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Lenasbuecherlounge
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Köln

Bewertungen

Insgesamt 633 Bewertungen
Bewertung vom 21.07.2024
Die perfekte Mutter
McCreight, Kimberly

Die perfekte Mutter


ausgezeichnet

Molly Sanderson hat vor zwei Jahren eine Totgeburt erlitten und ist nach schweren Depressionen wieder mit sich im Einklang. Nach einem Umzug nach Ridgedale, wo ihr Mann eine Anstellung als Professor an der Universität erhalten hat, arbeitet Molly für den Kulturteil der örtlichen Zeitung und soll vertretungsweise über einen Leichenfund auf dem Campusgelände berichten. Sie ist erschüttert, als sie erfährt, dass es sich um ein Neugeborenes handelt, bleibt aber trotz aller Emotionen und Bedenken ihres Mannes an der Story dran.
Barbara Carlson ist die Frau des Polizeichefs und hat wie Molly ein Kind im Kindergartenalter. Ihr nach außen perfektes Familienleben gerät ins Wanken, als ihr Sohn Cole verhaltensauffällig wird und etwas Beängstigendes erlebt haben muss.
Sandy Mendelson, die von Barbaras Tochter Hannah Nachhilfeunterricht bekommt, sorgt sich um ihre Mutter, die ohne eine Nachricht verschwunden ist. Zudem muss Sandy etwas Erschütterndes widerfahren sein, denn Hannah macht sich Gedanken um ihr Wohlergehen.

Die Geschichte wird aus der Perspektive von den beiden Müttern Molly und Barbara, die versuchen, perfekte Mütter zu sein, und Sandy erzählt, die alles andere als eine perfekte Mutter hat.
Ausgangspunkt ist der Fund eines toten Neugeborenen, der die Kleinstadt aufwühlt.
Die Handlung ist spannend und emotional zugleich. Durch die wechselnden Perspektiven erhält man nicht nur Einblicke in die Leben der unterschiedlichen Frauen, sondern auch in deren Gefühlswelt, Sorgen und Probleme.
Die polizeilichen Ermittlungen bleiben im Hintergrund, im Fokus sind die Bewohner der Stadt und ihre persönlichen Dramen.
Zeitungsartikel, Online-Kommentare, Tagebucheinträge und Gesprächsprotokolle aus Psychotherapiesitzungen ergänzen die Handlung in der Gegenwart.

Während sich allmählich Zusammenhänge zwischen den einzelnen Charakteren ergeben, bleibt der Hintergrund des Verbrechens an dem Baby so undurchschaubar wie zu erkennen, was es mit den Problemen der Kinder und den verschwundenen Müttern auf sich hat, denn auch die junge Mutter Rose hat die Stadt fluchtartig verlassen.

Die Geschichte ist durch die Vielzahl der Charaktere komplex, aber nicht verwirrend. Spannend ist es, einen Blick hinter die Fassaden der Familien in Ridgedale zu werfen und die Recherchen von Molly zu verfolgen, die als zugezogene Reporterin einen unvoreingenommenen Blick auf die Bewohner hat und nicht nur Gegenwärtiges sondern auch die Vergangenheit der Einwohner hinterfragt.
Die Handlung ist am Ende wendungsreich und dramatisch und lässt keine Fragen offen. Die Zusammenhänge aus Vergangenheit und Gegenwart, Verdächtigungen, Opfern und Tätern sind authentisch und werden schlüssig aufgeklärt.

Bewertung vom 17.07.2024
Tote klagen an / Raven & Flyte ermitteln Bd.3
Turner, A. K.

Tote klagen an / Raven & Flyte ermitteln Bd.3


ausgezeichnet

Als ob Cassie Raven als Sektionsassistentin nicht schon beruflich genug mit toten Menschen beschäftigt wäre, wird eine Leiche an ihr Hausboot herangespült. DS Phyllida Flyte, die frisch in die Abteilung für schwerwiegende Verbrechen gewechselt ist, soll die CID bei den Ermittlungen zum Leichenfund unterstützen. Da ihr der Mann bekannt vorkommt, ermittelt sie ohne Zustimmung ihres Vorgesetzten weiter. Auch Cassie führt mehr Untersuchungen durch, als genehmigt sind, als ihr auffällt, dass die Verwesung der Leiche schneller als üblich voranschreitet.
Gemeinsam entwickeln sie den Ehrgeiz das tödliche Geheimnis zu lösen und riskieren dabei beide ihren Arbeitsplatz.

