eine Feuerhexe. Aber dummerweise verzockt sie ihren Schatten in der Neujahrsnacht an einen Fremden, weil er sie vor dem Zmey, dem Zar der Monster, beschützen soll. Welche Vorgeschichte Kosara mit dem Zmey hat, erfahren wir erst nach und nach. Der Fremde teleportiert Kosara nach Belograd, die Stadt auf der anderen Seite der Mauer, in der alles anders und vor allem positiver ist als in Chernograd. Wie es Roxana, eine andere Hexe aus Chernograd formuliert: “Alles ist so neu und aufgeräumt und sauber. Und die Leute sind so nett. Das ist irgendwie unheimlich. Warum lächeln sie die ganze Zeit? Was ist so verdammt lustig? Was haben sie zu verbergen?” (S. 68) Der erste Teil des Buches besteht aus dem Spiel mit der dichotomen Topographie der beiden Städte: Chernograd vs. Belograd. Aber obwohl Belograd so viel angenehmer und bunter ist als Chernograd, weiß Kosara, wo sie hingehört und vor allem, dass sie als Hexe ohne Schatten nicht überleben kann…

Der Plot dieses Fantasy-Romans, der den ersten von bislang zwei Teilen markiert, ist actionreich und spannend. Wir fiebern mit Kosara mit, wie sie versucht, den Zmey zu besiegen und ihre Magie zurückzuerobern. Dabei treffen wir nicht nur die blutrünstigen Monster und Geister, sondern auch allerlei schräge menschliche Gestalten an. Wir hängen auch das ein oder andere Mal auf dem Friedhof ab, denn viele der Monster sind nichts anderes als Zombies. Bei allem Gruselfaktor, der hier zum Tragen kommt: Ein bisschen “Romantasy” ist auch dabei, denn in Belograd lernt Kosara den schmucken Bullen Able kennen, wobei es der ansonsten einsamen (mal vom Geist ihrer Schwester abgesehen) Feuerhexe etwas wärmer ums Herz wird. Das alles ist gewürzt mit einer ordentlichen Portion Humor und Augenzwinkern.

Besonders hervorheben möchte ich die wirklich beeindruckend “herbeigeschriebene” winterliche Atmosphäre, die dieser Roman von der ersten Zeile an ausstrahlt. Man möchte sich als Leser*in sofort mit einer Decke und einem Punsch/Tee einkuscheln und noch tiefer in die fantastisch-magische Welt eintauchen, die Genoveva Dimova sich ausgedacht hat.

Wer actionreiche Fantasy-Geschichten mag, die etwas gruselig sind und dabei oft ins Skurrile und Groteske gehen, eine tolle winterliche Atmosphäre aufweisen und eine starke, etwas “andere” (weibliche) Protagonistin haben, die auch dem ein oder anderen Love Interest nicht abgeneigt ist, der ist mit “Tage einer Hexe” an genau der richtigen Adresse. Zum absoluten Mega-Highlight hat es bei zwar nicht gereicht, aber es ist ein sehr unterhaltsamer Fantasy-Roman, der mit Sicherheit viele begeisterte Leser*innen finden wird.

Bewertung vom 06.10.2024
Intermezzo
Rooney, Sally

Intermezzo


ausgezeichnet

Sally Rooney hat sich als Autorin weiterentwickelt - und zwar sehr. So ist zumindest meine Meinung, denn ihren ersten Roman - “Gespräche mit Freunden” - mochte ich überhaupt nicht. Die beiden nachfolgenden Bücher habe ich trotz des sich aufbauenden Hypes komplett ignoriert. Und jetzt, fünf Jahre nach meiner ersten Leseerfahrung, habe ich mich dazu entschlossen, wieder zu Sally Rooney zurückzukehren. “Intermezzo” hat mich einfach angesprochen, trotz meiner Rooney-Skepsis: Das Schach-Thema, der Titel, das Cover und letztlich die Aussicht, dass es nicht in erster Linie um ein Liebespaar gehen würde, sondern um zwei Brüder - das alles hat mich davon überzeugt zuzugreifen. Und ich sage jetzt schon mal: Ich habe es diesmal nicht bereut.

