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Gillanglover

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Bewertung vom 26.11.2014
Zimmer frei in Nagasaki
Faye, Éric

Zimmer frei in Nagasaki


ausgezeichnet

Dieser Roman will entdeckt werden!

Obwohl Éric Faye in Frankreich längst eine literarische Institution ist, ist der Autor hierzulande noch immer weitgehend unbekannt. Leider! Der Münchener Austernbank-Verlag mit seiner engagierten Verlegerin Bettina Deininger macht sich nun daran, diesen Missstand zu beheben. Dem kleinen, aber sehr ambitionierten Verlag ist es gelungen, die deutschen Rechte an Fayes Roman "Nagasaki" zu erlangen. Eine gute Wahl, denn immerhin ist dieses Werk in Frankreich mit dem Grand Prix de l’Académie Française ausgezeichnet worden. Bettina Deininger, die auch die Übersetzung des Romans übernommen hat, gelingt es glücklicherweise, Éric Fayes äußerst präzisen, gleichzeitig aber lakonischen und irgendwie "swingenden" Sprachstil ohne Abstriche ins Deutsche zu transferieren, so dass dem Leser schnell klar wird, warum dieser schmale Roman in Frankreich derart prämiert worden ist.

Die Geschichte von "Zimmer frei in Nagasaki" ist rasch erzählt. Shimura Kobo ist ein unscheinbarer Durchschnittsangestellter in den Mittfünfzigern, der allein in einer kleinen Wohnung in Nagasaki lebt. Jedenfalls denkt er das. Denn in Wirklichkeit beherbergt er in seiner Heim fast ein Jahr lang unbemerkt eine ihm völlig unbekannte, nahezu gleichalte Frau. Als der spät misstrauisch gewordene Shimura die Frau schließlich durch ausgeklügelte Überwachungsmethoden entdeckt, schaltet er sofort und ohne mit seiner heimlichen Mitbewohnerin überhaupt in Kontakt zu treten die Polizei ein. Die Lebenswege der beiden, die sich zwar kurz berührt, aber nicht wirklich gekreuzt haben, streben nun wieder auseinander.

Obwohl die skurrile Ausgangskonstellation des Romans von Murakami stammen könnte, schafft Faye doch etwas ganz Eigenes. Ihm geht es nicht um den unkonventionellen Beginn einer etwas schrägen Mann-Frau-Beziehung à la Murakami, sondern, jedenfalls lese ich das so, um die unaufhaltsame Vereinsamung der Menschen als einer Kehrseite der zunehmenden Individualisierung unserer modernen Gesellschaft. Sehr präzise und bewegend zeichnet Faye das emotional-seelische Unbehaustsein der beiden Protagonisten nach, ihre Einsamkeit, ihre Unfähigkeit zu Kommunikation und zur direkten Kontaktaufnahme. So leben sie eng nebeneinander, aber doch nur aneinander vorbei, bis ihre Situation einem absurden Theaterstück gleicht. Das ist große Literatur auf engem Raum, sehr konzentriert geschrieben und voller Miniaturen - kurz und gut: absolut lesenswert! KAUFEN!!

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