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Juma

Bewertungen

Insgesamt 131 Bewertungen
Bewertung vom 27.01.2025
Gussie
Wortberg, Christoph

Gussie


ausgezeichnet

Bewegende Lebensbeichte einer starken Frau
Der Autor Christoph Wortberg ist an Vielseitigkeit kaum zu übertreffen: ein Schauspieler, Drehbuchautor und Schriftsteller. Und beim Hören/Lesen merkt man jedem Satz an, dass er Germanistik, Geschichte und Philosophie nicht nur studiert hat, sondern auch von Herzen liebt.
„Gussi“ ist Auguste, die Ehefrau von Konrad Adenauer, und im Jahr 1948 auf dem Totenbett lässt Wortberg sie zurückblicken auf ihr ganzes Leben, das nur 52 Jahre währen wird. Das Leben von Gussi als Kind, mit einem über alles geliebten Vater ist lehrreich und bringt ihr ein gesundes Selbstvertrauen. Zur Mutter besteht ein unterkühltes Verhältnis, das auch kurz vor Gussis Tod kaum wärmer wird. Mit 24 Jahren lernt Gussi Konrad Adenauer als Wittwer mit drei Kindern kennen, er ist 19 Jahre älter als sie und sehr angetan von ihr. Sie wagt einen ungeheuren Schritt und wird die Mutter dreier Kinder, die ihr langsam Vertrauen und später ebenso viel Liebe entgegenbringen werden, wie ihre eigenen. Doch zuerst erleidet das Ehepaar Adenauer den Verlust ihres Erstgeborenen, von diesem wird sich niemand in der Familie jemals gänzlich erholen. Aber Gussi bekommt weitere Kinder und ein durchaus vollkommenes Familienleben entwickelt sich, der Vater Konrad ist Oberbürgermeister von Köln und macht sich einen Namen. Gussis Verhältnis zu ihrem Vater bleibt innig und zugewandt, in ihm findet sie auch später viel Trost und Unterstützung.
Immer wieder schwenkt der Autor von den Erinnerungen Gussis in ihr Krankenzimmer, man weiß, Gussi wird es nie mehr verlassen und doch gibt es Lichtblicke. Die Krankenschwester Geli kümmert sich rührend um sie und fasst tiefes Vertrauen. Der Vater besucht sie, auch die Kinder und Konrad, jeder versucht ihr das restliche, schmerzvolle Leben zu erleichtern. Je mehr jedoch der Tod näherkommt, umso mehr bedrücken sie die Gedanken an die Zeit des Faschismus, an den Krieg, an Konrads Verhaftung und den unausweichlichen, doch so furchtbaren Ausgang ihrer geglückten Befreiungsaktion.
Mehr möchte ich nicht preisgeben von diesem eindrucksvollen fiktionalen Geschichtsroman. Mir hat dieser ausnehmend gut gefallen, auch wenn er sehr traurig und bedrückend erzählt. Die Wortwahl, die eingebauten Briefe, insbesondere der Briefwechsel zwischen Gussi und ihrem Vater, der Schreib- und Erzählstil sind so emotional aufgeladen, dass es mir sehr zu Herzen ging. Die Schauspielerin Claudia Michelsen ist Herz und Seele dieses gelungenen Hörbuchs. Die Nominierung für den Hörbuchpreis 2025 als beste Interpretin hat sie voll und ganz verdient, ich drücke die Daumen.
Fazit: Ich spreche eine uneingeschränkte Hör- oder auch Leseempfehlung aus! Volle 5 Sterne.

#DeutscherHörbuchpreis2025 #NetGalleyDE

Bewertung vom 16.01.2025
Ein Schimmern am Berg / Commissario Grauner Bd.10
Koppelstätter, Lenz