"Tote klagen an" ist nach "Tote schweigen nie" und "Wer mit den Toten spricht" der dritte Band um die eigenwillige Assistentin der Rechtsmedizin im Gothic-Style, die eine ungewöhnliche Verbindung zu ihren Gästen in der Autopsie verspürt, die ihr regelmäßig Hinweise auf die Todesursache geben.
In diesem Fall hadert Cassie mit ihrer Gabe, die sie verloren glaubt. Zu viele persönliche Probleme und verdrängte Sorgen blockieren ihren siebten Sinn. Phyllida hat an ihrem neuen Arbeitsplatz Schwierigkeiten sich unter den dominanten Männern zu behaupten und ist immer noch dabei, ein schlimmen Verlust zu verarbeiten.

Da in dieser Buchreihe ein Schwerpunkt auf den besonderen Charakteren und ihren Eigenschaften liegt und ihr Privatleben einen nicht unwesentlichen Teil der Geschichte ausmacht, ist es empfehlenswert, die Reihe chronologisch zu verfolgen. Die Todesfälle, die es zu lösen gilt, sind hingegen in sich abgeschlossen.

In diesem Fall wirft der Tote eine ganze Reihe an Fragen auf, die mit einer herkömmlichen Autopsie nicht zu beantworten sind. Ungewöhnlich ist, dass niemand den Mann zu vermissen scheint, um den es sich aufgrund seiner teuren Bekleidung unmöglich um einen Obdachlosen handeln kann.
Was Cassie und Phyllida herausfinden, ist erstaunlich und heizt die Spannung weiter an, aus welchem Grund der Mann sterben musste.

Die Reihe ist die ungewöhnlichen Hauptfiguren originell und macht sie durch die wechselnden Perspektiven und Einblicke in ihre Gefühle nahbar. Der Kriminalfall ist undurchschaubar komplex und spannend geschildert. Die Aufklärung wirkt, auch wenn Cassie und Phyllida sich nicht immer streng an die Vorschriften halten, sondern mit Herzblut dabei sind, authentisch. Nervenkitzel bereitet der Fall durch die Zweifel, wem sogar innerhalb des Polizeiapparats zu trauen ist und die Gefahr, in die sich Cassie und Phyllida durch ihre kompromisslose Art begeben.

Liegt gerade zu Beginn der Fokus auf den persönlichen Dramen der Hauptfiguren, nimmt die Aufklärung des Falls später dynamisch an Fahrt auf und macht auch Band 3 wieder zu einem wendungsreichen Krimi mit Thrillerelementen, der von einer aufwändigen Recherche sowohl im Hinblick auf die Forensik als auch Strukturen und Interna der Polizeibehörden zeugt.

Bewertung vom 08.07.2024
Flammenschwestern
Bengtsdotter, Lina

Flammenschwestern


gut

Vega und Katja waren in ihrer Jugend beste Freundinnen und haben sich frühzeitig dem Alkohol zugewandt, um sich der Tristesse der Kleinstadt Silverbro zu entziehen. Während Vegas Mutter sich das Leben genommen hat, hat Katjas Mutter nie den Verlust ihrer Schwester verwunden. Sofia ist vor Jahren spurlos verschwunden und Katja hat selbst eigene Recherchen angestrengt, um das Rätsel zu lösen. Nun ist sie selbst unauffindbar, obwohl sie zuvor Vega gebeten hatte, nach Silverbro zurückzukehren, um sie zu treffen. Vega hatte seit ihrem Umzug nach London keinen Kontakt mehr zu Katja, hatte jedoch die Befürchtung, dass ihre ehemalige Freundin ihr Versprechen brechen und ihr gemeinsames Geheimnis lüften wollte.

Der Roman handelt in der Gegenwart von der Rückkehr Vegas in ihren Heimatort, dem sie vor knapp zehn Jahren den Rücken gekehrt hatte. Dabei erinnert sie sich unweigerlich an die Vergangenheit und ihre gemeinsame Zeit mit Katja.

Die Geschichte ist spannend aufgebaut, denn beide Erzählebenen, die stringent abwechselnd kapitelweise geschildert sind, weisen Fragen auf. Die Vergangenheit ist gleichzeitig ein Manuskript Vegas, die mit "Flammen" ihre Vergangenheit literarisch aufarbeitet.

