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lustaufbuch

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Insgesamt 156 Bewertungen
Bewertung vom 20.11.2024
Esthers Spuren
Lehmann, Benet

Esthers Spuren


ausgezeichnet

»Wenn das so weitergeht, wenn die Leute jetzt wieder schweigen, dann haben wir bald die gleiche Situation wie damals.«

41948, das war Esther Bejaranos Nummer. Um die diskriminierende Markierung als belanglose Ziffer nicht zu vergessen, wurde sie ihr, zur Steigerung der Demütigung, auf den Arm tätowiert.
Szenen, die wir uns kaum vorstellen können.

Dieses Buch ist keine Biografie mit Anspruch auf Vollständigkeit, vielmehr ein Potrait einer Frau, die es keinesfalls leicht hatte, dem Tod von der Klippe sprang und viel Leid erleben musste, doch dabei auf beachtenswerte Weise nie ihren Mut sowie ihren Glauben an die Menschheit verlor.
Es herrscht keine stringent chronologische Erzählung, hingegen bestimmen Zeitsprünge das Buch. Ebenfalls nimmt Lehmann die Erforschung von Esther Bejaranos Leben zum Anlass, um sich auf eine eigene Spurensuche innerhalb der eigenen Familie zu begeben, schließlich war sein Großvater an Massenmorden während des Zweiten Weltkrieges beteiligt. Wie viel Lehmann an ihrer Geschichte liegt zeigt sich daran, dass er einige Orte bereist hat, die ihr Leben prägten, um ihr möglichst nahe zu sein.
Letztlich ist Benet Lehmanns Werk ein Aufruf, sich mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen, sich den einzelnen Schicksalen zu widmen und darüber zu sprechen.

Das Buch beginnt mit Esthers Kindheit, der immer stärker zunehmenden Diskrimierung als Jüdin bis hin zur sozialen Ächtung und erzählt von ihrer Zeit in Auschwitz.
Umfangreicher beleuchtet ist jedoch die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, ihr Weg nach Palästina und wieder zurück nach Deutschland. Besonders die Frage, warum sie zur Zeitzeugin wurde und die drückende Last des Schweigens über diese Verbrechen brach.
Dabei ergeben sich immer wieder Parallelen zur heutigen Zeit, bspw. über das Thema Flucht, welche Lehmann jeweils eingehend reflektiert.

Zwar verstarb Esther Bejarano im Juli 2021, doch ihre Geschichte sowie ihr mutiges und aktives Engagement werden, u.a. dank dieses Buchs, weiterleben, solange wir dafür sorgen!

Bewertung vom 16.11.2024
Die Henkerstochter und das Vermächtnis des Henkers / Die Henkerstochter-Saga Bd.10
Pötzsch, Oliver

Die Henkerstochter und das Vermächtnis des Henkers / Die Henkerstochter-Saga Bd.10


ausgezeichnet

»Was du glaubst oder nicht, spielt keine Rolle«

Während Magdalena, ihr Mann Simon sowie Sohn Peter in Passau weilen, um verwundete Soldaten zu versorgen – immerhin stehen die Türken bereits vor Wien –, soll ihr Vater, der ehemalige Henker Jakob Kuisl, in Schongau auf seine Enkelin Sophia aufpassen. Dagegen fehlt von Paul, dem zweiten Sohn der Henkerstochter, seit zwei Jahren jede Spur und die Familie macht sich, besonders aufgrund des Kriegsgeschehens, Sorgen.
Als bei Jakob ein ominöser Brief, von seinem Freund Nepomuk aus der gemeinsamen Zeit als Söldner, eintrifft und er darin gebeten wird ebenfalls nach Passau zu kommen, kann Jakob Kuisl nicht mehr lange stillhalten. Dort angekommen, muss er feststellen, dass neben ihm auch weitere ehemalige Weggefährten herbeigerufen wurden, um dem im Brief erwähnten mysteriösen Schatz auf die Spur zu kommen. Doch der Absender ist bereits tot. Zwischen der Brutalität des Kriegs und vielen unvorhergesehenen Ereignissen, werden die ehemaligen Söldner mit ihrer keinesfalls glänzenden Vergangenheit konfrontiert, zumindest solange sie den Fängen des Mörders entkommen können…
Ein weiteres Abenteuer beginnt!

