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kaffeeelse

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Insgesamt 558 Bewertungen
Bewertung vom 02.07.2024
Kanadische Wälder
Blunt, Giles

Kanadische Wälder


sehr gut

Die Vergangenheit kommt zurück
Der erste Teil der Krimi-Reihe um die Ermittler John Cardinal und Lise Delorne hatte mir schon sehr gefallen. Wieder ermitteln die beiden sympathischen Ermittler an einem spannenden Fall im fiktiven Algonquin Bay in Ontario. Es werden Leichenteile im Wald gefunden, schnell sind die Bären der Gegend im Verdacht, aber dann erscheint der Geheimdienst auf dem Plan und alles geht in eine völlig andere Richtung. Wieder ist dieses Buch eine erstklassige Unterhaltung, die nach dem intensiven Vorgängerbuch auch dringend nötig war. Aber „Kanadische Wälder“ von Giles Blunt ist nicht nur spannende Unterhaltung, denn dieser Fall hier zieht Kreise in die Vergangenheit. Und diese Schau in die Vergangenheit zeigt Interessantes aus der Geschichte Quebecs auf. Nach einigem Googlen merkt man dann auch, dass man in diesem Buch mit interessanten Wahrheiten konfrontiert wird. Wahrheiten, die an dem Saubermann-Image von Kanada nagen. Ein Saubermann-Image, welches man wahrscheinlich in keinem Land finden wird. Es wird sicher überall dunkle Wahrheiten geben. Schon das Geschehen, welches um die Residential Schools bekannt wurde, erschütterte die kanadische Öffentlichkeit. Aber mal ehrlich, Leute, die mit Indianern in Kanada Kontakt hatten, werden doch schon davon gewusst haben, warum kam dies dann nicht schon eher raus. Weil sich auch die Sichten zu den kanadischen Indigenen geändert haben. Denn das Geschehen in diesen Schulen, die Wegnahme der Kinder, das Herausreißen der Kinder aus ihren familiären Gefügen wird wahrscheinlich für viel Leid in den indigenen Familien gesorgt haben und wenn man dann mal über den Alkoholkonsum unter den Indigenen nachdenkt, bekommt dieses Tun gleich einen ganz anderen Klang.



Nun gut, zurück zum Buch, die Polizisten John Cardinal und Lise Delorne in ihrem Tun wachsen mir ans Herz. Ich finde die Gestaltung der Bücher sehr interessant, denn diese Bücher sind nicht nur ein Krimi, sondern gleichzeitig sind diese Bücher auch eine kanadische Reise. Mir gefallen sie sehr. Auch in ihrem Gewand bei Kampa.



Denn wie schon eine andere Leserin bei meiner vorigen Rezension bemerkte, diese Bücher wurden neu aufgelegt. Die Reihe um John Cardinal kam schon einmal unter anderen Titeln bei einem anderen Verlag heraus. Ich mag die Ausgaben bei Kampa aber sehr und da ich die vorigen Bücher nicht kenne, werde ich weiter bei Kampa bleiben und hab auch gerade gesehen, dass in diesem Jahr Teil 3 folgt. Herrlich!

Bewertung vom 02.07.2024
Unlearn Patriarchy 2
Amojo, Ireti;Borcak, Melina;Boussaoud, Yassamin-Sophia

