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lustaufbuch

Bewertungen

Insgesamt 177 Bewertungen
Bewertung vom 29.01.2025
Unsere kleine Welt
Arenz, Ewald;Arenz, Sigrun;Arenz, Helwig

Unsere kleine Welt


ausgezeichnet

»Wenn es so weitergeht, bleibt mir irgendwann nur noch die Familie.«

Was wäre man ohne Familie? Für viele ein Albtraum. Doch auch der Alltag mit der Familie ist oftmals nicht eben einfach, manchmal anstrengend und nervenaufreibend. Andererseits fühlt man sich nicht selten wie in einer Sitcom gefangen und fragt sich, unauffällig den Raum absuchend, wo denn die Kameras seien?

Solche Situationen schildern die drei der Geschwister Ewald, Sigrun und Helwig Arenz in diesem Buch auf amüsante und unterhaltsame Weise.
Es geht um Umzüge, unerwartet kuriose Geschenke, mit denen man konfrontiert wird und ratlos ist sowie die Frankfurter Buchmesse. Auch die wahre Bedeutung des sog. „Fastenbrechens“ wird wortwörtlich herausgefunden.
Pannen des Alltags und nicht ausschließlich kommunikative Schwierigkeiten innerhalb der Familie sind garantiert!
Die Figuren Heinrich, Katharina und Jörg sind dabei Alter Egos der drei Autor*innen.

Diese kurzen Kolumnen umfassen meist nicht mehr als drei Seiten, beginnen langsam und finden ein pointiertes Ende.
Nicht nur deshalb ist es die perfekte Lektüre für zwischendurch. Diese knappen Episoden helfen auch alle Gedanken, u.a. an die schrecklichen Geschehnisse, die sich tagtäglich ereignen, für eine kurze Zeit vergessen zu können.
Darüberhinaus stehen die Geschichten der Geschwister einander in nichts nach, sondern sind allesamt gleichermaßen unterhaltsam.

Bewertung vom 29.01.2025
Deutsche Hörer!
Mann, Thomas

Deutsche Hörer!


ausgezeichnet

»Deutsche, ihr sollt es wissen.«

In insgesamt 59 Rundfunkansprachen, die zwischen Oktober 1940 und November 1945 gesendet wurden, sprach der emigrierte Nobelpreisträger Thomas Mann aus seinem amerikanischen Exil direkt zu den deutschen Hörern und leistete damit wichtige Aufklärungsarbeit.
Dabei zeigt er sich von einer ganz anderen Seite – er ist direkter als je zuvor, lässt seiner Wut teils freien Lauf und scheut sich auch nicht vor beschimpfenden Worten über NS-Größen. Noch dazu sind diese Reden persönlicher, schließlich richten sie sich – als eine Stimme der Vernunft – direkt an die deutschen Bürger und ab der fünften Sendung, im März 1941, sprach er diese sogar selbst ein.
Thomas Mann berichtete über das Ausmaß der Zerstörung, warnte und klärte über Kriegsverbrechen, den Holocaust, Bombardements und Aktionen des Widerstands auf. Seine antifaschistische Haltung und sein Widerstand waren einzigartig und gab es in dieser Form kein zweites Mal von anderen Emigranten! Unter dem Gesichtspunkt, dass er diese Reden nicht hätte schreiben müssen – er war privilegierter als die allermeisten –, sondern er sich freiwillig engagierte und sich deutlich gegen Hitler und den gesamten Nationalsozialismus stellte, ist beachtenswert!
Während er in den ersten Reden noch strikt zwischen den Deutschen und den Nationalsozialisten differenzierte, schwächt diese Trennung im Verlauf der Zeit vermehrt ab.

Doch was interessieren uns heute noch diese Reden, fragt man sich. Sie bieten nicht nur in Zeiten des aufkommenden Hasses leider wieder aktuelle Parallelen, sondern widerlegen ebenfalls die oft verwendete Ausrede, dass man davon ja nichts wusste.

