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Ste

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Insgesamt 192 Bewertungen
Bewertung vom 16.08.2024
Finster
Menger, Ivar Leon

Finster


ausgezeichnet

Ein filmreifer Thriller!

Katzenbrunn, ein kleines Dorf irgendwo im Odenwald, im Mai 1986. Nikolaus, ein 13-jähriger Junge, verschwindet spurlos vom Jahrmarkt. Ein Umstand, der im Dorf häufiger vorkommt: In unregelmäßigen Abständen schlägt der „Greifer“, wie der Entführer genannt wird, zu und nimmt Jungen mit sich. Die Polizei tappt im Dunkeln, sodass Hans J. Stahl, Kriminalkommissar a.D., seine früheren Ermittlungen aufnimmt und nach Katzenbrunn zurückkehrt. Doch während Stahl das Rätsel um Nikolaus‘ Verschwinden zu lösen sucht, schlägt der „Greifer“ wieder zu…

Persönliche Meinung: „Finster“ ist ein Thriller von Ivar Leon Menger. Erzählt wird der Thriller aus zwölf unterschiedlichen Erzählperspektiven (hauptsächlich personal, z. T. auch aus der Ich-Perspektive). Aber keine Sorge: Die Perspektivwechsel werden deutlich markiert; jede Figur hat ihren eigenen Ton, sodass man während der Lektüre nicht durcheinanderkommt. In den verschiedenen Perspektiven wird gewissermaßen der gesamte kleinstädtische Mikrokosmos abgebildet: So kommen – neben Stahl – auch die Wirtin des lokalen Gasthofes, ein kürzlich Zugezogener, ein Arzt sowie der Pfarrer Katzenbrunns zu Wort (um nur ein paar Perspektiven zu nennen). Dabei wird schnell klar: Fast jede Figur besitzt ein Geheimnis, ist irgendwie suspekt, sodass eine hohe Spannungskurve entsteht und man permanent miträtselt, wer denn jetzt der „Greifer“ sein könnte. Falsche Fährten werden dabei geschickt gelegt, was die Spannung weiter erhöht. Daneben ist die Handlung – eiskalt – wendungsreich. Ohne hierzu zu viel verraten zu wollen: Wirklich ganz großes Kino! (Diejenigen, die den Thriller bereits gelesen haben, wissen genau, was ich meine; alle anderen: greift (no pun intended) zum Buch, ums zu erfahren 🙃). Zusätzlich ist „Finster“ sehr atmosphärisch: Katzenbrunn mit seinem verbarrikadierten Fotogeschäft, dem eigenartigen Brunnen, seinen Wäldern und absonderlichen Bewohnern wirkt permanent bedrohlich und bizarr. Der Schreibstil von Ivar Leon Menger ist anschaulich und sehr flüssig zu lesen; passagenweise auch beklemmend, was die Atmosphäre des Thrillers dichter macht. Kurz: „Finster“ ein wendungsreicher, fesselnder sowie atmosphärischer Thriller, den man kaum beiseitelegen kann.

Bewertung vom 15.08.2024
Schrei am Main
Nähle, Kirsten

Schrei am Main


ausgezeichnet

Ein fesselnder Krimi mit hoher Spannungskurve

Inhalt: Seit Jahren war Robert nicht mehr in seinem Heimatdorf nahe Würzburg. Der ungeklärte Mord an seiner Schwester Marlene, der mittlerweile 20 Jahre her ist, saß zu tief. Doch nun ist seine Mutter schwer erkrankt, sodass er sie besuchen möchte. Im Dorf hat sich kaum etwas verändert: Robert trifft auf damalige Freunde seiner Schwester sowie auf ehemals im Mordfall Verdächtigte. Als seine Mutter ihm offenbart, dass sie nicht sterben möchte, ohne zu wissen, wer ihre Tochter ermordet hat, wendet sich Robert an die Privatdetektivin Valentina Wallrapp. Gemeinsam versuchen die beiden, den Cold Case zu klären…

