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Ste

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Insgesamt 200 Bewertungen
Bewertung vom 11.01.2025
Wintergeister
Collins, Bridget;Hurley, Andrew Michael;Kidd, Jess

Wintergeister


ausgezeichnet

Eine atmosphärische Sammlung winterlicher Gruselgeschichten

„Wintergeister“ ist eine Anthologie mit Grusel- und Geistergeschichten, zu der sechs unter-schiedliche Autor*innen eine Erzählung beigesteuert haben. Den Auftakt macht „Der steiner-ne Dämon“ von Bridget Collins (mein persönliches Highlight des Bandes): Eine an klassische Gothic Novels erinnernde Erzählung, die von einer Schriftstellerin handelt, die in einem klei-nen Städtchen Inspiration für ihr nächstes Buchprojekt sucht. In Andrew Michael Hurleys „Das alte Theaterstück“ begegnen wir einem alternden Schauspieler, der im traditionellen Jah-resabschlussstück auftritt. Hier changieren Traum und Wirklichkeit, sodass die Erzählung eine besondere atmosphärische Intensität erhält. Die dritte Geschichte, „Ada Lark“ von Jess Kidd, handelt von einem Waisenmädchen, das dazu gezwungen wird, einem selbsternannten Medi-um bei dessen Machenschaften zu unterstützen. Diese Geschichte wird mit schnellen Schnit-ten erzählt, was für mich allerdings zuungunsten der Atmosphäre verlief. „Jenkin“ von Catrio-na Ward thematisiert das Schicksal zweier Schwestern, wobei eine der Schwestern von einem schattenhaften Wesen verfolgt wird, das immer erscheint, sobald sie lügt. Die Erzählung ist wendungsreich und endet mit einem schönen Twist. In der folgenden Erzählung „Der Wit-wenweg“ treffen wir auf Honoria Joseph, Herstellerin von Fächern, deren Mann vor einiger Zeit verschwunden ist. Diese Geschichte ist spannungstechnisch die interessanteste, fragt man sich doch die ganze Zeit, was mit Herrn Joseph geschehen ist – mehr möchte ich hier nicht verraten. Den Abschluss bildet „Das Lied von Glocken und Ketten“ aus der Feder von Laura Purcell (ein weiteres Highlight für mich). Diese Geschichte, die den Krampus-Stoff aufgreift, ist rätselhaft sowie fesselnd erzählt und weist zudem ein überraschendes Ende auf. Man merkt: Trotz des gemeinsamen winterlichen Settings sind die Geschichten thematisch breit gestreut. Der Grusel, der dabei erzeugt wird, kommt nicht mit dem Vorschlaghammer, son-dern ist subtil und zieht sich atmosphärisch latent durch jede Geschichte. Natürlich kann nicht jede Geschichte gleich gut gefallen; jede*r wird eigene Lieblinge haben. Bei einem bin ich mir aber sicher: Die Zahl der Geschichten, die man mochte bzw. die einen (mehr oder weniger wohligen) Schauer über den Rücken laufen lassen, werden überwiegen. Insgesamt ist „Win-tergeister“ eine abwechslungsreiche Anthologie mit schönen Schauergeschichten – nicht nur aber insbesondere perfekt für Halloweenliebhaber*innen, die dem Grusel am 31. Oktober noch nicht ade sagen möchten, sondern diesen in die Winter- und Weihnachtszeit verlängern möchten.

Bewertung vom 29.12.2024
Das Verhalten ziemlich normaler Menschen
Reilly, K. J.

Das Verhalten ziemlich normaler Menschen


ausgezeichnet

Ein intensiver Roadtrip

Inhalt: Vor einem Jahr starb Ashers Mutter bei einem Autounfall - wofür er sich die alleinige Schuld gibt. Denn: Hätte er nicht neue Fußballschuhe gebraucht, wäre seine Mutter erst gar nicht losgefahren. Um mit dem Tod und der Trauer klarzukommen, rät ihm der Schulpsychologe zu einer Gesprächstherapie. Zunächst geht Asher widerstrebend hin, doch dann trifft er auf Henry, der sein Opa sein könnte, sowie die beiden Jugendlichen Sloane und Will. Alle drei haben - wie Asher - einen geliebten Menschen verloren. Gemeinsam begeben sich die vier auf den Roadtrip ihres Lebens, der Ashers Trauer und Wut heilen soll...