Ein Schimmern am Berg / Commissario Grauner Bd.10


gut

10. Fall für Commissario Grauner – Rente in Sicht?
Bisher habe ich alle Fälle von Commissario Grauner gelesen, aber mir scheint, Lenz Koppelstätter sollte seinen mahlerliebenden Protagonisten doch bald in Rente gehen lassen. Die Fälle werden nicht mehr unterhaltsamer, sondern ziehen sich unter teils merkwürdigen Verrenkungen in die Länge, ohne die frühere Spannung zu erreichen.
Dieses Mal findet ein makabrer Mord in einem Laaser Marmorbruch statt, welcher für eine kulturelle Veranstaltung das passende Ambiente bieten sollte. Gefunden wird eine Künstlerin, zersägt von einer riesigen Maschine, die man sonst für Marmorblöcke einsetzt. Grauner beginnt zu ermitteln, währenddessen sein bewährtes Gespann Saltapepe und Tappeiner eine Art kombinierte Urlaub- und Hochzeitsreise in die USA unternimmt. Ermittelt wird fortan parallel dort und in Laas, denn die Marmorspuren führen auch nach New York und in Laas kommen noch vergiftete Marillenspuren hinzu. Saltapepe und Tappeiner werden dieses Mal zu Marionetten in einem recht gefährlichen Gangsterspiel.
Zwischendurch hängt bei Grauner auch noch der Haussegen schief und seine früheren Panikattacken lassen nicht lange auf sich warten. Darauf kann er aber keine Rücksicht nehmen und so ermittelt er, auf die Hilfe von Staatsanwalt Belli angewiesen, in dem undurchsichtigen Fall weiter.
Ich lese die Bücher von Lenz Koppelstätter vor allem deshalb gern, weil er einen unverwechselbaren, leicht amüsierten und amüsanten Schreibstil hat, der über manche Leerstelle hinweghilft. Die Figuren sind trotzdem recht unterschiedlich, nicht jeder Protagonist erhält seine volle Schriftstellerliebe. Grauner war und bleibt der Star der Krimiserie.
Fazit: Am Ende wird natürlich nicht alles gut, das wäre nun doch zu profan.
3 Sterne

#EinSchimmernamBerg #NetGalleyDE

Bewertung vom 10.01.2025
Der König
Nesbø, Jo

Der König


gut

Kein gewöhnlicher Nesbø

Jo Nesbø war lange einer meiner Lieblingsautoren aus Norwegen, aber Der König gefällt mir nicht halb so gut wie die Harry-Hole-Storys. In diesem Buch zieht sich alles sehr lang dahin und die "Selbstgespräche" sind eher Selbstbeweihräucherung. Da verliert sich die Spannung im schwülstigen Gerede.
Carl und Roy sind so unterschiedlich, wie zwei Brüder nur sein können. Im kleinen norwegischen Os, das sinnbildlich für Provinz und Merkwürdiges steht, lässt mich bisweilen an den Zauberer von Oz denken. Einer muss der Herrscher sein, auch im dunklen Norwegen.
Wie zwei Brüder versuchen, das Glück zu erzwingen, ohne Rücksicht auf Verluste, das hat mich nicht in seinen Bann gezogen, wie es die Ankündigung verspricht. Mir hat die Geschichte zum Glück auch keine schlaflosen Nächte beschert.
Fazit: wer bis zum Ende liest/hört, wird doch überrascht sein.

Bewertung vom 09.01.2025
Wackelkontakt
Haas, Wolf

Wackelkontakt


ausgezeichnet

Impossible Ideas

Zuletzt las ich „Eigentum“, seitdem habe ich mich riesig auf dieses neue Buch gefreut und es nun in kürzester Zeit verschlungen. Ein Wolf Haas, wie er im Buche steht, könnte man sagen.
In Anlehnung an die Impossible-Constructions-Schaffensperiode des begnadeten Grafikers M. C. Escher habe ich meine Überschrift gewählt. Ja, Wolf Haas hat unmögliche Ideen, was ja an sich schon doppeldeutig ist. Das neue Buch hat eine verwirrende, verwirrte Handlung und auch recht verwirrte Protagonisten, die sich im Unmöglichen suchen und versuchen.
Hauptperson Escher hat nichts mit dem erwähnten berühmten Grafiker zu tun, er trägt nun mal diesen Namen. Er ist professioneller Trauerredner, hat einige Macken und ein unersättliches Hobby: Puzzles, Glück bei den Frauen eher nicht. Der Klappentext verrät dem Leser zwar den Anfang, aber wie sich die Story um Escher, den Elektriker und die Mafia in einem Fort entwickelt, das ist schon echte Kleinkunst. Diese ineinander verschachtelten und verwobenen Szenen ähneln der Katze, die versucht sich in ihren Schwanz zu beißen, auch der Spruch „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei“ kam mir bei der Lektüre in den Sinn. Ein fulminantes Feuerwerk auf nur 240 Seiten, am Ende dachte ich, das kann immer so weitergehen, es hätten auch achttausendeinhundertneunzig Seiten werden können.
Ich kann die Pointen der Pointen der Pointen … nicht erzählen, es würde die Freude und die Spannung stören, also empfehle ich das Buch jedem, der sich über absurdeste Gedanken vor Lachen ausschütten kann und will. Aber selbst vor ernsthaften Betrachtern wird das Werk Bestand haben, denn jede Satire hat auch einen tieferen Sinn.
Volle 5 Sterne