Das Verschwinden Sofias ist genauso ungeklärt, wie das Rätsel, was Vega und Katja in der Vergangenheit getan haben, was sie entzweit hat und weshalb Katja Vega zu sich geholt hat, nun aber selbst weg ist.
Für einen Thriller fehlt jedoch der Nervenkitzel und die Handlung tritt in der Gegenwart lange auf der Stelle, bis sich Zusammenhänge den Figuren und ihren Taten erkennen lassen.

Die Atmosphäre in dem Ort ist beklemmend und düster. Hier trifft eine Vielzahl an Charakteren aufeinander, die innerlich und äußerlich kaputt ist. Alkoholismus, Drogenprobleme, Depressionen und Todessehnsucht sind alltäglich und belasten ganze Generationen von Familien.
"Flammenschwestern" ist eine tragische Geschichte mit (zu) vielen Lügen und Geheimnissen. Wie die Ereignisse der Vergangenheit mit denen der Gegenwart zusammenhängen - welches Feuer Vega und Katja gelegt haben - bleibt lange undurchsichtig und sorgt für Spannung, wie das Rätsel um das Verschwinden von Katja und ihrer noch länger verschollenen Tante zu entschlüsseln ist. Die Auflösung erfolgt am Ende sehr plötzlich und kann mit einem späten Geständnis, das aus nicht nachvollziehbaren Gründen erfolgt, nicht überzeugen.

Bewertung vom 07.07.2024
Ein Mann zum Vergraben
Casale, Alexia

Ein Mann zum Vergraben


sehr gut

Während des Lockdowns in einer englischen Kleinstadt tötet Sally im Affekt ihren gewalttätigen Ehemann. Nach Jahren des Martyriums verbaler und körperlicher Gewalt liegt Jim erschlagen von Großmutters Bratpfanne auf dem Küchenboden und Sally weiß nur eins, sie möchte für die Tat nicht ins Gefängnis. Je mehr Zeit vergeht, desto unmöglicher wird es ihr, die Polizei zu verständigen, doch wohin mit der Leiche? Sally ist nicht allein. Neben ihr gibt es in der unmittelbaren Nachbarschaft noch weitere Frauen, die ihre Ehemänner loswerden müssen und eine plausible Erklärung für das Verschwinden ihrer Peiniger brauchen. Aus der Not werden sie zu Komplizinnen und Freundinnen, die nur gemeinsam eine Lösung für ihr Problem finden können. Der Lockdown und die Corona-Beschränkungen sind dabei Fluch und Segen zugleich.

Der Roman beginnt bitterböse, entwickelt sich jedoch weniger ironisch und schwarzhumorig als gedacht, stecken doch hinter den Missetaten ernste und beklemmende Schicksale. Frauen jedes Alters und jeder Kultur sind betroffen. Die Lage jeder einzelnen wird kurz geschildert, so dass unweigerlich Verständnis für ihre Taten entsteht, die sich weniger von langer Hand geplant als vielmehr aus Notwehr, Angst, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit ereignet haben.

Auch wenn der Hintergrund ernst ist, ist der weitere Handlungsverlauf um die Lösung des Problems mitunter makaber und unterhaltsam. Die Frauen müssen sich nicht nur gegenseitig Vertrauen, sich vor neugierigen Nachbarn und besorgten Verwandten in acht nehmen, sondern auch innerhalb kürzester die sterblichen Überreste ihrer Männer entsorgen und eine glaubhaft Erklärung für deren Verschwinden finden, die Nachfragen von Familie, Kollegen und den Behörden standhält.

Die Geschichte ist lebhaft und verpackt ein ernstes Thema durch so manch absurde Situation auf unterhaltsame Art, ohne pietätlos zu werden oder die Not ins Lächerliche zu ziehen. Der Spagat zwischen Ernsthaftigkeit und Humor ist der Autorin gut gelungen und ihr sehr auf den Punkt gebrachtes Nachwort macht die schwierige Lage von Frauen wie Sally noch einmal deutlich.

Bewertung vom 07.07.2024
Die guten Frauen von Safe Harbour
French, Bobbi

Die guten Frauen von Safe Harbour


sehr gut

Frances Delaney erfährt mit 58 Jahren, dass sie unheilbar an einem Gehirntumor leidet und beschließt, ihr Leben selbstbestimmt zu beenden, nachdem sie als Jugendliche Dinge über sich ergehen lassen musste, die ihr weiteres Leben nachteilig beeinflusst haben.
Am Ende ihres Lebens ist sie einsam, findet jedoch in der 17-jährigen Edie eine Verbündete, die ihr in der letzten Phase ihres Lebens zur Seite steht und sie dabei unterstützt, sich mit der Vergangenheit auszusöhnen und ihre beste Freundin Annie wieder zu treffen, mit der sie vor 40 Jahren den Kontakt im Streit abgebrochen hatte.

