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Juma

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Insgesamt 139 Bewertungen
Bewertung vom 27.02.2025
Gesund mit Visite - Bluthochdruck
Visite

Gesund mit Visite - Bluthochdruck


ausgezeichnet

Kleiner, feiner Ratgeber

Der NDR mit seiner Visite-Sendung und den Ernährungs-Docs ist mir schon lange ein Begriff, auch von den gesunden Rezepten in Buchform habe ich schon profitiert (So einfach geht gesund essen), jetzt liegt mit dem Bluthochdruck-Buch etwas Neues auf meinem Tisch. Ein kleiner Ratgeber, überschaubar in Größe und Umfang, sehr ansprechend gestaltet. Besonders freue ich mich darüber, dass auch das Vorwort von Vera Cordes, die sonst Visite im TV moderiert, einen angenehmen Ton anschlägt und vor allem, dass ich gesiezt werde. Ratgeber-Autoren habe leider oftmals die Angewohnheit, ihre Leser von vornherein zu duzen, wenn man 70 ist, findet man das nicht unbedingt angemessen. Also dafür schon mal ein herzliches Danke an das Verlagsteam.
Zum Cover: es spricht an! Und jedes Zipfelchen Papier wurde genutzt. Die vordere Klappe gibt dem Leser einen kurzen Überblick, was ihn im Buch und mit dem erhöhten Blutdruck erwartet bzw. was vom Leser erwartet wird. Im Inneren erweist sich dieser Vorgeschmack als berechtigt. Gut lesbare Texte (Schriftgröße und Papier/Papierfarbe sind stimmig), die Grafiken übersichtlich und einprägsam. Fragen und Antworten sind komplex, verständlich und hilfreich. Sehr gut gefiel mir der Beitrag von Prof. Metzner.
Nach den ersten 50 Seiten beginnt ein ab wechslungsreicher Rezeptteil. Schön finde ich die Idee, die Rezepte für zwei Personen zu berechnen, das entspricht zumindest meinem Bedarf. Wobei ich noch nicht weiß, ob auch mein Gatte an allen Gerichten Freude haben wird. Aber dann könnte ich ja für mich auf „Vorrat“ etwas zubereiten und ihm was Herzhaftes kochen. Auf jeden Fall probiere ich einmal das Orientalische Hähnchen-Couscous. Das schmeckt mir schon beim Lesen!
Im dritten und letzten Teil beschäftigt sich der Ratgeber mit dem Bewegungskomplex. Ich schreibe bewusst nicht Sport, weil das für manchen Leser vielleicht abschreckend ist. Es geht einfach um ein paar Übungen, die fast jeder machen kann und die sich ohne Fitnessstudio umsetzen lassen. Dann geht es noch um die Seele und was jeder seiner eigenen Seele Gutes tun kann. Man muss nur dran denken und es nicht immer verschieben.
Zu guter Letzt die hintere Umschlagklappe mit einem besonderen Augenmerk auf dem Salzverbrauch, der (wie der Zuckerverbrauch) einen erheblichen Einfluss auf den Blutdruck hat. Gute Ratschläge, im Alltag gar nicht so leicht, sie immer zu berücksichtigen. Aber es ist schon gut, wenn man immer daran denkt, das wird den Salzverbrauch vielleicht fast selbstständig etwas verringern.
Fazit: Wer mit hohem Blutdruck konfrontiert ist, oder ihn vermeiden möchte, ist mit diesem Ratgeber bestens beraten. Mehr braucht man gar nicht. Von mir 5 Sterne.