Bewertung vom 05.01.2025
Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben
Decker, Anika

Zwei vernünftige Erwachsene, die sich mal nackt gesehen haben


gut

Nach rund 150 Seiten: Boxenstopp

Das Interessanteste am Buch ist wirklich der Schutzumschlag. Er zieht den Blick an und die Fantasie. Schön wäre es gewesen, hätte mich das ganze Buch so gefesselt. Die Lovestory von so einem ungleichen Paar wie Nina (Ende 40) und David (um die 30) hätte wirklich eine Kaskade an tollen Ideen mit sich bringen können, nicht nur zum Lachen, vielleicht auch zum Weinen, oder eben zum Nachdenken. Aber ich wurde zugeschüttet mit Selbstzweifeln, nicht nur von den beiden, sondern auch von ihrer Schwester Lena. Die zweite Frau von Ninas Ex-Mann ein wahrscheinlich gebotoxtes Wesen, natürlich mit unfassbar süüüßen Kindern, der Ehemann von Lena, Flori, auch kein Highlight. Die Probleme, die man wälzt, sind Me-Too-Geschwätz und Alltagsquark. Selbstbewusstsein hat offenbar nur die Mutter von Nina und Lena, aber das trinkt sie sich wohl auch schöner als es ist. Dazu kommt noch Zeyneb, Kollegin, Freundin, Stilberaterin, Psychotante von Nina.
Zumindest die Gegend kam mir sehr bekannt vor, die Brunnenstraße rauf und runter hat aber nicht viel gebracht. Es wurde und wurde einfach nicht spannend und lustiger auch nicht. Schade. Ob ich noch einmal weiterlese, weiß ich noch nicht.