Persönliche Meinung: "Das Verhalten ziemlich normaler Menschen" ist ein Jugendroman von K. J. Reilly. Wie bereits im Inhaltsteaser deutlich wird, handelt der Roman von Themen wie Trauer, Tod, Verlust und Schuld. Gleichzeitig spielen allerdings auch Freundschaft, Liebe sowie Hoffnung eine große Rolle im Roman. Dementsprechend ist auch die Lektüre eine Achterbahnfahrt der Gefühle: Ernste, traurige Szenen wechseln sich mit leichten, lustigen ab. Unkonventionell sind auch die auftretenden Figuren - allen voran der Ich-Erzähler Asher. Alle vier versuchen den Tod einer geliebten Person zu verarbeiten, was sich teilweise in skurrile Verhaltensweisen niederschlägt. So tut beispielsweise Asher alles dafür, dass seiner kleinen Schwester nichts passiert (wie z. B. ihre Hände mit Aluminium einzuwickeln, während sie schläft); Henry hingegen bestellt für seine verstorbene Frau immer das Essen mit. Durch ihren Umgang mit der Trauer, ihren Gedanken in Bezug auf das (Weiter-)Leben sowie ihrem ganz eigenen Humor wirken die Figuren sehr vielschichtig und dreidimensional. Die Handlung folgt der Struktur eines Roadtrip-Plots: Die vier sind auf dem Weg nach Graceland (wobei Asher allerdings eine ganz eigene Mission verfolgt) und erleben dabei kleinere Abenteuer - wichtiger als diese "äußere" Reise ist allerdings der innere Weg zur Selbstheilung, die die Protagonisten beschreiten. Innerhalb dieses Plots findet sich dann noch die ein oder andere Wendung sowie ein überraschendes Ende. Der Erzählstil des Romans ist - passend zur intendierten Zielgruppe - umgangs- und jugendsprachlich sowie mit Witz ausgestattet. Insgesamt ist "Das Verhalten ziemlich normaler Menschen" ein humorvoller, ernster und emotionaler Jugendroman über die großen Themen Leben und Tod.

Bewertung vom 29.12.2024
Das elfte Manuskript
Holt, Anne

Das elfte Manuskript


ausgezeichnet

Ein komplexer Krimi mit einer eher unsympathischen Protagonistin

Inhalt: Die ehemalige Kommissarin Hanne Wilhelmsen hat endlich die Chance, Oslo zurückzuerobern. Denn: Durch den Lockdown ist niemand draußen, der ihr irgendwie krumm kommen könnte. Mit im Gepäck hat sie einen frisch geschriebenen Kriminalroman, der das Potential zum Bestseller hat. Doch ihre Lektorin Ebba Braut hat ganz andere Probleme: Die erfolgreichste Autorin des Verlags hat ihr jüngstes Werk abgeliefert, doch das Manuskript ist verschwunden – und die Verlagsleitung hat Ebba zum Sündenbock auserkoren. Zeitgleich wird die verstümmelte Leiche einer Frau in einem Kofferraum gefunden – ein Fall, der Hannes Schützling Henrik Holme an seine Grenzen bringt…

Persönliche Meinung: „Das elfte Manuskript“ ist ein Kriminalroman von Anne Holt. Es handelt sich um den 11. Roman um die Ermittlerin Hanne Wilhelmsen. Da der Fall in sich abgeschlossen ist, lässt sich der Handlung auch ohne Kenntnis der Vorgänger folgen – auch wenn es natürlich sinnvoll ist, die Reihe chronologisch zu lesen, um die Beziehungen der Figuren besser nachvollziehen zu können. Der Roman setzt sich aus vier Erzählsträngen zusammen, die aus personalen Perspektiven erzählt werden: Hannes Wiedereroberung Oslos, Ebbas Suche nach dem Manuskript sowie Henriks Ermittlungen im Fall der ermordeten Frau. Der vierte Erzählstrang soll hier nicht gespoilert werden. Alle Stränge überschneiden sich an bestimmten Stellen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Hanne ermittelt stellenweise im Fall der ermordeten Frau und beteiligt sich auch an der Suche nach dem verschwundenen Manuskript. So entsteht ein komplexer, schön undurchsichtiger Krimi, der bis zuletzt zu überraschen weiß. Gerade für Büchernerds sind auch die Einblicke in den Verlagsalltag interessant: So werden Prozesse einer Buchentstehung beleuchtet, man trifft auf eigensinnige Autorinnen und blickt auf die Schattenseiten der Buchbranche. Der Krimifan wird gleich mit mehreren Rätseln konfrontiert (das verschwundene Buch, der Mord und noch ein, zwei weitere, die ich hier nicht spoilern möchte). Nicht so ganz warm werden konnte ich mit Hanne Wilhelmsen, der reihentitelgebenden Ermittlerin: Sie ist egozentrisch, starrsinnig und – bis auf einzelne Ausnahmen – rücksichtslos, dadurch sehr unsympathisch. Kurz: Eine Anti-Heldin wie aus dem Buche. Gleichzeitig will ich mir allerdings keine letztgültige Bewertung der Figur anmaßen, da ich die vorherigen 10 Bände nicht gelesen habe, somit ihre Entwicklung nicht beurteilen kann. Insgesamt ist „Das elfte Manuskript“ ein spannender, komplexer Kriminalfall, bei dem Krimi- und Buchnerds auf ihre Kosten kommen werden.

