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Buchrezension
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München

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Bewertung vom 06.05.2017
3 Tage im Spätherbst
Berndt, Stephan

3 Tage im Spätherbst


schlecht

Verfinsterung der Vernunft

Szenarien apokalyptischer Ereignisse und der Wunsch einen Blick in die Zukunft zu werfen faszinieren seit jeher die Menschen, insofern erwartet der Leser eine interessante und erkenntnisreiche Lektüre zum Thema „Dreitägige Finsternis“, das einen weiten Bogen über die Jahrhunderte spannt.

Geistesgeschichtlich jedoch tappt Berndt bei seinen Ausführungen zur Finsternis leider völlig im Dunkeln und scheint keinerlei Interesse zu haben, seine sonst so akribischen und detailverliebten Recherchen auf einschlägige Werke der Wissenschaft (z.B. Kommentare zu apokalyptischer Literatur) auszudehnen. Er verkauft seine persönlichen Ansichten als schiere Tatsachen und pflegt einen grob fahrlässigen Umgang mit Quellen. Dass der Autor nicht nur pseudowissenschaftlich arbeitet, sondern auch vor eindeutigen Fälschungen nicht zurückschreckt, zeigt die sog. „Prophezeiung zu den drei finsteren Tagen“ von Pater Pio: Anfang der 50er Jahre, also noch zu dessen Lebzeiten, wurde die von Berndt als unhinterfragte Wahrheit präsentierte „Prophezeiung“ nachweislich als Lügengeschichte in die Welt gesetzt und fand rasche Verbreitung, allen Dementis von P. Pio und seinen Ordensbrüdern (vgl. John A. Schug OFM) zum Trotz, die sich mit aller Deutlichkeit öffentlich davon distanzierten.

Blamabel gestaltet sich insbesondere der Versuch des Autors auf philosophisch-theologischer Ebene metaphysische Fragestellungen zu erörtern. Ganz zu schweigen von seinem, in den Anhang gepressten, Ansatz zu biblischer Exegese: hier erweist sich aufs Deutlichste, dass Berndt in dieser Materie die elementarsten Grundkenntnisse fehlen.

Man könnte diese geschichtsvergessene Kompilation und manipulative Interpretation echter oder vermeintlicher Aussagen echter oder vermeintlicher Hellseher/ Propheten/ Heiliger - eine Differenzierung oder gar eine Ausleuchtung geistesgeschichtlicher Hintergründe und Zusammenhänge dieser unterschiedlichsten Quellen aus den verschiedensten Epochen der Weltgeschichte sucht man im Werk vergeblich -, denen der Autor autonom das Gütesiegel der jeweiligen Zuverlässigkeit verleiht, kommentarlos aus der Hand legen (und bereuen den Verlag mit 22,95€ subventioniert zu haben), würde da nicht im weiteren Verlauf des Buches der kümmerliche Rest der Menschheit, der dank Herrn Berndt rechtzeitig Vorkehrungen getroffen (u.a. durch Zukleben der Fenster mit schwarzem Papier!) und die diversen - zweifellos unmittelbar bevorstehenden - verheerenden Katastrophen unbeschadet überlebt hat, dafür sorgen, dass „am deutschen Wesen“ – wieder einmal – „die Welt genesen“ soll; ein unverhohlener Handstreich, um auch die rechtspopulistische Klientel als Leserschaft zu rekrutieren.

Fans von angebräunter esoterischer Fantasy-Literatur mit Gruselfaktor mögen hier voll auf ihre Kosten kommen, Leser mit einem gewissen, auch nur marginalen, Anspruch an Erkenntnisgewinn, Wahrhaftigkeit, wissenschaftlicher Redlichkeit, Stilsicherheit und nicht zuletzt an Lesevergnügen begegnen in diesem wirren Werk einem totalen Blackout der Vernunft.

39 von 40 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.