Bewertung vom 26.02.2025
Für Polina
Würger, Takis

Für Polina


ausgezeichnet

„… AND MOVED MY HEART“

Dieser neue Roman von Takis Würger hat nicht nur, wie ich es im Titel zitiere, mein Herz bewegt, er ist mir tief eingedrungen in Herz und Seele und Verstand. Ich habe vor Jahren „Stella“ gelesen, seitdem sehr viel anderes, aber kein weiteres Buch von ihm. Das könnte sich nun auch rückwirkend ändern. Ich habe schon einige Rezensionen zu „Für Polina“ gelesen, die allermeisten Leser sind begeistert und berührt. Da stimme ich gern zu. Der Inhalt wurde jedoch schon oft genug beschrieben, das will ich also nicht wiederholen.
Was mich an diesem Roman besonders fasziniert hat, ist die Tatsache, dass ich ein recht unmusikalischer Mensch bin, aber bei diesem Buch von der ersten bis zur letzten Zeile immer das Gefühl hatte, ich hörte leise im Hintergrund Musik und lauschte „dem Rhythmus“ der Wörter von Polina und der Gedanken von Hannes. Dieses ungleiche Königskinderpaar ist ein literarisches Geschenk, man kann sich ihrer Geschichte hingeben, egal ob sie zusammen sind oder getrennt. Hannes, der zierliche und willensstarke junge Mann, wird zu jedermanns Überraschung ein MOVER, ein Möbelpacker mit ganz besonderen Fähigkeiten. Die versteckt er gut, auch seine Gedanken und Gefühle hält er unter Verschluss. So fällt es nicht nur Polina schwer, ihn zu erkennen und zu durchschauen.
Im Zusammenhang mit Erkennen und Durchschauen erfand Takis Würger eine der wunderschönsten Wortschöpfungen heutiger Zeit: die Schwerbegrifflichen. Davon gibt es wahrlich genug. Hannes gehört definitiv nicht in diese Kategorie, auch wenn er manchmal länger über etwas nachdenken muss, ehe er sich Klarheit im Kopf verschaffen kann. Bei ihm könnte man das eher Sezieren als Nachdenken nennen.
Die jahrelange Freundschaft zu seinem Arbeitskollegen Bosch ist etwas ganz Besonderes in diesem Roman. Ich habe diese Figur, den türkischen Möbelträger mit dem großen Herzen, in mein eigenes Herz geschlossen wie einen guten Freund.
Auch die anderen Protagonisten, die nach und nach auftauchen und bisweilen wieder verschwinden, beschreibt Takis Würger wahrhaftig und genau, egal wie groß oder klein ihre Rolle im Roman ausfällt. Niemand ist nur da, alle hinterlassen Spuren. Besonders Hannes‘ Mutter bleibt bis zum Ende des Romans immer im Gedächtnis, in seinem und in meinem auch. Dazu trägt auch die Figur des Heinrich Hildebrand bei, der tiefer in Hannes Seele schaut als alle anderen. Bisweilen geht auch Materielles verloren, bisweilen taucht es wieder auf. Jede Seite bringt eine andere Überraschung ans Licht.
Ein Zitat habe ich mir bis zum Ende aufgehoben: „Vielleicht ist Liebe nur ein anderes Wort für Hoffnung.“ Diese Erkenntnis behalte ich in Erinnerung. Und freue mich auf Neues und Altes von Takis Würger. Ich habe gelesen, dass er unter anderem in Cambridge Ideengeschichte studiert hat, das passt gut zu seiner überraschenden Leichtigkeit und Finesse in der Wahl jedes Wortes, in der Formulierung jeder Idee. Für mich ist dieses Buch dadurch ein literarisches Feuerwerk geworden, und ich fühlte mich wie ein Freischwimmer im Rhein bei Basel, der vom Fluss der Worte hinweggetragen wird und am Abendhimmel dem Feuerwerk mit Musik zusieht.
Fazit: Für mich schon jetzt das schönste Buch des Jahres, und unbedingt buchpreisverdächtig. Mehr als 5 Sterne sind ja leider nicht möglich.