Persönliche Meinung: „Schrei am Main“ ist ein Regiokrimi von Kirsten Nähle, der in und um Würzburg spielt. Erzählt wird die Handlung auf zwei, sich in einem stimmigen Tempo abwechselnden Zeitebenen aus drei Ich-Perspektiven. Während man in der Gegenwart (hier: im Jahr 2019) Robert und Valentina bei ihren Ermittlungen begleitet, erfährt man in einem zweiten, im Jahr 1999 spielenden Handlungsstrang aus der Perspektive von Marlene, was an ihrem Todestag geschah. Der Krimi startet schön undurchsichtig und spannend: Ein anonymer Brief wirft ein neues Licht auf den Mord, eine Person legt am Todestag Marlenes eine Rose auf deren Grab, einzelne Menschen im Dorf scheinen mehr zu wissen, als sie zugeben möchten, und auch Robert trägt ein Geheimnis mit sich. Zum weiteren Verlauf des Krimis möchte ich darüber hinaus gar nicht zu viel verraten. Nur: Die Spannungskurve ist sehr hoch, die Lektüre fesselnd, man wird zum Miträtseln eingeladen und es finden sich Wendungen, mit denen man nicht unbedingt rechnet. Der Schreibstil von Kirsten Nähle ist anschaulich sowie flüssig und angenehm zu lesen. Insgesamt ist „Schrei am Main“ ein fesselnder Regiokrimi mit einer hohen Spannungskurve.

Bewertung vom 08.08.2024
Death. Life. Repeat.
Finch, Louise

Death. Life. Repeat.


sehr gut

Ein spannender Jugendroman, der ein gesellschaftlich wichtiges Problem behandelt

Inhalt: Es ist der Jahrestag des tödlichen Unfalls von Spencers Mutter. Verkatert erwacht er in seinem Auto auf dem Schulparkplatz: Clara, eine Mitschülerin, hat sein Auto touchiert – eigentlich kein großer Schaden, doch Spencer trifft dieser umso stärker, da der Wagen ein Erinnerungsstück an seine Mutter ist. Zu allem Überfluss hat sein bester Freund Anthony für heute eine seiner legendären Partys geplant, von der Spencer sich – obwohl er gerne würde – nicht entziehen kann. Die Party endet grauenvoll: Clara, die während der Party von Anthony bedrängt wurde, flieht aus dem Haus, läuft vor ein Auto – und stirbt. Spencer ist fassungslos. Doch: Am nächsten Tag erwacht er erneut auf dem Schulparkplatz, wieder hat Clara sein Auto touchiert. Der Tag wiederholt sich…

Persönliche Meinung: „Death. Life. Repeat“ ist ein Jugendroman mit Science-Fiction-Elementen von Louise Finch. Dargestellt wird die Handlung aus der Ich-Perspektive von Spencer, den der Tod seiner Mutter psychisch stark belastet. Der Roman nutzt ein spannendes dramaturgisches Mittel: die Zeitschleife. Spencer steckt in einer solchen fest, wobei der Tag jeweils meist mit dem Tod von Clara endet. Daher setzt Spencer sich zum Ziel, Clara zu retten, um der Zeitschleife entkommen zu können. Dabei lernt er nicht nur Clara besser kennen, sondern entwickelt sich selbst weiter und hinterfragt mehr und mehr seinen Freundeskreis. Denn: Dieser ist geprägt von toxischer Männlichkeit, die sich insbesondere in harten Beleidigungen, übermäßigen Alkoholkonsum, Sexismus und Mobbing ausdrückt. Bei aller Fiktionalität/Sci-Fi wird in „Death. Life. Repeat“ dementsprechend – auf sehr eindringliche Weise – auch ein gesellschaftlich relevantes Thema behandelt. Der Schreibstil, der im Roman genutzt wird, ist – passend zu den jugendlichen Protagonisten – sehr umgangs- und jugendsprachlich. Besonders die Sprache der männlichen Figuren ist dabei sehr vulgär und derb, woran man sich erst gewöhnen muss (Auch wenn die Sprache teilweise grenzwertig ist, ist sie passend gewählt, da die Derbheit die Toxizität der männlichen Figuren unterstreicht.) „Death. Life. Repeat“ ist insgesamt eine spannende Lektüre, die eindringlich ein gesellschaftlich relevantes Problem näherbringt. Einen kleinen Wermutstropfen gibt es aber: Am Ende der Handlung bleiben einzelne Fragen offen (insbesondere in Bezug auf die Zeitschleife), sodass der Roman auf mich nicht so rund wirkte, wie er hätte sein können.