Bewertung vom 29.12.2024
Kalmann und der schlafende Berg
Schmidt, Joachim B.

Kalmann und der schlafende Berg


ausgezeichnet

Eine kurzweilige, spannende und witzige Lektüre

Inhalt: Eigentlich sollte es eine schöne Familienzusammenführung werden: Kalmanns Vater, der in den USA lebt, hat sich bei ihm gemeldet und möchte ihn besser kennenlernen, sodass Kalmann den Atlantischen Ozean überquert. Dort lebt Kalmann sich gut ein; die Familie macht sogar einen Ausflug zum Präsidenten – der allerdings schiefläuft. Ehe Kalmann es sich versieht, findet er sich im FBI-Hauptquartier in Washington wieder und muss die USA gen Island verlassen. Dort ist ein Todesfall geschehen, der Kalmann nicht lockerlässt: Er ist sich sicher, dass es sich um Mord handelt, sodass er beginnt, eigenständig zu ermitteln…

Persönliche Meinung: „Kalmann und der schlafende Berg“ ist ein Roman von Joachim B. Schmidt. Nach „Kalmann“ ist es der zweite Roman, der von dem eigenwilligen, selbsternannten Scheriff des kleinen isländischen Fischerdorfes Raufarhöfn handelt. Da die Fälle, in denen Kalmann ermittelt, voneinander getrennt sind, lassen sich beide Romane unabhängig voneinander lesen. Erzählt wird die Handlung aus der Ich-Perspektive Kalmanns, einem Außenseiter, der manchmal naiv, manchmal aber auch messerscharf denkt, und das Herz am rechten Fleck trägt. Wie im vorherigen Band hat es Kalmann auch hier nicht leicht, muss aufgrund seiner verschrobenen, eigenwilligen Art mit Vorurteilen und abschätzigen Blicken zurechtkommen, was Joachim B. Schmidt erneut einfühlsam erzählt. Die Handlung von „Kalmann und der schlafende Berg“ setzt sich aus zwei Handlungssträngen zusammen: Der eine Strang thematisiert Kalmanns Besuch in den USA (hierbei werden auch aktuelle, gesellschaftlich relevante Themen angesprochen, die ich allerdings nicht spoilern möchte), der zweite Handlungsstrang dreht sich um die Ermittlungen Kalmanns in Island (wodurch der (Gesellschafts-)Roman eine schöne Portion Krimi erhält). Dabei ist der Fall durchaus vertrackt und besitzt ein überraschendes Ende mit filmreifem Showdown. Durch Kalmanns eigenwillige Art, die sich auch in den Ermittlungen widerspiegelt, kommt zudem eine stimmige Prise Humor in die Handlung. Der Schreibstil von Joachim B. Schmidt ist anschaulich und lässt sich flüssig lesen. Insgesamt ist „Kalmann und der schlafende Berg“ eine kurzweilige, spannende wie witzige Lektüre mit gesellschaftskritischem Ton und überraschendem Ende.