Bewertung vom 26.02.2025
Wir hätten uns alles gesagt
Hermann, Judith

Wir hätten uns alles gesagt


ausgezeichnet

Aufmachen und zumachen – man sagt sich niemals alles

Beinahe zwei Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen von „Wir hätten uns alles gesagt“ fiel mir dieses Buch auf, ich nahm es und verschlag es in kaum drei Tagen. Es ist nicht dick, aber es ist inhaltsschwerer als mancher 1000-Seiten-Roman. Von Beginn an fesselten mich einige Details, Übereinstimmungen, Erinnerungen an meine eigene Kindheit und Jugend: Die Autorin und ich tragen den gleichen Vornamen, sie wuchs wie ich in Berlin auf – sie im Westen, ich im Osten – mit ihrer Oma im Haushalt, auch bei ihr gab es Pellkartoffeln, Quark und Leinöl, es nannte sich nur anders. Auch später gab es etwas, das mich nicht losließ, ihr Kind. Ihr Kind ist ein Junge, aber sie spricht von ihm immer, egal wie alt, von ihrem Kind. Mein erstes Kind war ein Mädchen, ich habe nie von ihr als Tochter gesprochen, immer war sie mein Kind. Mein Kind mochte das nicht, sie fand es anonym und befremdlich, für mich war „mein Kind“ schon da, als es noch nicht geboren war, und es blieb dabei, verbunden, als wäre die Nabelschnur noch dran. Wie das Kind von Judith Hermann diese Bezeichnung findet, das weiß ich nicht, es kommt nie zur Sprache.
Zur Sprache kommen die Eltern, die besondere Problematik des Vaters, der für Jahre in einer psychiatrischen Klinik lebt, die Problematik der Mutter, die immer alles aushält, am Ende werden beide trotzdem füreinander da sein. Das ist tröstlich. Zur Sprache kommt die Freundin Ada, die sich in den Gedanken und Gefühlen der Autorin einnistet wie ein Kuckuckskind. Die immer da ist, auch wenn jahrelange Funkstille herrscht, die Ruhe und Selbstvertrauen ausstrahlt, erdet. Und dann ist da Jon, der erst im dritten Teil auftaucht, aber als Partner zu sehen ist, der sich schwertut mit den Gedanken, Geheimnissen und den Worten, die an beiden haarscharf vorbeigehen, ohne beim anderen Gehör zu finden. Hier findet sich auch der Titel des Buches, aber da weiß man schon, dass man sich niemals alles sagen kann und will. Weder im Buch noch im echten Leben.
Daran sind auch die Träume schuld, sie verweben mit den Tatsachen, die Geschichten werden Träume, die Träume werden Wahrheit oder Lüge. Nichts ist wie es scheint. Und trotzdem wird die Autorin von einem Abend erzählen mit ihrem Vater, sie gehen ins Theater und danach suchen sie im Überangebot ein passendes Restaurant. Der so oft fremd und entrückt wirkende Vater wird ihr unvergesslich um Mitternacht zum Geburtstag gratulieren. Das ist etwas, was ich mit der Autorin nicht gemein habe, mein Vater schickte im besten Fall seinen Fahrer mit einem Geschenk, und das meist am falschen Tag. Bei mir hat die Geburtstagsszenerie ein ganzes Kinderleben an Erinnerungen heraufbeschworen.
Wir machen auf und wir machen zu, unser Leben passiert genau dazwischen. Hermann schreibt „Altwerden ist was für Helden. … Es ist eine absolute und bodenlose Zumutung.“ Ja, stimmt, nur bin ich 15 Jahre älter als sie und kann ihr nur raten, sich diesen Satz noch etwas aufzuheben. Ja, es gibt „immer mehrere Wahrheiten“, das Leben, die Träume, die Gedanken.
Selbst die Pandemie wurde mit dem Schreiben, Lesen, Denken und Erinnern einfacher, endlicher, löste sich auf in verpassten Gelegenheiten und angenehmer Einsamkeit. Rückblickend eine Farce, wenn auch tödlich, so doch nur sanfter Erinnerung wert.
Gerne hätte ich die Poetikvorlesungen von Judith Hermann gehört, um noch länger und intensiver in ihrer Gedankenwelt zu schweben. Obwohl das Buch nicht wenige traurige, ja tragische Momente hat, bringt es mich immer wieder auf neue Ebenen, die angenehm, ruhig, vollkommen sind. Man vertreibt den inneren Dibbuk und beginnt einfach wieder von vorn.
Fazit: Judith Hermanns Buch, ihre Bücher, zu lesen, das heißt, sich darauf einzulassen. Ich habe es getan und mich in ihrer Gegenwart sehr gut gefühlt.