“Intermezzo” ist das perfekte Buch für die “melancholische” Jahreszeit. Beginnend im Oktober und Ende Dezember endend, spielt sich die Handlung vor allem in Innenräumen und im Inneren der Personen ab. Ein reflexives, nachdenklich machendes Buch, in dem die in Dublin lebenden irisch-slowenischen Brüder Ivan und Peter Koubek den Verlust ihres Vaters betrauern, der im Frühherbst an Krebs verstarb. Und dabei denken sie über ihre Zukunft, aber vor allem über ihre Vergangenheit und Gegenwart nach. Ivan ist gerade mit dem Studium fertig, er verdient sich was nebenher in einem It-Job, seine Leidenschaft gilt aber vor allem dem Schachspiel, in dem er zunehmend Erfolge aufweisen kann. Bei einem Turnier in der Provinz lernt er Margaret kennen, die Leiterin eines Kulturzentrums und verliebt sich in sie. Peter ist Jurist und als Rechtsberater tätig. Er steht mitten im Leben - und ist doch ziemlich verloren darin. Außerdem steht er zwischen zwei Frauen, der jungen Naomi und seiner Ex-Freundin Sylvia - und kämpft mit seinen Süchten…

Man kann von Sally Rooney halten, was man will. Aber sie ist eine brillante Chronistin unserer Zeit, die “Marcel Proust” unserer Tage. Was sie hier in ihren Figuren zum Ausdruck bringt, ist nichts weniger, als das Lebensgefühl der Generationen Y und Z. Die Handlung spielt im ausgehenden Pandemie-Jahr 2021, Ivan ist 1999 geboren und damit “Generation Z”, sein älterer Bruder Peter Jahrgang 1989, was ihn zum “Millennial” oder zum Angehörigen der “Generation Y" macht. Das Lebensgefühl dieser beiden Generationen zeichnet sich aus, durch eine scheinbar unendliche Vielfalt an Möglichkeiten, das eigene Leben zu gestalten. Dies geht einher mit einer Wehmut, all die verpassten Möglichkeiten betreffend und außerdem mit einem Gefühl der Orientierungslosigkeit. Darüberhinaus geht es in diesem Roman auch viel darum, wie stark unser Alter uns definiert und determiniert. Allein durch das Geburtsjahr in unserem Ausweis werden wir in eine “Lebensphase-Schublade” gesteckt, aus der wir bestenfalls nicht ausbrechen sollten, weil sonst allerlei Probleme auf uns zukommen. Durch ihre Beziehung mit 14 Jahren Altersunterschied und der Besonderheit, dass die Frau die ältere ist, tun Ivan und Margaret genau das: Sie brechen aus den gesellschaftlichen Erwartungen an sie aus und müssen mit den Konsequenzen leben. Sally Rooney versteht es brillant den Schmerz zu schildern, der uns ereilt wenn wir erkennen, dass unsere Wünsche für uns nicht mit denen unseres Umfelds und unserer Gesellschaft zusammenpassen. Dass das Thema Liebe auch in Form der Liebe zwischen einem Menschen und einem Tier daherkommt, fand ich sehr schön und überraschend. Die innige Beziehung zwischen Ivan und seinem Hund, der nach dem Tod des Vaters herrenlos wird, hat mich sehr berührt und dem Roman nochmal eine andere Komponente verliehen.

Lasst uns über die Sprache sprechen, die in “Intermezzo” verwendet wird, denn hier kommt meines Erachtens schon eine gewisse Wortmagie zum Vorschein. Sally Rooneys enigmatische und gleichsam energische Prosa zu lesen, ist, wie mit der Hand über ein Stück Samt zu gleiten. Hier gibt es keine direkte Rede, keine Anführungszeichen, die den Fluss der Wörter einschränken. Sie sind nicht nötig, da man immer weiß, wer gerade denkt und wer spricht.

