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Benutzername: 
Chris
Wohnort: 
Berlin

Bewertungen

Bewertung vom 23.07.2018
Die Schulter des Riesen
Rauhenberg, Raffael

Die Schulter des Riesen


ausgezeichnet

Eine Reise ins Herz der Finsternis
Schon lange hat mich kein Buch mehr so berührt. Gregor Bach zu begleiten auf seinem Weg vom ganz normalen, moralisch trittsicheren Familienvater, leicht arrogant, selbstsicher und einigermaßen glücklich, zum verzagten, verzweifelten Elendsmenschen, der Obdach- und hoffnungslos durch die Stadt driftet, das ist richtig hart. Mit jedem weiteren Schicksalsschlag wird Gregor mutloser und angreifbarer. Er kann einfach nicht mehr heraus aus dem Teufelskreis von Obdachlosigkeit und Armut. Die ganze Wucht des Abgestempelt-Seins als Versager beschreibt Raffael Rauhenberg so erbarmungslos sicher, dass es völlig logisch erscheint, dass Gregor und seine Leidensgenossen es nicht mehr schaffen können, den Kopf zu heben aus dem Morast des Elends. Und es fühlt sich an, als könne es mich genauso treffen. Der Kontrast zwischen sicher, geborgen und optimistisch zu abgewatscht, verloren und chancenlos hat eine verdammt dünne Grenze bekommen. Gibt es überhaupt eine? Wir sind alle Menschen mit dem Bedürfnis nach Liebe, Essen, Trinken, Wärme und Sicherheit. Wir wollen dazugehören. Auch Gregor gehört dazu, allerdings lebt er nun in einer Art Paralleluniversum, in dem jeder Tag existenzielle Bedrohung, Niederlagen und Demütigung beinhaltet. Aber selbst hier gibt es so etwas wie Freundschaft, Solidarität und Integrität. Und letztendlich macht das den Unterschied. Ich sehe sie jeden Tag, die Menschen, die herausgefallen sind aus dem System und ich werde sie von nun an mit mehr Verständnis und Mitgefühl betrachten, denn sie könnten „ich“ sein. Wie ging noch mal der Spruch? „ If you never walked in my shoes, dont you judge me.“ Ein richtig tolles Buch. Nicht nur inhaltlich sondern auch sprachlich. Ich wünsche ihm viele Leser und einen Platz auf den Bestsellerlisten, den hat es verdient.