Bewertung vom 18.02.2025
Russische Spezialitäten
Kapitelman, Dmitrij

Russische Spezialitäten


gut

Sehr speziell

Es ist das erste Buch, das ich von Dmitrij Kapitelman gelesen habe. Das interessante Wirrwarr der Beziehungen, politischen Meinungen und russischen Einflüsse, die nicht nur seine Mutter sondern auch er und alle anderen ertragen müssen, ist schwer zu durchdringen. Kapitelmans Schreibstil ließ mich nicht eins werden mit diesem Roman, der ja auch ein Zeitzeugnis ist und sein will. Ich kenne das Leipzig von Anfang der 1970er Jahre, da lebten dort noch viele russische Soldaten in Kasernen, es gab das магазин, wir nannten es Russenladen. Ich ging dort nur wegen der schönen Bonbons hin, mehr konnte ich mir als Lehrling auch nicht leisten. So ähnlich wird es im Kapitelmanschen Spezialitätenladen auch sein.
Das tägliche Thema Ukrainekrieg macht es einem schwer, darüber mit Lächeln und Ironie zu reden bzw. zu lesen, schlimmer noch, russische und ukrainische Propaganda ertragen zu müssen, wenn man tausendsechshundert Kilometer entfernt ist von Bomben, Drohnen, Panzern und Mordmaschinerie. Für mich ist dieses Buch leider das falsche Buch zur falschen Zeit.

Bewertung vom 13.02.2025
Von hier aus weiter
Pásztor, Susann

Von hier aus weiter


ausgezeichnet

Alle meinen es immer gut

Zufällig habe ich in den letzten Wochen zwei Hörbücher von Susann Pásztor gehört, die mir sehr gefielen, es waren „Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts“ und „Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster“, dagegen ist der Titel des neuen Buchs ja schon fast minimalistisch zu nennen. Ganz im Gegensatz zum Inhalt, der sich mit den Grundfesten des Lebens beschäftigt. Susann Pásztor schreibt „Von hier aus weiter“ in der Ich-Form, sie ist Marlene, Ende 60, die Frau von Rolf, der sich mit einem Suizid aus ihrem dreißigjährigen Eheleben entfernt hat, bevor ein Hirntumor das tun konnte. Diese tragische Grundkonstellation ist der Ausgangspunkt für Marlenes neues Leben. Alle sind ihr zumindest äußerlich gewogen, sie aber springt mit ihren Gedanken zwischen Leben und Tod hin und her, die absurde Trauerfeier übersteht sie mit Hängen und Würgen. Ich war sehr gespannt, ob und wie sie sich von Trauer, Verlustangst und Valium befreit in diesem Buch.

Gänzlich unerwartet begegnet sie Jack, einem ehemaligen Schüler, und ehe sie sich‘s versieht, wohnt er vorübergehend bei ihr und bekocht sie und auch ihre Gäste auf wunderbare Weise. Hinter ihr Geheimnis kommt er aber nicht so schnell. Marlene erzählt ihm viel, aber niemals alles, so bleibt ihre Beziehung im Wagen. Als er von ihr wegen eines kleinen Notfalls zu Ida, ihrer befreundeten Ärztin und Nachfolgerin in der Praxis ihres Mannes, gebracht wird, verlieben sich die beiden vollkommen unterschiedlichen Menschen ineinander. Marlene beobachtet es staunend. Als dann ihre Freundin Wally aus Wien vermeldet, dass sie für Marlene einen Brief von Rolf hat und ihn nur persönlich übergeben darf, beginnt ein modernes Roadmovie seinen Lauf zu nehmen.

Der Schreibstil ist ganz wunderbar und wenn man selbst in dem Alter der Protagonistin ist, wird es noch interessanter. Susann Pásztor hat ein großes Talent, ihre Protagonisten auch noch die schwierigsten Themen auf leichte, liebevolle Art bewältigen zu lassen. Das Buch ist nicht besonders umfangreich, aber es lohnt sich jede Minute des Lesens. Ironie, eine Portion Spaß und psychologischer Tiefgang werden aufs Feinste gemischt. Gute Unterhaltung!

Fazit: Manchmal ist das Ende ein neuer Anfang. Sehr feinfühlig erzählt. Meine Lese- und später Hörempfehlung fürs Frühjahr 2025. Volle 5 Sterne.

