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Fornika
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 397 Bewertungen
Bewertung vom 04.06.2025
Die Kammer
Dean, Will

Die Kammer


ausgezeichnet

Ellen Brooke ist eine der wenigen Sättigungstaucherinnen der Welt, gerade ist sie mit ihrer Truppe zu einem neuen Einsatz in der Tiefe gestartet. Die Enge und die Druckverhältnisse in der Kammer bergen schon unter normalen Umständen nicht nur große physische, sondern auch psychische Herausforderungen. Doch als ein Teammitglied stirbt, stehen die Verbliebenen vor den vermutlich härtesten Tagen ihres Lebens, denn: sie können nicht hinaus. Die Helfer können nicht hinein. Und das Sterben scheint noch nicht vorbei.
Deans Thriller hat mich wirklich mitgerissen. Allein das Setting ist schon so fremd, dass man möglichst schnell mehr über diesen außergewöhnlichen Ort und Beruf erfahren möchte. Bei aller Spannung lässt sich der Autor dabei auch Zeit vieles genau zu erklären, um den Leser möglichst authentisch mitzunehmen in die Kammer. Auch technische Details werden verständlich in die Handlung eingearbeitet, überhaupt hat mir Deans Erzählstil wirklich gut gefallen.
Die Zeit bis zur Rückkehr wird für die Verbliebenen zu einer nervenaufreibenden und zermürbenden Zerreißprobe. Obwohl alle psychischen Druck gewöhnt sind und mit den speziellen Herausforderungen ihrer Arbeit umgehen können, zeigt der Autor doch sehr gut wie die Situation an jedem nagt. Ellen führt als Erzählerin durch die Handlung, die anderen Crewmitglieder lernt man erst nach und nach kennen. Sie hat eine ruhige und bedachte Art, alles was man von jemandem mit diesem Job erwarten kann. Doch auch sie hat Geheimnisse und eine Vergangenheit, wie alle Beteiligten. Dean zeigt sehr geschickt, wie sich Stress und Anspannung auf das quasi blinde Vertrauensverhältnis untereinander auswirken, wie Extremsituationen alles ändern können. Diese Einblicke waren für mich einer der ganz großen Stärken des Thrillers. Die Story hat mich wirklich glänzend unterhalten, einzig die Auflösung wirkte auf mich etwas schwächer, wenn auch schlüssig. Trotzdem empfehle ich ihn gerne weiter, da das tatsächlich irgendwie kaum ins Gewicht fällt.

Bewertung vom 01.06.2025
The Favourites
Fargo, Layne

The Favourites


gut

Liebesdrama erschlägt spannende Sportlerstory

Für Kat steht seit frühester Kindheit der Lebenstraum fest: Eistänzerin werden. Die Beste natürlich, und einmal olympisches Gold erringen. Mit ihrem Ziehbruder Heath hat sie nicht nur im Sport den bestmöglichen Partner an ihrer Seite, sondern auch die große Liebe gefunden. Als sie dann auch noch ihr Idol Sheila Lin unter ihre Fittiche nimmt, scheint dem großen Traum nichts mehr im Weg zu stehen als harte Knochenarbeit. Doch es kommt alles anders…

Fargos Roman hat mich gefesselt, obwohl er mir thematisch eigentlich überhaupt nicht liegt. Aber die Autorin führt den Leser mittenrein in die Welt des Eistanzes und weiß durchaus Begeisterung zu wecken. Für die Durchsetzungskraft, für den eisernen Willen der Sportler. Das ging mir zuletzt ähnlich bei Reids Carrie Soto is back; auch da konnte ich mit der Welt des Tennis nichts anfangen, war aber schnell für die Handlung zu begeistern. Der Aufbau ähnelt sich etwas, aber Fargo schafft auch etwas ganz Eigenes. Ich mochte ihre/Kats Erzählstimme sehr. Doch der Sport macht nur die halbe Miete in diesem Roman, und das war für mich auch der Knackpunkt. Die On/Off-Liebe-Leidenschaft der (zunehmend unsympathischen bis nicht-zu-verstehenden) Hauptfiguren nimmt viel zu viel Raum ein, vor lauter Drama kann man manchmal gar nicht mehr die Buchseiten sehen. Was zu Beginn noch durchaus ausgewogen mit den sportlichen Aspekten nebenher lief, hat am Ende für mich die Handlung so erschlagen, dass mir eventuelle sportliche Entwicklungen nur noch egal waren. Hätte die Autorin sich hier etwas zurückgenommen, hätte das Buch ein Knaller sein können. So war ich am Ende fast froh die Lektüre beenden zu können. Schade.