Dieser Roman ist schon der zehnte Band der Henkerstochter-Serie und mal wieder hat Oliver Pötzsch es geschafft, die Lesenden vollkommen in die Irre zu führen, sie auf falsche Fährten zu locken und ihnen dadurch das Gefühl zu geben, sich mit der vermutenden Einschätzung, wie es ausgehen wird, in Sicherheit wiegen zu können – doch falsch gedacht! Die Bücher von Oliver Pötzsch sind stets so genial und ausgetüftelt konstruiert, dass sie nicht nur spannende Plot-Twist, sondern auch einige unvorhersehbare Überraschungen bereit halten. Daneben ist auch dieser rasante Krimi einfach toll geschrieben und entführt einen regelrecht in andere, düstere Welten der Vergangenheit.
So müssen Krimis sein!

PS: Lest das Nachwort erst, wenn es an der Reihe ist!

Bewertung vom 10.11.2024
Löwenherzen
Haratischwili, Nino

Löwenherzen


ausgezeichnet

»Richtig großzügig ist es, wenn man etwas gibt, was man selbst gerne hätte.«

Seitdem ich vor sechs Jahren Haratischwilis umfangreichen Roman „Das achte Leben (Für Brilka)“ gelesen und auch eine Aufführung im Theater gesehen habe, bin ich ein großes Fan von ihr und habe zeitnah ihre drei weiteren, damals erschienen Bücher gelesen.

Diesmal handelt es sich jedoch um keinen Roman für Erwachsene, sondern um ihr preisgekröntes Theaterstück, welches nun in einer von Julia B. Nowikova illustrierten Fassung als Bilderbuch vorliegt. Das Cover des Buchs – mir gefällt dieser Stil sehr – ähnelt anderen der Autorin.

Eine Rahmenhandlung bestimmt das Buch. Zu Beginn träumen wir mit dem achtjährigen Anand eine Zirkuswelt herbei, bis die Realität einbricht und wir uns in einer Plüschtierfabrik in Bangladesch befinden, in welcher er täglich Kuscheltiere nähen muss, um bereits mit seinen jungen Jahren Geld zum Überleben beisteuern zu können. Eben, in Träumen versunken, hat er einem Löwen ein schiefes Auge angenäht und versucht dies vor dem strengen „Chinamann“ zu verbergen.
Der Plüschlöwe geht auf die Reise und nimmt Anands Wunsch auf ein besseres Leben mit sich. Mehrere andere Kinder kommen kurzzeitig in dessen Besitz und vertrauen ihm deren Sorgen, Hoffnungen und Wünsche an. Manche fürchten sich u.a. vor einer bevorstehenden Flucht, andere vor einer Zwangsheirat und ein Mädchen aus Deutschland möchte nicht nur ihre ganzen Spielsachen, sondern ihren gesamten Besitz an bedürftige Kinder in Afrika spenden.

„Löwenherzen“ ist nicht nur ein Buch für Kinder und Jugendliche, sondern für alle. Es ist ein Buch, das Mut macht, verlorengegangenes Vertrauen wiederbelebt und Hoffnung schenkt. Zudem befeuert es den Mut zur Veränderung, dem Anderssein und ist ein loderndes Plädoyer für ein gemeinsames, einfühlsames Miteinander, indem es verschiedene globale Themen anreist und Platz lässt, um darüber nachzudenken und z.B. mit den eigenen Kindern zu sprechen.

Bewertung vom 10.11.2024
Ich möchte lieber nichts
Düffel, John

Ich möchte lieber nichts


ausgezeichnet

»Der Anfang von allem Konsumverzicht ist der Verzicht auf Anpassung.«

Ich hatte erst wenige Seiten gelesen, doch war ich bereits von dem bewussten und schönen Schreibstil begeistert. Nicht anders ging es mir mit dem Inhalt, der zwar banal klingen mag, aber die Lesenden abholt und daran teilhaben lässt, indem man sich über die erwähnten Fragestellungen selbstständig Gedanken macht und diese auf das eigene Leben projiziert.