Unlearn Patriarchy 2


ausgezeichnet

Gelebte Ungerechtigkeiten
Schon der erste Teil dieses Buches hat mir sehr gut gefallen, dass ich von daher das zweite Buch auch sehr gern lesen wollte, dürfte jedem klar sein, der mein Account schon etwas kennt. Feminstische Themen sind mir ein Herzensprojekt, ich finde unser patriarchal tickendes System furchtbar und gerade, wenn ich mir die Themen Gerechtigkeit ansehe und den Umgang mit unseren Ressourcen, wird mir und vielen anderen durchaus klar, dass dieses Höher-Schneller-Weiter an seine Grenzen kommt. Nur wird das denen nicht klar, die munter an uns allen verdienen, sich fein ihr Säckle füllen, nach dem Motto, nach mir die Sintflut. Und dieser Spruch ist nicht vollkommen nur eine verbale Ausdrucksmöglichkeit, wie uns die Natur zeigt, und dennoch werden weiter munter Flusstäler bebaut und nicht dafür gesorgt, dass ökologisches Denken Einzug hält und unser bisheriges Tun überdacht wird. Nein, immer weiter so und uns wird es ja nicht treffen. Denn alles andere ist zu teuer und diejenigen, die warnen. Nun ja, die spinnen halt, sagen sich die Herren und Damen der Reaktionären und ihre Wähler fallen darauf herein. Weil 1 + 1 ist nicht immer 2 ist und der Klimawandel ja gar nicht existiert. Nu. Ich könnte im Strahl kotzen! Und nach dieser EU-Wahl noch viel mehr! Anderes Thema könnte man meinen. Aber ich ziehe durchaus Parallelen. Man braucht sich ja nur ansehen, wie hoch der Frauenanteil in den Parteien ist. Und dieser ist nun mal bei den Grünen und den Linken am höchsten. Wieso nur? Unlearn Politik sage ich da nur! Wieso wählen Mädels eigentlich Parteien, die die Frauenrechte beschränken wollen? Nur mal so ne Frage. Interessehalber. Was ist, wenn gewisse Parteien hier an die Macht kommen und unsere Rechte zum Beispiel, wie in Polen gerade geschehen, komplett aushebeln wollen. Reagiert ihr dann? Wenigstens dann. Oder duckt ihr weiter ab?



Nun gut. Zurück zum Buch. Hier in diesem zweiten Teil der Unlearn Patriarchy schauen verschiedene Autorinnen auf die Themen Körper, Architektur, Erziehung, Sport, Ableismus, Recht, Mental Health, Klasse, Gender Pay Gap, Krieg und Genozid, Kirche, Medizin und Literatur. Wieder wird auf eine Fülle von Ungerechtigkeiten geschaut. Und wieder macht dieses Buch wütend. Das unsägliche Thema Medizin wieder. Ich arbeite seit vielen Jahren im Krankenhaus, irgendwann wurde es privatisiert, was dies für das Personal bedeutete, ist eigentlich für jeden, den das Schicksal in die Medizin führt ersichtlich. Aber nicht, dass hier irgendjemand denkt, dass sich da bei den Richtigen beschwert wird. Immer noch sind die Mitarbeiter das Angriffsziel. Warum soll es uns in der Medizin auch anders gehen als den Mädels in den Läden, in den Friseursalons, in den Bäckereien, in den Fleischereien usw. usf.?!?! Hier fällt mir wieder dieser Klassiker ein, Der Untertan. Und schon wieder ist die Wut da. Die Mädels in Island in den 70ern, die haben es richtig gemacht. Bin neugierig ob die deutschen Mädels das irgendwann auch so tun. Vielleicht erlebe ich es noch. 😊))



Solche Bücher wie „Unlearn Patriarchy 1 + 2“ sind zumindest der richtige Weg. Nun müssen diese Bücher nur noch ganz viele Leser errreichen, wütend machen und zur Aktion bringen!

Bewertung vom 01.07.2024
Schwestern
Korbik, Julia

Schwestern


ausgezeichnet

Blicke auf weibliches Miteinander

Julia Korbik gelingt hier in „Schwestern“ ein interessanter und wachrüttelnder Blick auf feministisches Denken, auf feministische Sichten, auf die Schwesternschaft. Denn propagieren wir Frauen wirklich diese Schwesternschaft? Meines Erachtens viel zu wenig. Wo Männer Allianzen bilden, sind wir eher gegeneinander eingestellt. Wir funktionieren wunderbar in diesem Patriarchat. Anstatt uns zusammenzuschließen und eine Macht zu bilden, reagieren wir weiterhin nach altbekannten Mustern und funktionieren damit prächtig für dieses Patriarchat und merken darüber nicht, dass dieses Patriarchat uns zerstört, uns klein hält. Genauso könnte man sich fragen, warum reagiert das Patriarchat so? Warum agieren reaktionäre Kräfte vermehrt frauenfeindlich, warum möchten sie uns beschränken? Auch das sollte man sich einmal fragen. Hat das nicht auch etwas mit einer Angst zu tun? Denn wenn Frauen sich zusammenschließen und revoltieren knicken die Herren der Schöpfung dann auch schnell ein. Man blicke da nur nach Island und den Streik der Frauen da in den 70ern.