Bewertung vom 17.07.2024
Das Baumhaus
Buck, Vera

Das Baumhaus


ausgezeichnet

Ein fesselnder Thriller

Inhalt: Henrik und Nora reisen mit ihrem fünfjährigen Sohn Fynn nach Västernorrland, um den Alltag hinter sich zu lassen. Während Henrik Inspiration für sein neues Kinderbuch sucht, möchte Nora Abstand gewinnen. Denn: Sie hat einen Fehler begangen, von dem niemand erfahren soll. Anderswo in Västernorrland gibt sich Rosa Lundqvist ihren forensischen Forschungen hin, um sich davon abzulenken, dass sie ihren Bruder pflegen muss. Bei einer Grabung entdeckt sie unvermittelt das Skelett eines Kindes. Als Fynn plötzlich verschwindet, wird Rosa von der Polizei als Ermittlerin eingesetzt, um den Fall zu lösen. Denn: Nur sie kennt sich wirklich in den Wäldern Schwedens aus.

Persönliche Meinung: „Das Baumhaus“ ist ein Thriller von Vera Buck. Erzählt wird der Thriller aus mehreren Ich-Perspektiven: So wird neben den Perspektiven Henriks, Noras und Rosas auch die Sichtweise von Marla, einem jungen Mädchen, das in einem Baumhaus lebt, eingenommen. Der Thriller ist durchweg spannend: Das Haus, in dem Henrik und Nora den Urlaub verbringen möchten, sowie die Wälder Västernorrlands werden atmosphärisch dicht beschrieben und weisen eine gewisse Bedrohlichkeit auf. Zusätzlich gibt es mehrere potentielle Täterfiguren, die für die Entführung Fynns verantwortlich sein könnten, wodurch man mehrmals auf falsche Fährten geführt wird. Daneben erweist Henrik sich als unzuverlässiger Erzähler: Mehrfach dichtet er seine Erlebnisse aus, lügt offen und scheint Erinnerungslücken zu besitzen. Zuletzt finden sich innerhalb der Handlung auch einige richtig überraschende Wendungen, die einen eiskalt erwischen. Der Schreibstil von Vera Buck ist sehr lebendig und anschaulich, sodass während der Lektüre ein schönes Kopfkino entsteht. Insgesamt ist „Das Baumhaus“ ein spannender sowie rätselhafter Thriller, in dem wenig so ist, wie es auf den ersten Blick erscheint.

Bewertung vom 17.07.2024
Mord im Antiquitätenladen
Lehnertz, Waldi

Mord im Antiquitätenladen


ausgezeichnet

Ein spannender Cosy Crime

Inhalt: Als Antiquitätenhändler Siggi vom Angeln zurück in sein Geschäft kommt, traut er seinen Augen nicht. Jemand ist in sein Geschäft eingebrochen und hat eine Leiche mitten in einem Verkaufsraum drapiert. Schnell ruft Siggi die Polizei, doch als diese eintrifft, befindet sich in dem Raum keine Leiche mehr (dafür allerdings eine seltsame Bildweberei). Die Polizei geht von einem Streich Siggis aus und verweigert die Ermittlungen; Siggi hingegen fühlt sich nicht mehr wohl in seinem Laden, sodass er – gemeinsam mit ein paar Freunden – dem Geheimnis der Bildweberei und der verschwundenen Leiche auf die Spur kommen möchte…