Ich mag ihre Beobachtungsgabe in “Intermezzo”. Ich mag es, wenn Literatur es schafft die Alltäglichkeit des Daseins in Sprache zu bannen. Wenn Großes gesagt wird und auch das Kleine und Allerkleinste festgehalten wird: “Im Schneidersitz auf dem Boden neben ihm. Die Knöchelsocken mit dem Streifen. Sylvia kommt mit einem Tablett mit Tee aus der Küche zurück. Ringelblumenmuster.” (S. 446). “Intermezzo” ist letztlich ein philosophischer Roman über die kleinen Dinge, die das Leben und seine Flüchtigkeit ausmachen. Im besten Fall regt er uns dazu an, nicht allzu sehr in Melancholie und Tristesse angesichts dieser Tatsache zu verfallen, sondern genauer hinzuschauen auf die Kleinigkeiten, die uns glücklich machen - weil sie uns daran erinnern, dass wir am Leben sind.

Ein brillantes Gesellschaftsportrait einer verlorenen Zeit, die gerade versucht - wie wir alle - das Beste draus zu machen.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 30.09.2024
Der verschwundene Buchladen
Woods, Evie

Der verschwundene Buchladen


gut

Wie kann ich “Der verschwundene Buchladen” von Evie Woods (aus dem Englischen übersetzt von Ivonne Senn für Adrian & Wimmelbuchverlag), ein Buch, das gerade die Bestsellerliste emporklettert und mit einem wunderschönen Cover und originellem Farbschnitt optisch ins Auge fällt, am besten beschreiben? Es ist ein Buch über Bücher, Geschichten (auch Lebensgeschichten) und die Magie von Büchern, Manuskripten und Buchhandlungen. Dabei sind ein historischer Roman (Handlung 1921-1923) und ein Gegenwartsroman, der sich 100 Jahre später abspielt (also in unser eigenen Zeit angesiedelt ist) kunstvoll ineinander verschränkt. Das Buch wird abwechselnd aus der Perspektive von drei Personen erzählt: Opaline Carlilse in der Vergangenheit, Martha und Henry in der Gegenwart. Dreh- und Angelpunkt der Handlung auf beiden Zeitebenen ist ein Buchladen in der fiktiven Ha'penny Lane in Dublin, der mal verschwunden ist und mal nicht. Damit ist der Roman tief in der Tradition des Magischen Realismus verankert. Denn der Buchladen und die von ihm ausgehende Magie sind der einzige “Fantasy-Aspekt” in diesem Roman.

Wer jetzt so wie ich vor der Lektüre denkt, das klingt alles ziemlich cosy und gemütlich, ein Wohlfühlbuch für Bibliophile, den muss ich leider teilweise enttäuschen. In diesem Buch finden wir zwar Bücher und Geschichten an jeder Ecke, aber leider auch und vor allem psychische und physische Gewalt, Gaslighting, toxische Männlichkeit, Sucht, etc. Richtig heavy Triggertopics, die ich aufgrund des Klappentextes nicht erwartet hätte.