Bewertung vom 29.12.2024
Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte
Moers, Walter

Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte


ausgezeichnet

Eine Sammlung für eingefleischte Zamonien-Fans

„Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte“ ist eine zamonische Flabel-Sammlung von Walter Moers. Wer Walter Moers kennt, weiß, dass er sich in seinem zamonischen Oeuvre an Gattungen der Weltliteratur abarbeiten: Dieses Mal hat er sich – wie der Titel nahelegt – mit der Gattung der Fabel beschäftigt, die er hier persifliert. Wie bereits in anderen Zamonien-Romanen bedient sich Moers hier einer Autorfiktion: Moers gibt sich nur als Übersetzer der Flabeln aus, die eigentlich der große zamonische Dichter Hildegunst von Mythenmetz geschrieben hat. Die Flabeln thematisieren unterschiedliche Figuren aus dem zamonischen Kosmos: Neben Einhörnchen treten Ubufanten, Birkenfüchse oder Musiktiere auf. Behandelt werden kleine Episoden der Figuren, die fabel-haften Charakter besitzen: Ein Biber und ein Kristallskorpion befinden sich in einer ausweglosen Situation, ein Ubufant will fliegen, ein Werwolf ist auf der Sinnsuche und eine fleischfressende Pflanze will vegetarisch leben. Gerade in den Moralen der Geschichten (ja, das ist die Mehrzahl von „Moral“, was ich bis eben auch nicht wusste), die nicht unbedingt so enden, wie man von Fabeln gewohnt ist, findet sich immer eine Spur Gesellschaftskritik. Wie von Moers gewohnt werden die Flabeln mit viel Wortwitz erzählt. Ein Highlight ist vor allem Moers‘ Nachwort, das eine poetologische Reflexion über Arten des Humors beinhaltet. Die Flabelsammlung hat einen Umfang von ca. 150 Seiten; zudem finden sich wieder Moers-typische Illustrationen, die dieses Mal recht raumgreifend sind und auch ganze Seiten in Anspruch nehmen. Dementsprechend ist das Lesevergnügen eher kurz (bei gemütlichem Lesen kann man die Flabeln an einem Abend durchlesen). Für mich ist „Das Einhörnchen, das rückwärts leben wollte“ daher insgesamt eher ein Moers für zwischendurch: Ein netter Ausflug nach Zamonien, der aber natürlich – bedenkt man allein schon den Umfang – nicht an „Rumo“, „Das Labyrinth der Träumenden Bücher“, „Die 13 ½ Leben des Käpt‘n Blaubär“ herankommen kann (und ich denke: auch gar nicht will). Für eingefleischte Zamonien-Fans definitiv ein Muss; die Lesenden, die noch Fans werden möchten, sollten erstmal zu einem anderen Roman aus dem Zyklus greifen.

Bewertung vom 29.12.2024
Die Geschichten in uns
Wells, Benedict

Die Geschichten in uns


ausgezeichnet

Ein emphatischer Schreibratgeber

„Die Geschichten in uns“ ist ein autobiografischer Schreibratgeber von Benedict Wells. Die Bezeichnung „Schreibratgeber“ trifft es dabei eigentlich nicht ganz; der Begriff greift zu kurz, was hoffentlich im Laufe der Rezension deutlich wird (In Ermangelung eines griffigeren Begriffes nutze ich diesen aber dennoch). „Die Geschichten in uns“ setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Die ersten ca. 100 Seiten mit dem Titel „Der Weg zum Schreiben“ thematisieren Wells Autoren-Werdegang – vom Aufkeimen des Wunsches, Schriftsteller zu werden, über einsame Nächte in der Berliner Wohnung, euphorische Momente des Flows, die von kritischen Stimmen wieder gedämpft wurden, und unzählige Überarbeitungen bis zum Verlagsvertrag bei Diogenes (der Wells Wunschverlag war). Dieser Teil ist besonders interessant für Wells-Leser*innen, zeigt Wells sich hier doch sehr persönlich und nahbar. Der zweite Teil richtet sich eher an Schreiberlinge. Denn: Wells zeigt hier exemplarisch auf, wie er schreibt. Dabei spricht er Prozesse wie das „Finden“ einer Idee und das Überarbeiten der Handlung an. In diesem Kontext thematisiert er außerdem konkrete Werkzeuge zum Überarbeiten einer Geschichte (wie bspw. Dialoge, Timing, doppelte Schleifen oder auch das Nichtschreiben). Dieser zweite Teil schließt mit konkreten Einblicken in den Entstehungsprozess von zwei Romanen, die aus Wells' Feder stammen: Wells stellt frühere Fassungen von Auszügen aus „Vom Ende der Einsamkeit“ sowie „Hard Land“ vor. Obwohl der zweite Teil sich eher an Schreiberlinge richtet, gilt auch hier: Wells-Leser*innen kommen nicht zu kurz. Immer wieder verweilt Wells bei seinen eigenen Romanen, exemplifiziert seine Ratschläge an diesen und gibt Insights in den Entstehungsprozess seiner Beststeller, was durchaus für Nicht-Autor*innen interessant ist. In beiden Teilen geht Wells sehr offen mit seinem Leben und dem Schreiben um, ist selbstkritisch- und reflexiv. Immer schlägt er einen emphatischen Ton ein und schreibt anschaulich, sodass sich der eher theoretische zweite Teil nicht wie Theorie liest, sondern wie die Ratschläge eines lieben Freundes. Insgesamt ist „Die Geschichten in uns“ ein informatives Buch für Fans von Benedict Wells, ein Mutmacher für Autor*innen sowie ein emphatischer Ratgeber für alle Schreiberlinge.

