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Benutzername: 
Klaas
Wohnort: 
Berlin

Bewertungen

Insgesamt 2 Bewertungen
Bewertung vom 17.09.2010
Saturday
McEwan, Ian

Saturday


weniger gut

Diese Erzählung kann als Parabel auf 9/11 gelesen werden und ist als solche ein in der Gesamtschau selbstverliebter und sattzufriedener Blick nach innen.

Zur Handlung: Beschrieben wird ein Tag aus dem Leben des erfolgreichen Neurochirurgen Perowne, und dieser Tag ist nicht irgendein Tag, sondern der Tag der größten Friedensdemo, den das Vereinigte Königreich je gesehen hat. Perowne wacht bedeutungsschwanger aufgewühlt schon am frühesten Morgen auf und sieht am Himmel ein brennendes Flugzeug. Welch unheilvoller Vorbote auf den Untergang der Zivilisation, über den Perowne im Lauf der Erzählung immer wieder sinniert. ZB unter der Dusche darüber, wie sich der Untergang Roms wohl angefühlt habe, wann aus seinem Wasserhahn kein fließend Heiß- und Kaltwasser mehr käme. Darüberhinaus wird en detail das liebenswerte Leben einer liberalen Mittelstandsfamilie mit all seinen Höhen und Tiefen geschildert: Von der unerwartet schwangeren Tochter über den als Blues-Musiker erfolgreichen Sohn bis zur dementen Großmutter im Altersheim. Die Außenwelt schnurrt in diesem Rahmen komplett auf das Format von BBC-Reportagen zusammen. Nicht die geringste Reflektion über das Außen, aber ohne Ende Nabelschau. Wie bei McEwan üblich, wird viel und lustvoll gevögelt (morgens, mittags und abends mit der geliebten auch nicht gerade erfolglosen Ehefrau). Im Verlauf des Tages bricht dann der blanke Terror in Form eines hirngeschädigten Kleinkriminellen in das Familienleben ein. Am Ende landet der Täter auf Perownes Operationstisch, um durch ihn von einem Tumor befreit zu werden.

Das Gleichnis für mich: Perowne steht mit seiner Familie für das Gute, für die westliche Zivilisation. Perowne mit seinem Berufsethos für das vollkommen selbstlose, nur der Mehrung des Glücks verpflichtete Wirken des Westen. Demgegenüber steht der Kleinkriminelle für Al-Qaida, für eine rohe Welt ohne Verstand, die die universellen Prinzipien des Gott wohlgefälligen Lebens aufgrund einer Krankheit noch nicht leben kann. Es bedarf des heilsamen Wirkens des Westens, um diese universellen Prinzipien den kranken Anderen zu vermitteln. Für McEwan findet der Terror nur an einem Tag des vielleicht hundertjährigen Lebens statt, womit er vielleicht seiner Hoffnung Ausdruck geben möchte, dass der Al-Quaida-Terror wie ein Spuk wieder aus unserem Leben verschwinden möge. Sein "ehrlich und wahrhaftig" nach innen gerichteter Blick hindert ihn, irgendetwas Gutes von außen wenigstens zu erwarten. Er kann nur sagen: schaut her, all dies schöne könnte bald Geschichte sein.

Nun kann man über den Autor spätestens seit "Amsterdam", einer wirklich schwarzen Satire über das, was man hierzulande die 68er-Generation nennen würde, ohnehin geteilter Meinung sein, aber für mich offenbart hier ein eigentlich liberaler Autor seine letztendlich doch vorhandene intellektuelle Beschränktheit, wenn er für den Terror von 9/11 nur den Vergleich mit den Taten eines Hirnkranken findet. Aus einem allgemein verbreiteten Bewusstsein einer kulturellen oder moralischen Überlegenheit heraus wurde diese Erzählung geschrieben. McEwan kann nicht anders, als den möglichen Untergang der Zivilisation zu beweinen.

2 von 2 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 17.09.2010
Deutschland schafft sich ab
Sarrazin, Thilo

Deutschland schafft sich ab


schlecht

Zugegebenermaßen sind Sarrazins Thesen verführerisch auch und gerade, weil sie dem eigenen Empfinden so gut entsprechen. Außerdem macht der Herr bei seinen vielen öffentlichen Auftritten doch eigentlich eher eine gute Figur. Bescheiden, etwas schnoddrig, scheinbar immer ein bißchen schelmisch schmunzelnd, was man nur deshalb nicht sieht, weil er eine halbseitige Gesichtslähmung hat. Das von ihm präsentierte Zahlenmaterial spricht für sich. Eigentlich bräuchte es seine Deutungen gar nicht mehr. Aber die unterstützen das, was man ohnehin zu denken geneigt ist, dann nochmal durch ihren sachlichen Tonfall. Allerdings habe ich kein gutes Bauchgefühl gehabt, weil seine Folgerungen oft kühl und irgendwie nicht "menschengerecht" auf mich wirken. Die Gedanken eines vollkommen uneingefühlten Technokraten. Als solcher hatte er ja als Finanzsenator in Berlin schon Schlagzeilen gemacht.

So richtig stutzig geworden bin ich dann aber in Kapitel 8. Da wurde für mich schlagartig deutlich, dass hier einer seinen Vorurteilen ungehemmt freien Lauf lässt. Demografie und Intelligenzforschung ist klar nicht sein Ding. Hier hat er in sachlichem Tonfall nur das aufgeschrieben, was man früher generell über "die da unten" gesagt hat und das dann auch noch mit guten und schlechten Genpools in Verbindung gebracht. Sarrazin ist ein Chauvinist ganz alter Schule. So hat man schon unter olle Wilhelm von oben herab über die Arbeiterklasse geredet. Daraus hatte sich ein Klassenbewusstsein entwickelt, das in der Bundesrepublik mit den Wirtschaftswunderjahren auszusterben begann. Jetzt könnte so einer wie Sarrazin dafür sorgen, dass dieses alte Klassenbewusstsein als stolzes Islamproletentum eine Renaissance erfährt.

Kurz: für mich ist die Verwertung des statistischen Materials schon wegen des extrem chauvinistischen Charakters fragwürdig. Hilfreich ist das Buch bestimmt nicht.

26 von 52 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.