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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
Leobiene
Wohnort: 
Düsseldorf

Bewertungen

Insgesamt 17 Bewertungen
12
Bewertung vom 27.09.2024
Antichristie
Sanyal, Mithu

Antichristie


ausgezeichnet

Befreiungskampf
Das Cover fällt sofort ins Auge: der indische Tiger und die Queen - herrlich farbenfroh.
Dieses wunderbare Buch ist ein atemloser Zeitreise-Ritt durch die Geschichte Indiens mit Protagonisten wie Gandhi (zu der Zeit wenig beliebt mit seiner Gewaltlosigkeit), Sherlock Holmes und uns weniger bekannte historische Persönlichkeiten der indischen Befreiungsorganisation. Mithu Sanyal gelingt es dabei, uns die Personen nahe zu bringen durch ihre Protagonistin Durga, die im Jahr 1906 landet, und zwar im Körper eines Mannes. Sie schafft es mühelos, Feminismus, Befreiungsorganisation, Kolonialismus, die Geschichte Indiens, Rassismus durch ihren feinen Witz zu positionieren. Mit kleinen fantastischen Elementen (ab und an spricht die Asche oder der Wasserkessel zu ihr) bringt sie mich immer wieder zum Lachen.
Dieses Buch ist sicherlich nicht für jede/n geeignet, man braucht einen Moment um reinzukommen. Aber ich wünsche dem Buch viele Leser - mich hat es überzeugt!

Bewertung vom 21.08.2024
Juli, August, September
Grjasnowa, Olga

Juli, August, September


gut

Seltsame Sinnsuche
Olga Grjasnowas neuer Roman spielt in Berlin, auf Gran Canaria und in Israel. Die jüdische Familie der Protagonistin Lou ist aus den ehemaligen Sowjetrepubliken geflohen und lebt zum Großteil in Israel, sie aber mit Mann, Kind, Mutter und einer furchtbaren Schwiegermutter in Berlin. Wie die meisten ihrer Art, haben sie nicht viel mit der jüdischen Religion am Hut. Nun wird ihre Großtante 90 und lädt in ein heruntergekommenes Hotel auf Gran Canaria ein. Was der Klappentext als zynisch und wild beschreibt, kam mir eher lethargisch und langweilig vor. Nur der Alkoholkonsum ist auf dem Titelbild hübsch dargestellt. Leider fand ich die Figuren allesamt nicht besonders intensiv gezeichnet und durchweg unsympathisch. In ihrer Suche nach Wahrheiten, nach der Vergangenheit und nach der Zukunft ihrer Ehe, reist Lou nach Israel. Aber ihre Reise wirkt verfahren, ihre Ziele schwammig und sie lässt sich treiben. Ihre Familie vor Ort hat das Aussitzen und Schweigen in unheilvoller Kombination mit allzu schnellem Beleidigtsein zur Tradition gemacht und die Großtante erfindet ihre Geschichte von mal zu mal neu. Was stimmt und was bildet sie sich ein? Als Leser*in bleibt man ratlos zurück und man fühlt sich unterm Strich mit Belanglosigkeiten konfrontiert, während die wichtigen Dinge unausgesprochen bleiben.

Bewertung vom 20.07.2024
Mein drittes Leben
Krien, Daniela

Mein drittes Leben


sehr gut

Trauer braucht Zeit
„Das Rückwärtsinterpretieren nützt dem Vorwärtsleben nichts“ sagt Linda und doch lebt sie in tiefer Trauer über ihre tödlich verunglückte Tochter Sonja. Ihr „innerer Winter“ dauert lange – viel länger als der ihres Mannes Richard. Sie kann einfach nicht nach vorn schauen, sondert sich ab und beginnt ein neues Leben auf dem Land mit Hund und Hühnern. Es erscheint wie ein Klischee, dass Männer schneller wieder zur Normalität übergehen wollen und Frauen länger mit dem Verlust nicht klar kommen. Und dieses Klischee wird hier bedient, incl. neuer Beziehung von Richard zu Brida, während Linda weiter leidet.
Das Cover zeigt eine Frau in einem dynamischen Sprung und das könnte nicht weiter weg von Linda sein. Sie ist alles andere als dynamisch, eher paralysiert. Aber wer könnte es ihr verdenken, hat sie doch ihre einzige Tochter verloren, während Richard zwei Kinder aus erster Ehe hat.
Insgesamt ist es ein ruhiges und positives Buch, denn Linda schafft es schließlich aus ihrer selbstgewählten Abgeschiedenheit heraus zurück ins Großstadtleben.

Bewertung vom 05.07.2024
Eve
Towles, Amor

Eve


ausgezeichnet

Inside Hollywood
Mitte der 30er Jahre betritt eine rätselhafte und erstaunliche Frau die Bühne Hollywoods. Sie ist bildschön, wenn da nicht eine lange Narbe im Gesicht wäre. Ihre Vergangenheit bleibt im Dunkeln, sowie ihre Beweggründe nach Hollywood gekommen zu sein. Fast kurzgeschichtenhaft beginnt die Geschichte um Eve Gestalt anzunehmen, die im Laufe der Story sich zu einer eleganten Kriminalgeschichte entwickelt. Towles, wie schon in seinen Romanen davor, hat eine überaus elegante Art zu erzählen. Die Stimmung in seinen Büchern ist die eines Gentlemans der schweigt, wo es nötig ist und mit der gebührenden distinguierten Distanz die Dinge beim Namen nennt und wenn nötig, auch mal was diskret in Ordnung bringt. Es macht Spaß dem zu folgen. Auch das Cover finde ich gelungen: eine Diva, perfekt geschminkt, aber das was man nicht sieht, regt zur Fantasie an. Ein perfektes Buch für schöne Lesestunden!