Bewertung vom 29.12.2024
Haus des Vergessens
Carrisi, Donato

Haus des Vergessens


ausgezeichnet

Ein hochspannender Thriller, dessen Ende für mich allerdings zu offen war
Inhalt: Toskana. Ein Junge wird allein in einem Waldstück gefunden. Schnell wird offenbar: Es handelt sich um den zwölfjährigen Nico, der seit Monaten spurlos verschwunden war. Äußerlich scheint es Nico verhältnismäßig gut zu gehen, doch er ist verstummt. Um zu erfahren, was mit Nico geschehen ist, wird der renommierte Kinderpsychologe Pietro Gerber hinzugezogen, der Nico unter Hypnose ein Geständnis entlockt: Nico behauptet, seine Mutter, die mit ihm verschwunden war, getötet zu haben – doch Pietro Gerber ist sich sicher, dass dies nicht der Wahrheit entspricht. Vielmehr vermutet Gerber, dass Nico – während er verschwunden war – von einer Person manipuliert worden ist, die Nico als Sprachrohr für ihre Botschaften nutzt…

Persönliche Meinung: „Haus des Vergessens“ ist ein Thriller von Donato Carrisi. Es handelt sich nach „Haus der Stimmen“ um den zweiten Band, in dem Pietro Gerber die Hauptrolle spielt. Zwar wirken die Ereignisse aus Band 1 auf das Leben von Gerber ein, allerdings spielt die Handlung des ersten Bandes ansonsten kaum eine Rolle im aktuellen Fall, sodass man die Bände auch unabhängig voneinander lesen kann. Wie im Inhaltsteaser bereits angedeutet, erwartet die Lesenden mit „Haus des Vergessens“ ein fesselnder wie komplexer Thriller, der mit mehreren Erzählstrangen auftrumpft: Im Haupthandlungsstrang begleiten wir in personaler Perspektive Gerber, der – einer Schnitzeljagd gleich – Hinweise sucht, mit denen er Nico die Botschaft, die ihm von seinem Entführer einprogrammiert worden ist, entlocken kann. Diese Botschaft des Entführers, die aus der Ich-Perspektive erzählt wird, bildet den zweiten Handlungsstrang: Hier behauptet der namenlose Entführer Nicos, ein Fremder habe vor Jahrzehnten – als der Entführer selbst noch ein Kind war – seine Eltern ermordet und ihn gefangen gehalten. Diese Erzählung des Entführers ist wirklich spannend, da sie einem Vexierspiel gleicht, bei dem man nicht weiß, was gelogen und was real ist. Zudem finden sich innerhalb der Handlung mehrfach Cliffhanger und überraschende Wendungen, sodass man den Thriller kaum weglegen kann. Soweit also eine perfekte Thrillerlektüre – und jetzt kommt leider, leider, leider das „aber“: für mich nicht bis zum Schluss. Das Ende schließt nicht alle Handlungsfäden ab, nicht jede ausgelegte Brotkrume wird schlussendlich wieder aufgesammelt, sodass man als Lesender zuletzt stellenweise ein bisschen ratlos zurückbleibt. Meine Hoffnung ist hier, dass der dritte Band, den das Ende des 2. Bandes anteasert, etwas mehr Klarheit schafft, sodass auch die Handlung von „Haus des Vergessens“ runder wird. Insgesamt ist „Haus des Vergessens“ ein fesselnd geschriebener, komplexer und hochspannender Thriller, dessen Auflösung leider für mich hinter der fulminanten Handlung zurückbleibt.