Die Engländerin Opaline flieht vor ihrem 20 Jahre älteren Bruder Lyndon, der sie in eine Zwangsehe stecken möchte. Sie hat von ihrem Vater eine Leidenschaft für Bücher vererbt bekommen und möchte Buchhändlerin werden. In Paris trifft sie Sylvia Beach, die historische Gründerin von “Shakespeare & Company” und heuert dort als Aushilfe an. Doch das wird nicht ihre letzte Station bleiben. Ihr Lieblingsbuch “Sturmhöhe” von Emily Brontë ist dabei eine Art Talisman für sie. Martha aus Irland hat die toxische Beziehung zu ihrem gewalttätigen Ehemann Shane hinter sich gelassen und fängt in der Ha'penny Lane in Dublin als Gesellschafterin der älteren Dame Madame Bowden an. Sie hat, was Bücher betrifft, eine negative Vergangenheit, doch in letzter Zeit scheinen sie Bücher und Geschichten quasi zu rufen. Vor allem der Bestseller “Normale Menschen” von Sally Rooney springt ihr ins Auge. Und dann wäre da noch Henry, Doktorand am Trinity College und Experte für alte Manuskripte. Er leidet unter seinem alkoholkranken Vater, der ihm schon seit seiner Kindheit das Leben schwer macht. Henry hat einen Buchladen entdeckt, der dann plötzlich nicht mehr da war - in der Ha'penny…

Kann ein Buch gleichzeitig gut und schlecht bzw. literarisch und trivial sein, so wie Schrödingers Katze gleichzeitig tot und lebendig ist? Ja, das geht, “Der verschwundene Buchladen” ist so ein Buch. Es ist kitschig wie nur irgendwas, melodramatisch wie eine Seifenoper bzw. "Der Graf von Monte Christo” (der im Buch übrigens auch mal vorkommt) und unrealistisch bis in die kleinsten Verästelungen der Bäume, die in Marthas Zimmer wachsen. Hier werden seltene Manuskripte mal so nebenbei gefunden - und zwar genau die, die man gesucht hat. (Frauen-) Schicksale, die sich über die Zeiten spiegeln und dass alles mit allem und jeder mit jedem zusammenhängt, ist jetzt auch nicht gerade eine brandneue literarische Erfindung.

Gleichzeitig ist der Roman aber spannend wie ein Krimi, ein herrlicher Schmöker, den man nicht aus der Hand legen möchte, geschrieben von einer klugen und sehr belesenen Autorin. Es kommt sehr selten vor, dass ein Buch an einer Stelle genervtes Augenrollen verursacht und im nächsten Moment die Wehmut des bevorstehenden Trennungsschmerzes, wenn ich es gleich aus der Hand legen muss, um meinen alltäglichen Verrichtungen nachzugehen. Letztes hat dann aber überwogen und in der Rückschau sind auch die positiven Gefühle, die ich beim Lesen hatte, in der Mehrheit. Der Farbschnitt mit der Hausfassade, hat mir beim Lesen tatsächlich Freude bereitet - ich muss definitiv offener gegenüber solchem Schnickschnack werden.
Die bezaubernde Hintergrundgeschichte um den verschwundenen Buchladen ist tatsächlich originell und entschädigt für viele unglaubwürdige Momente der Handlung.

Ich hoffe ihr wisst jetzt, auf was ihr euch bei diesem Buch einlassen würdet und wenn ihr es tut, wünsche ich euch ein angenehmes Leseerlebnis, bei dem ihr wahrscheinlich das ein oder andere Auge zudrücken müsst.

0 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 29.09.2024
Lückenbüßer / Kommissar Kluftinger Bd.13
Klüpfel, Volker;Kobr, Michael

Lückenbüßer / Kommissar Kluftinger Bd.13


sehr gut

Lieber Klufti aka Interims-Polizeipräsident, Leiter des “K1 Kempten”, Opa, Vater, Sohn, Ehemann (“Butzele”) und Intimfeind von Dr. Langhammer! Ich hätte mir ja niemals gedacht, dass ich mal so ein großer Fan von dir werde, dass ich die Bücher, in denen du die Hauptfigur bist, gleich zum Erscheinungstermin inhalieren und sogar weiterempfehlen würde. Und das in diesem #Bookstagram, wo die meisten jetzt solche spannenden, aber halt auch zwischendrin durchaus albernen bzw. “humorvollen” Regionalkrimis eher nicht so goutieren, gell. So ein “Commitment” meinerseits kann mich Follower kosten, ich hoffe dessen bist du dir bewusst. Ich muss zugeben, als mir ein ehemaliger Klassenkamerad bei einem Klassentreffen vor über 10 Jahren über seine Leidenschaft für deine Bücher erzählte, habe ich als Literaturwissenschaftlerin ja auch erstmal innerlich die Nase gerümpft. Aber dann war ich, als ich es selbst probiert habe, “hooked” wie man heute sagt und was du natürlich sofort nicht oder falsch verstehen würdest - englische Ausdrücke magst du ja nicht so, gell? Jedenfalls habe ich jeden einzelnen Fall gelesen.