Diese Radioansprachen sind ein ganz besonderes Dokument, welche in dieser Ausgabe durch ein Vor- und ein Nachwort von Mely Kiyak auf den Punkt gebracht ergänzt werden und eine unbedingte Leseempfehlung sind!

Bewertung vom 16.01.2025
Heimweh im Paradies
Mittelmeier, Martin

Heimweh im Paradies


sehr gut

»Zuhause ist, wo er schreiben kann.«

Martin Mittermeier nimmt uns mit auf eine Reise ins amerikanische Exil Thomas Manns. Genauer gesagt von 1938 bis zu seiner Rückkehr nach Europa.

Wie lebt man im Exil, so fernab der eigentlichen Heimat, umgeben von einer ganz anderen Kultur? Konnte Thomas Mann sich mit diesen Umständen arrangieren und seinem gewohnten Schreibrhythmus nachgehen?
Immerhin haben sich einige befreundete Schriftsteller und andere bekannte Persönlichkeiten in unmittelbarer Umgebung niedergelassen. Kontakte auf geistiger Augenhöhe waren somit allemal geboten!

In Mittelmeiers Buch begegnet man auch anderen Schriftstellern wie Franz Werfel, Alfred Döblin, Lion Feuchtwanger oder Bertolt Brecht. Dementsprechend liegt der Schwerpunkt zwar auf Thomas Mann – vom Autor als König der Emigranten bezeichnet –, dennoch wird das Leben im amerikanischen Exil grundsätzlich beschrieben und beschränkt sich nicht nur auf ihn.
Sie alle haben ihre Heimat verloren und mal mehr und mal weniger eine neue gefunden, doch bedrücken die allgegenwärtigen Auswirkungen des Dritten Reichs alle.

Auch als der Krieg nun vorbei war, wusste er, dass er nie wieder dauerhaft nach Deutschland zurückkehren wird. So fand er seine letzte Stätte in der benachbarten Schweiz, die ihm schon zu Beginn seines Exils, ein Zuhause war:
»Deutschland hat er ja in sich, das äußere erträgt er nicht.«

Natürlich finden auch die Werke, an denen Mann zur jeweiligen Zeit aktuell geschriebene hat, Erwähnung.
Es geht u.a. über den vierten Band der Joseph-Tetralogie, den „Erwählten“, aber besonders um den „Doktor Faustus“ und sein diesbezügliches Verhältnis zu Adorno und Schönberg.

Zu Beginn empfand ich das Buch manchmal zu langatmig und zu abschweifend, doch je mehr ich las, desto besser gefiel es mir, auch wenn es von einer sprunghaften Dynamik bestimmt wurde. Zwischen mal humorvollen und dann wieder ernsteren Abschnitten wechselnd, erzählt Martin Mittelmeier eine punktuelle biografische Annäherung Thomas Manns, ausgehend von seinen amerikanischen Jahren.

Bewertung vom 16.01.2025
Für Polina
Würger, Takis

Für Polina


ausgezeichnet

»Ich dachte immer, du bist der eine Mensch, bei dem es keine Lügen gibt«

Erst zwölf Tage des Jahres waren verstrichen, als ich diesen Roman beendete und trotzdem wusste ich schon während der Lektüre, dass es für sämtliche andere Bücher, die ich dieses Jahr noch lesen werde, äußerst schwer werden wird, diesen Roman – in jeglicher Hinsicht – zu überbieten.
Ich habe auch die bisherigen vier Bücher von Takis Würger gelesen, mochte sie allesamt gerne und freute mich dementsprechend auf seinen neuen Roman, doch was mich erwarten würde, damit hätte ich wirklich nicht gerechnet!

