Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Christiane
Wohnort: 
Ulm

Bewertungen

Insgesamt 4 Bewertungen
Bewertung vom 27.02.2023
Der Donnerstagsmordclub / Die Mordclub-Serie Bd.1
Osman, Richard

Der Donnerstagsmordclub / Die Mordclub-Serie Bd.1


gut

Endlich mal wieder ein richtig schöner englischer Krimi, dachte ich mir, als ich vor einer Zugfahrt im Zeitungsladen stand. So wie wir es von Cyril Hare oder Agatha Christie kennen: Ein Mordfall als Rätsel, das aufgeklärt wird von einer ebenso liebenswerten wie überraschend zielstrebigen kleinen Gesellschaft ausgeprägter Charaktere. Diese Miss Marple heißt Joyce und ist eine pensionierte Krankenschwester. Sie lebt in einer Alten-Residenz für Reiche, in der man normalerweise keine pensionierten Krankenschwestern findet. (Sie muss sich gut verheiratet haben.) Bald nach ihrem Einzug lernt sie die Mitglieder des Mordclubs kennen.

Elizabeth, zum Beispiel
Sie kauft Pennys Shampoo immer in dem Laden in Coopers Chase. „Zwischendurch war es aus dem Sortiment genommen, aber Elizabeth hat der Geschäftsleitung einen Besuch abgestattet, und jetzt führen sie es wieder.“ Na, da wissen wir Bescheid.
Elizabeth ist nicht nur energisch, sie ist auch mit allen Wassern gewaschen als ehemalige Geheimagentin: Für mich als Leserin ist es aber beruhigend zu wissen, so eine kompetente Person an meiner Seite zu wissen.

Die lieben Altchen
So findet sich der ermittelnde Kriminalpolizist Chris Hudson – er bügelt seine Hemden nie und verschiebt das richtige Leben auf die Zeit, wenn er ein paar Kilo abgenommen haben wird – nach dem ersten Viertel des Buches in einer Verhörsituation wieder, die es in sich hat: Eingeklemmt zwischen Miss Marple Joyce und Ibrahim, dem pensionierten Psychiater, sitzt er auf einem Zweisitzer-Sofa, bewegungsunfähig gemacht durch eine Tasse zu heißen Tee, ohne Gelegenheit, sie irgendwo abzustellen. Die alten Leute um ihn herum schwatzen munter über selbst gebackenen Kuchen und die aktuellen TV-Krimiserien. Keinen Augenblick kommt Chris auf die Idee, dass er es ist, der hier ausgehorcht werden soll.
Aber dann haben sie doch irgendwie Mitleid mit ihm, und er bekommt einen eigenen Stuhl.

Die Bösen
Und so ähnlich ist es mit dem ganzen Buch: So schlimm ist es dann auch wieder nicht. OK, es kommen ein paar Leute um, und es gibt auch ein paar richtig böse Menschen wie Ian Ventham, den Investor mit krimineller Vergangenheit: Er will nichts anderes als Geld machen und noch mehr Geld machen. Aber die meisten anderen sind inzwischen irgendwie geläutert, haben das Drogengeld und auch sich selbst reingewaschen und sind zu ehrenwerten Bürgern mutiert. Das ist doch wohl in Ordnung, oder?

Leben am Abgrund
Das hohe Alter ist ein Thema, das das ganze Buch durchzieht: Da sind die ganz Fitten, allen voran
Elizabeth, und diejenigen die „auf der Kippe“ stehen wie ihr Mann Peter. Oder Penny Gray: Die ehemalige Kriminalkommissarin war mal Mitglied im Club und ist nun in Willows gelandet, wo sie ohne Bewusstsein liegt und gepflegt wird. Mitunter durchzieht eine Dimension leisen Grauens das Buch, eines Fantasy-Romans würdig. Nur wissen alle, dass der große Held nicht kommen wird, der die Bewohner vor ihrem unwiederbringlichen Schicksal bewahren wird: Der Abgrund ist irgendwo weiter vorne im Nebel. Niemand weiß, wann er ihn erreichen und wie steil der Fall sein wird.