Persönliche Meinung: „Mord im Antiquitätenladen“ ist ein Kriminalroman des „Bares für Rares“-Händlers Waldi Lehnertz, den dieser mit Miriam Rademacher geschrieben hat. Erzählt wird die Handlung aus der Perspektive von Siggi. Eine große Stärke des Romans ist seine atmosphärische Dichte: Besonders Siggis Antiquitätenladen (ein vollgestelltes Sammelsurium an Antiquitäten und Trödelschätzen) wird bildhaft und anschaulich beschrieben. Ähnlich dicht ist die Beschreibung des fiktiven Eifeldorfes, in dem sich Siggis Antiquitätenladen befindet. Die Handlung wird – einem Cosy Crime folgend – eher langsam erzählt, wodurch der Krimi für mich teilweise kleinere Längen besaß. Dennoch ist die Handlung von einer latenten Spannung durchzogen: So fragt man sich permanent, wer die Leiche ist, wo sie abgeblieben ist und was es mit der Bildweberei auf sich hat. Mit der Zeit finden sich einzelne Mosaikstücke, die diese Fragen schrittweise beantworten, sodass nach und nach ein Gesamtbild entsteht. Die Auflösung ist dabei durchaus überraschend und kaum vorhersehbar. Die Figuren, die in „Mord im Antiquitätenladen“ auftreten, sind eher unkonventionell: Jede Figur besitzt eine Charaktereigenschaft, wodurch sie aus dem Rahmen fällt und teilweise ins Karikatureske abdriftet (dies führt teilweise dazu, dass die Figuren innerhalb der Handlung nicht immer logisch handeln). Der Erzählstil des Romans ist anschaulich, sodass man sich insbesondere die Handlungsorte dreidimensional vorstellen kann. Insgesamt ist „Mord im Antiquitätenladen“ – trotz einzelner Längen – ein spannender Kriminalroman mit unkonventionellen Figuren. Wenn man Waldi, Antiquitäten, Trödel und „Bares für Rares“ mag, wird man auch „Mord im Antiquitätenladen“ mögen.

Bewertung vom 17.07.2024
Das Dorf der acht Gräber / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.3
Yokomizo, Seishi

Das Dorf der acht Gräber / Kosuke Kindaichi ermittelt Bd.3


ausgezeichnet

Ein spannend konstruierter Kriminalroman

Inhalt: Um das „Dorf der acht Gräber“ rankt sich eine blutige Legende: Im 16. Jahrhundert suchten acht Samurai Zuflucht im Dorf, wurden anfangs von den Dorfbewohnern auch freundlich aufgenommen, doch mit der Zeit trachteten die Dorfbewohner nach dem Reichtum der Samurai – und töteten sie. Seitdem soll ein Fluch auf dem „Dorf der acht Gräber“ liegen: Immer wieder kommt es zu grausamen Massakern innerhalb der Gemeinschaft – zuletzt vor 26 Jahren. Doch nun scheint der Fluch erneut zuzuschlagen…

Persönliche Meinung: „Das Dorf der acht Gräber“ ist ein Kriminalroman von Seishi Yokomizo. Es handelt sich um den dritten Band der „Kosuke Kindaichi“-Reihe, die sich um einen eher unkonventionellen Privatdetektiv dreht. Anders als in den vorherigen beiden Bänden spielt Kindaichi in „Das Dorf der acht Gräber“ allerdings eher eine Nebenrolle: Zwar tritt er manchmal in das Geschehen ein und löst am Ende der Handlung auch den Fall, allerdings ist Hauptfigur und Ich-Erzähler der Handlung ein junger Mann namens Tatsuya, der eher unverhofft in die Mordserie, die sich im „Dorf der acht Gräber“ ereignet, hineingezogen wird. Tatsuya nimmt – aus Gründen, die ich hier nicht spoilern möchte – die Rolle der Ermittlerfigur ein und erzählt aus der Retrospektive von den Ereignissen, die sich im Dorf der acht Gräber zugetragen haben. Selbst ist er kein professioneller Ermittler, sodass er teilweise unbedarft und blauäugig auftritt, was einen ganz besonderen Charme hat. Die Handlung des Romans entfaltet sich behutsam: Man lernt schrittweise die einzelnen Dorfbewohner und den Handlungsort kennen, wobei recht früh deutlich wird, dass mehrere Figuren Geheimnisse verbergen. Nach und nach entfaltet sich eine Mordserie, die einerseits Rätsel aufgibt, andererseits mit falschen Fährten gespickt ist, sodass nicht leicht zu durchschauen ist, was im Dorf gespielt wird. Zudem findet sich in der Handlung die ein oder andere überraschende Wendung. Der Erzählstil des Romans ist unaufgeregt: Es wird nicht reißerisch erzählt, das Tempo des Romans ist – trotz seiner spannenden Handlung – eher bedächtig. Einziger Wermutstropfen: Das Ende wurde recht schnell abgehandelt. So behutsam die gesamte Handlung konstruiert und entfaltet wird, so abrupt wird sie aufgelöst. Insgesamt ist „Das Dorf der acht Gräber“ ein spannender, schön konstruierter Kriminalroman, der durch seine eher unbedarfte Ermittlerfigur reizvolle Wege geht, die man nicht so häufig liest.