Und jetzt sind wir schon beim dreizehnten angelangt. Eine Terroreinsatzübung am Berg, bei dem ein eurem Team bislang unbekannter uniformierter Kollege umkommt. Und genau dort um den Tatort herum hast du ganz schön viele Steinpilze entdeckt und nach Hause geschleppt. Ich kann Markus und Yumiko übrigens verstehen, dass sie der Maxima die nicht geben wollten, wir jungen Eltern sind ein bisschen übervorsichtig - nimm es ihnen nicht krumm. Es war überhaupt viel Persönliches in diesem Buch, dessen Hauptthema die zwei großen P's waren: Pilze und Politik. Zu Letzterer hast du dich überreden lassen: Als Lückenbüßer bei der Altusrieder Gemeinderatswahl. Eigentlich wolltest du ja gar nicht gewählt werden - und dann hat dich doch der Ehrgeiz gepackt. Und den Langhammer auch, er war wie immer in Bestform. Die Sprüche auf den Wahlplakaten sind eigentlich schon für sich genommen 5 Sterne wert. Aber den Cliffhanger ganz am Ende, den nehm ich deinen Autoren ein bissle krumm…
Sollen wir jetzt wieder 2 Jahre warten, bis wir wissen, wie es weitergeht? So wie damals bei der Maxima? Aber du, was den Fall betrifft - so richtig warm geworden bin ich damit nicht. Ein unsympathisches Opfer, dazu noch Querdenker und Corona-Leugner, der mit den Rechten abgehangen ist. Die Thematik war echt ein bisschen zäh, fast wie die Seitan-Entenbrust, auf der du rumgekaut hast. (Wobei, die war ja eigentlich ganz lecker, oder?) Aber wenn ich da an so Fälle denke wie “Grimmbart” oder “Funkenmord”, dann werd’ ich schon ein bisschen wehmütig. Sind deine besten Zeiten wirklich schon vorbei? Ich mein du kannst ja nix dafür, wer ermordet wird und in welchen Kreisen sich der bewegt. Und wie komplex das Ganze daherkommt (diesmal nicht so), kannst du ja auch nicht beeinflussen, du bist ja nur die ausführende Gewalt. Aber sag den Herrn Klüpfel und Kobr bitte bei nächster Gelegenheit, dass sie in den 14ten Fall mehr Würze ohne Geschmackstärker (die Erika benutzt ihn ja auch nimmer, gell) reinbringen sollen, bitteschön. Also wenn's geht. Und keine Rechtsradikalen (von denen gibt es gerade in der Realität eh schon genug). Ansonsten war es schon wie immer ganz unterhaltsam und auch oft lustig. Die Brotdosen-Szene: Ganz großes Kino. Und deine Erfahrungen mit Social Media waren auch mal wieder peinlich deluxe.
Und weil wir uns schon so lange kennen, will ich in der Rezension, die ich noch schreiben muss, auch gnädig sein. Aber nur wenn du mir so ein “Giveaway” vom Langhammer besorgst. Also einen Eiskratzer zum Beispiel (“Heute schon an morgen denken”). Du weißt ja: Eine Hand wäscht die andere. Von daher: Lest es oder lasst es bleiben. Oder um dich zu zitieren: “Und jetzt lasst mir meinen Frieden, ich muss endlich was schaffen, Himmel[*pieeeep*]saubande, hundsverreckte!” (S. 145)