Nun meckert Julia Korbik hier nicht nur rum, wie ich gerade, sorry. Sondern sie zeigt in ihrem Buch auch Möglichkeiten auf. Und sie transportiert in ihrem Buch „Schwestern“ eine große Hoffnung. Hoffnung auf Besserung. Und diese Hoffnung tut gut. Sie zieht nicht runter wie diese Meckerei. Huch, sorry. Sondern diese Hoffnung, diese Blicke auf ein Vielleicht spenden Kraft. Hier wird kein weltentrücktes, auf einer Wolke schwebendes weibliches Kollektiv präsentiert. Sondern hier wird eine Schwesternschaft ermöglicht, in der nicht jede Schwester gleich ticken muss. Hier wird eine Schwesternschaft beschrieben, die natürlich auch Unterschiede und darin begründete Reibungspunkte enthält. Aber maybe. Gibt es ja bei Schwestern in der Familie auch. Und manche Reibung ermöglicht schlussendlich eine Veränderung. Veränderungen, die wir dringend nötig haben und die auch im politischen Kontext eine immer größere Bedeutung bekommen. Wenn ich an die Rückkehr der nationalistisch tickenden Reaktionären denke. Mädels, wacht auf. Denkt an Polen und diese so starke Beschneidung weiblicher Selbstbestimmtheit. Nichts anderes wollen diese feinen Herren und Damen nämlich, wenn sie an der Macht sind, wird der dünne Schafspelz abgeworfen und darunter kommt das eigentliche machtbesessene und patriarchal denkende Ungetüm zum Vorschein. Ich habe bewusst keinen Wolf als Bild benutzt. Was soll auch dieses wunderschöne Tier mit diesen Reaktionären zu tun haben?



„Schwestern“ von Julia Korbik ist ein richtig erhellendes und absolut positives Buch, ein wichtiges Buch und ein Buch, welches genau zur richtigen Zeit kommt. Ein Buch, dem ich viele Leser wünsche. Denn eine Veränderung zu einer dualen und wirklich gleichberechtigten Gesellschaft haben wir mehr als nötig. Und etwas positive Klänge tun in diesen dunklen Zeiten sehr gut. Also Mädels, ran an die „Schwestern“. Hmpf. Ihr Jungs natürlich auch. 😊

Bewertung vom 01.07.2024
Lil
Gasser, Markus

Lil


sehr gut

Rache und noch etwas mehr

Das Buch „Lil“ von Markus Gasser ist eine Geschichte einer weiblichen Rache. Von dieser Thematik erinnert es mich an „Die Farben des Feuers“ von Pierre Lemaitre. Nur zündet es mich nicht derartig an. Was meines Erachtens nicht an der Geschichte von Lil liegt. Diese ist mitreißend erzählt und wühlt auf. Ich kann nicht genau benennen warum dieses Buch bei mir nicht so wie „Die Farben des Feuers“ einschlug. Ich kann hier nur vermuten. Und da drängen sich mir diese zwei Vermutungen auf. Einerseits bringt hier dieser Aufbau in zwei Erzählstränge vielleicht die aufwallenden Gefühle in mir etwas zum Versiegen, denn diese Sarah und die mit ihr verbandelte Dobermannhündin Miss Brontë bringt eine andere Struktur in die Geschichte der Lillian Cutting. Sarah erzählt zwar die Geschichte ihrer Urahnin, aber in der Kommunikation zwischen Sarah und ihrer Hündin verschwindet leider auch mancher Zauber der Geschichte von Lil. Dass Markus Gasser in dieser Struktur eine Verbindung ins Jetzt zieht, ist ein stimmiger und auch wichtiger Fakt, nur leider verliert in meinen Augen die Geschichte der Lillian Cutting dadurch etwas an ihrer Intensität. Und für mich verschwindet dadurch vielleicht dieses Lodern. Was schade wäre. Aber dennoch ist dieser Gedankengang nur eine Vermutung von mir. Er drängte sich mir nicht beim Lesen auf. Der Humor des Markus Gasser ist mir schon in seinem Vorgängerbuch über Daniel Defoe aufgefallen und dort hatte mir dieser etwas böse Humor sehr gefallen. Auch hier in „Lil“ erscheint diese etwas böse Sicht auf das Geschehen und auch hier gefällt sie mir. Genau deswegen ist auch das Miteinander zwischen Miss Brontë und Sarah sehr erfrischend. Aber vielleicht nimmt diese Geschichte dann der Figur Lillian Cutting etwas von ihrem Feuer. Dennoch ist diese leichte Kritik nicht besonders aussagekräftig. Denn ich setze sie ja in Klammern. Ich hatte oben von zwei Vermutungen gesprochen. Die zweite Vermutung, warum dieses Buch nicht das Feuer in mir auslöst, betrifft mich selbst. Kann sein, dass meine eigene Gedankenwelt momentan das Lesevergnügen etwas schmälert.