Verwicklungen
Die Kapitel sind kurz, die Sätze auch. Die Geschichte kommt sehr sachlich, als Bericht daher – und steckt voller Witz und Ironie: Das ist eine ihrer Stärken. Teils wird sie von Joyce in ihrem Tagebuch erzählt, dann wieder aus der Perspektive zahlreicher anderer Personen. Fast ebenso zahlreich sind die „red herrings“ – falsche Fährten. Sie durchziehen das Gewebe der Geschichte. Alle Verdächtigungen werden nach und nach aufgelöst, kein loser Faden bleibt hängen, alles ist interessant und dann doch irgendwie nicht so schlimm, und so richtig in Gefahr kommt eigentlich niemand. Ich finde es sehr angenehm, dass nicht dauernd irgendwelches Blut spritzt und Knochen brechen. Dass Elizabeth und Joyce ihre kleinen grauen Zellen anstrengen und zum Schluss alles gut ausgeht oder zumindest als gut ausgehend erzählt wird.
Und die nächste Folge deutet sich ja dann auch schon an; es ist also nicht sehr wahrscheinlich, dass Elizabeth so bald dement wird.

Fazit
Die Charaktere sind gut entwickelt; sie kommen als ganzer, bunter Blumenstrauß daher: Von ihnen lebt die Geschichte. Der Plot ist genauso bunt und manchmal verwirrend. Es gibt immer wieder neue Verdächtige, und kaum hat man sich an sie gewöhnt, sind sie schon wieder aus dem Rennen. Das Ganze ist spannend, vergnüglich zu lesen – und lässt mich einigermaßen unbefriedigt zurück. So nett kann es also zugehen in der Welt von Mord und Totschlag? Es gibt Wein und Kuchen, und alles löst sich in Wohlgefallen auf?

Bewertung vom 27.02.2023
Die Nacht der Raben / Shetland-Serie Bd.1
Cleeves, Ann

Die Nacht der Raben / Shetland-Serie Bd.1


ausgezeichnet

Ein richtiger englischer Krimi, mit allem was dazugehört

Anne Cleeves lebt selbst nicht auf den Shetland-Inseln – da ist es natürlich eine Herausforderung (wie sie selbst sagt), eine Geschichte in so einem ebenso übersichtlichen wie abgelegenen Teil unserer Welt anzusiedeln – aber auch eine Chance, denn so lässt sich der örtliche Rahmen gut eingrenzen, mit seinen mitunter überraschenden Örtlichkeiten und Gepflogenheiten: Ein vielversprechende Setting für die Geschichte.

Diese hier spielt im Winter, in Eis und Schnee und dem kalten Wind, der über die Inseln fegt. Da ist Magnus, ein einsamer und etwas zurückgebliebener alter Mann, der die Raben beobachtet, wie sie am Himmel kreisen und miteinander Fangen spielen. Der den Menschen zuschaut, die an seinem Haus vorbeikommen und meist vergeblich auf einen Besuch hofft. Die Künstlerin Fran ist mit ihrer aufgeweckten Tochter aus England hierhergezogen; ihr geschiedener Mann stammt von dieser Insel und lebt ebenfalls dort. Die beiden Freundinnen Catherine und Sally verbindet ihr Außenseitertum in der Schule miteinander.
Es ist Fran, die Catherine eines Morgens findet. Das Mädchen liegt tot im Schnee. Die Raben lassen sich kaum vertreiben; sie haben ihr bereits ein Auge ausgehackt.

Für den Fall zuständig ist Inspektor Perez, schwarzhaarig und mit markanter Hakennase. Er klopft an die Scheibe des Autos, in dem Fran auf die Ankunft der Polizei wartet. „Ein Ausländer, dachte sie, noch sehr viel ausländischer als ich“ – seine Sprache aber weist auf eine shetländische Herkunft.
Es gibt in diesem Buch eine Reihe solch kleiner Rätsel, die irgendwann wie selbstverständlich gelöst werden und viel dazu beitragen, eine stete, aber nicht zu drängende Spannung zu halten. Immer wieder wechselt Cleeves die Erzählperspektive: Mal schildert sie die Geschehnisse aus der Sicht von Magnus oder Fran, dann aus derjenigen von Sally oder ihrer Mutter. Bruchstückhaft erfahren wir etwas über die Personen, ihre Ängste, Hoffnungen und innerste Gedanken, lernen die eine oder andere Seite von ihnen kennen, ohne sie ganz erfassen zu können.

Das ist – abgesehen davon, dass der Plot in sich stimmig ist – die größte Stärke dieses und auch der weiteren Bücher von Anne Cleeves: Sie zeigt uns ihre Personen in einer Vielschichtigkeit, die erahnen lässt, dass wir sie nie ganz erfassen, nie ganz kennenlernen werden. Dass sie sich ihrer selbst auch nicht immer sicher sind und des Bildes, das sie sich voneinander machen. Stück für Stück fügen sich die Persönlichkeiten, fügt sich die Geschichte in unserer Vorstellung zusammen, wirft in überraschenden Wendungen immer wieder neue Perspektiven auf, bis zu der verblüffenden Lösung am Schluss. (Die ist wirklich verblüffend, und ich bin nicht sicher, ob ich sie wirklich ganz schlüssig finde – doch das tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch. Dies hier ist schließlich nicht die Wirklichkeit, sondern ein Krimi. Und ein richtig gut geschriebener dazu.)