Der Roman wird aus Ich-Perspektive von Frances im Sommer 2019 geschildert. Ein wesentlicher Teil des Buches handelt anfangs von ihrer Vergangenheit, die in einzelnen Rückblenden erzählt wird. Dabei sind es Impulse der Gegenwart, die in Frances etwas auslösen und sie zurückblicken lassen, weshalb die Ereignisse nicht zwingend chronologisch geschildert sind. Nach der Begegnung mit Annie liegt der Fokus auf der Gegenwart und dem Abschiednehmen.

Frances hat als Kind und Jugendliche schwere Verluste erlitten, unter Depressionen gelitten, die nicht behandelt worden sind und hat sich in ein einfaches, einsames Leben zurückgezogen, in der ihr die größte Freude das Putzen und Aufräumen war, das ihr Befriedigung verschaffte. Als Haushälterin war sie begehrt, Freunde hatte sie jedoch nach Annie keine mehr.

Die Geschichte ist nicht nur durch den nahenden Tod von Frances tragisch. Auch ihr gesamtes Leben, das durch frühe Ereignisse, verbunden mit Tod, Trauer und Enttäuschungen beeinflusst wurde, ist deprimierend. Umso schöner ist es, dass die junge, quirlige Edie, für deren Eltern Frances die Haushälterin war und der sie selbst in einer schwierigen Situation beistand, Frances an die Hand nimmt und sie dazu animiert, sich Gutes zu tun und ihre alte Freundin wieder zu treffen, die ihr damals so viel bedeutete. So erlebt Frances viele erste Male, zu denen selbst ein Restaurant- oder Friseurbesuch zählt und bereitet den Weg für ein versöhnliches Ende.

Das Buch ist eine emotionale, ergreifende Geschichte über Freundschaft und Zusammenhalt, Vergangenheitsbewältigung und Abschiednehmen. Durch Annies nüchterne Art und Edies unerschütterliches Gemüt hat der Roman trotz aller Dramatik und Tragik auch immer immer wieder humorvolle Elemente, die der Geschichte die Schwere nehmen.
Auch wenn der Plot mit ungewollten Schwangerschaften, Einsiedlertum und Bucket List und die Botschaft, dass das Leben zu kurze für Reue und Streit ist, sicher nicht neuartig ist und sich wenig überraschend entwickelt, ist der Roman durchweg unterhaltsam und lässt mit den Charakteren mitfühlen. Eine bildhafte Beschreibung des kleinen Fischerdorfs Safe Harbour und Neufundland kommt dabei allerdings zu kurz.

Bewertung vom 01.07.2024
Warte auf mich am Meer
Neff, Amy

Warte auf mich am Meer


gut

Evelyn und Joseph sind seit über 50 Jahren verheiratet, als sie ihren drei erwachsenen Kindern offenbaren, dass sie sich im nächsten Jahr das Leben nehmen werden. Evelyn ist an Parkinson erkrankt und möchte kein Pflegefall werden, Joseph kann nicht ohne seine geliebte Frau leben.
Jane, Thomas und Violet sind entsetzt und können zunächst kein Verständnis für die Entscheidung ihrer Eltern aufbringen.
Evelyn und Joseph blicken zurück auf ihr gemeinsames Leben - auf glückliche, aber auch auf schwere Tage.

Der Roman handelt in der Gegenwart von Juni 2001 bis Juni 2002 und schildert in Rückblenden das gemeinsame Leben von Evelyn und Joseph. Die Kapitel zwischen Gegenwart und Vergangenheit wechseln sich ab und sind aus unterschiedlichen Perspektiven geschildert.

Die Vergangenheit beginnt im Jahr 1941, als sich Evelyn und Joseph nach einer gemeinsam verbachten Kindheit verlieben. Durch einzelne chronologisch erzählte Episoden erhält man einen Einblick in ihre Ehe und ihr Familienleben. In der Gegenwart gibt es neben den Sichtweisen von Evelyn und Joseph auch die ihrer Kinder.