Bewertung vom 17.07.2024
Die Sehenden und die Toten / Ein Carla-Seidel-Krimi Bd.1
Piontek, Sia

Die Sehenden und die Toten / Ein Carla-Seidel-Krimi Bd.1


ausgezeichnet

Ein spannender und vielversprechender Reihenauftakt

Inhalt: Die ehemalige Mordermittlerin Carla Seidel möchte es ruhiger angehen – auch für ihre hochsensible Tochter Lana. Deshalb hat sie sich von Hamburg ins Wendland versetzten lassen, wo sich, im Vergleich zum trubeligen Hamburg, Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Doch mit der Ruhe ist es plötzlich vorbei: Ein 18-jähriger junger Mann, Sohn eines lokalen Geldadeligen, wird tot aufgefunden; die Augen durch Spiegelscherben ersetzt. In der Schule sowie innerhalb der Familie galt der junge Mann als unauffällig, doch je weiter Carla ermittelt, desto mehr erfährt sie über die dunkle Seite des Mannes…

Persönliche Meinung: „Die Sehenden und die Toten“ ist ein Kriminalroman mit Lokalbezug von Sia Piontek. Es handelt sich um den Auftakt einer neuen Krimireihe, die sich um die Ermittlerin Carla Seidel dreht. Erzählt wird die Handlung des Romans aus zwei personalen Perspektiven: Carlas Perspektive bildet die Hauptperspektive, daneben findet sich aber in einzelnen Kapiteln auch die Sichtweise von Lana, die ihre Mutter bei dem Fall unterstützt. „Die Sehenden und die Toten“ ist insgesamt eine fesselnde Lektüre: Der Fall ist spannend konstruiert, es passiert ziemlich viel (sodass es wirklich kein Längen gibt) und das Erzähltempo ist hoch. Zusammen mit dem anschaulichen sowie lebendigen Erzählstil ist „Die Sehenden und die Toten“ daher ein Schmöker der besten Art, den man gar nicht weglegen möchte. Die Auflösung des Falls mit einem überraschenden Twist rundet dabei das Lektüreerlebnis ab. Sehr gut hat mir auch die Gestaltung der Figuren gefallen: Die Bandbreite der Figuren ist groß – vom schusseligen Polizeichef, über wichtigtuerische Lokalprominenz zur hochsensiblen Tochter, die über sich hinauswächst. Dabei sind alle Figuren – trotz leichterer Überzeichnungen – lebensnah. Insgesamt ist „Die Sehenden und die Toten“ ein vielversprechender, spannender Reihenauftakt, der neugierig auf die Folgebände macht.

Bewertung vom 14.07.2024
Krähentage / Gruppe 4 ermittelt Bd.1
Cors, Benjamin

Krähentage / Gruppe 4 ermittelt Bd.1


ausgezeichnet

Ein spannender Reihenauftakt

Inhalt: Das Ermittlerduo Jakob Krogh und Mila Weiss steht vor einem rätselhaften Fall: Eine ältere Frau wird ermordet aufgefunden, doch ihre Nachbarn sagen aus, sie hätten die Frau vor Kurzem noch gesehen – nach ihrem Tod. Kurze Zeit später wird die Leiche eines Studenten aufgefunden; auch er wurde – nach seinem Tod – noch in einer Vorlesung gesehen. Zudem finden sich Krähen an den Tatorten eingesperrt, die eine rätselhafte Botschaft mit sich tragen…