Bewertung vom 23.09.2024
Die Kunst der Hexerei
Panhans, Iris

Die Kunst der Hexerei


sehr gut

Wer glaubt, das Thema “Hexe” im 21. Jahrhundert sei esoterischer “New-Age-Blödsinn” oder eine Fantasievorstellung “frustrierter Katzenfrauen”, der sollte jetzt bitte nicht weiterlesen oder hat es ohnehin nicht getan. Allen anderen: Welcome and blessed be! Die nachfolgenden Worte sind eine seriöse Auseinandersetzung mit dem Sachbuch von Iris Panhans aka. “Vollmondfüchsin” mit dem Titel “Die Kunst der Hexerei. Entdecke deine magischen Kräfte”, erschienen bei Nymphenburger.

In diesem Ratgeber nimmt uns die sympathische Autorin, die durch ihre YouTube-Videos erstmals an die Öffentlichkeit trat, mit auf eine Reise. Es ist eine Reise, an deren Ziel wir Lesende im Idealfall unsere eigenen magischen Kräfte entdeckt haben oder zumindest wissen, ob das denn für uns überhaupt infrage kommt. Und vor allem: in welcher Form. Denn es gibt verschiedene Aspekte und Herangehensweisen an das Thema Hexerei: vieles ist möglich, nichts muss. Oder wie Panhans es formuliert: “Magie ist ein Geschenk, das jede Person erhalten hat, und du wirst deinen Weg finden.” (S. 45) Wichtig ist der Autorin dabei auch immer, sich von falschen Vorstellungen zum Thema Magie zu lösen: Sie hat nichts mit Blitzen zu tun, die aus Zauberstäben kommen. Oder mit Hexen, die auf Besen reiten. Magie ist eine Kraft, die uns selbst innewohnt und die wir auch selbst entdecken müssen. Es geht in diesem Ratgeber oftmals darum, Energien - von Menschen, Tieren, Dingen, Orten - wahrzunehmen und damit in irgendeiner Form umzugehen. Zum Beispiel gehört die Reinigung und Neutralisation von Energien zu den wichtigsten Ritualen einer Hexe. Jeder Mensch hat positive und negative Energien in sich selbst, es ist wichtig, an den eigenen “Schatten” zu arbeiten (siehe Kapitel “Schattenarbeit”) um ein emotionales Gleichgewicht zu erlangen. Hexerei ist oft nicht viel mehr als der Versuch, sich selbst näher zu kommen. Ein immens wichtiger Punkt, der auch im Buch betont wird: Eine moderne Hexe verleugnet niemals wissenschaftliche Erkenntnisse, sondern arbeitet mit ihnen.

Panhans geht wirklich sehr strukturiert an ihr Thema heran, was es den Lesenden sehr leicht macht, ihr zu folgen. Das Buch ist aufgeteilt in folgende Kapitel: 1. Der Alltag einer modernen Hexe 2. Die Grundlagen 3. Zauber und Rituale 4. Praxis. Hier findet man sich schnell zurecht und kann auch gezielt nur einzelne Kapitel nachlesen, je nachdem, für welchen Themenbereich man sich gerade interessiert. Die Autorin betont auch in den einzelnen Kapiteln, dass die Themenkomplexe weitaus umfangreicher sind, als sie sie hier ausführen kann. Manche würden sogar eigene Bücher füllen können. Aber dieses Buch ist eine Einführung in die moderne Hexerei und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Panhans beschreibt die ganzen Dinge und Utensilien, die eine Hexe benötigt wie feuerfeste Schale, Schnur, Kerzen, Kräuter, Fläschchen, Notizbuch, etc. Dabei macht sie deutlich, dass man die Dinge keinesfalls neu und teuer in einschlägigen Shops kaufen muss. Vieles ist bereits im Haushalt vorhanden, kaum etwas muss wirklich angeschafft werden. Eine sehr wichtige Botschaft, gerade für junge Anfänger:innen: “Sei kreativ, arbeite mit dem, was du hast, und spar dir so dein Geld.” (S. 97) Wenig Geld sollte einen jedenfalls nicht von seinem Vorhaben abbringen, eine Hexe zu werden. Auch sollte man sich nicht von den perfekten Altären und Hexenzimmern der Internet-Community blenden lassen.

