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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Gerhard Rupp
Wohnort: 
Sprockhövel

Bewertungen

Insgesamt 4 Bewertungen
Bewertung vom 27.09.2024
Das Pfauengemälde
Bidian, Maria

Das Pfauengemälde


gut

Eine junge rumänisch-stämmige Frau aus Berlin - Ana - reist in ihre Heimat auf der Suche nach ihren Wurzeln, nach ihrem verstorbenen Vater, nach ihrer zahlreichen Familie, nach sich selbst. Nach einem Bild - das von ihrem Vater verehrte Pfauengemälde - das all das Verlorene enthält. Genauer gesagt nach Hermannstadt, um das Jahr 2006 herum. Rumänien hat die Ceaucescu-Herrschaft abgeschüttelt, aber ist weit davon entfernt, neue stabile politische Verhältnisse zu offenbaren, im Gegenteil kämpfen die einzelnen Parteien gegeneinander. So wird der Familie Anas das „rumänische Haus“ wieder zugesprochen, in dem sie vor der kommunistischen Diktatur (und Enteignung) gelebt hatte. Wichtiger als diese äußeren politischen Ereignisse sind die glorifizierenden Erinnerungen Anas an ihre Kindheit (die Erzählerin verfällt dabei in Lyrik), der Trauerprozess um ihren Vater Nicu, und das Erleben ihres Herkunftslands: Ana erkennt den sinnvollen Zusammenhang von allem mit allem. Dazu trägt bei die Begegnung mit Raluca, einer gleichaltrigen Frau, und ihrem Mann Viorel, mit denen es zu Anfang zu einer erotischen und am Schluß zu einer sexuellen Begegnung kommt. Raluca ist der Mensch, der Ana sein möchte: in sich ruhend, schöpferisch, weise.
Der Selbstfindungsprozess Anas ist plastisch und abwechslungsreich erzählt, mit Rückblicken in die Kindheit und surrealen Einschüben. Was die Auffindung des Pfauengemäldes angeht, so darf nichts verraten werden. Und Ana ist bei ihrer Rückkehr beileibe nicht am Ende.

Bewertung vom 14.11.2023
Therapie bei Sprachentwicklungsstörungen
Brügge, Walburga;Mohs, Katharina

Therapie bei Sprachentwicklungsstörungen


ausgezeichnet

Dies ist eine Sammlung praktischer Übungen, die in zunehmender Komplexität angeordnet sind von der zentralen Selbstwahrnehmung über die Atmung bis zur Phonation, Resonanz und schließlich Artikulation. Nunmehr liegt bereits die 9. überarbeitete und erweiterte Auflage vor. Die Publikation verdankt sich einem ganzheitlichen Ansatz, der die gesamte Person und den gesamten Körper einbezieht in ihrer Relevanz für den Stimm-Ausdruck.
Das Buch baut auf dem Unterricht und dem Übungsmaterial auf, das die Autorinnen bei ihrer akademischen Lehrerin kennengelernt haben. Es wendet sich an den Therapeuten, der für seine Arbeit mit der Patientin aus der Fülle der Übungen auswählen kann. Aber auch der Patient profitiert von dem Buch, insofern es theoretische Hintergrund-Konzepte zum logopaedischen Vorgehen anbietet sowie Anregungen zum selber Üben und vor allem zum Bewusstwerden des eigenen Körpers und der eigenen Befindlichkeit enthält.