Dennoch darf man nicht vergessen. 4 Sterne sind eine sehr gute Bewertung von mir. Letztlich bedeuten 4 Sterne in meinen Bewertungsrichtlinien, dass diese Bücher sehr gute Bücher sind, wo letztlich nur noch mein eigenes Brennen fehlt. Und dieses Brennen stellt sich ja bei anderen von mir sehr geschätzten Rezensenten ein. Die Geschichte der Lillian Cutting hat es echt in sich, ist spannend und lesenswert, transportiert in einem gehörigen Maße eine Gesellschaftskritik. Eine Gesellschaftskritik, die sich in der Geschichte der Lillian auf eine vergangene Zeit bezieht. Dennoch gibt es auch im Jetzt diese verachtenswerte Misogynie und auch dies verdeutlicht Markus Gasser in „Lil“. Und dafür gehört dieses Buch definitiv gewürdigt. Und Markus Gasser Literatur kann ich nur empfehlen. Ich liebe dieses Dunkle in seiner Sprache, seinen dunklen Humor, der mich auch schon beim Vorgängerbuch sehr begeisterte. Markus Gasser ist für mich eine Entdeckung. Ich liebe seine Sprache. Lesen!

Bewertung vom 08.06.2024
Mittsommertage
Woelk, Ulrich

Mittsommertage


ausgezeichnet

Das Gestern und das Jetzt

"Mittsommertage" ist mein zweites Buch von Ulrich Woelk. Schon mit "Der Sommer meiner Mutter" begeisterte mich Woelk. Aber hier in "Mittsommertage" gelingt ihm dieses Begeistern noch etwas intensiver.

Für Ruth Lember, eine Professorin in Berlin, beginnt eine Wandlung, eine Reise. Sie wird von einem Hund gebissen, aber dies ist nur der Auftakt von beginnenden Ereignissen, eine spannende und interessante Fahrt beginnt. "Mittsommertage" ist aber nicht nur ein Roman über eine Frau, dieses Buch ist ein Blick auf ein Paar, auf eine Familie. Ein Blick auf die Interaktionen in diesem Gespann. Ein Blick auf das Heute und ein Blick auf das Gestern. Durch diese Blicke zurück ist dieses Buch aber auch eine spannende und interessante Zeitreise. Denn das Gestern und das Jetzt haben natürlich Verbindungen, nicht nur in der Gruppe miteinander verbundener Menschen, sondern auch in gesellschaftlichen Geschehnissen. Dieses Buch zeigt sehr schön, was das Leben mit den Menschen macht, was Älter werden bedeutet. Aber gleichzeitig zeigt es auch dass die Vergangenheit nicht vergangen ist und ein kleiner Teil Vergangenheit weiter im Jetzt besteht. Ebenso wie auch früheres Denken, frühere Ziele zwar in der Vergangenheit ruhen, aber deshalb nicht zwangsläufig auch begraben sein müssen. „Mittsommertage“ ist so ein Buch zum Sinnieren, zur Reflexion, ein Buch für eine interessante Reise.