Bewertung vom 16.04.2025
Devil's Kitchen
Fox, Candice

Devil's Kitchen


sehr gut

Andy heißt nicht wirklich Andy, und eine „echte“ Feuerwehrfrau ist sie auch nicht. Stattdessen arbeitet sie undercover, um eine Bande Feuerwehrleute zu überführen. Die legen Brände statt sie zu löschen, und das sind noch ihre harmloseren Vergehen. Für Feuerwehrmann Ben wird die Lage schnell brandgefährlich, schließlich hat er Andy erst auf die Spur seiner Kollegen gebracht und droht jetzt jederzeit mit ihr aufzufliegen.
Helfer in der Not, die diese Not gnadenlos ausnutzen, ja sogar aktiv herbeiführen? Perfide. Und als Konzept für diesen Thriller wirklich toll ausgedacht. Fox nimmt uns mit in eine Welt, in der der Umgangston hart, die Einsätze lebensgefährlich und die Gier grenzenlos ist. Andy ist eine taffe Frau, die sich dieser Umgebung anpassen kann. Sie nimmt viel auf sich und hält einiges aus und das muss sie auch. Ben wirkt im Gegensatz dazu fast weich, auch wenn er es ebenfalls faustdick hinter den Ohren hat. Der Rest der Truppe wirkt wie ein Haufen zusammengewürfelter Psychopathen; fast ist man froh über das Nachwort, in dem die Autorin ausdrücklich darauf hinweist, dass ihr bei der Recherche niemand auch nur ansatzweise so Durchgeknalltes in einer Feuerwache begegnet ist. Aber man merkt als Leser schnell, dass in dieser Welt doch noch ein etwas altbackener und sehr männlicher Wind weht, ein teilweise toxisches Umfeld. Das Szenario ist sicherlich nicht superrealistisch, geht aber als Thriller gut auf. Fox erzählt in lockerem Stil, die Handlung ist durchweg spannend; jederzeit rechnet man damit, dass Andy und Ben auffliegen. Die Sprache ist derb und heftig, das passt hervorragend zur Handlung. Ab und an fand ich den Thriller dann etwas zu übertrieben, insgesamt hat mich Fox aber wieder überzeugt. Ein heftiger Thriller, der sich schnell wegliest und dabei wirklich gut unterhält.