Der Autor reist für zwei Tage nach Edinburgh um sich mit Fiona, einer Kommilitonin aus seinen Studientagen, zu treffen. Dabei hatten die beiden während ihres Philosophie-Studiums keine besondere Beziehung zueinander, vielmehr drehten sich ihre Gespräche um die Alltäglichkeit des Seins.
Nun vergingen 35 Jahre ohne Kontakt, bis er sie ausfindig machte und ein Treffen vorschlug. Sein Ziel war es, die damaligen Wortwechsel weiterzuführen sowie aus Distanz auf die damalige Zeit zu blicken.

Neben dem Treffen in Edinburgh umfasst das Buch noch zwei weitere, wenn auch deutlich kürzere Kapitel. Einerseits ein kurzer – hauptsächlich von ihm ausgehender – zutiefst philosophischer Briefwechsel nach dem Wiedersehen sowie andererseits ein Treffen mit Fionas Tochter, welches einiges enthüllt.

Gespräche über den Kapitalismus bis hin zum Individualismus entspinnen sich zwischen den beiden. Sie merken, dass andere Menschen aus ihnen geworden sind und sie doch gewissermaßen noch die gleichen sind, die sie waren – verschieden in deren Persönlichkeit. Ebenso beschäftigen sie sich mit der Frage, wie man der Angst vor Veränderung begegnen kann, ob diese nicht vielmehr als Chance gesehen werden sollte und Stagnation dagegen als der schlimmere Zustand?
Die Hierarchie und die Abhängigkeit von Konsum, stehen dabei unablässig in einer Relation zur Anpassung. Die Suche nach Anerkennung und besonders das Reden über Einsamkeit, dürfte keinen leicht fallen, umso überraschender auf welche intime, ehrliche und bewundernswerte Weise John von Düffel seine eigenen Gefühle und Seelenzustände offenbart.

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Bewertung vom 07.11.2024
Die Himmelsstürmer / Herrliche Zeiten Bd.1
Prange, Peter

Die Himmelsstürmer / Herrliche Zeiten Bd.1


ausgezeichnet

»Nie stand der Menschheit das Tor zur Zukunft so weit auf wie heute.«

Peter Prange entführt die Lesenden in diesem ersten Teil seiner Duologie mitten ins deutsche Kaiserreich.
Schon während des Prologs – 1871 in Karlsbad – treffen die drei Protagonisten das erste Mal aufeinander.
Vicky Paxton-Stokes, eine englische Industriellen-Erbin, befindet sich auf dem Weg zum Frühstücksaal des Hotels, jedoch wird sie von einer lautstarken Auseinandersetzung aufgehalten, welche sie kurz darauf, um eine Eskalation zu vermeiden, unterbindet. Bei den zwei Streithähnen handelt es sich um Paul Biermann, einen Ingenieur aus Deutschland und um den französischen Koch Auguste Escoffier. Auf frischer Tat ertappt, bereuen beide ihren Zwist augenblicklich.

Schon auf diesen ersten Seiten bahnt sich eine große Liebesgeschichte an, welche den ganzen Roman sowie die Lebensläufe der drei Protagonisten überschattet. Dabei werden stets einzelne Figuren mit den gesellschaftlichen Problemen der Zeit konfrontiert. Insbesondere Paul Biermann, der für den Bau des Kurfürstendamms zuständig ist, aber sich zugleich, um seinem politischen Amt gerecht zu werden, mit dem stetig wechselnden Kurs der Kolonialpolitik unter Bismarck auseinandersetzen muss.
Der immer währende Kampf zwischen Fortschritt und länderübergreifender Verständigung oder Stagnation und blühendem Patriotismus betrifft dagegen alle Länder gleichermaßen.
Pranges kurze Kapitel und die wechselnden Perspektiven, lassen die Lesenden an den zeitlichen Geschehnissen bis zur Jahrhundertwende 1900 in Großbritannien, Frankreich und Deutschland wahrhaftig teilhaben.
Obwohl dieser Roman großteils auf erfundenen Fiktionen beruht, werden einige reale Ereignisse und Persönlichkeiten geschildert. Darunter der Koch Auguste Escoffier, welcher später mit dem Schweizer Hotelier und Unternehmer César Ritz gemeinsame Sache macht und beide durch das Hotel Savoy in London oder das Ritz in Paris Weltruhm erlangen.

Ein Roman, in dem man sich regelrecht verliert. Schade nur, dass man nicht sogleich weiterlesen kann.