Hannes Prager ist verliebt in Polina, doch möchte er ihre Freundschaft nicht aufs Spiel setzen, noch dazu schwärmt sie ständig von anderen Jungs. Um ihr dennoch seine Gefühle zu offenbaren spielt er ihr eine Melodie auf dem Klavier vor. Als jedoch kurz darauf seine Mutter bei einem Unfall verstirbt, überlässt Hannes seine Leidenschaft des Klavierspielens der Vergangenheit.
Noch dazu trennen die Wege des Erwachsenwerdens beide immer mehr voneinander, obwohl sie sich mehr bräuchten, als sie es sich selbst eingestehen möchten.
Einige Jahre vergehen und Hannes überdenkt sein Leben. Er realisiert, dass er alles, was ihm wirklich wichtig war, verloren hat – Polina und seine Liebe zur Musik.
Eine bewegende Liebesgeschichte über Verfehlungen, das Missachten bestimmter Zeichen und über all das, was im Leben wirklich wichtig ist.
Zugleich eine Liebeserklärung an die Schönheit und Kraft der Musik!

Während des Lesen habe ich mir gewünscht, dass keiner außer mir diesen Roman je lesen würde, weil er mich so berührt hat. Es sollte etwas persönliches sein. Und doch wünsche ich jetzt, dass es die ganze Welt liest, weil Würgers großartiger und bisher bester Roman kein egoistisches Gehabe braucht, sondern unzählige Leser!

Wenn ihr, nur um ein paar Referenzen zu nennen, die Bücher von Benedict Wells, Ewald Arenz oder den Roman „Der Gesang der Flusskrebse“ von Delia Owens mögt, dann lest – nein, ich kann es nicht anders sagen: ihr müsst – dieses Buch lesen!!!

Bewertung vom 15.01.2025
Getäuscht
Felsen, Juri

Getäuscht


weniger gut

»Mich verstört oft der – recht alltägliche – Gedanke, dass etwas Erwartetes wegbricht«

Dieses Buch ist weniger ein Roman, als ein akribisch gefülltes Tagebuch der Gefühle.
Der namenlose Ich-Erzähler, der täglich seine Erlebnisse, Beobachtungen und insbesondere seine unzähligen Gedanken aufschreibt ist verliebt und das schon, bevor er seine Angebetete überhaupt kennt.
Es ist verhält sich nämlich folgendermaßen: Die Nichte Ljolja Gerdt seiner Berliner bekannten Katerina Wiktorowna N., welche ihn damals in Berlin knapp verpasst hat, reist nun nach Paris. Dort lebt der Protagonist zur Zeit der 1920er Jahre als exilierter Russe, ohne Geld und noch dazu todunglücklich, traurig und einsam.
Die beiden irren sich aneinander, sei es liebestrunken oder so beabsichtigt. Ljolja hat kein großes Interesse an ihm, doch er wiederum ist penetrant und lässt sie nicht in Ruhe.
Mit welcher Besessenheit er das möchte, ist fast schon wieder beachtenswert, würde sein gekränktes Ego nicht zu misogynen Ansichten tendieren.

Für mich war es, trotz der mit Sicherheit herausragenden Übersetzung von Rosemarie Tietze, leider ein trockener Roman mit vielen Längen und relativ wenig Handlung. Die Gefühlswahrnehmungen des nicht eben sympathischen Protagonisten waren mir persönlich zu arg ausgeschlachtet und erinnerte mich zunehmend an Goethes „Die Leiden des jungen Werther“.
Trotzdem muss man sagen, dass Juri Felsen ein begnadeter Beobachter war, so detailliert wie dieses Buch geschrieben ist, schafft es kaum ein anderer Autor, geschweige denn auf diese psychologische, tiefgründige Art.

Diese seitenlangen psychologischen Beobachtungen werden im Nachwort von Dana Vowinckel mit Proust verglichen. Dazu kann ich leider nichts sagen, da mir Proust noch bevorsteht, aber meine Einschätzung, dass mir der ausschweifende Stil voller Zweifel leider nicht gefallen hat, kann ich offenbaren.

Dennoch bin ich froh, dieses Buch entdeckt zu haben. Ansonsten wäre mir der Autor und dessen tragisches Schicksal verborgen geblieben.