Bewertung vom 29.12.2024
Das größte Rätsel aller Zeiten
Burr, Samuel

Das größte Rätsel aller Zeiten


ausgezeichnet

Ein einfühlsam erzählter Roman über Freundschaft, Liebe und das Finden des Selbst

Inhalt: Seit 25 Jahren, als man ihn als Säugling in einer Hutschachtel vor Creighton Hall fand, ist Clayton Mitglied der „Gemeinschaft der Rätselmacher“ – einer Gruppe leicht eigenwilliger Menschen, die die Liebe zum Kreieren von Rätseln aller Art (seien es Puzzle, Kreuzworträtsel oder Irrgärten) eint. Allerdings ist Clayton bei weitem das jüngste Mitglied: Alle anderen könnten seine Großeltern sein. Da die anderen Mitglieder nicht mehr die Jüngsten sind, drängt die Zeit: Will Clayton das Geheimnis um seine Herkunft lüften, muss er sich beeilen – und als unverhofft ein Hinweis auf die Identität seiner Eltern auftaucht, verliert Clayton keine Zeit: Er begibt sich auf das Abenteuer seines Lebens…

Persönliche Meinung: „Das größte Rätsel aller Zeiten“ ist ein Roman von Samuel Burr. Erzählt wird er in zwei Handlungssträngen: Im ersten Erzählstrang, der in der Gegenwart spielt, begleiten wir Clayton auf der Suche nach seiner Herkunft. Im zweiten Erzählstrang begegnen wir Pippa, der Gründerin der „Gemeinschaft der Rätselmacher“. Dieser Strang spielt in der Vergangenheit: Thematisiert wird hier die Geschichte der „Gemeinschaft der Rätselmacher“ – über die Gründung dieser, den Zusammenschluss der Rätselmacher in eine ungewöhnliche Wohngemeinschaft, das Überstehen von unterschiedlichen Krisen bis hin zum Auffinden des Findelkindes Clayton. Sowohl Pippa und Clayton als auch die anderen Mitglieder der Gemeinschaft werden lebendig geschildert: Sie haben ihre Ecken und Kanten, sind unbedarft, haben allerdings ihr Herz am richtigen Fleck. Erzählt wird die Handlung des Romans behutsam, immer auf eine einfühlsame Art und Weise. Inhaltlich wird eine Vielzahl verschiedener Themen angesprochen (ohne, dass der Roman überladen wirkt): So spielen neben Identitätskonflikten unterschiedlicher Art u.a. das Älterwerden, der Verlust geliebter Menschen, die Veränderung von Freundschaften sowie die Liebe eine wichtige Rolle innerhalb des Romans. Eine Besonderheit des Romans ist, dass sich immer mal wieder kleine Rätsel zum Selberlösen, wie Kreuzworträtsel oder Labyrinthe, innerhalb der Handlung finden. Am Ende findet sich zudem eine schöne Wendung, mit der man nicht rechnen kann. Insgesamt ist „Das größte Rätsel aller Zeiten“ ein einfühlsamer Roman über Freundschaft, Liebe und das Finden des Selbst.

Bewertung vom 16.08.2024
Finster
Menger, Ivar Leon

Finster


ausgezeichnet

Ein filmreifer Thriller!

Katzenbrunn, ein kleines Dorf irgendwo im Odenwald, im Mai 1986. Nikolaus, ein 13-jähriger Junge, verschwindet spurlos vom Jahrmarkt. Ein Umstand, der im Dorf häufiger vorkommt: In unregelmäßigen Abständen schlägt der „Greifer“, wie der Entführer genannt wird, zu und nimmt Jungen mit sich. Die Polizei tappt im Dunkeln, sodass Hans J. Stahl, Kriminalkommissar a.D., seine früheren Ermittlungen aufnimmt und nach Katzenbrunn zurückkehrt. Doch während Stahl das Rätsel um Nikolaus‘ Verschwinden zu lösen sucht, schlägt der „Greifer“ wieder zu…