Bewertung vom 13.04.2025
Dream Count
Adichie, Chimamanda Ngozi

Dream Count


gut

Chia nimmt den Coronabedingten Lockdown zum Anlass Bilanz zu ziehen, was ihre Beziehungen angeht. Einige Männer haben sie in ihrem Leben über kurz oder lang bisher begleitet, geblieben ist keiner. Was ihr dagegen bleibt, sind ihre Cousine Omelogor, ihre beste Freundin Zikora und nicht zuletzt ihre Haushälterin Kadiatou. Vier Frauen, die vieles eint, aber auch einiges trennt.
Ich habe bereits die anderen Romane der Autorin gelesen (z.T. auch verschlungen) und muss leider sagen, dass Dream Count nicht ganz an meine (vermutlich zu) hohen Erwartungen herankam. Das liegt zum einen am etwas chaotischen Aufbau, der Tatsache, dass ich mit Chia nicht ganz so viel anfangen konnte und nicht zuletzt dem Schluss des Romans. Dazwischen gibt es großartige Szenen, die die Autorin mit viel Feingefühl skizziert. Überhaupt hat mir ihr Schreibstil über weite Strecken wieder sehr gut gefallen, sie kann Situationen und Gefühle so authentisch rüberbringen. Auch thematisch kann der Roman viel, Kritik an patriachialen Strukturen, Rassismus, Sexismus, dem Arm-Reich-Gefälle undundund. Viel Stoff, der aber doch die Handlung dabei nicht überfrachtet.
Die vier Frauen sind sich in vielem sehr gegensätzlich, doch ihre nigerianische Herkunft eint sie ebenso wie die Tatsache, dass sie jede für sich viel mitgemacht haben. Die Autorin lässt jede der vier zu Wort kommen, dabei wechselt auch die Erzählperspektive, was zu Beginn etwas unerwartet kam. Zudem ist die Handlung nicht chronologisch, was die Zuordnung schon mal etwas erschwert. Hat man die Ereignisse aber für sich einsortiert, wird man auch meist belohnt. Mir haben die Handlungsstränge rund um Kadiatou und Omelogor am besten gefallen, wohingegen ich Chia bis zum Schluss weder sonderlich leiden noch verstehen konnte. Etwas einseitig fand ich die Darstellung von Männern im Allgemeinen, sie zeigen hauptsächlich negative Eigenschaften, was ich doch sehr vereinfacht finde. Natürlich ergibt sich das daraus, welche Erfahrungen die Frauen mit ihnen gemacht haben, doch an der ein oder anderen Stelle machte das die Message doch zu plakativ für meinen Geschmack.
Insgesamt ist Dream Count ein Roman, den man sich zwar etwas erarbeiten muss, den ich aber trotz einiger Kritikpunkte weiterempfehlen kann.

Bewertung vom 23.02.2025
Der letzte Mord am Ende der Welt
Turton, Stuart

Der letzte Mord am Ende der Welt


ausgezeichnet

Vor 90 Jahren hat ein tödlicher Nebel die Welt eingehüllt, fast alle Menschen sind ihm zum Opfer gefallen. Einzige Ausnahme: ein paar Wissenschaftler, die sich mit anderen auf eine Forschungsinsel zurückziehen konnten. Dort leben sie seitdem von dem wenigen, das sie anbauen können und haben sich mehr oder weniger mit der Situation arrangiert. Doch eines Tages wird eine der Ältesten ermordet und mit ihrem Tod steht plötzlich das Überleben der kompletten Gemeinschaft auf dem Spiel.
Stuart Turton schreibt oft Bücher, die immer ein bisschen anders sind, lässt dabei Genregrenzen verschwimmen und unterhält mit dieser Mischung ganz hervorragend. Auch bei diesem Krimi-SciFi-Mix hat er wieder abgeliefert und mich schnell für seine Geschichte begeistert.
Schon die Erzählperspektive ist ungewöhnlich: Abi, eine Art KI, mit der alle Dorfbewohner verbunden sind, erzählt die Story aus ihrer Sicht. Diese wahrhaft allwissende Erzählerin ist jedoch ebenfalls nicht allmächtig, denn sie ist an Befehle der Ältesten gebunden und so weiß man irgendwann doch nicht mehr wie sehr man ihr trauen kann. Die sozialen Beziehungen der Dorfbewohner sind von Hilfsbereitschaft und Gemeinschaftsgefühl geprägt, Fehden, Streits etc. scheinen ihnen komplett fremd zu sein. Das lässt ein Gefühl von Heile Welt aufkommen, obwohl an dieser postapokalyptischen Szenerie nun wirklich nicht alles heile ist. Der Mord lässt vieles ans Licht kommen, oft auf verschlungenen Wegen. Ich habe wirklich mit Emory mitgefiebert, ob sie es schafft, das Rätsel zu lösen und natürlich im wahrsten Sinne des Wortes die Welt zu retten. Der Countdown läuft immer im Hintergrund mit und sorgt so natürlich für noch mehr Spannung. Turton erzählt locker, zwischendrin wirkt seine Szenerie fast schon märchenhaft und doch haben die ermittlerischen Fähigkeiten von Emory ebenso Hand und Fuß. Mir hat diese Mischung wirklich gut gefallen.