Ein Leben besteht aus Höhen und Tiefen, aber in diesem Buch liegt der Schwerpunkt unangenehm auf den negativen Erlebnissen. Auch wenn immer wieder die große Liebe betont wird, ist diese durch die Darstellung nicht zu spüren. Eher im Gegenteil. Evelyn erscheint als junge Frau und Mutter durchweg frustriert und unzufrieden mit ihrem Leben. Sie fühlt sich eingeschränkt, sieht ihre Träume dahinschwinden und hat das Gefühl ein Leben zu leben, das nicht zu ihr passt. Joseph hat stets die rosarote Brille auf und braucht zum Glücklichsein nur Evelyn und ein konservatives Familienleben.
Auch von den Kindern erfährt man wenig Positives. Sie sind mit ihren Leben nicht zufrieden, hadern mit ihrer Ehe oder mit dem was sie (nicht) erreicht haben. Die Einblicke sind jedoch zu kurz, als dass sie für den Kern der Geschichte von Belang wären.

Der Roman ist schwermütig, sentimental und durch die episodenartige Erzählweise wenig flüssig zu lesen. Eine Auseinandersetzung mit dem Tod und der Entscheidungsfreiheit findet nicht statt. Es ist schwer nachzuvollziehen, warum Evelyn diesen Wunsch hegt, da es kaum Ausführungen über die näheren Umstände ihrer Krankheit gibt. Gespräche mit Ärzten gibt es nicht, den Kindern wird nicht erklärt, wie der weitere Krankheitsverlauf sein könnte oder warum die Tötung ausgerechnet in einem Jahr erfolgen soll. Es scheint keinerlei Patientenverfügung zu geben und die Aussage, dass Evelyn und Joseph Tabletten nehmen werden, ist als Erklärung sehr einfach gehalten.

Das Thema selbstbestimmtes Sterben wird wenig durchdacht und sehr oberflächlich beschrieben - sowohl rein praktisch als auch mit der emotionalen Auseinandersetzung damit.
Die Werbung mit der Aussage der bekannten Autorin Jodie Picoult "Noch nie hat mich eine Liebesgeschichte so berührt." hat mich eine langjährige Liebesgeschichte mit einem dramatischen Ende erwarten lassen, mich jedoch am Ende enttäuscht. Evelyns Liebe zu Joseph habe ich wie die Liebe zu einem guten Freund empfunden, Josephs Liebe weichgespült und unangenehm klammernd. Am Ende entsteht der Eindruck, dass die Liebe nur aufgrund der Tatsache so groß, innig und unerschütterlich ist, dass sie so viele frustrierende und traurige Zeiten überstanden hat. Hier ist weniger der nahende Tod deprimierend, sondern das Leben von Evelyn und Josephs Familie. Ein Leben voller Leid und Streit, aber man liebt sich dennoch, was im hohen Alter dann ständig betont wird, als müsste das Paar es sich selbst beweisen.

Bewertung vom 30.06.2024
Die geheimnisvolle Freundin
Baldelli, Simona

Die geheimnisvolle Freundin


gut

Nina wächst als Findelkind in einem Waisenhaus in den Abruzzen in den 1950er-Jahren auf. Das Leben bei den Nonnen ist streng und voller Entbehrungen. Körperliche und psychische Bestrafung sind bei den frommen Nonnen an der Tagesordnung, Essen und Kleidung streng rationiert und auch zur Schule darf Nina nur bis zur Grundschule gehen. Als sie registriert, dass die jährlichen Besichtigungen von fremden Paaren dazu dienen, adoptiert zu werden, schöpft sie Hoffnung, ein liebevolles Zuhause zu finden.
Als Lucia als Waisenkind in das Heim kommt, fühlt sich Nina gezwungen, Lucia zu verteidigen, denn sie möchte unbedingt ein Freundin haben. Als Nina tatsächlich adoptiert werden soll, hat sie Angst vor dem Fremden und Angst, Lucia zu enttäuschen und lässt ihr den Vortritt.
Nina verlässt mit 18 Jahren das Heim und findet später Arbeit in der Tabakfabrik. Dort findet sie echte Freundinnen und in Carla eine Person, die sie ermutigt, zu lernen und zu studieren. Sie beteiligt sich an Demonstrationen und Arbeiterprotesten und begegnet immer wieder Lucia wieder, die sie eines Tages um etwas bittet.

Aufgrund des Klappentextes hat der Roman Erwartungen an das Buch geweckt, die nicht erfüllt wurden. Meiner Meinung nach trifft weder die Beschreibung noch der Titel nicht den Kern der Geschichte, sondern geht sogar komplett daran vorbei.