Bewertung vom 13.02.2025
Die Allee
Anders, Florentine

Die Allee


ausgezeichnet

Zwischen den Mühlsteinen der „Unbegabten“

... Hermann Henselmann hat nicht nur im Buch tiefe Spuren hinterlassen, sein architektonisches Erbe geht weit über Berlin hinaus. Obwohl dieser Mann nicht gerade der Sympathieträger des Romans ist, erkenne ich in seinen Arbeiten, aber auch in unvollendeten Projekten eine große Entschlossenheit und Perfektion. So manche verworfene Idee würde noch heute Bestand haben und die Welt verschönern. Für mich war insbesondere der Strausberger Platz mit dem Haus des Kindes und dem Haus Berlin immer einer der schönsten Orte in Ostberlin, früher und auch jetzt noch. ...
(gekürzt)
... Und ich zolle auch Florentine Anders großen Respekt für ihre exakten, bestimmt langwierigen Recherchen. Diese werden gerade in der Familie nicht leicht gewesen sein. Wer sieht schon gern sich oder die Verwandten in kritischem Licht, benennt Fehler und Fehlentscheidungen; besonders wenn es um Vater und Mutter oder Geschwister geht, ist das oft sehr problematisch und schmerzhaft. Gerade deshalb bewundere ich das Ergebnis, den vorliegenden Roman, umso mehr. Mit den vielen Familienmitgliedern, ihrem prallen Leben und den rund 70 Jahren deutscher Geschichte, die in diesem Roman stecken, ist es der Autorin gelungen, weit unter 400 Druckseiten zu bleiben und das Buch nicht zu überfrachten. Ein echtes Lesevergnügen.

Fazit: Eine ergreifende Familiengeschichte, ein Berlin- und Architekturroman vom Feinsten. Von mir eine große Leseempfehlung und gern mehr als fünf Sterne.

Bewertung vom 12.02.2025
Lindenblütenzeit
Wernicke, Simona

Lindenblütenzeit


ausgezeichnet

Berührende Liebes- und Zeitgeschichte

Den ersten Roman von Simona Wernicke habe ich regelrecht verschlungen, Kornblumenzeit war eines der bewegendsten Bücher über Liebe und Tod und Vertreibung aus Ostpreußen. Der Zeitraum, in dem der neue Roman von ihr spielt, ist in etwa der gleiche. Von den 1920er Jahren bis weit in die Nachkriegszeit begleitet der Leser die Familien. Lindenblütenzeit erzählt die Geschichte von Clara, dem Mädchen vom Lande nicht weit von Berlin. Die Hauptstadt ist auch das Traumziel von Clara, die weg möchte aus der Enge und vom alltäglichen Einerlei auf dem Bauernhof. Sie schafft den Absprung in die weite Welt, aber geschenkt wird ihr nichts. Zuerst ist es die Akkordarbeit bei Bolle, die sie schwer erträgt, später ist sie Verkäuferin in einem kleinen Laden. Auch das ein harter Job, sechs Tage die Woche von früh bis spät. Und abends schläft sie erschöpft auf einem Strohsack bei ihrer Tante ein, der gerade mal noch Platz im Wohnungsflur gefunden hatte.
Erst als Clara Otto kennenlernt, sieht sie ein Licht am Horizont. Er ist Friseur und macht etwas her, wie man damals sagte. Es dauert nicht sehr lange und Otto, ihre große Liebe, ist auch der Vater ihres noch ungeborenen Kindes. Otto möchte sich nur zu gern selbstständig machen und es beginnt die hektische Suche nach einer Ladenwohnung. Das, was sie dann finden, ist bei weitem nicht mit dem Traum vom guten Leben vereinbar, dunkel und feucht, in einem Arbeiterviertel in Berlin. Aber alles findet sich, Clara beißt sich durch, es wird geheiratet, das erste Kind kommt. Und es wird nicht das letzte sein. Clara hat ein schweres Leben, wer heute heiratet und Kinder bekommt, hat es da wesentlich komfortabler. Man sollte die Beschreibungen in diesem Buch nicht als Klischee abtun, es ging vielen Frauen so, und manchen noch schlimmer.
Weltwirtschaftskrise, aufkommender Nationalsozialismus, Judenverfolgung und Kindererziehung im Sinne Hitlers, der 1939 beginnende Krieg, Otto wird eingezogen, Clara erlebt Bombennächte. Jeder sollte selbst lesen, wie tapfer Clara und die Kinder all das erleben und überstehen. Auch wie es nach dem Krieg für Clara weitergeht, ist kein Einzelfall, und doch wird es in diesem Buch zu einer zutiefst berührenden Geschichte.
Die Protagonisten sind alle charakterlich sehr lebensecht beschrieben, jeden kann man sich vorstellen, seien es die Eltern und Geschwister von Clara oder ihre eigenen Kinder, die Kunden im Laden. Auch Clara und Otto, beide gemeinsam und jeder für sich allein sind bemerkenswerte Romanfiguren.
Besonders Ottos Kriegserlebnisse fernab der Heimat, zeitgleich mit dem harten Schicksal, das Clara tragen muss, bergen viel Traurigkeit, es gab Stellen die mich fast zu Tränen rührten. Nicht jedes Buch kann das.
Simona Wernicke hat einen sehr natürlichen und gut lesbaren Schreibstil, ihre Dialoge sind lebensecht und nicht zu lang. Mir hat das Lesen dieses Buchs Freude gemacht, auch wenn es mitunter keine leichte Kost war.