Bewertung vom 29.12.2024
Demon Copperhead
Kingsolver, Barbara

Demon Copperhead


ausgezeichnet

In einem Trailer der heruntergekommenen Sorte verbringt Damon seine ersten Kindheitsjahre; sie sind geprägt von Armut und der Sucht der überforderten Mutter. Als sie letztendlich stirbt, kann er nicht beim (verhassten) Stiefvater bleiben, sondern gerät in die Maschinerie des Jugendamts und wird von Pflegestelle zu Pflegestelle gereicht, jederzeit bereit endgültig durch die Maschen des Netzes zu rutschen.
Kingsolver erzählt Dickens David Copperfield in einer modernen Adaptation, verlegt den Handlungsort in einen runtergekommenen Trailerpark in Lee County. Sie schildert das Sozialgefüge sehr anschaulich, ebenso die Vorurteile und abfälligen Blicke, die die Bewohner auf sich ziehen, fast schon einer Milieustudie gleich. Demon wie er bald von allen genannt wird, ist ein kluger Kopf, der sich schnell an Veränderungen anzupassen versucht, aber natürlich trotzdem permanent unterzugehen droht. Er rutscht ab, mal hat man das Gefühl es wäre unausweichlich gewesen, mal, dass er auch seinen guten Teil dazu beigetragen hat. Auf jeden Fall ist es immer wieder berührend, aber auch überraschend, welche Wendungen sein junges Leben nimmt. Trotz der beachtlichen Länge des Romans tritt die Handlung nie auf der Stelle; im Gegenteil, der Roman war bei aller Tragik doch sehr kurzweilig und unterhaltsam. Demons Erzählstimme hat mir wahnsinnig gut gefallen, ein gewisser Zynismus mischt sich mit Verletzlichkeit; bei aller Aussichtslosigkeit, scheint er doch nie aufzugeben und die Hoffnung zu verlieren.
Der Roman thematisiert den rasanten Anstieg der Medikamentenabhängigen und versucht hier auch aufzuzeigen, wie schnell und oft unverschuldet man in die Abhängigkeit abrutschen kann. Die Autorin beschönigt nichts, versucht aber auch Verständnis beim Leser zu wecken. Mir hat ihr Mittelweg gut gefallen. Man muss sich auf die Thematik, auf Elend und Gewalt einlassen können, dann wird man aber mit einem starken und doch einfühlsamen Roman belohnt. Mir hat er sehr gefallen.

Bewertung vom 18.12.2024
Die Tochter der Drachenkrone
Qunaj, Sabrina

Die Tochter der Drachenkrone


sehr gut

Gwenllian ist gerade 14 Jahre alt, als ihr Vater, der Fürst von Südwales stirbt. Das ist nicht nur tragisch für sie als Tochter, sondern auch für ganz Wales, denn kriegerische Unruhen zwischen den Fürsten bestimmen sowieso schon den Alltag. Nun entbrennt nicht nur ein Streit um die Nachfolge unter Gwenllians Brüdern, sondern auch die Freincs wittern ihre Chance. Auf Ruhe und Frieden soll die Region noch lange warten müssen.
Die Tochter der Drachenkrone ist mein erstes Buch von Sabrina Qunaj, doch es wird nicht das letzte bleiben. Die Mischung aus Historie und Fiktion ist rund, der Stil lebendig und bildreich. Historische Hintergründe werden gut aufbereitet, sodass ich jetzt ein ganzes Stück schlauer bin was walisische Geschichte angeht. Ich bin der Autorin für Personenregister und Stammbäume dankbar, denn obwohl sie sich Mühe gibt, den großen Cast (mit den doch eher ungewohnten walisischen Namen) langsam einzuführen, gab es doch immer mal Verwirrung. Zum Glück lässt sich der erzählerische Faden aber immer wieder gut aufnehmen, der Roman liest sich locker und flüssig.
Gwenllian ist eine durchsetzungsstarke Frau, die einen sehr hellen Kopf hat und genau weiß, wann sie sich den Konventionen fügen muss oder wie sie etwas zu ihrem Vorteil nützen kann. Das klingt abgebrüht, ist es aber nicht, sondern einfach eine kluge Taktik um nicht völlig unterzugehen. Sie ist als Frau trotzdem erstaunlich oft inmitten des politischen Geschehens, nicht immer gelingt glaubhaft zu erklären warum. Um sie herum finden sich weitere historisch verbriefte Personen, denen man aber nicht ganz so nah kommt. Der Fokus liegt klar auf den Frauen und Gwenllian im Speziellen.
Der Roman erstreckt sich über knapp 20 Jahre, in denen Gwenllian einige Höhen und Tiefen erlebt. Ich bin ihr auf ihrem Weg leserisch sehr gerne gefolgt. Ein schöner historischer Schmöker!