Im Praxisteil erläutert die Autorin, wie wir selbst Rituale durchführen können und zu welchem Zweck. Für fast jeden interessant dürften die verschiedenen Rituale der Hausreinigung sein, die teilweise schon mit sehr wenig Utensilien machbar sind.

Die Gestaltung dieses Ratgebers ist wirklich sehr ansprechend. Wunderschöne Fotos und Zeichnungen, von denen 25 von der Autorin selbst stammen, lockern den Text auf und illustrieren ihn auf passende Weise.

Der Stern, den ich aber leider abziehen muss, hat nichts mit dem Inhalt zu tun. Bei einem Ratgeber wie diesem, den man auch nach der ersten Lektüre - ähnlich wie ein Kochbuch - sicher öfter aus dem Regal ziehen wird, hätte ich mir ein Hardcover gewünscht. Auch das Din-A4-Format sowie der stolze Preis von 25 Euro hätten meines Erachtens für ein Hardcover gesprochen. Das Gute an der Broschur ist zwar das Lesezeichen mit der wunderschönen Vollmondfüchsin, das man aus der Klappe herausschneiden und selbst mit einem Band gestalten kann. Dies hätte man allerdings im Fall eines Hardcovers auch beilegen können. Wie auch immer, das ist wirklich der einzige Kritikpunkt, den ich an diesem wunderbaren Buch für Einsteriger:innen ins Thema Hexerei und Magie habe. Große Empfehlung für alle an diesem Thema Interessierten.

Bewertung vom 13.09.2024
Die Gräfin
Nelles, Irma

Die Gräfin


ausgezeichnet

“Am Horizont glitzerte Südfall im nassen Watt wie ein Kleinod auf Silberpapier. Je näher sie kamen, desto besser waren der dunkelgraue Schlick der Halligkante und die Wasserfarben zwischen vor Hitze ausgetrockneten Salzwiesen zu erkennen; und überall der dichte Teppich mit abwechselnd hellem, dann dunkleren, rosarot oder violett blühendem Strandflieder”. (S. 61)

“Die Gräfin” von Irma Nelles ist mit 169 Seiten wahrlich kein langes Lesevergnügen. Aber dafür ein umso intensiveres. Wie man schon an dem obigen Zitat erkennen kann, schreibt hier eine Person, die hier verwurzelt und der das Watt seit frühester Kindheit in Fleisch und Blut übergegangen ist. Die Autorin wurde 1946 auf Nordstrand geboren und ist auch dort aufgewachsen. Irma Nelles’ kondensierte Prosa atmet die Flora und Fauna dieses einmaligen Landstrichs, der so eigenwillig und abgelegen ist wie die Geschichte, die uns in “Die Gräfin” erzählt wird und die sich so wohl nur hier abgespielt haben könnte.