Persönliche Meinung: „Krähentage“ ist ein Thriller von Benjamin Cors, der den Auftakt einer neuen Reihe um das Ermittlerteam „Gruppe 4“, geleitet von Jakob Krogh und Mila Weiss, bildet. Erzählt wird die Handlung aus drei personalen Perspektiven: So wird neben den Perspektiven von Jakob und Mila auch diejenige der Täterfigur eingenommen. Man weiß als Lesender durch die Perspektive der Täterfigur relativ früh deren Identität, wodurch für mich leider etwas Rätselspannung aus der Handlung genommen worden ist. Auf der anderen erhält man durch diese Perspektivierung detaillierte, dreidimensionale Einblicke in die Psyche der Täterfigur (diese Einblicke sind wirklich sehr stark geschrieben!), sodass dennoch Spannung(en) in der Handlung aufkommen. Interessant ist auch der Modus Operandi der Täterfigur: Vor dem Mord schlüpft sie zunächst in das Leben ihrer Opfer – die Motivation dahinter soll an dieser Stelle nicht gespoilert werden. Zusätzlich tragen auch die beiden ermittelnden Protagonisten Altlasten aus der Vergangenheit mit sich herum, die den Lesenden erst schrittweise offenbart werden. Die Handlung besitzt also – obwohl die Täterfigur recht früh feststeht – eine schöne Spannungskurve: Schritt für Schritt erfährt man mehr über die Ermittlerfiguren und die Vergangenheit der Täterfigur, sodass sich eine durchdacht konstruierte Handlung ergibt. Und: Am Ende findet sich noch ein großer Twist, der kaum zu erahnen ist. Der Schreibstil von Benjamin Cors ist anschaulich und angenehm sowie flüssig zu lesen, sodass man nur so durch den Roman fliegt. Insgesamt ist „Krähentage“ ein spannender Auftakt einer neuen Thrillerreihe, der sowohl interessante Ermittlerfiguren als auch eine besondere Täterfigur beinhaltet.

Bewertung vom 10.07.2024
Windstärke 17
Wahl, Caroline

Windstärke 17


ausgezeichnet

Noch nachhallender als "22 Bahnen"

Achtung: „Windstärke 17“ baut auf der Handlung von „22 Bahnen“ auf. Daher finden sich in der Rezension leichte Spoiler zu „22 Bahnen“.

Inhalt: Ida sitzt im ICE nach Hamburg, wo Tilda jetzt wohnt. Dort kommt sie allerdings nicht an: Die Beziehung zwischen Ida und Tilda ist abgekühlt – Ida kommt nicht mit Tildas Art klar, will sie nicht sehen, sodass sie sich kurzfristig dazu entscheidet, nach Rügen zu fahren. Dort versucht sie zu vergessen: Sie stürzt sich ins Meer, kämpft bis zur Erschöpfung mit Wind und Wellen. Eher zufällig trifft sie auf das Ehepaar Marianne und Knut, das sie bei sich aufnimmt – wodurch sie in ruhigere Gewässer geführt wird. Doch gerade, als Ida sich bei Marianne und Knut eingewöhnt hat, gerät ihre Welt wieder aus den Fugen…

Persönliche Meinung: „Windstärke 17“ ist ein Coming of Age-Roman von Caroline Wahl. Der Roman spielt einige Jahre nach der Handlung von „22 Bahnen“: Tilda lebt mittlerweile mit ihrer Familie in Hamburg, Ida, aus deren Ich-Perspektive die Handlung erzählt wird, ist wegen ihrer Mutter in Berlin geblieben (bis ein Schicksalsschlag, der sie massiv aus der Bahn wirft, eingetreten ist). Da alle nötigen Informationen zu „22 Bahnen“ in „Windstärke 17“ benannt werden, kann man letzteren auch ohne Kenntnis des Vorgängers lesen. Insbesondere für ein tieferes Verständnis der Beziehung zwischen Tilda und Ida (und in Bezug auf die Beziehung der beiden zu ihrer Mutter) ist es aber sinnvoll, die Bände chronologisch zu lesen. Die Handlung von „Windstärke 17“ folgt einem ähnlichen Grundmuster wie „22 Bahnen“ (geht aber zugleich auch darüber hinaus; tatsächlich hat mir „Windstärke 17“ noch einen Tick besser gefallen als der Vorgänger): Ähnlich wie Tilda musste Ida früh lernen, erwachsen zu werden; auch muss Ida mit einem Schicksalsschlag aus der Vergangenheit klarkommen. Die Gefühle und Gedanken von Ida, ihre gesamte (laute) Zerrissenheit, werden dabei sehr intensiv dargestellt; mehrfach finden sich tragische, hochemotionale Szenen, zugleich aber auch Situationen voller Hoffnung. Diese werden sogar noch nachhallender beschrieben, als dies bereits in „22 Bahnen“ der Fall war. Der Erzählstil, der sich ausgesprochen flüssig lesen lässt, ist meist lakonisch, oft allerdings auch mit einer Prise Humor gewürzt. Insgesamt ist „Windstärke 17“ ein starker Coming of Age-Roman – noch tragischer, intensiver, bittersüßer und nachhallender als „22 Bahnen“.