Bewertung vom 16.12.2024
Der König
Nesbø, Jo

Der König


sehr gut

Acht Jahre sind vergangen seit Roy und Carl Opgard im norwegischen Os wieder als Brüder zusammenfanden. Sie haben sich etabliert, ein Wellnesshotel eröffnet, vielleicht auch den ein oder anderen Widersacher aus dem Weg geräumt. Doch nun soll Os durch eine Umgehungsstraße ins Nichts verbannt werden; und das steht den Plänen der Brüder natürlich im Weg.
Mir war vom Vorgänger (Ihr Königreich) selbst nicht mehr allzu viel im Gedächtnis, deswegen denke ich schon, dass man diesen Krimi auch ohne Vorwissen lesen kann. Roy erzählt die Handlung, ihm kommt man dementsprechend am nächsten. Er hat sich etwas gemausert, doch immer noch scheint er auf die Dorfeinwohner etwas sonderbar zu wirken. Dazu kommt sicherlich die Tatsache, dass die Opgards und speziell er als der ältere Bruder immer noch unter Verdacht stehen mit dem Unfalltod ihrer Eltern etwas zu tun zu haben. Die ständige Beobachtung der Dorfpolizei nervt, doch Roy ist ein sehr kühler, kalkulierender Kopf, der auch in brenzligen Situationen die Nerven behält. Carl ist da nicht ganz anders, auch wenn er ebenfalls seine eigenen Vorteile auszuspielen weiß bzw. allerlei Kniffe kennt sich welche zu beschaffen. Die beiden arbeiten auf ähnliche Ziele hin, stehen dabei aber auch in Konkurrenz zueinander und haben eine wirklich komplizierte Geschwisterbeziehung. Dieses fragile Gleichgewicht droht jederzeit zu kippen, was allein schon sehr spannend zu lesen war. Nesbo erzählt ihre Geschichte gewohnt süffig, spannende Passagen lösen sich unerwartet mit schwarzem Humor ab, ja es bahnt sich sogar eine Liebesgeschichte an. Klingt erst mal nach Durcheinander, fügt sich aber erstaunlich gut zu einem wirklich lesenswerten Krimi, der mich auch mehr überzeugt hat als sein Vorgänger. Der König ist ein runder Krimi, der unterhält, mit sehr interessanten Charakteren und Beziehungen aufwartet und dabei mal wieder zeigt, dass Nesbo auch abseits von Hole wirklich gut schreiben kann.