Die Handlung spielt an 6 Tagen im Spätsommer auf der Hallig Südfall und der angrenzenden Insel Nordstrand im Wattenmeer. Der zweite Weltkrieg liegt in seinen letzten Atemzügen und man munkelt bereits, dass der Krieg für die Deutschen verloren ist. Für die pazifistische Gräfin Diana von Reventlow-Criminil, die tatsächlich existiert hat (Lebensdaten 1863-1953), ist dies eine gute Nachricht. Die alleinstehende und freiheitsliebende Adelige lebt bereits seit 34 Jahren auf Südfall. Auf dem einzigen Anwesen des Eilandes leben mit ihr nur ihr Angestellter Maschmann, ein kauziger Nordfriese um die fünfzig und Meta, eine junge Frau, die sie nach dem Tod von deren Eltern als “Kostkind” aufnahm und die der alten Damen nun den Haushalt führt. Dieses ruhige Leben in der Einsamkeit des Meeres wird jäh unterbrochen, als der englische Kampfpilot John Philip Gunter auf dem Eiland abstürzt. Die Gräfin handelt sofort und lässt den verletzten Mann von Maschmann in ihr Zuhause schaffen, wo sie und Meta ihn gesund pflegen. Dies muss aber unter höchster Geheimhaltung geschehen, dann einen Feind zu unterstützen galt als Hochverrat. Doch der Aufenthalt des Bruchpiloten löst nicht nur Angstgefühle aus, im Gegenteil…

Generell habe ich immer eine große Scheu vor Romanen, die während des zweiten Weltkriegs in Deutschland spielen, da mich das Ganze doch immer sehr mitnimmt. Bei diesem Werk ist die Zeitgeschichte nur wie durch einen Schleier präsent. Die Gräfin verhilft - so wird es angedeutet - zahlreichen Menschen zur Flucht, verfügt sie doch durch ihren adeligen kosmopolitischen Stammbaum (sie ist halbe Schottin, ihr Bruder hat eine Engländerin geheiratet) durch zahlreiche Kontakte in alle Welt. Auch der Nordstrander Inselarzt Braack, der sich um den Verletzten kümmert, äußert oftmals in der Dorfkneipe seinen Unmut über das Naziregime.

Würden nicht die traurigen Schlagworte des zweiten Weltkriegs bzw des dritten Reiches wie Gestapo etc. durch die Handlung geistern und würde es sich statt eines Kampfpiloten um einen schiffbrüchigen Marineoffizier handeln, so könnte man meinen, ein Werk des 19. Jahrhunderts vor sich zu haben. Die Personen und ihre abgeschiedene Lebensweise mitten im Meer wirken wie aus der Zeit gefallen. Und stellenweise könnte man wirklich denken es mit einer Novelle von Theodor Storm und bei der Gräfin mit einer von Fontanes starken Frauenfiguren zu tun zu haben. Die Kennzeichen der klassischen Novelle kann man jedenfalls allemal abhaken: Eine “unerhörte Begebenheit” (Absturz der Piloten), eine überschaubare Anzahl an handelnden Figuren und die klassische Struktur. Als Leitmotiv würde ich das Flugzeug bezeichnen. Ich mochte die chronologisch-lineare Erzählweise sehr, da sie einen erholsamen Kontrast zum heute modernen “chaotischen” Erzählen darstellt. Vielleicht sollte noch darauf hingewiesen werden, dass Maschmann, den ich als Figur sofort ins Herz geschlossen habe, meist Plattdeutsch spricht und dass das für Unkundige schwer zu lesen ist.

Während ich sonst immer schnell dabei bin, Längen, Redundanzen und eine überambitionierte Seitenzahl in Romanen zu kritisieren, muss ich hier tatsächlich sagen, dass mir das Buch zu schnell vorbei ging. Kaum hatte man sich an die Charaktere gewöhnt und eine Beziehung zu ihnen aufgebaut, haben sie einen auch schon wieder verlassen. Dieses Gefühl der Wehmut, die sich angesichts des abrupten Endes einstellt, spricht aber für das Buch. Die Geschichte der Hallig-Gräfin ist so absonderlich und interessant, dass ich gerne noch viel mehr Lesezeit in diese Figur investiert hätte.

“Die Gräfin” ist ein melancholisches Buch über die Unbarmherzigkeit der Zeit und die Unmöglichkeit, seiner eigenen Chronologie zu entkommen. Für alle, die gern ruhigere Bücher mit einem überschaubaren Personal lesen und sich für das Leben auf einer Hallig interessieren, ist dieser Roman der leisen Töne genau die richtige Lektüre.