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Benutzername: 
Lizzielichti
Wohnort: 
Halle

Bewertungen

Insgesamt 4 Bewertungen
Bewertung vom 20.04.2020
Nur kurz leben (eBook, ePUB)
Strefford, Catherine

Nur kurz leben (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

14.000 Euro. Eine Kurzschlussreaktion. Ein fremder Junge im Fluchtauto.
Man könnte sagen, für Richie ist es schon einmal besser gelaufen im Leben, aber eigentlich wäre das für ihn auch zu hoch gegriffen. Was im besten Fall nur wie eine undurchdachte, im schlimmsten wie eine fällig missglückte Flucht aussieht, entwickelt sich im Laufe der Geschichte zu einem wunderbaren Road-Movie, der zwischen Drama, Philosophie und Komik schwankt. Leon, der blinde Passagier und Richie, der unfreiwillige Entführer entwickelt eine interessante Freundschaft, die angenehm fern der bekannten Klischees vom Stockholm-Syndrom liegt, sonder auf der absurden Situation fußt, in die beide – mehr oder minder freiwillig – wieder finden. Dabei ist nicht immer ganz klar, wer der Erwachsene der Beiden eigentlich ist.

Ich habe das Buch unfassbar gern gelesen. Der Schreibstil ist genial und hat mich vom ersten Wort an – und das habe ich wirklich selten! - in seinen Bann gezogen. Die Sätze sind teilweise einfach so wunderschön, dass ich innegehalten und sie mehrfach gelesen habe. Einfach, stilsicher und punktgenau. Die Geschichte ist nicht sehr lang, sie braucht es aber auch nicht sein, denn so kommt es nicht zu unnötigen Längen und bleibt realistisch. Ich konnte das Buch kaum weglegen, denn zu gern habe ich die beiden auf ihrer Reise begleitet und wollte mich in dieser Sprache verlieren.

Zu beachten sei die Conten Warnung der Autorin. Die Entwicklung ist leider abzusehen, wobei sich das leider nicht auf die fehlende Spannung, sondern eben genau darauf bezieht: Man weiß, man fürchtet, was geschehen wird und hofft doch, dass man sich irrt. Es schmerzt und mich hat das Ende so hart getroffen, dass ich nur schwer meine Tränen zurückhalten konnte.

Das Buch lässt einen nachdenklich zurück. Es greift Themen auf, die uns alle betreffen und schafft es, dass ich mein eigenes Leben kurz betrachtet habe. „Nur kurz leben“ ist ein Ausnahmewerk, was ich lieben und hassen gelernt habe – weil es schmerzt. Es ist eine absolute Empfehlung für jeden, der sich nicht sträubt, mit Richie und Leon mitzulachen und zu -leiden. Und vielleicht auch selbst einmal über sein Leben nachzudenken.
Man kann nur hoffen, dass die Autorin noch weitere Werke in unsere Hände entlässt!

Bewertung vom 04.04.2020
Der Angstfresser (eBook, ePUB)
Hanika, Tanja

Der Angstfresser (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Dieses Buch ist brutal. Es enthält genaue Beschreibungen von Grauen, dass man sich kaum vorstellen möchte und bei dem man sich vielleicht fragen kann, wie es andere können. Und dennoch sind diese Beschreibungen kein reiner Splatter, im Gegenteil: Im Buch wird erschreckend oft sogar im Grauen selbst unerbittlich auf die Gedanken, Gefühle und Sinneseindrücke eingegangen, die das Ganze beinahe noch unerträglicher machen. Eben, weil es kein reiner Splatter ist. Es ist kein Axtschwingender Irrer, der hier und da Arme abhackt und an deren bluten man sich erfreuen kann. Es ist ein Roman, Worte, die tief in ihren Bann ziehen und die eigenen Ängste mit eiserner Hand umklammern. Angstfresser ist ein selten ironischer Titel dabei.

Obwohl ich immer wieder Pausen vom Lesen machen musste – dieses Mal nicht bedingt durch ein aufwachendes Kind, sondern aufgrund der Heftigkeit der Szenen und meiner Reaktion – habe ich das Buch mit immerhin 204 Seiten verschlungen. Der Schreibstil ist angenehm flüssig und liest sich so schnell, dass das Grauen nur noch tiefer greifen kann, Nie habe ich mir mehr gewünscht, über unpassende Formulierungen stolpern zu können, doch die Autorin tut mir diesen Gefallen nicht.

Zum Inhalt: Dass es ausgerechnet ein Horrorautor ist, der Chester zu einem Horrorabend einlädt, der seinesgleichen sucht, ist amüsante Ironie, die mich vor allem bei dem Gedanken hängen ließ, ob die Autorin insbesondere beim Thema des Schreibens eigene Gedanken verwendet hat. Wie es auch sei, es ist erschreckend interessant und angenehm, Chester Harris zu folgen. Die Perspektiven wechseln zwischen den verschiedenen Figuren, was jedoch keinerlei Sicherheit über Leben und Tod garantiert – es macht die ganze Sache noch grauenvoller, aber unfassbar spannend. Bis zum Schluss hatte ich keine Ahnung, wie es wirklich ausgehen wird. Das Ende kam etwas überhastet, andererseits musste es in diesem Kontext auch so sein.