Bewertung vom 12.09.2023
Bleibefreiheit
Redecker, Eva von

Bleibefreiheit


ausgezeichnet

Mit dem Konzept der Bleibefreiheit löst die junge Berliner Philosophin von Redecker von der räumlichen Bewegungsfreiheit (Verfügung über Grund und Boden, Eigentum) auf in eine Freiheit, am gegeben Ort zu bleiben und eine 'volle' Zeit anzustreben. Damit unterbreitet sie dem Leser die Aufgabe, sich darunter etwas vorzustellen: in immer neuen Suchbewegungen, um das Konzept Bleibefreiheit zu beschreiben: als gelingende Lebenspraxis, in der wir die Zeit vergessen im Flow (97), sozial-philosophisch: Freiheit als Zeitgewinn, im anderen erfüllte Zeit. Zum anderen versucht sie es mit Metaphern: der Orientierung an Gezeiten, in denen sich die Zeit 'wiederholt', oder in der Orientierung an der Natalitaet, der Möglichkeit des steten Neu-Anfangs statt dem Starren auf den 'unerträglichen, unvermeidlichen Tod' (52). Von Redecker argumentiert immer im Kontext heutiger Bedrohung durch den Klimawandel und aktueller apokalyptischer Rettungsversuche: z.B. eine Rakete zum Mars zu schiessen. Die Vielzahl der (weiter zu verfolgenden) Themen: ökologische Geologie, alternative Zeiterfahrung, soziale Identitätssuche (neulich Rosa ähnlich zum partizipativen Weltverhaeltnis und der zirkulierenden sozialen Energie, SZ vom 09.09.23) etc. machen diesen schmalen Essay äußerst lohnenswert.

Bewertung vom 13.06.2022
Dämmerung der Leitwölfe
Streletz, Werner

Dämmerung der Leitwölfe


ausgezeichnet

Beim gemeinsamen Schürfen in der Vergangenheit stößt man auf einen „Festsaal der Erinnerungen“

Ein reißerischer Titel „Dämmerung der Leitwölfe“, der an den Filmtitel „Kampf der Titanen“ anklingt. Ein nicht minder reißerisches blutrotes Cover, auf dem ein rostdurchsetzte Kellertür in ein geheimnisvolles Inneres führt. Beides ist der Story an der Oberfläche geschuldet, die den Kampf um die Vorherrschaft in einer Männergruppierung schildert, den die Leitwölfe (und Antipoden) Waldemar Sikorski und Andreas Beton unter sich ausfechten. Darunter aber (im wortwörtlichen Sinne: im Kellerbereich, daher das Cover) geht es um innere Erlebnisse, um Erinnerungen, und um die rechte Sprache dafür. Wortwörtlich um die Aufzeichnungen, die Sikorski jetzt in Ermangelung von zeitnahen Tagebuchnotizen jetzt hier nachliefert: Erinnerungen an die gemeinsame Zeit der engen Freundschaft zwischen Sikorski und Beton (Nomen est Omen) und der von ihnen beiden angeführten Gruppe von Weggefährten und Zechkumpanen: dem Maler Raoul, dem einarmigen Bernd, dem trinkfesten Siggi. Aus der von Sikorski nachgeholten Niederschrift resultiert ein Bild der letzten 40, 50 Jahre eines Lebens in einem Gebiet, das unschwer als Ruhrgebiet identifizierbar ist - mit reizvollen Schilderungen von Kirmesbesuchen, Kneipenabenden, Handgreiflichkeiten, aber auch Landpartien zu Wasserschlössern. Und: immer werden die Kunst und Ausstellungsorte wie Galerien als Orte evoziert, wo etwas bedeutend, überdauernd wird. Das ist z.B. relevenant für die Gemälde des Raoul, für die Oldtimer von Bernd. Überhaupt ist die Bedeutung von Gebäuden nicht zu unterschätzen, die sie auf das Leben der Protagonisten haben, und daraus resultierend das Bild des Hinabsteigens in das gelebte Leben. Und ja, die äußere Geschichte der Konkurrenz zwischen Sikorski und Beton entfaltet eine Tiefendimension, aus der eine intime Begegnung (und Aussöhnung) sich anbahnt, ohne zuviel vom Ausgang zu verraten. Soviel muss aber sein: aus den oberflächlichen Poser-Gehabe der beiden wird ein aufmerksames Hören auf die Nuancen der Sprachgebung, dem der Leser gerne dem Autor Werner Streletz gerne folgt. So ist es letztlich der Sinn für kulturelle Inspiration und Aufmerksamkeit, der Sikorski und Beton über alle Differenzen im Geiste verbindet und das auch den Leser für sich einzunehmen vermag.
Ein Roman, der wegen dem ‚tieferen Thema‘ dann lange nach der Lektüre nachhallt und deswegen als Lese-Erlebnis eine nachdrückliche Empfehlung verdient.