2 von 4 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 09.06.2024
Bis aufs Blut
Cranor, Eli

Bis aufs Blut


sehr gut

Ein fesselnder Roman mit dreidimensionalen Figuren

Inhalt: Billy Lowe lebt in einem Trailerpark in einer abgeschiedenen Stadt in den Ozarks. Seine Mutter ist alkoholabhängig, sein Stiefvater gewalttätig. Billys einziger Ausgleich ist das Footballspielen – worin er auch sehr gut ist. Allerdings ist er unberechenbar und entlädt seine angestaute Wut gleichermaßen auf Gegner wie Mitspieler. Für das Team ist Billy daher eigentlich kaum tragbar – hätte die Schule durch ihn nicht das erste Mal seit Jahren die Chance, die Play-offs zu gewinnen. Der junge Coach Trent Powers, dessen Vergangenheit ebenfalls nicht glatt verlief, will sich Billy annehmen – doch dann wird Billys Stiefvater tot aufgefunden…

Persönliche Meinung: „Bis aufs Blut“ ist ein Thriller mit Coming of Age-Elementen von Eli Cranor. Erzählt wird der Roman aus zwei Hauptperspektiven: Billy, der aus Ich-Perspektive erzählt, und die personale Erzählweise Trent Powers'. Eine Besonderheit des Romans ist die sprachliche Varietät, die sich besonders in Billys Kapiteln zeigt: Billy redet roh, abgehakt und dialektgefärbt, wodurch er sich von den anderen Figuren abhebt (wie sich dies im Original ausgestaltet, kann ich nicht beurteilen; die Übersetzung ist allerdings insofern gut gelungen, als dass sie die sprachliche Varietät greifbar hervorhebt). Roh ist auch die Handlung von „Bis aufs Blut“: Der Handlungsort „Trailerpark“ ist trostlos, seine Bewohner hoffnungslos, mit einem Hang zum Alkohol und zur Gewalt. In dieser Lebenswelt versucht sich Billy – wortwörtlich – durchzuschlagen, wobei der weitere Verlauf der Handlung zeigt, dass Schwarz-weiß-Einordnungen hier fehl am Platze sind. Generell ist eine große Stärke des Romans, dass die Figuren nicht einfach nur „gut“ oder „böse“ sind, sondern immer Schattierungen aufweisen, wodurch sie lebensnaher wirken. Stellenweise hat man während der Lektüre daher den Eindruck, ein Sittengemälde der amerikanischen Unter- und Mittelschicht zu lesen (was mir sehr gefallen hat). Dazu gesellen sich Coming of Age-Elemente. Denn: Billy erhält durch eine Figur, deren Identität ich hier nicht spoilern möchte, die Gelegenheit, sich zu ändern. Trotz allem ist der Roman aber vordergründig ein Thriller: So ist die Atmosphäre des Romans permanent bedrohlich (nicht nur für Billy). Zudem wird dadurch Spannung erzeugt, dass bis zuletzt offen ist, wer Billys Stiefvater ermordet hat (hierfür gibt es drei potentielle Täter, die alle aus unterschiedlichen Gründen Erinnerungslücken besitzen). Insgesamt ist „Bis aufs Blut“ ein Roman, der sich wie ein Rausch liest – mit einem Protagonisten, der wie eine Naturgewalt auftritt.