Bewertung vom 29.10.2024
Das Land der Bayern
Löffler, Bernhard

Das Land der Bayern


gut

Denkt man an Bayern, kommen einem schöne Landschaften, Menschen in Tracht, der Fußballverein oder natürlich die berühmt-berüchtigte sture, konservative Bierzelt-Politik der CSU in den Sinn – das Bier nicht zu vergessen!
All diese Aspekte prägen Bayern und doch wäre es ungerecht diese unvollständige Auflistung als gänzlich anzusehen.
Dieses Buch bricht mit Klischees und bietet einen historischen, politischen und gesellschaftlichen Streifzug durch das Bayern der vergangenen 200 Jahre, indem es viele bedeutende Ereignisse beleuchtet. Es geht um Regionen, Identitäten, aber auch um Natur(schutz), den aufkommenden Tourismus und die Wahrnehmung sowie das Ansehen Bayerns. Ebenfalls spielt die Religion in diesem doch äußerst konservativ geprägten Bundesland eine einnehmende Rolle. Dem gegenübergestellt sind wunderschöne Naturgebiete, bergige Landschaften mit klaren Seen sowie traditionsbewusste Menschen in Tracht.
Aber auch im negativen Sinn geschichtsträchtige, von Hitler inszenierte Orte wie den Obersalzberg, Nürnberg – als Stadt der Reichsparteitage – und die beiden KZ’s Dachau und Flossenbürg, sind Teil bayrischer Vergangenheit. Damals übliche Völkerschauen werden ebenso erwähnt.
Weiterhin widmet sich Löfflers Abhandlung dem problematischen Heimatbegriff, welcher von manchen Parteien immer noch oder wieder propagiert wird. Selbstverständlich werden auch Wahrzeichen, z.B. das Schloss Neuschwanstein oder Sehnsuchtsorte wie die Fränkische Schweiz, erwähnt.
Dieses Buch zeigt deutlich: Bayern ist zweifelsfrei in jeglicher Hinsicht ein interessantes Bundesland, über das sich viel diskutieren lässt!

Obwohl ich selbst mit der bayerischen Kultur noch nie etwas anfangen konnte, habe ich mich sehr auf das Buch gefreut, um mein Wissen zu erweitern. Leider entsprach dieses jedoch schlichtweg nicht ganz meinen Erwartungen. Großteils war es mir zu spezifisch und zu wenig allgemein. Anstelle einiger Anekdoten, die ich erwartet hatte, folgten stattdessen teils geografische Abhandlungen, die mir persönlich zu sehr ins Detail gingen.

Bewertung vom 29.10.2024
Das Kalendermädchen
Fitzek, Sebastian

Das Kalendermädchen


sehr gut

Olivias Tochter Alma ist schwer krank und benötigt dringend eine Knochenmarkspende. Das Problem dabei ist: Sie wurde adoptiert und ihre Adoptiveltern wissen nicht, wer ihre leiblichen Eltern waren. Als sich Olivia jedoch auf die Suche nach ihnen macht, verzweifelt sie, trifft auf das mysteriöse Schauermärchen des Kalendermädchens und stößt eine Reihe unerwarteter Geschehnisse an.
Ein zweiter Handlungsstrang erzählt von Valentina Rogall, die sich zum Lernen in das entlegene Haus Waldpfad im Frankenwald zurückzieht und dort, um weihnachtliche Stimmung heraufzubeschwören, eine schwarze Kerze im Fenster entzündet. Was sie jedoch nicht weiß, an diesem Ort wird die Tradition des sog. lebendigen Adventskalenders gepflegt und eine solche Kerze gleicht einer Einladung…
Wie von Fitzek gewohnt, gibt es neben diesen zwei Handlungssträngen weitere Perspektiven zu unterschiedlichen Zeiten und an immer anderen Schauplätzen. Darauf näher einzugehen, würde jedoch bereits zu viel verraten.