Ich finde bei den Büchern von Ulrich Woelk nicht diese in der deutschen Literatur so oft aufzufindende Distanz, dieses mich so oft verwirrende Kühle. Und dies gefällt mir ungemein! Denn die Bücher von Ulrich Woelk berühren mich. Ein Autor, den ich definitiv im Auge behalten werde. Denn "Der Sommer meiner Mutter" und "Mittsommertage" berühren und begeistern mich, "Mittsommertage" noch etwas mehr. Von daher bin ich natürlich neugierig auf weitere Bücher von Ulrich Woelk.

Mal schauen, was die kommende Lesezeit noch alles vor meine Augen führen wird. Denn diese 5 Sterne Reise hier war bezaubernd für mich.

Bewertung vom 03.06.2024
Und alle so still
Fallwickl, Mareike

Und alle so still


ausgezeichnet

Misogynie hat Folgen

Und alle so still. Ja, genauso ist es. Wir sind still. So still. Kochen innerlich. Aber sind still. Entsetzlich still!

Schon mit "Die Wut, die bleibt" hatte mich Mareike Fallwickl getroffen, tief getroffen. Denn dunkle Phasen sind mir bekannt. Ich weiß, was dies mit einem macht, wie schwer es ist dagegen zu steuern, wie schwer die Schritte der Akzeptanz und der Aktion sind. Und natürlich weiß man um die Ursachen. Kämpft dagegen an, in den möglichen Rahmenbedingungen natürlich. Verändert, sinniert, erkennt und entdeckt sich neu. Gewinnt und scheitert. und man macht weiter. Doch dies geht nur bis zu einem gewissen Punkt. Denn dies hat mit einer Selbstreflexion zu tun. Und dem Mut, dem Willen und der Möglichkeit zur Veränderung.

Aber genauso hat dies auch mit einer gesellschaftlichen Veränderung zu tun. Und dies zielt auf das uns bestimmende Patriarchat. Denn dieses System ist die Ursache vieler Probleme in der heutigen Zeit. Probleme von Männern und Frauen wohlbemerkt. Denn dieses Höher-Schneller-Weiter macht ja mit uns allen etwas. Wir funktionieren in diesem Höher-Schneller-Weiter. Um über die Runden zu kommen. Natürlich. Aber auch, weil dieses Höher-Schneller-Weiter einen gewissen Reiz hat, wir davon profitieren, wir alle in dieser westlichen Welt. Denn das sollte man sich klar machen. Es sind nun mal nicht die, es sind wir. Wir alle. Denn wir alle machen dieses System, dieses Patriarchat erst möglich. In dem wir funktionieren und in dem wir verbrauchen.

Mareike Fallwickl schaut in "Und alle so still" auf diesen imaginären Punkt in der Zukunft, in dem wir eben nicht mehr funktionieren. Sie schaut an diesen Punkt des Aufbegehrens. Ein Aufbegehren in der Form der Verweigerung. Ein interessanter Punkt! Denn gerade diese Care-Berufe sind ja von der Unterdrückung im Patriarchat besonders betroffen, wie Covid ja so anschaulich demonstrierte. Und ja. Es wurde geklatscht. Toll!?!? Aber was hat sich sonst noch getan? Außer, dass die Anforderungen und der Druck weiter steigen. Und das tangiert mich schon sehr. Denn auch ich bin einer dieser Care-Arbeitenden, eine dieser Beklatschten. Was also tun? Aufbegehren wie im Buch. Aber im Land des Untertans. Funktioniert dies bei uns? Dies muss sich jede/r selbst fragen. Dieses Buch legt den Finger tief in eine offene Wunde. Und dafür liebe ich dieses Buch und dich, liebe Mareike!

Denn wie funktionieren Veränderungen? Sicher nicht in dem man weiter abduckt und weiter funktioniert. Verbale Veränderungsgesuche zum Thema Frauenrechte und Gleichstellung gab es schon viele. Sie haben ja auch Veränderungen gebracht. Aber halt nur kleine. Wann kommen dann die großen Veränderungen? Muss es dazu wirklich erst zu revolutionsähnlichen Zuständen kommen wie in diesem Buch? Ich hoffe dies ja nicht!

Ein interessantes und ein mich anzündendes Buch!