Bewertung vom 09.12.2024
Roter Sommer
Harbour, Berna Gonzalez

Roter Sommer


ausgezeichnet

Hochspannungssommer

Berna González Harbour, von dieser Autorin habe ich bisher nichts gelesen oder gehört. Der Pendragon Verlag hat da einen kleinen Edelstein entdeckt, dass es das Debüt der Autorin sein soll, das glaubt man kaum, so routiniert zieht sich ihr roter Spannungsfaden durch das Buch.
Der Krimi spielt im Sommer der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 und ist damit für die Spanier sowieso schon ein heißer roter Sommer. Ständig fallen Tore und überall wird mitgefiebert. Dass Spanien am Ende sogar Weltmeister wird, ist natürlich toll, aber mit dem Krimi hat das nichts zu tun. Hier zählt anderes als die Tore von Villa oder Iniesta.
Zwei verschiedene Morde, zwei verschiedene Tatorte, sehr verschiedene Protagonisten, viele Gefahren und jede Menge Spannung birgt dieser Kriminalroman, dass schon fast ein Thriller ist. Nur langsam kann Comisaria María Ruiz den berühmten roten Faden entdecken, der schon 40 Jahre zuvor von ihrem Gegenspieler, dem Journalisten Luna, einmal angefasst wurde. Der Täter bleibt lange Zeit im Dunklen, wie auch der Anlass für den Titel „Roter Sommer“. Der Leser muss sich gedulden, aber er wird belohnt.
Aufgeklärt werden die Morde an zwei jungen Männern, deren gemeinsamer Hintergrund in den Untiefen der katholischen Kirche, in vertuschten Fällen von Kindesmissbrauch durch die ehrwürdigen Priester zu finden ist. Wie sich dieser widerwärtige Fall bis zum Ende der Aufklärung widersetzt, ist hochinteressant und spannend zu lesen. Die Autorin schreibt in einem sehr authentischen Stil, da fallen schon einmal Schimpfwörter, aber aus meiner Sicht ist es die gut eingefangene Sprache des Alltags der Polizisten und Kriminellen.
Sehr sympathisch ist die Rolle der Comisaria, die einige Male bis an die Grenzen des Erlaubten und auch ihrer eigenen Leistungsfähigkeit geht. Erst ganz am Ende wird dem Leser ihr psychisch belastendes Geheimnis enthüllt. Ihr Kollege und einmaliger Liebhaber Tomás ist sehr um sie besorgt, auch wenn sie seine Vorgesetzte ist. Diese Beziehung setzt zusätzliche Spannungspunkte.
Den Gegenpart Luna hat die Autorin sehr realistisch geschildert, der Vollblutjournalist, der vor dem Ende seiner Karriere steht und doch immer noch die wilde Recherchelust im Blut spürt, den habe ich sehr ins Herz geschlossen.
Beiden sehr ans Herz gewachsen ist der ehemalige, nun pensionierte und kranke Kriminalpolizist Carlos, der auf seine Weise mit beiträgt zur Aufklärung dieses verzwickten doppelten Mordfalls.
Weniger angenehm sind die Begegnungen mit den Klerikalen, die nichts an sich heran- und alle Vorwürfe abperlen lassen. Es tut gut, wenn man weiß, dass einige zur Verantwortung gezogen werden können. Es tut jedoch nicht gut, wenn man weiß, dass an Stelle der abgeschlagenen Köpfe dieser Schlangen wieder neue nachwachsen.
Fazit: Ich empfehle dieses Buch gern weiter, mir hat es trotz des schwierigen Themas sehr gut gefallen, es liest sich flott und am Ende wünschte ich mir eine Fortsetzung mit Comisaria María, mit Tomás und Luna.

Bewertung vom 05.12.2024
Ich trug den gelben Stern (MP3-Download)
Deutschkron, Inge

Ich trug den gelben Stern (MP3-Download)


ausgezeichnet

Niemals unterkriegen lassen!
Das Hörbuch ist die Vertonung der schon 1978 erschienen Autobiografie von Inge Deutschkron. Sie beschrieb ihre Erlebnisse und ihren Lebensweg, den sie als Jüdin in Deutschland nicht in die Gaskammern der Nazis ging. Schon dies ist für die 1925 geborene Frau ein bemerkenswertes Alleinstellungsmerkmal, nur einigen zehntausend Juden gelang das Überleben, sechs Millionen Juden starben im Holocaust. Ich beschäftige mich seit langem mit diesem unmenschlichen und unglaublichen Phänomen. So hörte ich vor Kurzem auch die Sprecherin Chris Nonnast das Hörbuch „All die gestohlenen Erinnerungen“ lesen, dass sich mit dieser Thematik aus der heutigen Sicht einer Mitarbeiterin von Arolsen Archives (früher ITS) beschäftigte. Chris Nonnast hat jetzt ein weiteres Mal gezeigt, dass sie sich hundertprozentig in die Zeit und die Protagonisten der Bücher hineinversetzen kann. So kam mir Inge Deutschkron sehr nahe, ich konnte mit ihr mitfühlen und ihre Ängste verstehen. Trotzdem ist es mir ein Rätsel, wie ihr mit ihrer Mutter das Überleben gelang.
Inge Deutschkron hat in den 1940er Jahren in der Werkstatt von Otto Weidt – teilweise mit falscher Identität – gearbeitet. Im Dokudrama „Ein blinder Held – Die Liebe des Otto Weidt“ ist es die Autorin, die durch die Handlung führt. Ich habe mir danach die Ausstellung in Berlin in den Hackeschen Höfen angeschaut, da bekam alles noch mehr Gewicht. Beim Hörbuch fiel es mir deshalb nicht schwer, einen Film im Kopf ablaufen zu lassen. Das Gehörte war sehr real. Mich freut es im Rückblick, dass es doch so viele Menschen gab, die sich unter Gefahren um jüdische Mitbürger gekümmert haben. Ich bin ihnen zutiefst dankbar, auch wenn meine Verwandten in Deutschland keine schützende Hand hatten, so haben doch einige in der rechtzeitigen Emigration ihr Leben retten können. Die Bitternis, die nach dem Krieg nicht nur bei Inge Deutschkron aufkam, dass sie eine der Auserwählten war, aber viele andere egal wo, in Auschwitz oder Bergen-Belsen, ermordet wurden, kann ich gut nachvollziehen.
Es wäre schön, würden Bücher, Hörbücher, egal ob Berichte oder Fiktion, zu diesem Thema immer wieder erscheinen. So wie dieses Hörbuch 46 Jahre nach Ersterscheinen nun zum Nachdenken einlädt. Danke an Aufbau audio, ein wunderbar erzähltes, trauriges Stück Zeitgeschichte lassen Sie lebendig werden. Von mir eine absolute Hörempfehlung.