Persönliche Meinung: „Finster“ ist ein Thriller von Ivar Leon Menger. Erzählt wird der Thriller aus zwölf unterschiedlichen Erzählperspektiven (hauptsächlich personal, z. T. auch aus der Ich-Perspektive). Aber keine Sorge: Die Perspektivwechsel werden deutlich markiert; jede Figur hat ihren eigenen Ton, sodass man während der Lektüre nicht durcheinanderkommt. In den verschiedenen Perspektiven wird gewissermaßen der gesamte kleinstädtische Mikrokosmos abgebildet: So kommen – neben Stahl – auch die Wirtin des lokalen Gasthofes, ein kürzlich Zugezogener, ein Arzt sowie der Pfarrer Katzenbrunns zu Wort (um nur ein paar Perspektiven zu nennen). Dabei wird schnell klar: Fast jede Figur besitzt ein Geheimnis, ist irgendwie suspekt, sodass eine hohe Spannungskurve entsteht und man permanent miträtselt, wer denn jetzt der „Greifer“ sein könnte. Falsche Fährten werden dabei geschickt gelegt, was die Spannung weiter erhöht. Daneben ist die Handlung – eiskalt – wendungsreich. Ohne hierzu zu viel verraten zu wollen: Wirklich ganz großes Kino! (Diejenigen, die den Thriller bereits gelesen haben, wissen genau, was ich meine; alle anderen: greift (no pun intended) zum Buch, ums zu erfahren 🙃). Zusätzlich ist „Finster“ sehr atmosphärisch: Katzenbrunn mit seinem verbarrikadierten Fotogeschäft, dem eigenartigen Brunnen, seinen Wäldern und absonderlichen Bewohnern wirkt permanent bedrohlich und bizarr. Der Schreibstil von Ivar Leon Menger ist anschaulich und sehr flüssig zu lesen; passagenweise auch beklemmend, was die Atmosphäre des Thrillers dichter macht. Kurz: „Finster“ ein wendungsreicher, fesselnder sowie atmosphärischer Thriller, den man kaum beiseitelegen kann.

Bewertung vom 15.08.2024
Schrei am Main
Nähle, Kirsten

Schrei am Main


ausgezeichnet

Ein fesselnder Krimi mit hoher Spannungskurve

Inhalt: Seit Jahren war Robert nicht mehr in seinem Heimatdorf nahe Würzburg. Der ungeklärte Mord an seiner Schwester Marlene, der mittlerweile 20 Jahre her ist, saß zu tief. Doch nun ist seine Mutter schwer erkrankt, sodass er sie besuchen möchte. Im Dorf hat sich kaum etwas verändert: Robert trifft auf damalige Freunde seiner Schwester sowie auf ehemals im Mordfall Verdächtigte. Als seine Mutter ihm offenbart, dass sie nicht sterben möchte, ohne zu wissen, wer ihre Tochter ermordet hat, wendet sich Robert an die Privatdetektivin Valentina Wallrapp. Gemeinsam versuchen die beiden, den Cold Case zu klären…

Persönliche Meinung: „Schrei am Main“ ist ein Regiokrimi von Kirsten Nähle, der in und um Würzburg spielt. Erzählt wird die Handlung auf zwei, sich in einem stimmigen Tempo abwechselnden Zeitebenen aus drei Ich-Perspektiven. Während man in der Gegenwart (hier: im Jahr 2019) Robert und Valentina bei ihren Ermittlungen begleitet, erfährt man in einem zweiten, im Jahr 1999 spielenden Handlungsstrang aus der Perspektive von Marlene, was an ihrem Todestag geschah. Der Krimi startet schön undurchsichtig und spannend: Ein anonymer Brief wirft ein neues Licht auf den Mord, eine Person legt am Todestag Marlenes eine Rose auf deren Grab, einzelne Menschen im Dorf scheinen mehr zu wissen, als sie zugeben möchten, und auch Robert trägt ein Geheimnis mit sich. Zum weiteren Verlauf des Krimis möchte ich darüber hinaus gar nicht zu viel verraten. Nur: Die Spannungskurve ist sehr hoch, die Lektüre fesselnd, man wird zum Miträtseln eingeladen und es finden sich Wendungen, mit denen man nicht unbedingt rechnet. Der Schreibstil von Kirsten Nähle ist anschaulich sowie flüssig und angenehm zu lesen. Insgesamt ist „Schrei am Main“ ein fesselnder Regiokrimi mit einer hohen Spannungskurve.