Bewertung vom 16.12.2024
Die Lungenschwimmprobe
Renberg, Tore

Die Lungenschwimmprobe


ausgezeichnet

Eine 15Jährige soll 1681 zum Tode verurteilt werden, da sie ihr Neugeborenes getötet hat. Soweit nichts Ungewöhnliches zu jener Zeit, doch Annas Fall erlangt historische Relevanz, denn ein renommierter Arzt bringt bei ihr etwas Neues ins Spiel: die Lungenschwimmprobe. Und die zeigt eindeutig, ob das Baby bei Geburt gelebt hat oder nicht. Ein zäher Kampf um das Leben der jungen Frau beginnt.
Die Lungenschwimmprobe ist ein wirklich ungewöhnlich erzählter historischer Roman, zwischenzeitlich klingt er fast wie ein (sehr interessantes) Sachbuch, dann wieder vom Ton her nahezu märchenhaft. Renberg erzählt die Handlung nicht nur aus unterschiedlichen Perspektiven, gleichzeitig bricht er die Ebenen auf und spricht den Leser z.T. direkt an. Das klingt erst mal konfus, ist für mich aber vollkommen aufgegangen. Die historisch verbrieften Figuren kommen dem Leser durch diese Wechsel nicht immer ganz so nah, aber man kann die Zusammenhänge hervorragend verstehen, ebenso wie die Intentionen jedes einzelnen. Zum einen die Verdächtige selbst, ihre verzweifelten Eltern, ihr ehrgeiziger Anwalt. Auf der anderen Seite der anklagende Amtmann, die belastende Hauptzeugin, ja sogar der Henker kommt zu Wort. Zusammen bilden die Kapitel ein sehr rundes Bild in Bezug auf Annas Fall, ebenso auf die gesellschaftlichen Gefüge. Man merkt den knapp 700 Seiten die große Rechercheleistung des Autors an, alles wirkt sehr fundiert, immer wieder kommen die wenigen Originalquellen ins Spiel. Gerade bei solchen historischen Romanen finde ich Anhänge wichtig; dieses Buch hier hat keinen, stattdessen wird auf die Seite des Verlags verwiesen. Natürlich ist die heutzutage nur einen kurzen Klick entfernt, trotzdem bin ich der Meinung, dass der unmittelbar leserelevante Anhang eines Buches (wie ein Personenregister und Karten der Schauplätze) schon bitteschön im Buch abgedruckt gehört.
Insgesamt fand ich Die Lungenschwimmprobe wirklich außergewöhnlich, sehr interessant und dabei auch noch wirklich unterhaltsam. Klare Leseempfehlung!

Bewertung vom 08.12.2024
Der Krimidinnermord / Phyllida Bright Bd.3
Cambridge, Colleen

Der Krimidinnermord / Phyllida Bright Bd.3


gut

Mallowan Hall hat neue Nachbarn und die geben einen Einstand: per Mord. Zumindest steht es so in der Einladung, der Phyllida in Vertretung für ihre Arbeitgeber Folge leistet. Pünktlich um 19 Uhr wird eine Leiche in Beecham House erwartet, die Gäste sollen den Fall spielerisch aufklären. Für Phyllida wird der Abend jedoch erst richtig interessant, als aus der gespielten eine echte Leiche wird.
Man muss die Vorgänger nicht zwingend gelesen haben, um die Handlung verstehen zu können; aber ich finde den Krimidinnermord als Einsteiger nicht ganz so gut geeignet, weil er meiner Meinung nach schwächer als die beiden vorherigen Bände ist und man so einen falschen Eindruck von der Reihe bekommt. Phyllida ist sonst ein sehr heller Kopf, mit einer Kombinationsgabe ausgestattet, die wirklich an den von ihr so verehrten Hercule Poirot erinnert. Doch diesmal sind ihre grauen Zellen etwas weniger auf Zack, ihre Schlussfolgerungen etwas langsamer. Ansonsten ist Phyllida so beherzt und pfiffig wie eh und je, sie meistert neben den Ermittlungen den heimischen Haushalt inklusive großer Veränderungen wie der Ankunft eines Staubsaugers hervorragend. Natürlich kommt auch das restliche Personal nicht zu kurz, die üblichen Rivalitäten zwischen ihr und dem Butler sind immer einen Lacher wert, ebenso die Kabbeleien mit Chauffeur Bradford. Diese Szenen haben einen wunderbaren Charme, ein feiner Humor zieht sich so durch die Seiten; die Handlung macht einfach Spaß. Der leichte und lockere Stil der Autorin tut sein Übriges, und so war die Lektüre immer unterhaltsam, wenn auch nicht so spannend wie gewohnt. Der Täter war relativ früh zu entlarven, das Cover hat leider erneut seinen Teil dazu beigetragen. Ich fand es zudem etwas schade, dass Agatha quasi gar nicht vorkommt, auch die ein oder andere neue Figur bleibt etwas blass.
Letztlich konnte das heimelige Flair und Cambridges liebenswerter Cast mich dann doch nicht ganz über den etwas mauen Kriminalfall hinwegtrösten. Schade, aber ich würde wetten, dass Phyllida im nächsten Band gestärkt durch Erdbeerscones und Whiskey wieder auf altem Niveau ermittelt.