Bewertung vom 28.11.2024
Drei Tage im Juni
Tyler, Anne

Drei Tage im Juni


ausgezeichnet

Ungewisse Liebe
Mein erstes Buch der amerikanischen Autorin Anne Taylor, die mit über Achtzig einen wunderbar frischen, lebenshungrigen und liebenswerten Roman geschrieben hat. Sie lebt in Baltimore, und sie hält das Brennglas, in dem der Leser die Geschichte und die Protagonisten sieht, genau darüber. Obwohl diese Geschichte so in jeder anderen Stadt passieren könnte, freundete ich mich mit Baltimore und Gail, der geschiedenen Lehrerin und noch stellvertretenden Direktorin einer Schule schnell an. Dass ihr ihre Vorgesetzte Sozialkompetenz abspricht und außerdem die Neubesetzung ihrer Stelle mit einer jüngeren, natürlich kompetenteren Frau ankündigt, rüttelt an Gails Grundfesten. Und das zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt: Am nächsten Tag soll die Hochzeit ihrer Tochter Debbie stattfinden. Die drei Tage im Juni sind der sogenannte Schönheitstag für die Braut vor der Trauung, der Hochzeitstag und dann der Tag danach. In diesem schmalen Zeitfenster lernt der Leser aber alles über Gail, ihr Leben, ihre Ehe mit Max und das Aufwachsen von Debbie. Dass am Schönheitstag dann vor Gails Tür ihr Exgatte Max mit einem Katzenbehälter steht und um „Asyl“ bittet, weil der Bräutigam gegen Katzenhaare allergisch sein soll, bringt Gail an diesem Tag ein zweites Mal aus dem Gleichgewicht. Das ist sehr amüsant, ironisch und selbstironisch zu lesen, Anne Taylor macht es dem Leser leicht, ihrer Gail zuzuhören und zu folgen. Max wirkt manchmal ein bisschen vertrottelt und verlottert, aber Gail und Debbie haben ihn gut im Griff, sodass er dann doch halbwegs passabel auch zu Hochzeit erscheint. Das Drumherum liest sich vergnüglich bis besinnlich, dem Ende der Geschichte will ich auf keinen Fall vorgreifen, es ist aus meiner Sicht sehr gut gelungen.
Fazit: eine Ehe- und Familiengeschichte, die so ungewöhnlich nicht ist, aber in diesem Buch wirklich sehr lesenswert dargeboten wird. Mir hat es so gut gefallen, dass ich gern fünf Sterne vergebe.
#DreiTageimJuni #NetGalleyDE