Fazit: Dieser Roman ist eine Geschichtsstunde der besonderen Art, von mir ein große Leseempfehlung.
5 Sterne

#Lindenblütenzeit #NetGalleyDE

Bewertung vom 11.02.2025
Rückkehr nach Budapest
Kiss, Nikoletta

Rückkehr nach Budapest


gut

Im Dreieck von Liebe, Verlust und Hoffnung
Nikoletta Kiss erzählt die komplizierte Geschichte von Márta, Theresa und Konstantin, aber auch von Mártas Familie in den 1980er Jahren in Ungarn und der DDR. Die Ich-Erzählerin Márta erinnert sich an Ereignisse und Gefühle, die lange zurückliegen, aber immer noch schwer zu durchschauen sind. Sie besuchte Ostberlin, fühlte sich hin- und hergerissen. Als Theresa Jahre später stirbt, kommen bei Márta die Erinnerungen ungefiltert zurück. Mártas Ehemann András fällt es nicht leicht, das Seelenchaos zu ertragen.
Besonders das, was nicht ausgesprochen wurde und wird, liegt allen - auch später - schwer im Magen. Theresa war die Exzentrische, Konstantin der Rebell, Márta musste sich abnabeln, auch von ihren Eltern, wenn sie nicht untergehen wollte.
Es ist ein Wechselspiel, keine leichte Lektüre, die wechselnden Zeitebnen und vielen Episoden machten es mir nicht leicht. Erst ganz am Ende, das ich hier nicht vorwegnehmen will, wirkt das Buch ruhiger und auch auf mich irgendwie beruhigend.