Meine Bewertung? Nun, ich bin mir nicht sicher, ob es richtig ist zu sagen, das Buch hätte mir Spaß gemacht. Es war zumindest kein Spaß, wie man es allgemein beschreiben würde. Es war keine locker-leichte Lektüre, aber ich hab sie verschlungen und würde, ohne Zögern, erneut zu der Autorin greifen. Wer keine Angst vor Grauen hat, dem sei zu dem Buch geraten. Allen anderen wünsche ich von Herzen, dass die Autorin auch andere Bücher schreiben wird, weil ihnen ansonsten ein unfassbar genussvoller Schreibstil entgehen wird.

Bewertung vom 03.04.2020
Cyberempathy
Hainwald, E. F. v.

Cyberempathy


sehr gut

Es ist schwer, dieses Buch zu beschreiben, ohne sich in Spoilern zu verlieren. Gefühlt ist jede neue Wendung, über die ich gern geschrieben hätte, etwas, was ich dem neu geneigten Leser vorweg nehmen würde. Spannend bis zum Schluss!
Als großer Fan des Cyberpunks, wie es der Neuromancer begründet hat und von Science-Fiktion von Asimov geprägt, bin ich immer offen für neue Ideen in diesem Bereich. Ein allumfassendes Empathienetzwerk hat natürlich mein Interesse geweckt. Die Welt, in der Cyberemapthie spielt, ist dabei insgesamt natürlich hoch entwickelt; es wird auf eine schön nebensächliche Weise immer wieder eingeflochten, was das Ganze sehr plastisch erscheinen lässt. Kybernetik und Genetik kämpfen um die Vorherrschaft. Ich wüsste ehrlich gesagt nicht, ob ich eine biologisch optimierte Hand besitzen wollen würde oder eine perfekt ausgestattet mechanische. Das Eintauchen in die Welt fällt daher leicht, genauso, wie das Einlassen auf das Cybernet. Ich habe mich hin und wieder durchaus gefragt, ob ich überhaupt fühlen wollen würde, was der andere fühlt – immerhin sind es nicht nur positive Emotionen. Hier kommt schnell Leon, der Protagonist, ins Spiel, der als Erinnerungskonstrukteur genau die negativen Emotionen bei Erinnerungen verändert. Auch das ist ein unfassbar interessanter Gedanke – das Problem wird dabei allerdings auch rasch klar: Was sind negative Erinnerungen? Wann darf ich sie beeinflussen und wann gehören sie zum Charakter? Machen uns diese Erinnerungen nicht genauso aus wie all die positiven? Insgesamt wirkt die Welt von Cyberempathy gut durchdacht und hat (für mich!) neue und tolle Ansätze, über die man vermutlich eigene Aufsätze verfassen könnte.

Insgesamt hat das Buch Spaß gemacht. Der Schreibstil ist fesselnd, auch wenn man die Art der Gedanken (sie kursiv auszuformulieren) mögen muss. Ebenso wie den Fokus auf die Gespräche und die Philosophie hinter der Welt. Einige Dinge waren für mich schon früh vorhersehbar, andere Sachen absolut überraschend und gerade zum Ende hin überschlagen sich die Ereignisse mit starken Wendungen. Hier hätten vielleicht noch ein paar Seiten mehr gut getan, aber vielleicht liegt es auch nur daran, dass ich gern noch mehr Zeit mit Leon, Rade und Lux verbracht hätte.
Das Buch regt zum Nachdenken an, über einen selbst und über das, was kommen kann. Wie ich schon zuvor erwähnt habe, wüsste ich nicht, ob ich mich darauf einlassen würde – andererseits, wenn ich bedenke, dass ich noch vor einigen Jahren für mein erstes Smartphone ausgelacht worden bin, weil man da ja „nicht braucht“ und sowieso „nur eine Erscheinung“ ist, ist die Frage nicht ob, sondern eher wann man sich darauf einlassen würde. Für alle, die diese Frage übrigens interessant finden, hat der Verlag noch ein nettes Schmackerle im Petto: Eine Was-würdest-du-tun?-Kurzgeschichte, in der man genau diesen Fragen nachgehen kann. Sehr geil!
Ich würde das Buch jedem empfehlen, der wieder mal richtig guten Cyperpunk lesen möchte, aber dabei nicht von einer Schlacht in die nächste gestoßen werden möchte, sondern sich vor allem für die Welt und die Ethik dahinter interessiert. Insgesamt ein sehr gutes Buch, dass lediglich für einige inhaltliche Dinge – ich bin einfach kein Fan der ausformulierten Gedanken und manches Mal wirkten Leons Gedanken schon recht einem „vorgeschmissen“ - einen Punkt Abzug gebe. Wer sich daran nicht stört, hat einen wahren Lesegenuss vor sich!