Bewertung vom 10.01.2025
Zauberberg 2
Strunk, Heinz

Zauberberg 2


schlecht

«Sie können stolz auf sich sein, dass Sie sich aufgerafft haben. Keine Angst: Sie schaffen das.«

Puh, ja, tatsächlich – ich hab’s geschafft.
Aber erstmal von vorne!

Der 36 jährige Unternehmer Jonas Heidbrink begibt sich, da es ihm nicht gut geht, in eine Klinik in Mecklenburg-Vorpommern und bleibt dort länger als erwartet, bis er schließlich alle anderen Patienten überdauert.
Dabei ist sein dortiger Alltag ziemlich langweilig und trist. Von einem Essen geht es zum nächstem Therapieprogramm, von denen es haufenweise gibt, z.B. Gruppen-, Foto-, Kunst-, Musik-, Biblio-, Theater- oder Bewegungstherapie. All diese aufgezählten Aktivitäten stellen die Haupthandlung, zumindest der ersten Hälfte des Romans, dar. Mit Ausnahme der Beschreibung einzelner merkwürdiger Eigenheiten anderer Patienten passiert sonst nicht viel.
Dabei ist zu bemerken, dass nicht nur der Protagonist Jonas Heidbrink, sondern auch Heinz Strunk selbst ein guter Beobachter ist, wie es sich an den Szenen erkennen lässt.
Dennoch konnte mich das Buch so gar nicht überzeugen.

Es war mein erstes Buch von Heinz Strunk und was soll ich anderes sagen? Wahrscheinlich auch mein letztes. Schade, schließlich hatte ich mir von diesem Buch, wenn es sich schon provokativ „Zauberberg 2“ nennt und sich somit neben Manns „Der Zauberberg“ stellt, einiges erwartet!
Was mich jedoch am meisten schockiert hat, waren einige sexistische, machomäßige vulgäre Äußerungen – von Bodyshaming gar nicht zu sprechen!
Zwar lassen sich vereinzelte Parallen zum Zauberberg, bspw. das „Schnee“-Kapitel, erkennen, doch sind diese sehr erzwungen. So leid es mir tut, wenn das eine Hommage sein soll, weiß ich auch nicht mehr.
Aus scheinbar belanglosen Nichtigkeiten Literatur entstehen zu lassen, muss man können – Thomas Mann ist es mit dem Zauberberg, der noch über hundert Jahre später gelesen wird, gelungen und Strunk ist daran gescheitert, sofern er es überhaupt wirklich versucht hat.

Bewertung vom 08.01.2025
Sorgt, dass sie nicht zu zeitig mich erwecken
Kehlmann, Daniel

Sorgt, dass sie nicht zu zeitig mich erwecken


sehr gut

»Natürlich kann, soll, darf man alles erfinden, denn die Kunst muss alles dürfen.«

Trotz der Tatsache, dass ich mit Kehlmanns Romanen – ich wünsche mir selbst, es wäre anders – überhaupt nichts anfangen kann, lese ich seine Essays und Reden gerne und bin froh diese, als ich vor drei Jahren seine sämtlichen bis dato veröffentlichten Werke las, entdeckt zu haben.
Insgesamt 27 mehr oder weniger neue und aktuelle Texte Kehlmanns versammeln sich in diesem Buch.
Leicht, locker, bereichernd und manchmal zum eigenen Nachdenken anregend sowie durchaus süffisant lassen sich diese Texte lesen, wenn sie auch manchmal zu theoretisch ausfallen. Eins steht jedoch fest – an Kehlmann ist ein großartiger Literaturwissenschaftler verloren gegangen!

Kehlmanns Reden und Essays bringen allemal neue Erkenntnisse. So wusste ich nicht, dass Heimito von Doderer einst Mitglied der NSDAP und überzeugter Antisemit war.
Fängt Kehlmann an bspw. über Kafkas Zeichnungen oder bestimmte literarische Werke zu sinnieren, hört man seine Gedanken sprechen, weil er seine Leidenschaft zur Literatur offenbart und diese mitunter ansteckend ist!
Seine akribischen Abhandlungen über verschiedene Schriftsteller, darunter Franz Werfel, Ernst Lothar, Hölderlin, etc. bereiten einfach nur Freude.
Doch auch das Zeitgeschehen wird beachtet. Parallelen wie Kehlmann sie zu Beginn des ersten Amtsantritts Donald Trumps bezüglich George Orwells „1984“ zieht, sind treffend! Ganz zu schweigen von seinen präzisen Einschätzungen hinsichtlich in Zukunft drohender Gefahren der Künstlichen Intelligenz oder Grenzen des Romans.