Der Roman handelt über ein Drittel der Geschichte vom Leben im Waisenhaus und ist dabei aus der Sicht einer sieben bis Elfjährigen geschildert. Nina ist naiv und unwissend und wird auch dazu erzogen. Als sie als Erwachsene in die freie Welt tritt, ist ihr das Leben dort fremd.

Die "Freundschaft" mit Lucia gibt es nicht. Es entwickelt sich weder über Jahre hinweg eine Freundschaft, noch kommt es zu einem dramatischen Missverständnis, dass das Vertrauensverhältnis erschüttert. Die Beziehung der beiden ist dadurch gekennzeichnet, dass Nina zu Lucia aufschaut und nach Anerkennung sucht, während Lucia überheblich und manipulativ ist und ihrem eigenen Egoismus frönt. Die späteren vielen zufälligen Begegnungen außerhalb des Waisenhauses sind von gegenseitigem Neid geprägt. Lucias "Geheimnis" ist mehr ein Hilferuf und müsste Nina nicht weiter tangieren.

Die Geschichte schildert einerseits die kindlichen Eindrücke aus einem Waisenhaus der 1950er- und 1960er-Jahre und andererseits die Besetzung der großen Tabakfabrik in Luciano im Mai 1968, die tatsächlich stattgefunden hat und vierzig Tage dauerte. Der Roman ist trist und betrüblich, schenkt aber immer wieder hoffnungsvolle Momente, wenn es darum geht, eine Familie zu finden oder eine glücklichere Zukunft zu haben.

Der Roman handelt von verschiedenen Themen, mit denen sich Nina konfrontiert sieht, ohne befriedigende Antworten zu geben. Die Machenschaften der Nonnen bleiben so ungeklärt wie nähere Details zu den Arbeiterprotesten, zur wirtschaftlichen und politischen Situation der 1960er-Jahre in Italien. Während Nina als Hauptfigur blass und unbeholfen bleibt, sind es die Nebencharaktere wie ihre Freundinnen Carla und die ältere Marcella, die für starke, emanzipierte Frauen stehen und mehr Interesse wecken.
Die Kindheit Ninas ist im Vergleich zum fragmentarisch erscheinenden Erwachsenenleben detailliert beschrieben. Kein Teil der Geschichte kann wirklich fesseln, die Zeit im Waisenhaus zumindest emotional berühren.

Bewertung vom 29.06.2024
VIEWS
Kling, Marc-Uwe

VIEWS


sehr gut

Die Schülerin Lena ist verschwunden und wenige Tage später geht ein Video viral, das zeigt, wie sie von mehreren dunkelhäutigen Männern vergewaltigt wird. Ausländerfeindliche Hasskommentare kommen auf und eine Organisation "Aktiver Heimatschutz" bildet sich, die das Vertrauen in Politik und Polizei verloren hat, auf Rache und Selbstjustiz aus ist. Dabei rückt auch Hauptkommissarin Yasira Saad aufgrund ihrer Wurzeln in den Fokus.
Die Ermittlungen des BKA gestalten sich äußerst zäh und ohne einen Tatort und die Möglichkeit, Spuren zu sichern und auszuwerten, können rein auf Grundlage des Videos Vermutungen angestellt werden. Die Fahndung nach Lena und den Tätern läuft auf Hochtouren bis Yasira durch einen Zufall die These aufstellt, dass der Fall in eine ganz andere Richtung gehen könnte.

"Views" ist ein spannender Kriminalroman, der vor dem Hintergrund von Gewaltverbrechen von Migranten, die von Rechtspopulisten und Rechtsradikalen für eigene Zwecke in den Fokus gerückt werden, brandaktuell.
In dem Szenario des Romans eskaliert die Gewalt schnell und nimmt erschreckende Ausmaße an, die allerdings nicht unwahrscheinlich erscheinen.

Auch was tatsächlich hinter dem Verbrechen und der vermeintlichen Entführung der 16-Jährigen steckt, ist kaum vorstellbar und mutet wie Science Fiction an.

