Auszug

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Vor mir liegt das neue Buch von B.M. Linke: AUSZUG - Eine Reisebeschreibung. Auszug hat ja mindestens zwei Bedeutungen: ein geordnetes Verlassen und ein Ausschnitt eines Ganzen. Beides trifft m.E. hier zu. Allerdings handelt es sich um ein Verlassen - aber nicht um ein geordnetes. Heißt es doch von einem diensthabenden Beamten einer DDR-Behörde: "Sie verlassen die DDR in 24 Stunden". In diesem knappen Satz steckt eine sehr lange Geschichte der Autorin und ihrem Ehemann D. Linke. Für Interessenten an dieser Geschichte sei das Buch von D. Linke BEDROHTER ALLTAG - Als Pfarrer im Fokus des MfS (ISBN 978-3-86685-512-0) empfohlen. Und damit ist der Leser auch gleich in der zweiten Bedeutung von Auszug: der Inhalt ist ja stark autobiografisch unterlegt und offenbart in dem Buch nur einen Bruchteil des Ganzen. Zum besseren Verständnis hat die Autorin eine Ergänzung angegeben, die es lohnt, vorab gelesen zu werden.
Nicht nur hat der Auszug selbst zwei Bedeutungen, auch der Inhalt bewegt sich auf zwei Ebenen. Das wird verdeutlicht durch einen Satz von Laure, einer Freundin der Protagonistin Mira: "Erst treiben sie euch aus dem Land, dann lassen sie euch nicht herein." Das Verlassen des Landes ist ja staatlich angeordnet. Es passt den Herrschenden nicht, mit einem anderen, humanistischen Gesellschaftsmodell konfrontiert zu werden. Mira und Carl haben stringent versucht, ihre Sicht von Freiheit und Gerechtigkeit nicht nur selbst zu leben, sondern in diesem Staat auch öffentlich umzusetzen. Die zweite Ebene ist der Versuch einer Rückkehr, nicht um zu bleiben, sondern um den unterbrochenen Lebensweg ein Stück in Erinnerung zu rufen und die tiefen Bande zu einer eng befreundeten Familie neu zu justieren. Es gelingt Mira wegen des üblichen Besuchsverbots nicht auf normalem Weg. Sie greift zu einem Trick - ein Besuch der Leipziger Messe ist das Vehikel, den Staat und seine Sicherheitsbehörden gewissermaßen reinzulegen. Es funktioniert!
Auszug und Rückkehr werden inhaltlich kenntnisreich und emotional bestechend mit wohlgesetzten Worten beschrieben. Das Buch ist überaus lesenswert, anrührend, macht nachdenklich - aber auch hoffnungsvoll: "Der Himmel ist offen. Darüber haben sie keine Macht." sagt Mira zu Carl.