Kehlmann ist ein haargenauer Beobachter, der detailliert und differenziert schreibt und sich nicht davor scheut zu kritisieren, selbst wenn es sich um von ihm angesehene Autoren handelt.
Ausschließlich seine Beiträge über verschiedene Filme haben mich weniger interessiert und ich empfand diese als etwas langatmig.

Bewertung vom 08.01.2025
Teufels Bruder
Lohre, Matthias

Teufels Bruder


ausgezeichnet

»Ich will nicht der Grund dafür sein, dass ein anderer sein Lebtag lang denkt: Was wäre gewesen, wenn ... Ich will es nicht.«

Heinrich Mann ist auf dem Weg seinen Traum zu verwirklichen, er möchte Schriftsteller werden. Dagegen weiß sein jüngerer Bruder Thomas noch nicht recht, wohin sein Leben ihn führen wird. Soll er eine bürgerliche Ehe mit Ilse Martens eingehen? Und wird er sich ebenfalls als Schriftsteller durchsetzen können?
Der frühe Tod des Vaters verbindet die Brüder miteinander und doch trennen grundlegend verschiedene Erwartungen ihre Lebensweisen.
Als sie 1896 gemeinsam für längere Zeit nach Italien aufbrechen, ergeben sich unerwartete Unsicherheiten und Herausforderungen sowie positive Veränderungen voller Sehnsüchte und Wünsche.
Auf dieser Reise verliebt sich Heinrich und Thomas begegnet in Venedig einem traurig wirkenden Jüngling. Er ist fasziniert von ihm und als sich deren Wege wiederholt kreuzen, möchte er seinem Geheimnis auf die Schliche kommen und ihm gar eine Novelle widmen. Doch das, was Thomas Mann in Italien dann passierte, konnte er nicht erahnen und wird sich, weil es so prägend für ihn war, scheinbar in seinem späteren Werk wiederfinden.

Eine wirklich spannende Fiktion! Zu gerne würde ich wissen, was sich damals in Italien wirklich zugetragen hat oder ob es überhaupt so ein prägendes Erlebnis gab. Dabei verfolgt dieser Roman eine ähnliche Spur eines traumatisches Erlebnis Thomas Manns wie Michael Maars „Das Blaubartzimmer“.

Matthias Lohre ist ein großartiger Erzähler, der nicht nur die Lesenden innerhalb weniger Sätze für sich einnehmen kann, sondern nicht weniger geschickt Leben und Werk der Brüder miteinander verwebt, insbesondere die Bezüge zu einigen der früheren Erzählungen Thomas Manns. Dabei erwischt man sich fast dabei, diesen Roman als eine lebendige Biografie der beiden Brüder wahrzunehmen, anstelle der Fiktion, die sie darstellt.

Bewertung vom 08.01.2025
Für immer
Lunde, Maja

Für immer


ausgezeichnet

Nach dem Klimaquartett entspinnt Maja Lundes neuester Roman ein fiktives Gedankenexperiment. Was wäre, wenn auf einmal keine Menschen mehr sterben und es ebenfalls keine Geburten mehr gibt, weil die menschliche Zellteilung ausbleibt? Währenddessen bleibt die Natur davon unbeachtet.
Dabei katapultiert einen bereits der fesselnde Romananfang mitten ins Geschehen.
Um dieses Szenario anschaulich zu gestalten, begegnen wir verschiedenen Figuren und Familien, die sich an unterschiedlichen Abschnitten ihres Leben befinden und Hoffnungen sowie Wünsche haben. Darunter Menschen, die ein Kind erwarten, die wissen, dass sie nicht mehr lange leben werden und andere, die täglich mit Tod konfrontiert werden. Nicht zuletzt eine Fotografin, welche diesen nicht greifbaren Stillstand einfangen möchte.
Andere wiederum sehen mögliche Erklärungen der merkwürdigen Umständen als Lügen an und verbreiten, auf der Suche nach der wirklichen Wahrheit, Verschwörungstheorien. So bringt dieser Zeitgewinn einige unerwartete Veränderungen mit sich.
Trotz der vielen Perspektiven sind diese keineswegs überfordernd, sondern gut verständlich, vielschichtig und gelungen.