Nachdem ich die ersten Kapitel gelesen hatte, fühlte ich mich irritiert und ratlos, doch nach und nach fügen sich die einzelnen Teile vermehrt zu einem Gesamtbild.
Über Fitzeks Stil – überwiegend kürzere, simple, doch prägnante Sätze – lässt sich streiten, trotz allem ist er flüssig zu lesen. Was den Stil aber allemal wettmacht sind die meisterhaften Cliffhanger am Ende vieler Kapitel. Diese führten dazu, dass ich besonders in den letzten knapp hundert Seiten dieses Buches so gefangen war, es kaum mehr aus der Hand legen konnte und wieder und wieder „nur noch ein Kapitel“ lesen musste, bis keines mehr folgte.
Jedoch gab es zwischendurch einige Stellen, denen mehr Spannung gut getan hätte. Zudem war das Ende schon ab einem gewissen Zeitpunkt vorhersehbar und kam nur teils überraschend.

Obwohl am Ende des Buchs noch einige Fragen unbeantwortet geblieben sind und es einige Kritikpunkte gab, steht außer Frage, dass es ein guter und auf jeden Fall empfehlenswerter Thriller ist – wenn auch meines Erachtens nicht der beste von Fitzek.

Bewertung vom 25.10.2024
Allianz der Heimatlosen
Strohmeyr, Armin

Allianz der Heimatlosen


ausgezeichnet

»[D]ie grausame Unmöglichkeit der hiesigen Situation frisst uns täglich ein bisschen Leben weg.«

Erika Mann, Klaus Mann und Annemarie Schwarzenbach. Ein Trio mit vielen Gemeinsamkeiten und doch waren sie so verschieden.
Als die drei im Herbst 1930 aufeinandertrafen, war Annemarie sofort von den beiden Geschwistern fasziniert und verliebte sich augenblicklich in Erika. In den nächsten Jahren folgten unendlich viele bewundernde Briefe, mit dem Wunsch nach Erikas Anerkennung.

Alle drei schrieben beruflich, strebten einer erfolgreichen Karriere entgegen und engagierten sich gemäß ihrer antifaschistischen Haltung. Während sich Erika zu einer gefragte Schriftstellerin, Kabarettistin und Vortragsrednerin entwickelte, Klaus Herausgeber mehrerer Zeitungen und selbstverständlich Schriftsteller wurde, überholte beide der Ruhm und Annemarie blieb zurück. Zwar veröffentlichte sie einige Werke, aber weder ein beruflicher, noch privater Erfolg mochte sich bei ihr einstellen. Ebenfalls entwickelten alle drei eine große Liebe zu immer stärkeren Drogen, doch keiner fiel diesen, gleichfalls dem Alkohol, so gravierend zum Opfer wie Annemarie.
Zeitlebens hatte sie eine schwierige Beziehung zu ihrer Mutter, welche – selbst eine gleichgeschlechtliche Affäre unterhaltend – die Homosexualität, Emanzipation und das politische Engagement ihrer Tochter verabscheute und selbst eng mit der „Schweizer Front“ verbunden war, welche einen Anschluss an das nationalsozialistische Deutschland anstrebte.
Nach Annemaries frühen Tod, infolge eines Fahrradsturzes sowie schwerer Hirnschäden, sollte dieser Zwist – an Dreistigkeit kaum zu überbieten – jedoch seinen Höhepunkt erreichen. Gemäß ihrem Testament sollte ihr Nachlass, insbesondere die Briefe, Tagebücher und Manuskripte, ihrer Freundin Anita Forrer vermacht werden. Doch ihre Mutter Renée und Oma Clara Wille verbrennen zwei Kisten ihrer Korrespondenz, darunter die Briefe von Erika und Klaus Mann.

Was für eine turbulente Reise!

Bewertung vom 25.10.2024
Mein Weg als Deutscher und Jude
Wassermann, Jakob

Mein Weg als Deutscher und Jude


ausgezeichnet

»Genau betrachtet war man Jude nur dem Namen nach und durch die Feindseligkeit, Fremdheit oder Ablehnung der christlichen Umwelt«

Wie verlief das Leben des Jakob Wassermann? Wie kam er überhaupt zum Schreiben? Und welche Rolle nahm dabei sein Judentum ein?

