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Benutzername: 
Andreas Schulz
Wohnort: 
Erkrath

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Insgesamt 2 Bewertungen
Bewertung vom 15.12.2022
Diese eine Blume, die uns verbindet

Diese eine Blume, die uns verbindet


ausgezeichnet

Die Broschüre lenkt den Blick hin zu dieser „... einen Blume, die uns verbindet“. 
Ein schöner Titel. Die persönlichen Berichte und Lebensreflexionen gestatten Einblicke in die Lebenswelten von Pflegefamilien aus der Sicht der nunmehr erwachsenen „Pflegekinder“ und einem der Geschwisterkinder.

Die Geschichten sind real, die Namen verändert. Die Geschichten sind von einer berührenden Ehrlichkeit. Angedeutet werden die Erlebnisse in den Herkunftsfamilie: Drogen, plötzliche Herausnahmen aus der Herkunftsfamilie, manchmal ersehnt, um der Unerträglichkeit zu entfliehen. „Erst als die Mutter eines Tages einfach nicht mehr nach Hause kam, war die Nachbarin gezwungen, das Jugendamt einzuschalten und so begann ein neues Leben für die beiden Mädchen“ (S. 39).

Mit der Aufnahme in die Pflegefamilien oder Erziehungsstellen beginnt für diese jungen Menschen ein Leben in Würde. Sie lernen etwas, was sie bislang in dieser Form nicht kannten: ein normales Familienleben, Menschen, die wohlwollend und verantwortungsvoll auf sie schauen, Beziehung anbieten, zuhören und antworten, Strukturen bieten und Grenzen setzen. Diese Beziehungserfahrungen bilden das Grundgerüst, um lebensfähig zu sein.

Die Lebensberichte bleiben nicht ohne Kämpfe und Brüche. Geschwister, die in gemeinsamen Pflegefamilien aufwachsen, verlieren sich. Drogenabhängige erleben, dass sie von den Pflegefamilien nicht fallen gelassen werden. Lebensängste tauchen noch nach vielen Jahren immer wieder auf und wuchern störend in spätere Partnerbeziehungen hinein.
Die meisten berichten in der Ich-Form. Eine erwachsene Pflegetochter wählt sprachlich eine distanzierende Erzählweise: „Jenny ging ab der ersten Klasse jeden Tag allein zur Schule .... In der Schule versuchte sie sich nicht anmerken zu lassen, dass zu Hause etwas nicht richtig war ..“ (S. 39).

Gerade in diesen Berichten wird deutlich, dass die Pflegeeltern, wohl aber auch die anderen Familiengeschwister, eine gute Basis für das weitere Leben bilden. „In meinem Leben ist so vieles schief gelaufen, was immer meine Schuld war, aber ich bin so froh, so eine tolle Pflegefamilie und so einen tollen Papa zu haben. Endlich macht das Leben wieder Freude“ (S. 81). 

„Meine Pflegeeltern gaben mir sofort die Liebe und Zuneigung, nach der ich die ganzen Jahre gesucht habe (S. 61). „Natürlich war ich in dieser Zeit kein einfacher Junge, ich habe gegen viele Regeln verstoßen, um Liebe und Aufmerksamkeit zu bekommen. Ich war auf der Suche nach Geborgenheit und Schutz“ (S. 58), „Rückblickend weiß ich, dass mich meine Familie und meine Freunde in meinem bisherigen Leben positiv beeinflusst und dafür gesorgt haben, dass ich mich zu dem Menschen entwickelt habe, der ich heute bin“ (S. 100).

Berührend fand ich die Schilderungen mit der Begegnung mit den leiblichen Eltern: Mütter, die früher nicht in der Lage waren, ein eigenes gutes Leben zu leben. Ohne Moralisieren und ohne Vorwürfe: diese Haltung schimmert durch und hält die Möglichkeit zu einer späteren Begegnung offen.

Die Beziehungen zu den Pflegeeltern brechen nicht ab mit dem vollendeten 18ten Lebensjahr. Dies wird sehr schön deutlich bei der zaghaften und ängstlichen Frage von Riccardo: „..habe ich meinen Mut zusammen genommen und meine Eltern gefragt, warum sie mich nicht adoptiert haben. Die Antwort, die ich bekam, habe ich gar nicht erwartet. Meine Eltern haben mir gesagt, dass sie nie darüber nachgedacht haben, da ich für sie in ihren Augen immer ihr Sohn war. Ich habe mich sehr darüber gefreut, das zu hören“ (S. 90).

Die Berichte und Erzählungen greifen noch viele weitere Aspekte auf: was bedeutet es für ein Kind vor der gesamten Klasse als Pflegekind bezeichnet zu werden (Scham, Angst vor Ausgrenzung). 

Geneigte Leser(innen) werden die Bandbreite der wiedergegebenen Erfahrungen zu schätzen wissen. Die Berichte geben einen guten ersten Einblick in die „Welt der Pflegefamilien“.

Die Broschüre eignet sich für Fachkräfte, die sich dem Thema Pflegefamilien nähern wollen. Sie eignet sich als „Gedenkschrift“ für die Pflegekinder selber und zeugt von der Anerkennung der „emotionalen Beziehungsarbeit“ der Pflegefamilien.

Die Broschüre, inzwischen in der zweiten Auflage erhältlich, ist ansprechend gestaltet. Die Schrift ist groß, der Text wird aufgelockert durch durchweg schöne Fotos der erwachsenen Pflegekinder (z.B. Ricardo S. 99, 
Jenny S. 45, Gertrud S. 32 und mehrfach die Pusteblume). 