Der Fall ist fesselnd und regt zum Nachdenken darüber an, was Social Media auslösen kann, ob der KI noch Grenzen gesetzt werden können und wie wir mit unseren persönlichen Daten umzugehen haben.
Der Roman trifft damit sowohl einen Nerv in Bezug auf die Verrohung und Spaltung der Gesellschaft als auch die moderne Technik

Der Fall entwickelt sich dynamisch, ist wendungsreich und auch die Charaktere, von denen vor allem Yasira, aber auch ihr älterer Kollege in den Mittelpunkt rücken, der mit seinen flapsigen Sprüchen für Humor sorgt, können überzeugen.
Die Polizeiarbeit wird hingegen nur fragmentarisch geschildert, so dass es zumal überraschend ist, welche Schlüsse gezogen oder welche nächsten Schritte gemacht werden. Schade ist, dass vieles auf reinen Vermutungen basiert und das interessante Details wie nähere Hintergründe zur Gründung des "Aktiven Heimatschutz" und zu den technischen Raffinessen der Täter sehr kurz kommen. Überhaupt ist der Roman mit 270 Seiten nicht lang, so dass die Geschichte noch weiter hätte ausgeschmückt werden können. Yasiras Alleingang und die offenen Fragen, die in Bezug auf Täter und Opfer zurückbleiben, hinterlassen am Ende einen faden Beigeschmack.

Bewertung vom 28.06.2024
Wolke Sieben ganz nah
Greenwood, Kirsty

Wolke Sieben ganz nah


gut

Mit 27 Jahren stirbt Delphie einsam in London, indem sie an einem Mikrowellenburger erstickt. Sie landet im Wartesaal vor Evermore und begegnet dort neben ihrer Jenseitstherapeutin, Jonah, ihrem Seelenverwandten. Noch nie wurde Delphie so angesehen und noch nie hat sie so bei einer Berührung empfunden. Doch Jonah ist versehentlich zu früh auf die andere Seite geraten. Das Schicksal hat Erbarmen mit der jungen Frau, die noch nie einen Freund hatte und gibt ihr die Chance auf ein zweites Leben. Wenn Jonah Delphie innerhalb von zehn Tagen noch einmal küsst, darf Delphie weiterleben. Allerdings ist es gar nicht so einfach, einen Mann in London wieder zu finden, von dem man nur den Vornamen kennt. Überraschende Hilfe bei der Suche erhält Delphie von ihrem Nachbarn Cooper, mit dem sie bisher nur widerwillige Dialoge im Hausflur verband.

Delphie ist ein eigenwilliger Charakter, der es nach schlechten Erfahrungen in der Schulzeit schwerfällt, Zugang zu anderen Menschen zu knüpfen, Vertrauen zu fassen und Freundschaften zu pflegen. So führte sie bisweilen ein einsames Leben mit flüchtigen Kontakten zu Kollegen und Nachbarn. Das ändert sich, als Delphie nach ihrem Tod eine zweite Chance erhält und ihr Leben tatsächlich lebendig wird.

Die Suche nach ihrem Seelenverwandten Jonah ist turbulent und katapultiert Delphie in die ein oder andere unangenehme und skurrile Situation. Dann nimmt der Roman eine Wende und der Versuch, von Jonah den lebensrettenden Kuss zu erlangen, tritt in den Hintergrund. Dennoch macht Delphie Erfahrungen mit der Liebe und hat plötzlich viele Menschen um sich herum, die sie nicht wie sonst von sich stößt.

Natürlich hat die Geschichte bereits zu Beginn durch den Jenseits-Bezug einige fantastische Elemente, allerdings entwickelt sich der Roman unabhängig davon zunehmend weniger glaubhaft. Bei einem Kampf um Leben und Tod erschien es widersinnig, unbedingt eine Party für einen älteren Nachbarn zu schmeißen.
Neben dem Spice-Anteil, der mir für eine bisherige Jungfrau zu dick aufgetragen war, fand ich auch den persönlichen Hintergrund der Jenseitstherapeutin nicht unbedingt gelungen. Undurchsichtig blieb das Verhältnis zu Delphies Mutter, das nicht nachvollziehbar kaputt war.

Die Geschichte ist humorvoll und unterhaltsam, spricht jedoch auch ernste Themen wie Einsamkeit, Mobbing, Trauer und die Anonymität einer Großstadt an, die ihr mehr Gehalt geben.
Delphie macht auf ihrer Mission eine enorme Entwicklung durch. War ihr ihr Leben bisher gleichgültig, erkennt sie nun einen Sinn und beginnt für sich und - wenn auch spät - die Aussicht auf Liebe zu kämpfen.
Nach einem charmanten Start und einem etwas zu gewollt erzwungenen Wandel der Hauptfigur zieht sich der Roman am Ende arg in die Länge. Die vielen Nebencharaktere, mit denen Delphie so schnell Freundschaft schließt, sind allesamt sonderbar und haben ihre eigenen Geschichten, die jedoch aufgrund der Vielzahl keinen Raum in der ohnehin schon überladenen Geschichte haben.

