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Benutzername: 
Lin

Bewertungen

Insgesamt 2 Bewertungen
Bewertung vom 15.06.2020
Wir holen alles nach
Borger, Martina

Wir holen alles nach


sehr gut

Die alleinerziehende Sina, Mitte dreißig, schlägt sich durchs Leben. Sie versucht, ihrem 8-jährigen Sohn Elvis eine "gute" Mutter zu sein, auch den leiblichen Vater einzubeziehen, als Vollzeitbeschäftigte ihrem Arbeitgeber gerecht zu werden und zudem eine neue Partnerschaft aufzubauen. Besondere Umstände führen dazu, dass sie die pensionierte Ellen kennenlernt und deren Nachhilfeunterricht und Ferienbetreuung von Elvis in Anspruch nimmt. Ein schlimmes Ereignis, das dem Jungen widerfährt, führt zu reichlich Konfliktstoff.

Martina Borger beschreibt insbesondere im ersten Teil des Romans - wenn auch nicht vordergründig - glaubhaft die Charaktere ihrer Hauptfiguren Ellen, Sina und Elvis. Wir erfahren sowohl einiges aus deren Vergangenheit als auch zur aktuellen Lebenssituation. Die drei verbindet eine Geschichte, in deren Mittelpunkt die Misshandlung von Elvis steht und die daraus resultierenden Folgen.

Die Autorin lässt den Blickwinkel von drei Generationen zu, die alle das ein oder andere Problem zu bewältigen haben. Da ist der feinfühlige 8-jährige Elvis, der den Kontakt zu seinen leiblichen Vater vermisst. Täglich sieht er, wie sich seine Mutter abstrampelt, keine Zeit für ihn hat und dennoch bringt er für sie viel Verständnis und Liebe auf. Aber genau deshalb kann er sich auch nicht mit seinen Sorgen und Nöten an sie wenden, und so bleibt das schlimme Erlebnis lange sein Geheimnis. Wie Elvis seine Probleme in der Schule bewältigt wird kaum beschrieben (leider!).

Sina hat in ihrem Leben so einige Schicksalsschläge hinter sich, eine Scheidung, eine neue, belastete Partnerschaft, der nicht verarbeitete Verlust ihrer Mutter und die Sorge um ihren Jungen, dass sie zu wenig Zeit für ihn hat, und er den Übergang zum Gymnasium nicht schaffen könnte. Dann kommt auch noch der Verlust ihres Arbeitsplatzes, Geldsorgen und endet mit dem Neuanfang an einem anderen Ort.

Da ist Ellen, mit der ich mich aufgrund meines Alters sehr verbunden fühle. Sie hat die besten Jahre hinter sich gelassen, eine turbulente Jugend, eine schöne, wenn auch kurze Familienzeit mit Partner und zwei Söhnen. Sie hatte schon in der Mitte ihres Lebens den Verlust ihres Partners hinnehmen müssen, und die Söhne sind ausgezogen, leben nicht in unmittelbarer Nähe und der Kontakt zu ihnen ist freundlich distanziert. Ellen ist seit einigen Jahren Rentnerin und muss Geld dazuverdienen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Sie konzentriert sich auf wenige, aber langjährig gute Freunde, hält Kontakt zu ihrem ehemaligen Arbeitgeber, und durch den Nachhilfeunterricht mit Elvis hat sie einen lieben und anhänglichen "Enkelsohn" gefunden. Obwohl Ellen ihr Leben scheinbar gut meistert, reflektiert die Endsechzigerin über ihr Leben, wie viel sie bereits zum "letzten Mal" getan hat, was sie nicht mehr tun wird und erwartet nichts Besonderes mehr. Das ist zwar nachvollziehbar, macht aber traurig.

Borger ist mit "Wir holen alles nach" ein zeitgenössischer und sozialkritischer Generationenroman gelungen. Die Alltagsgeschichten, in denen zahlreiche Themen ansgesprochen werden, berühren und gehen unter die Haut. Zudem ist das Buch unterhaltsam, spannend und für jedermann zu empfehlen.

Bewertung vom 15.06.2020
Kein Tee mit Mugabe
Waldschmidt, Antje

Kein Tee mit Mugabe


ausgezeichnet

Die Autorin Antje Waldschmidt erzählt in „Kein Tee mit Mugabe“ von ihrer Backpacker-Reise durch das südliche Afrika.Schon etwas Afrikaerfahren startet sie ihre Reise in der größten Stadt Südafrikas - in Johannesburg und nimmt den Leser mit durch Mosambik, Simbabwe und Sambia, wo das Ende der Reise durch den gebuchten Rückflug von Lusaka nach Deutschland von vornherein feststeht.

Typisch für diese Länder ist, dass sie derzeit leider wenig Tourismus erfahren und man eher selten auf Touristen trifft. Waldschmidts Art des Reisens, nämlich allein, Übernachtung in einfachen Unterkünften und viel zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln/Minibussen führen dazu, dass es zu zahlreichen zufälligen Begegnungen mit Einheimischen kommt und hin und wieder mal mit gleichgesinnten Backpackern. Der Leser erfährt durch die sensiblen und respektvollen Gespräche viel über Land und Leute, was weniger in einem Touristenführer nachzulesen wäre. Warum führt der SimbabwerJohannes beispielsweise eine Fernbeziehung, warum Polygamie, warum in Simbabwe wohnen und in Mosambik arbeiten oder warum kaufen die in Mosambik lebenden Blumenverkäuferinnen ihre Blumen im entfernten Simbabwe.

Besonders beeindruckt hat mich die Geschichte um die Kariba-Talsperre. Die Autorin schildert ihre Erlebnisse und Eindrücke und nutzt diese, um den Leser auch Hintergrundinformationen zu vermitteln. So wie ich das Buch verstehe, ist es nicht Anliegen der Autorin, vordergründig Geschichte und Politik der besuchten Staaten zu analysieren, sondern auf unterhaltsame Weise Episoden ihrer Reise im gesellschaftlichen Kontext zu erzählen.

Nicht zu kurz kommt bei der Autorin der Blick für Natur und Umwelt. So beschreibt sie sehr bildlich und nachvollziehbar das Paradies: die faszinierenden unberührten Inseln, Puderzuckerstrände und tolle Sonnenuntergänge.

Mir hat gefallen, dass sich die Autorin bis zuletzt treu geblieben ist und vorurteilsfrei die Dinge aufgenommen und authentisch beschrieben hat. Im Zeitalter, wo sehr viel Bilder und Geschichten in den sozialen Medien veröffentlicht werden, finde ich es angenehm, dass die Autorin zwar sehr viel Persönliches verarbeitet hat, sich jedoch nicht in den Vordergrund gerückt hat. Insofern fand ich das Bildmaterial auch angemessen.

Mir hat der Reisebericht in seiner Mischung sehr gut gefallen. Vor allem durch die Begegnungen und die Art der Fortbewegung war es weitaus mehr, als das, was ein Tourist erlebt. Die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Einschübe finde ich sehr gelungen, weil sie einfach den Reisebericht gut ergänzen. Auf jeden Fall interessant, spannend und lesenswert - auch wenn man selbst so eine Reise nicht unternehmen würde.