Bewertung vom 13.05.2024
Mama Odessa
Biller, Maxim

Mama Odessa


sehr gut

Mutter und Sohn oder Das Jetzt und das Gestern

Maxim Biller hat mich schon mit zwei anderen Büchern beeindruckt, das erste Buch war "Sechs Koffer" und das zweite sein "Der falsche Gruß". "Sechs Koffer" fand ich autobiographisch und nachhallend, "Der falsche Gruß" war für mich eine schöne Gesellschaftskritik, die perfekt in die Zeit passt. "Mama Odessa" schließt wieder an das Autobiographische an, allerdings nicht so vollkommen durchschimmernd wie in "Sechs Koffer", hier in "Mama Odessa" ist mehr künstlerische Freiheit heraus lesbar. Allerdings ist es nicht weniger nachhallend.

Mutter und Sohn, eine komplexe Beziehungswelt. Maxim Biller meistert dieses Gefühlskonstrukt sehr schön in meinen Augen. Ich habe mich wie auch schon bei "Sechs Koffer" oft im Netz aufgehalten und gesucht. Nicht nur zur familiären Situation Billers. Nein. Auch zu geschichtlichen Ereignissen im Odessa des zweiten Weltkriegs. Denn auch um die Geschichte geht es. Gerade dies ist in der heutigen Zeit sicher schlimm für Maxim Biller. Dieser unsägliche Krieg. Wenn dieses Grauen nur bald vorbei wäre. Wenn diese unsägliche Gier nur endlich enden würde! Aber gut, dies fällt wahrscheinlich in das Reich der Träume. Gerade heute, wo die Kriegstreiber überall wieder lauter werden.

Maxim Biller erzählt in "Mama Odessa" eine Mutter-Sohn-Geschichte, eine Geschichte über die Liebe zur Literatur, aber auch eine Geschichte, die von einer Liebe zu Odessa spricht. Ein schönes Buch. Aber "Mama Odessa" ist nicht nur schön und rund. Es beschäftigt sich auch mit den weniger schönen Seiten des Menschen, mit den Fehlern in uns und mit dem Egoismus in uns. Aber wer erwartet schon ein nur schönes Buch von Maxim Biller. Denn Biller legt nun einmal gern den Finger in Wunden. Und mir gefällt dies sehr gut.

Bewertung vom 13.05.2024
Twilight Zone
Fernández, Nona

Twilight Zone


ausgezeichnet

Das wunderbare Gewissen oder Karma

Dieses Buch habe ich verschlungen, wer meinen Account kennt, wird wissen, an diesen Diktaturen, an ihren abscheulichen Taten habe ich ein schon lange währendes Interesse, ebenso wie mich Lateinamerika ungemein fasziniert. Vor kurzem habe ich die Biografie von Salvador Allende gelesen, von daher passt dieser Griff zu dem Buch "Twilight Zone" von Nona Fernández sehr gut. Ebenso wie ich auch diesen Titel sehr passend finde. Twilight Zone. Blicke auf ein Grauen, von welchen man hofft, dass sie nicht wahr sind. Nur sind sie leider wahr. In dieser "Twilight Zone" hier auf jeden Fall.

Der Mensch ist in meinen Augen ein tödliches Raubtier. Und ab und zu kommen die Konservativen an die Macht. Und ab und zu kommen mit diesen Konservativen dann auch noch ihre Ultras und leben ihre Ideologie aus, mit ungeheuren Folgen. Nona Fernández schildert dieses Grauen und gerade in der heutigen Zeit sollte solchen Büchern mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden. Denn diese Ultras der Konservativen stehen wieder in den Startlöchern, sie sind bereit für weiteres Grauen. Und Blicke zurück auf bereits Geschehenes können auch manchmal Augen öffnen und das lesende Hirn Gemeinsamkeiten ins Jetzt erkennen lassen.