Bewertung vom 12.11.2024
Gefährliche Betrachtungen
Eckardt, Tilo

Gefährliche Betrachtungen


sehr gut

Thomas Mann – kein Sherlock Holmes, aber ein echter Dichterfürst

Nun also von Tilo Eckardt – literaturverbundener und -verliebter Deutsch-Schweizer – ein Kriminalroman, den der Autor zu einer hochbrisanten Zeit spielen lässt und mit Nidden, der Mann‘schen Zuflucht an der litauischen Ostsee, einen idyllischen Ort des Geschehens wählt. Ich konnte gar nicht anders, als dieses Buch auszuwählen, mit dem Zauberberg als ewiges Lieblingsbuch und mit der Zeit der 1930er Jahre und dann noch mit einem Kriminalfall, waren alle Register meines Interesses gezogen.
Tilo Eckardt hat sich an seinem Thomas Mann gut geschult, er hat einen Schreibstil und eine Wortwahl entwickelt, die dem Dichter zu Ehren gereichen würden. Als Leser amüsiert man sich über längst nicht mehr gebräuchliche Ausdrücke, wenn „fürderhin Eindringlinge abzuschrecken“ sind, Frau Bryl den einen oder anderen „Choc“ bekommt, sich einen „Shawl“ umlegt oder ein Herr ein „Plastron“ trägt. Mich erinnerte diese Art des Schreibens jedenfalls sehr an die Mann’sche Art, alles langsam und mit einem Gespür fürs Detail zu erzählen. Nicht umsonst zählt der Zauberberg rund tausend Seiten, auch die Buddenbrooks brachten es auf über siebenhundert. Da hat Tilo Eckardt seinen Kriminalroman regelrecht kurzweilig zum Ende gebracht, inklusive der Anmerkungen des Autors, die man unbedingt noch lesen sollte, wurden es gerade einmal 298 Seiten. Mir kamen sie gelegentlich trotzdem etwas lang vor, aber ab Kapitel Sechzehn bekam das Buch doch noch einen enormen Schwung und das Lesen machte wieder Spaß.
Der Blick auf den sich 1930 gerade in die Höhe schwingenden Nationalsozialismus, auf Bespitzelungen und Anfeindungen von politischen Gegnern, auf den Versuch, sich nicht mundtot machen zu lassen, auf die Künstlerschaft in Nidden und die einfachen Leute, das wurde alles sehr fein zu Papier gebracht und lohnt das geduldige Lesen.

Fazit: ein Roman ganz im Stile Thomas Manns, der erst zum Ende hin ein echter Kriminalroman wird und den gewogenen Leser sehr in seinen Bann zieht.

(gekürzt wegen Zeichenbeschränkung)

Bewertung vom 10.11.2024
Wir finden Mörder Bd.1
Osman, Richard

Wir finden Mörder Bd.1


sehr gut

Krimineller Lesespaß

Wer würde zugeben, nicht den Donnerstagsmordclub von Richard Osman zu kennen? Keine Frage, Osman hat sich in den letzten Jahren mit dieser Serie einen Leserkreis erobert, der wirklich angetan ist von seinen Büchern. Jetzt wurde umgesattelt, "Wir finden Mörder" ist seine neue, gänzlich anders geartete Krimi-Serie.
Das Buch startet am Pool, Amy Wheeler, Bodygard für die alternde und momentan schutzbedürftige Krimischriftstellerin Rosie D'Antonio, fühlt sich eher als Anstandsdame oder Babysitter. Beide Frauen geraten im Laufe der Handlung dann aber doch in securitywürdige Situationen. Amys Schwiegervater und Ex-Kriminalkommissar ist einer der unzähligen Protagonisten, es gibt da noch den sehr eloquenten, die Handlung vorantreibenden Kriminellen François Loubet, seine Marionetten, einige Polizisten und ab und an einen Toten. Man kann die Geschichte mit ihren minütlich wechselnden Wendungen, Handlungen und Personen nicht nacherzählen. Einerseits würde anderen Lesern die Spannung genommen und andererseits ist es kaum möglich, den feinen Spott und Humor von Osman zu kopieren.
Für meinen Geschmack wechselten Protagonisten und Ereignisse zu häufig, meine Konzentration ließ leider auch dann nach, wenn Loubet sich selbst beweihräucherte. Die zumeist kurzen Kapitel lesen sich aber flüssig und lassen einen bei der Lektüre nicht nur einmal schmunzeln.
Das Buch hat bei mir für gute Unterhaltung gesorgt. Das halte ich besondere den beiden Sprechern zu Gute, die sich adäquat in die einzelnen Szenen hineinlasen. Ich habe nämlich parallel das Hörbuch gehört. Wer also lieber hört als liest, nehme dies als Empfehlung.
Ich bin gespannt, was diesem fulminanten Feuerwerk an Ideen in einem zweiten Band folgen wird. Osman-Fan bleibt Osman-Fan!