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Prewalskaja
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Bewertung vom 19.10.2019
Das Schicksal köpfte meinen Mann - aber nicht unsere Ehe
Hauke, Christine

Das Schicksal köpfte meinen Mann - aber nicht unsere Ehe


ausgezeichnet

Sehr aufschlussreich!
Demenz – Abschied – Sterben – Trauer.
Die Autorin hat es am eigenen Leibe erfahren, wie es ist, jahrelang mit einem Demenzerkrankten verheiratet zu sein; ihr Buch ist eine aus der Praxis geschriebene Verstehenshilfe für Angehörige und Freunde von Demenzerkrankten. Das Buch, so dick es auch ist, liest sich gut und leicht.
Freimütig benennt und schildert die Autorin nicht nur die Fehler und Schwächen ihres „geköpften“ Mannes (vor und nach der Erkrankung) – und das ohne jede Rachsucht und Bitterkeit! –, sondern sie gibt auch freie Sicht auf die eigenen Fehler und Schwächen. Dabei bestraft sie sich aber nicht durch Selbstzerfleischung per schlechtes Gewissen; sie weiß und zeigt, wie man solche Lasten loswerden und „neu anfangen“ kann. Auch das ist ein wichtiges Stück Lebenshilfe, nicht nur für pflegende Angehörige.
Beeindruckend ist für mich, dass die bis dahin „glücklichste Single der Welt“ mit 44 heiratet (als Jungfrau) und es nun nach Strich und Faden genießt, geliebt und verwöhnt zu werden. Ihr Mann ist schon im Ruhestand, und die beiden haben viel Zeit, sich ihrer Beziehung zu freuen und sie zu pflegen.
Nach jahrelanger Pflege hat Christine Hauke das Sterben ihres Jossi nicht nur miterlebt, sondern sie schreibt auch sehr offen über die letzten Tage, Stunden, Minuten, Worte. Ich kann mich an keinen Sterbebericht erinnern, der so eingehend gewesen wäre. Eine enorme emotionale Leistung!
Ein anderer wichtiger Aspekt ist die Auseinandersetzung mit der Eifersucht ihres Mannes. Auf S. 159 zitiert Christine Hauke dazu ihre beste Freundin und Beraterin „Miss Weisheit“: „Es wäre auch wichtig gewesen, das eigene Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen mehr zu stärken, dafür aber dem selbstsüchtigen Ego eine Niederlage zu verschaffen.“ Ja, richtig, so steht es da: Selbstwertgefühl nicht als Streicheleinheit für, sondern als Mittel gegen das selbstsüchtige Ego! Mal ausprobieren. Miss Weisheit zeigt neue Wege …
Zum Generationenkonflikt fragt die Autorin (S. 203–204): „Warum ist es oft so, dass die Jungen mit den Alten und die Söhne mit den Vätern Schwierigkeiten haben? Hat dies auch mit dem Starken und Schwachen zu tun?“ Miss Weisheit antwortet: „Ja, denn das Starke wird durch das Schwache herausgefordert und in dem Maß, wie in den Jungen noch alte unverheilte Wunden vorhanden sind, ist es ihnen nicht möglich, die Alten angemessen zu ehren und wertzuschätzen. Das Starke überhebt sich. Die Jungen verachten die Alten, die Söhne ihre Väter, weil in ihnen selbst noch etwas Altes steckt, mit dem sie noch nicht versöhnt sind.“
Sehr beeindruckend war für mich, wie schön die Autorin es versteht, ihre eigenen Eltern zu ehren; dabei verschweigt sie nicht, dass sie auch Entscheidungen getroffen hatte, die ihre Eltern sich anders vorgestellt hatten. So sind diese anfangs vorsichtig bei der Beziehung ihrer Tochter zu dem um Jahrzehnte älteren Mann; doch bei der Hochzeit geben sie von ganzem Herzen ihren Segen dazu; der Vater trägt sogar ein langes Gedicht vor, das er selber verfasst hat. Übrigens: Das Gedicht steht auch im Buch, in voller Länge.
Mein Fazit: Sehr empfehlenswert und rundum wertvoll!