Die Erzählstimme in "Twilight Zone" ist noch ein Kind, als sie in der Zeitung einen Artikel von einem der Täter des Pinochet-Regimes liest. Ich habe gefoltert. Dies ist die Botschaft des Artikels und dieser Artikel lässt die Erzählstimme nicht los und später als Journalistin recherchiert sie zu diesem Fall und durchläuft die Stationen des Folterers. Dabei wirft sie Blicke auf das Geschehen, Blicke auf die Natur des Menschen und damit Blicke auf das Böse. Aber auch ein Lichtschimmer erscheint. Denn dieser Täter kann mit seinen Taten nicht leben und redet, macht sich und sein Umfeld damit auch zur Zielscheibe. Das ist etwas, was sich jeder überlegen muss. Das eigene Gewissen. Dem auch Täter zum Opfer fallen können.

Trotz der Schwere des Themas liest sich dieses Buch leicht, denn die Autorin vermag es das Grauen nicht auszuschmücken und erreicht damit vielleicht auch größere Zielgruppen. Man kann es nur hoffen. Denn momentan braucht es viel Arbeit aller friedlich Gesinnten in allen politischen Bereichen. Denn wir alle wissen, Geschichte kann sich wiederholen! Und manches darf einfach nicht wiederkommen!!!

Bewertung vom 13.05.2024
Neun Stämme
Kohl, Karl-Heinz

Neun Stämme


ausgezeichnet

Wahrheiten, Irrtümer und Luftschlösser


Ich liebe ja schon seit einer langen Zeit die Ethnologie und die Ethnographie. Schon in meiner Schulzeit bin ich durch Erich Wustmann und Miloslav Stingl neugierig gemacht worden auf die kulturelle Vielfalt unserer Erde. Und diese Liebe zur Ethnologie/Ethnographie ist geblieben, auch wenn sich der diesbezügliche Berufswunsch nicht erfüllt hat. Aber so bleibt ein inspirierendes Hobby, welches neben meinem Schreibtisch plötzlich Bücherberge aus meinen Regalen hochwachsen lässt, weil ich wieder etwas Interessantes entdeckt habe, deshalb viel Zeit im Netz verbringe und plötzlich feststelle, es ist ja inzwischen wieder hell geworden. So ein Feuer tut aber ungemein gut in unserer recht monetär begründeten Welt. Denn gerade diese anderen Sichten, diese anderen Kulturen zeigen ja einen anderen Umgang mit unserer Erde.


Da ich solche Gedanken hege, kam mir dieses Buch von Karl-Heinz Kohl gerade recht. Der Autor und Ethnologe blickt auf unseren Blick auf diese anderen Stämme und beleuchtet dazu den westlichen Blick auf 9 verschiedene Stämme/Stammesgruppen unserer Erde. Denn gerade in diesem Blick auf Andere schwingt ja das eigene Erleben, die eigene Sozialisation immer mit. Jeder Ethnologe wird versuchen dies zu vermindern, aber da wir ja alle fehlbare Menschen sind, gelingt dies nicht immer gleich gut. Und der Blick der von uns Betrachteten tut dann noch ein Übriges dazu. Denn manch ein findiger Geist kann ja genau die Antworten/die Sichten auf unsere Fragen bringen, von denen er glaubt, dass die westliche Welt genau diese Antworten hören will. Und so kommen nicht nur Fehler in der Kommunikation/in der Übersetzung zum Tragen, sondern auch Fehler in den Betrachtungsweisen oder Fehler im Betragen gegenüber anderen. Wobei diese Fehler in dem Betragen gegenüber den Indigenen schon durch die Kolonialgeschichte bedingt waren und oft nichts mit den Ethnologen zu tun hatten.