Der Roman ist eine Liebeserklärung an das Leben und zeigt sogleich, wie wertvoll dieses ist und wie schnell es vorbei sein kann. Die geschilderten teils emotionalen Schicksale sind als Plädoyer anzusehen, die jeweilige Zeit zu nutzen und wichtige Veränderungen anzugehen, anstelle zu bereuen, etwas nicht getan zu haben.

Andererseits habe ich nicht ganz verstanden habe, warum der menschliche Kreislauf unterbrochen wird, wie es begann und endete. Aber wahrscheinlich bleibt es schlichtweg unerklärlich.

Trotz dieses Kritikpunkts, habe ich den Roman regelrecht inhaliert und sehr geliebt! Maja Lunde hat mich auch mit diesem Buch (wieder mal) überzeugt.

Bewertung vom 07.01.2025
Kein Grund, gleich so rumzuschreien
Suter, Martin;Stuckrad-Barre, Benjamin von

Kein Grund, gleich so rumzuschreien


ausgezeichnet

„»Supervision«. Eigentlich genau das, was auch wir beide ständig miteinander machen.“

Wie schon im Vorgängerbuch „Alle sind so ernst geworden“ erstreckt sich das Repertoire der vorliegenden Gespräche über vielfältige Themen hinweg, die mal banal daherkommen und dann doch wieder tiefergehend ausfallen. Es geht über die persönliche Beziehung zu Blumen oder Sehtests, den Ursachen von Albträumen und der eigenen Wahrnehmung von Eitelkeit. Aber auch bis hin zu Fragen, die das gesellschaftliche Leben, hinsichtlich des Umgangs mit Rauschmitteln – besonders Alkohol und Zigaretten – bestimmen sowie die Wahrnehmung Außenstehender auf diese freiwillige Abstinenz.
In dem Buch ist viel geboten, doch Langeweile kommt niemals auf!
Annähernd alle Gespräche überschattend ist nicht nur der Tod von Martin Suters Frau Margrith, sondern insbesondere seine fortdauernde Liebe zu ihr. Doch auch Stuckrad-Barre wird mit einem familiären Todesfall regelrecht konfrontiert, schließlich erfährt er zufällig, durch eine Direct Message eines ihm Unbekannten auf Instagram, vom Tod seines Vaters. Spätestens bei dem Gespräch über diesen Verlust und das Verhältnis zu seinem Vater wird deutlich, dass dieses Buch durchaus nicht nur durch seinen humorvollen Witz brilliert, sondern gleichermaßen den Bogen zu ernsten Themen spannen kann.
Man erfährt nicht nur mehr über die beiden Autoren, sondern auch über sich selbst.

Auch wenn die Gespräche nur in gedruckter Form vorliegen, hört man beide, als säßen sie neben einem, in gewohnter Manier vor sich hin sprechen. Während sie sich in humorvollen, teils ironischen und tragikomischen Diskussionen verlieren und sich selbst dabei niemals zu ernst nehmen, genoss ich es sehr, ihnen zu lauschen.

Gerne hätte ich noch weiter gelesen und mehreren Gesprächen zugehört, aber nun überlasse ich – sehnsüchtig auf einen dritten Band hoffend – Benjamin von Stuckrad-Barre das Schlusswort:
„Ich finde die Gewissheit ganz schön, auch erleichternd, dass irgendwann Schluss ist.“