Bewertung vom 27.01.2025
Gussie
Wortberg, Christoph

Gussie


ausgezeichnet

Bewegende Lebensbeichte einer starken Frau
Der Autor Christoph Wortberg ist an Vielseitigkeit kaum zu übertreffen: ein Schauspieler, Drehbuchautor und Schriftsteller. Und beim Hören/Lesen merkt man jedem Satz an, dass er Germanistik, Geschichte und Philosophie nicht nur studiert hat, sondern auch von Herzen liebt.
„Gussi“ ist Auguste, die Ehefrau von Konrad Adenauer, und im Jahr 1948 auf dem Totenbett lässt Wortberg sie zurückblicken auf ihr ganzes Leben, das nur 52 Jahre währen wird. Das Leben von Gussi als Kind, mit einem über alles geliebten Vater ist lehrreich und bringt ihr ein gesundes Selbstvertrauen. Zur Mutter besteht ein unterkühltes Verhältnis, das auch kurz vor Gussis Tod kaum wärmer wird. Mit 24 Jahren lernt Gussi Konrad Adenauer als Wittwer mit drei Kindern kennen, er ist 19 Jahre älter als sie und sehr angetan von ihr. Sie wagt einen ungeheuren Schritt und wird die Mutter dreier Kinder, die ihr langsam Vertrauen und später ebenso viel Liebe entgegenbringen werden, wie ihre eigenen. Doch zuerst erleidet das Ehepaar Adenauer den Verlust ihres Erstgeborenen, von diesem wird sich niemand in der Familie jemals gänzlich erholen. Aber Gussi bekommt weitere Kinder und ein durchaus vollkommenes Familienleben entwickelt sich, der Vater Konrad ist Oberbürgermeister von Köln und macht sich einen Namen. Gussis Verhältnis zu ihrem Vater bleibt innig und zugewandt, in ihm findet sie auch später viel Trost und Unterstützung.
Immer wieder schwenkt der Autor von den Erinnerungen Gussis in ihr Krankenzimmer, man weiß, Gussi wird es nie mehr verlassen und doch gibt es Lichtblicke. Die Krankenschwester Geli kümmert sich rührend um sie und fasst tiefes Vertrauen. Der Vater besucht sie, auch die Kinder und Konrad, jeder versucht ihr das restliche, schmerzvolle Leben zu erleichtern. Je mehr jedoch der Tod näherkommt, umso mehr bedrücken sie die Gedanken an die Zeit des Faschismus, an den Krieg, an Konrads Verhaftung und den unausweichlichen, doch so furchtbaren Ausgang ihrer geglückten Befreiungsaktion.
Mehr möchte ich nicht preisgeben von diesem eindrucksvollen fiktionalen Geschichtsroman. Mir hat dieser ausnehmend gut gefallen, auch wenn er sehr traurig und bedrückend erzählt. Die Wortwahl, die eingebauten Briefe, insbesondere der Briefwechsel zwischen Gussi und ihrem Vater, der Schreib- und Erzählstil sind so emotional aufgeladen, dass es mir sehr zu Herzen ging. Die Schauspielerin Claudia Michelsen ist Herz und Seele dieses gelungenen Hörbuchs. Die Nominierung für den Hörbuchpreis 2025 als beste Interpretin hat sie voll und ganz verdient, ich drücke die Daumen.
Fazit: Ich spreche eine uneingeschränkte Hör- oder auch Leseempfehlung aus! Volle 5 Sterne.

#DeutscherHörbuchpreis2025 #NetGalleyDE

Bewertung vom 16.01.2025
Ein Schimmern am Berg / Commissario Grauner Bd.10
Koppelstätter, Lenz

Ein Schimmern am Berg / Commissario Grauner Bd.10


gut

10. Fall für Commissario Grauner – Rente in Sicht?
Bisher habe ich alle Fälle von Commissario Grauner gelesen, aber mir scheint, Lenz Koppelstätter sollte seinen mahlerliebenden Protagonisten doch bald in Rente gehen lassen. Die Fälle werden nicht mehr unterhaltsamer, sondern ziehen sich unter teils merkwürdigen Verrenkungen in die Länge, ohne die frühere Spannung zu erreichen.
Dieses Mal findet ein makabrer Mord in einem Laaser Marmorbruch statt, welcher für eine kulturelle Veranstaltung das passende Ambiente bieten sollte. Gefunden wird eine Künstlerin, zersägt von einer riesigen Maschine, die man sonst für Marmorblöcke einsetzt. Grauner beginnt zu ermitteln, währenddessen sein bewährtes Gespann Saltapepe und Tappeiner eine Art kombinierte Urlaub- und Hochzeitsreise in die USA unternimmt. Ermittelt wird fortan parallel dort und in Laas, denn die Marmorspuren führen auch nach New York und in Laas kommen noch vergiftete Marillenspuren hinzu. Saltapepe und Tappeiner werden dieses Mal zu Marionetten in einem recht gefährlichen Gangsterspiel.
Zwischendurch hängt bei Grauner auch noch der Haussegen schief und seine früheren Panikattacken lassen nicht lange auf sich warten. Darauf kann er aber keine Rücksicht nehmen und so ermittelt er, auf die Hilfe von Staatsanwalt Belli angewiesen, in dem undurchsichtigen Fall weiter.
Ich lese die Bücher von Lenz Koppelstätter vor allem deshalb gern, weil er einen unverwechselbaren, leicht amüsierten und amüsanten Schreibstil hat, der über manche Leerstelle hinweghilft. Die Figuren sind trotzdem recht unterschiedlich, nicht jeder Protagonist erhält seine volle Schriftstellerliebe. Grauner war und bleibt der Star der Krimiserie.
Fazit: Am Ende wird natürlich nicht alles gut, das wäre nun doch zu profan.
3 Sterne

#EinSchimmernamBerg #NetGalleyDE