Dieses autobiografische Buch erzählt eindrücklich vom Aufwachsen des gebürtigen Fürther Schriftstellers Jakob Wassermann und seiner oftmals erfolglose Suche nach einer Rolle in der Gesellschaft – als Jude unter nichtjüdischen Menschen. Gleichfalls schildert er seine ersten Schreibversuche. Dem vorangegangen waren Geschichten, welche er seinem um fünf Jahre jüngeren Bruder, vor dem Schlafengehen, erzählte. Daraufhin verspürte er bald den Drang, diese Geschichten schriftlich festzuhalten und als er gar den Wunsch äußerte Schriftsteller zu werden, waren erwidernde Reaktionen nur verhöhnender Spott. Mit nur fünfzehn Jahren hatte er bereits seinen ersten Roman geschrieben und dessen Anfang erschien kurz darauf, gedruckt in einer Zeitung.
Eigentlich sollte er eine Karriere als Kaufmann unter der Obhut seines Onkels anstreben, doch dies widersprach seinen Vorstellungen. Auch ein anschließendes Studium sowie der Militärdienst, bescherten ihm keine rechte Freude.
Wassermann sah sich im Zwiespalt gefangen. Wollte er Deutscher sein oder Jude? Beides gleichermaßen schien ihm, der Gesellschaft geschuldet, nicht miteinander vereinbar.
Dieser Zerissenheit folgend, entstanden seine wohl bekanntesten Romane „Die Juden von Zirndorf“ und „Caspar Hauser oder Die Trägheit des Herzens“.
Mit diesem Buch wollte er einen Weckruf entsenden, der auf selbst durchlebten Erfahrungen beruht und Ungerechtigkeiten anprangert.

Mittlerweile muss man leider sagen, dass Wassermann, obwohl er einer der größten Erzähler seiner Zeit war, eher zu den vergessenen Autoren gehört. Liest man seine Werke oder allein dieses Buch, ist diese Tatsache nicht nachvollziehbar, denn er schreibt einfach großartig!

Bewertung vom 25.10.2024
Ein tadelloses Glück
Breloer, Heinrich

Ein tadelloses Glück


ausgezeichnet

»Katia, manchmal denke ich, glücklich zu sein, das kommt für mich gar nicht infrage.«

Als Thomas Mann die acht Jahre jüngere Katia, Tochter des angesehenen Mathematikprofessors und Millionärs Alfred Pringsheim, zum ersten Mal sah, wusste er es bereits: diese oder keine! Doch Katias Interesse an den stürmischen Liebesbekundungen des aufstrebenden Schriftstellers hielt sich in Grenzen und selbstbewusst wie sie war, sagte sie ihm das, ganz ohne Umschweife. Und doch gab sie ihm, nach langem Zögern, ihr Ja als Ehefrau und lebenslange Unterstützung. Ohne sie wäre Thomas Mann nicht der geworden, als den wir ihn heute kennen.
Heinrich Breloer, der sich seit über vierzig Jahren mit den „Manns“ beschäftigt, schildert das Auf und Ab dieser Werbungsphase und versucht hinter die Fassade zu blicken. Dabei nähert er sich den portraitierten Figuren mit viel Fachwissen, lässt Tagebucheinträge und Briefe einfließen und ergänzt, um der Anschaulichkeit willen, fiktive Dialoge.

Dieses Buch definiert das Spiel zwischen Fiktion und Wirklichkeit, welches nicht nur Thomas, sondern auch Heinrich, grandios inszenierte. So widmet sich der Autor ferner autobiografisch beeinflussten Werken, u.a. dem Roman „Königliche Hoheit“, welcher eben diese ersten Begegnungen bis zur Hochzeit literarisiert.

Bezogen auf Breloers Fernseh-Dreiteiler „Die Manns“, der sich mit der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg beschäftigt, bildet dieses Buch eine passende Ergänzung. Schließlich beschäftigt es sich primär mit der Brautwerbungsphase, Thomas‘ ersten literarischen Erfolgen und den Umgang mit seinen homoerotischen Neigungen.
Dabei ermöglichen Breloers genaue, in die Tiefe gehenden Beschreibungen ein einzigartiges Portrait des späteren Nobelpreisträgers und dessen Frau Katia. Zusätzlich zeichnen diese das Leben zur damaligen Zeit, besonders die gesellschaftlichen Rollenverteilung von Mann und Frau, charakteristisch nach.

Breloers Buch läutet auf äußerst gelungene Weise den Auftakt einer Vielzahl an Neuerscheinungen zu Thomas Manns 150. Geburtstag im kommenden Jahr ein.