Dass Delphie neben der romantischen Liebe auch die Liebe zu sich selbst entdeckt, zu mehr Selbstbehauptung findet und Ängste und Traumata überwindet, ist eine zu erwartende Entwicklung, der Weg dorthin ist jedoch turbulent und chaotisch und strapaziert die Nerven mit zu vielen eigenartigen Nebenfiguren und einigen übertriebenen Verhaltensweisen der Protagonisten.

Bewertung vom 26.06.2024
Das kleine Bücherdorf: Sommerzauber / Das schottische Bücherdorf Bd.4
Herzog, Katharina

Das kleine Bücherdorf: Sommerzauber / Das schottische Bücherdorf Bd.4


sehr gut

Ann Webster verkauft in ihrer kleinen Boutique in Swinton-on-Sea Vintage-Couture und gibt den Kleidungsstücken durch kurze Geschichten über die Vorbesitzerinnen eine persönliche Note. Nur ihre beste Freundin Shona, die Inhaberin des "Sweet Little Things" weiß, dass Ann als Schriftstellerin unter dem Pseudonym "Poppy Delacroix" einen Nebenerwerb hat, der in dem kleinen Bücherdorf geheim bleiben muss. Ann schreibt pikante, historische Liebesromane, die sich bei dem verpönten Online-Riesen immer besser verkaufen und das auch noch als Ebooks, die in Swinton-on-Sea als Werk des Teufels gelten.
Als Ann die Chance von einem Verlag erhält, ein "richtiges" Buch mit einer anspruchsvolleren Geschichte zu schreiben, steht sie vor dem Dilemma, dass sie sich damit mit dem unverkäuflichen Valentino-Brautkleid beschäftigen muss, das in dem Roman eine Schlüsselrolle spielen soll, Ann aber an ihre erste große Liebe erinnert, die unglücklich endete. Zu allem Überfluss ist ihr ehemaliger Verlobter Ray derzeit in Swinton, um das alte Herrenhaus als Hotel und Restaurant wieder zu eröffnen.
Der Druck steigt, als Anns Tochter Isla in dem alten Brautkleid heiraten möchte.

"Das kleine Bücherdorf - Sommerzauber" ist nach "Winterglitzern", "Frühlingsfunkeln" und "Herbstleuchten" der abschließende vierte Band der Reihe "Das schottische Bücherdorf". Alle Bände fokussieren sich auf die Geschichte einer Protagonisten aus Swinton-on-Sea und sind unabhängig von einander lesbar.
Für alle Kenner der Reihe ist "Sommerzauber" ein willkommenes Wiedersehen mit bekannten Figuren aus den Vorgängerbänden, die in die Dorfidylle integriert sind. Auch schafft es die Autorin geschickt, das Thema Bücher passend in alle Geschichten, die in dem Bücherdorf handeln, einzubetten.

Die Geschichte wird überwiegend aus der Perspektive von Ann geschildert. In einzelnen Kapitel erhält man zusätzlich Einblicke in die Leben anderer Bewohner von Swinton und ihre kleinen, aber feinen Eigenheiten.
Der Roman liest sich leicht und unterhaltsam wie man es von einem Wohlfühlroman erwartet. Das Drama um Anns Vergangenheit sowie die drohende Enthüllung ihres Pseudonyms sorgen für eine solide Spannung und ihre Suche nach der Geschichte des Brautkleides für Ablenkung von ihren persönlichen Problemen.
Anns Liebesgeschichte und das Hoffen auf eine zweite Chance ist nicht zu kitschig beschrieben und gibt der Geschichte eine romantische Note.

Die Geschichte entwickelt sich nicht so vorhersehbar wie Poppy Delacroix vielleicht eine Liebesgeschichte schreiben würde. Anns Geschichte mit Ray und das Missverständnis aus der Vergangenheit löst sich etwas zu simpel auf, dafür ist die Aussprache mit ihrem Exmann, die für eine Entspannung ihres Verhältnisses sorgt, umso berührender.

"Sommerzauber" ist durch immer neue Impulse, die die Handlung vorantreiben, durchweg unterhaltsam zu lesen und sowohl für Neueinsteiger als auch Liebhaber der Reihe eine Wohlfühllektüre um vom Alltag abzuschalten.