Worüber ich mich geärgert hat, ist der „Über das Buch“-Text. Es darf einfach nicht sein, dass darin Dinge beschrieben werden, die erst im letzten Viertel des Romans zum Tragen kommen. Aber das ist eine Sache des Verlags. Hier würde ich mir mehr Sorgfalt bei der Vermarktung wünschen.

Bewertung vom 25.02.2023
Erwachsene Menschen
Aubert, Marie

Erwachsene Menschen


weniger gut

Ein schmaler Band mit schmalem Inhalt

Ida ist 40, erfolgreich im Beruf, und wünscht sich sehnlichst ein Kind. Ihre jüngere Schwester Marthe hat es immerhin schon zu einem Mann gebracht – und ein Kind dazu bekommen aus dessen früherer Beziehung, Olea. Im Sommerhaus der Familie treffen beide zusammen. Es stellt sich heraus dass Martha schwanger ist.

Das Buch wird angekündigt als „preisgekrönter Bestseller aus Skandinavien“, die Rezensenten auf der Buch-Rückseite sind voll des Lobes: Die Erwartungen sind also groß. Zu groß, finde ich. Es ist eine gut geschriebene, gut gebaute Geschichte, doch emotional mitreißen tut sie mich nicht. Die Ich-Erzählerin Ida ist unglücklich, eifersüchtig, intrigant. Sie kann einem Leid tun (wenn auch nicht allzu sehr), mögen muss man sie nicht. Der einzig wirklich sympathische Mensch ist Stein, der Lebensgefährte der Mutter, seine distanzierte Teilnahme und Lebensklugheit ist wohltuend, aber nicht ausreichend, um den Text zu retten.

Bewertung vom 25.02.2023
Die Fließende Karte / Die Silbermeer-Saga Bd.2 (eBook, ePUB)
Hartwell, Katharina

Die Fließende Karte / Die Silbermeer-Saga Bd.2 (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Eine Geschichte voller Wahrheit und um sich darin zu verlieren

Die ersten beiden Bände habe ich bereits gelesen, auf den dritten bin ich nun sehr gespannt. Natürlich ist Edda nicht wirklich gestorben, so etwas würde keine gute Autorin ihren Lesern antun! Und auch nicht ihrer Geschichte, ihrer Hauptfigur, und all den vielschichtigen Personen, die Edda begleiten oder bekämpfen, ihr hilfreich zur Seite stehen, sie für ihre Zwecke benutzen wollen oder lieben.

Nach einem langsamen Anfang nimmt die Geschichte Fahrt auf

Im ersten Band ging mir die Handlung ein wenig langsam voran, manches erschien mir nicht ganz schlüssig: Das ewige Rühren in den Bottichen, die folgenlose Verzweiflung über die verschwundenen Kinder, das rätselhafte Verhalten der Dorfbewohner in Bezug auf Talin Brand, Eddas lange Zeit unter den Dachfreien und ihre Rettung durch Infried -- doch das meiste davon klärt sich, fügt sich ineinander im zweiten Band, der ein wenig temporeicher ist. Hier entwickelt Edda ihre Stärken. Sie wird zu einer Heldin, der wir vertrauen können, und auf die auch ihre Begleiter mehr und mehr vertrauen.

Eine wunderbare Sprache

Ganz besonders viel Spaß hat es mir gemacht, diesen guten Fantasy-Roman in seiner Original-, meiner Muttersprache lesen zu können. All diese Feinheiten genießen zu dürfen: Die Wörter, die genau in diese Welt des Romans gehören wie die "Dachfreien", die "Schmachter", "meerfern" oder der Ausruf "zum Wassermann". Sprache hat in dieser Buchreihe eine ganz besondere Bedeutung, sie ist kostbar in Form der "Alten Sprache", wird als "Altsprech" missbraucht.

Kleine Fluchten und Orientierung

Damit zeigt Katharina Hartwell, dass Fantasy nicht einfach nur ein minderwertiges Genre voller Blut und Zauberei sein muss, eine Ablenkung vom "richtigen" Leben. Sie führt uns in eine fremde Welt, die in vielem derjenigen ähnelt, in der wir selbst uns zurechtfinden müssen. Sie ermöglicht uns kleine Fluchten und bietet zugleich Orientierung.