Für mich besonders interessant waren die neun behandelten Gruppen. Es geht zu den brasilianischen Tupinambá, zu den amerikanischen Irokesen (Eigenbezeichnung Haudenosaunee, ein Stammesverband aus 5 Stämmen, später dann 6 Stämmen der irokesischen Sprachfamilie), zu den australischen Aranda (eine Sprachgruppe innerhalb der Pama-Nyungan-Sprachfamilie aus 4 Sprachen, darunter den eigentlichen Aranda oder Arrernte, die sich dann wieder in 6 Untergruppen teilen, wobei alle diese Gruppen immer wieder als Aranda geführt wurden, zu den brasilianischen Bororo, früher bis nach Bolivien hinein lebend, in eine westliche und eine östliche Gruppe unterteilt, zu den Einwohnern von Palau in Mikronesien, zu den kanadische Kwakwaka'wakw, den früheren Kwakiutl, ein Stammesverband von rund 30 Stämmen an der Nordwestküste, zu den amerikanischen Hopi des Südwestens mit 16 verschiedenen Siedlungen/Pueblos und 4 Dialekten, zu den polynesischen Samoanern und als letztes zu den Dogon in Mali (ein wunderbares Beispiel oberflächiger Blicke, die Dogon sind eine Bevölkerungsgruppe mit 20 verschiedenen Sprachen, die teilweise untereinander nicht verständlich sind, der Niger-Congo-Sprachfamilie angehören und einer Sprache, dem Bangime, welche isoliert ist, keiner Sprachfamilie angehört, aber einen großen Anteil an Nilo-Saharanischem Sprachgut hat. Kulturell bilden sie aber einen Block, sind daher die Dogon-Gruppe.


Diese für deutsche Ethnologen besonders interessante Gruppen initiierten ein Interesse in der deutschen Ethnologie. Heute allerdings werfen manche der alten Erkenntnisse Fragen auf.


Ein interessantes und lehrreiches Buch, welches ich wärmstens den Ethnologie-Interessierten empfehle, aber auch alle Anderen sollten sich angesprochen fühlen. Denn den Tellerrand zu erweitern hat ja bekanntlich noch keinem geschadet.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 28.04.2024
Weiße Wolken
Seck, Yandé

Weiße Wolken


sehr gut

Frauen, Familie und Gesellschaft

Zwei Schwestern stehen zentral in Yandé Secks mitreißendem Roman, Dieo und Zazie. Zwei unterschiedliche Frauen. Dieo ist verheiratet, hat drei Söhne, versucht in ihrem Leben zurecht zu kommen, versucht zu funktionieren. Zazie ist jünger und versucht noch ihren Platz zu finden, ist aggressiver als Dieo, aus verschiedenen Gründen heraus. Die Eltern von den beiden Frauen sind die etwas herrisch auftretende Ulrike und der aus dem Senegal stammende Papis. Als weitere Personen treten in der Geschichte Simon, Dieos Mann, ihre drei Söhne Jonathan, Leander und Otis und Max, Zazies Freund auf. Über diese Konstellation lassen sich Einblicke in die Familienstruktur gewinnen. Revoluzzergeist trifft auf konformes Denken, in dieser Familie ist so einiges los. Das gefällt. Mir auf jeden Fall. Dann kommt mit den Örtlichkeiten Frankfurt und Offenbach und deren städtischen Gegebenheiten noch eine weitere Gesellschaftskritik hin zu. Ebenso wie nicht nur das Thema People of Colour zentral steht, sondern auch der Geschlechterdisput. Ein richtig interessantes Konglomerat. Und auch ein spannendes Konglomerat. Eine Reise der beiden Hauptprotagonistinnen in den Senegal lässt dann noch eine andere Kultur aufblitzen und damit auch Fragen zu unserer Kultur. Nicht schlecht, Frau Seck.

Durch die Menge an Protas erscheint das Buch etwas unstrukturiert, könnte man zumindest meinen, mir erschien es nur kurz am Anfang des Buches so, dann glättet sich alles, denn ich war im Flow. Aber zurück zur Struktur, ist denn das Leben generell strukturiert oder hüpfen wir nicht mehr oder weniger gekonnt von Termin zu Termin. Alles schnell und möglichst perfekt erledigen mit einem Blick auf einen Zeitpunkt, wo man mal kurz Luft holen kann. Und genau diesen Geist erfasst dieses Buch in meinen Augen. Dieses Funktionieren in unserer westlichen Welt. Man merkt, dass eine Psychotherapeutin hier ihren Blick auf eine von ihr gezeichnete Welt wirft, mit authentischen Protagonisten, die mehr oder weniger geschickt ihr Leben meistern. Wie wir alle. Denn diese präzise geschnittenen Geschichten gibt es wohl eher in der Fantasie, weniger in der Realität.

Hat mir gefallen dieser Blick in Dieos und Zazies Welt, dieser Blick auf die weißen Wolken, die wir mit uns tragen, die mal mehr oder mal weniger verblasst sind.