Der Text wird ergänzt durch die lesenswerten Tipps von ehemaligen Pflegekindern für Pflegekinder (S. 112), Tipps von ehemaligen Pflegekindern an Pflegeeltern (S. 114-116), Wünsche ans Jugendamt (S. 117), Erwartungen an Fachkräfte (S. 122).

Diese eine Blume, die uns verbindet: ein schönes Bild für Begegnungen.

Bewertung vom 15.12.2022
Diese eine Blume, die uns verbindet

Diese eine Blume, die uns verbindet


ausgezeichnet

Der zweite Band dieser "einen Blume, die uns verbindet" ist in erster Linie den Pflegeeltern und ihrer Perspektive gewidmet: "Es sind ganz unterschiedliche Geschichten, die hier erzählt werden: Pflegemütter, Pflegeeltern und Pflegekinder schreiben aus ihren Perspektiven; eine ganze Pflegefamilie zeigt uns ihren jeweiligen Blick auf die gemeinsame Zeit" (S. 11). Die Geschichten verdeutlichen, wie Beziehungen und Bindungen entstehen, gehalten und erhalten werden und sich, wenn auch nicht in allen Pflegefamilien, zu tragbaren Netzen für das Leben entwickeln.

Die Geschichten der Pflegeeltern zeigen, welche Lebensverantwortung Pflegeeltern für ihre Pflegekinder übernehmen und wie achtsam sie sich die ihnen anvertrauten jungen Menschen herantasten., insbesondere, wenn diese durch frühere Erfahrungen in ihren Herkunftsfamilien traumarisiert wurden. 

Die Schilderungen der Geschichten zeigen, wie Pflegeeltern im Alltag mit den vielfältigen Symptomen, der ganzen Bandbreite menschlicher Gefühle, die als Ausdruck seelischer Verletzungen im Kindesalter verstanden werden können, angerührt, gefordert und teilweise überfordert werden, und reflektierend lernen, diese Kinder behutsam und achtsam begleitend ins Leben zu führen und mit ihnen zu leben. In den Geschichten der Pflegeeltern und der Pflegekinder zeigt sich, wie Menschen lernen, sich aufeinander einlassen, einander im Alltag umfassend wahrzunehmen und zu begreifen und miteinander zu leben. Das Zentrum der Perspektiven ist das gemeinsame Leben miteinander, diese eine Blume, die uns verbindet.

Die Pflegeeltern schildern mit anerkennenswerter Ehrlichkeit Momente der Trauer und des Schmerzes, wenn die Beziehungen zwischen Pflegeeltern und Pflegekindern auseinander brechen, und notwendige Entwicklungsprozesse erst getrennt voneinander durchlebt werden.

Die Beziehungserfahrungen zwischen den natürlichen Kindern und den Pflegekindern der (Pflege)Familie führen zu einer wachsenden Vertrautheit und emotionalen Akzeptanz: die anfangs einander fremden jungen Menschen werden durch die gemeinsamen Erfahrungen zu Geschwistern. Alex (S.99) beschriebt das so: "Um endlich zur Kernfrage zu kommen, wie es war, mit einer Pflegeschwester aufzuwachsen: Ich bin nicht mit einer Pflegeschwester aufgewachsen. Ich bin mit einer Schwester aufgewachsen…"

Pflegekinder haben ihre eigenen leiblichen Geschwister, die eventuell noch in ihren Herkunftsfamilien leben oder auch, getrennt voneinander, in verschiedenen Pflegefamilien aufwachsen. So können über die leiblichen Geschwister er Pflegekinder Bindeglieder (Kontaktbrücken) zu anderen Pflegefamilien sein,
Pflegeeltern nehmen Kinder aus verschiedenen Herkunftsfamilien auf. Dies bedeutet, sich zeitgleich oder zeitlich verschoben, auf unterschiedlichste Persönlichkeiten und ihre jeweilige Dynamik, die diese aus ihren jeweiligen Herkunftsfamilien mitbringen, einzulassen. Veranschaulicht wird dies in dem reflektierenden Erfahrungsbericht der Pflegeeltern Conny und Willi (S. 122 - 138), die über einen Zeitraum von 22 Jahren Pflegeeltern waren. Sie nehmen Stellung zu Punkten wie: Kindeswahl - Kindeswohl, Elternwahl-Elternwohl; leibliche Eltern/ Geschwister, biographische Annäherung, die Bedeutung von diagnostischer Einschätzung durch Fachleute sowie Begleitung durch Löwenzahn.

Die Geschichten lösen in mir Respekt aus für Familien, in der die Eltern und die leiblichen Kinder bereit sind, sich für andere Menschen zu öffnen. Pflegefamilien haben mit der Annahme eines Pflegekindes nicht nur neue Kinder und Geschwister. Das gesamte Beziehungsnetz verändert sich. Die leiblichen Kinder erleben ihre Eltern in persönlichen und -in Erziehungsstellen - hautnah in professionellen Beziehungskontext.


Die Erfahrungsberichte werden ergänzt durch einen fachlich reflektierenden Epilog.

Auch dieses Buch ist, wie der erste Band der Reihe RückBlickPunkte, ansprechend gestaltet. Das Buch weist wieder den gleichen gelben Umschlag wie der erste Band auf. Die Schrift ist angenehm groß, der Text wird aufgelockert durch durchweg schöne Fotos und mehrfach die Pusteblume.