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Bücherwurm
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Tübingen

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Bewertung vom 28.01.2023
Die Zukunft der Ethik
Fischer, Johannes

Die Zukunft der Ethik


weniger gut

Das schmale Bändchen formuliert einen treffenden Befund: Der ethische Diskurs über das richtige Urteil vernachlässigt leider allzu oft die lebensweltliche Praxis der Betroffenen und hantiert mit abstrakten Regeln, Kategorien, Prinzipien und Normen. Aber auch wenn die Diagnose stimmt, ist der Therapievorschlag doch arg überzogen: Denn diese gelegentlichen Mängel rechtfertigen es keinesfalls, wie Fischer es tut, die Ethik insgesamt zu diskreditieren und ihr alle Problemlösungskompetenz abzusprechen. Denn zum komplexen moralischen Urteilen können selbstverständlich auch lebensweltliche, situative Einschätzungen und Erfahrungen zählen. Warum etwa sollte sein Hinweis auf die Nöte der Hinterbliebenen von Menschen, die einen Freitod wählen, nicht im moralischen Urteil mitbedacht werden können? Dazu braucht es keinesfalls eine Abkehr vom „Exklusivanspruch des urteilenden Denkens“, wie Fischer meint. Seine bunte Mischung aus Emotivismus, Präskriptivismus, postmoderner Ethikkritik à la Zigmunt Bauman und Care-Ethik, mit einem kräftigen Schuss theologischer Philosophiekritik ist jedenfalls nicht dazu angetan, das Monopol vernünftigen Urteilens und emotionalen Bewertens im ethischen Diskurs ernsthaft infrage zu stellen. Im Hintergrund mag bei dem Autor – bewusst oder uneingestanden – die Verbitterung über den Verlust der moralischen Deutungshoheit der Kirchen resp. der Religion stehen – aber das rechtfertigt es nicht, das Kind mit dem Bade auszuschütten.