Bewertung vom 20.06.2024
VIEWS
Kling, Marc-Uwe

VIEWS


ausgezeichnet

Nur Klicks zählen Marc-Uwe Kling hat Millionen mit seinen Känguruh-Chroniken begeistert und wagt nun den nächsten Schritt in ein neues Genre - einen Thriller, der bewegt.
Das Cover finde ich sehr gelungen, passt es doch hervorragend zum Thema.
Die Charaktere, allen voran die BKA-Kommissarin Yasira Saad, finde ich sehr authentisch und gelungen. Ihr Name verleitet das Rechte Pack natürlich zum Wortspiel " Al Jasira". Sie hat den schweren Fall der verschwundenen Lena zu lösen und den durch ein aufgetauchtes schreckliches Video entstandenen Mob durch eine schnelle Aufklärung wieder in seine Schranken zu weisen. Das Buch ist so spannend, dass ich es kaum weglegen konnte. Ja, es bleiben Handlungsstränge offen, aber für mich zeigt das nur sehr passend den Zynismus unserer Zeit. Es ist schlichtweg letztendlich egal was wirklich passiert ist. Alles was zählt sind Klicks.

Bewertung vom 28.03.2024
Das andere Tal
Howard, Scott Alexander

Das andere Tal


ausgezeichnet

Gedankenspiel Zeitreise
Das Cover ist ein zartes Aquarell, ein verschwommener Blick in die Ferne. Und genau so leben die Menschen im Tal: manchmal erhascht man einen Blick ins angrenzende Tal, dass genauso ist wie das eigene, nur 20 Jahre älter oder 20 Jahre jünger, je nachdem, ob man nach Westen oder Osten schaut. Grenzüberschreitungen sind strengstens untersagt, die Grenze ist mit Zäunen und Soldaten stark gesichert. Eine Grenzüberschreitung oder gar ein Eingreifen in Geschehnisse können ungewollte Konsequenzen haben, die es mit aller Macht gilt, zu verhindern. In dieser Welt wächst die Halbwaise Odile mit ihrer Mutter auf. Sie führt ein einsames Leben. Erst nach und nach freundet sie sich mit Klassenkameraden an und verliebt sich in Edme, bis ein schlimmer Unfall passiert.
Diese Art des Gedankenspiels hat mich total fasziniert und auch das Ende ist gut gelungen. Überhaupt nicht kitschig oder rührselig wird der Konflikt erzählt. Soll sie es wagen, den Zeitsprung zu machen?

Bewertung vom 25.02.2024
James
Everett, Percival

James


ausgezeichnet

Jim Und Huck
Nach "Die Bäume" mein zweiter Roman von Everett und beide haben mich beeindruckt.
In "James" wird die Geschichte des Sklaven Jim aus seiner Sicht neu erzählt. Als er verkauft werden soll, flieht er. Zusammen mit Huck beginnt eine abenteuerliche Reise durch die Südstaaten. Ziel ist, an Geld zu kommen, um seine Frau und Tochter frei zu kaufen.
Damit er nicht auffällt, spricht er mit dem sogenannten Sklavenfilter - er stellt sich dumm, um die Weißen nicht zu provozieren. Denn eigentlich kann er lesen und schreiben und ist belesen. Als der Krieg losbricht, schafft er es in den Norden und aus Jim, dem dummen Sklaven kann endlich James, der intelligente Schwarze werden.
Everett beindruckt mit seinem lockeren Schreibstil, packend bis zur letzten Seite. Ein Pageturner, der einen lange nicht mehr loslässt.
Auch das Cover finde ich sehr gelungen. Der Schwarze nur als halbdurchsichtiger, fast unsichtbarer Mensch ist eine gute Metapher.

Bewertung vom 11.01.2024
Das Philosophenschiff
Köhlmeier, Michael

Das Philosophenschiff


gut

Humanitäre Deportation
Die 100-jährige Anouk Peleman-Jacob will einem Schriftsteller, dem man nicht immer glaubt, einen Teil ihrer Geschichte erzählen. Sie hatte ein bewegtes Leben, dass sie über Paris, St. Petersburg, Berlin und den USA bis nach Wien bringt. Die ersten Jahre im Exil immer mit der Angst lebend, dass auch im Ausland die russischen Spitzel aktiv sind und man niemandem trauen kann. Die Absurdität der Bolschewikischen Angst vor den Intellektuellen zeigt ihren Höhepunkt in den Philosophenschiffen, die es wirklich gab zur Zeit Trotzkis in Russland. Die 14-jährige Anouk wird mit ihren Eltern deportiert "aus Humanität". Wissenschaftler und Künstler wurden des Landes verwiesen, sonst wären sie erschossen worden. Noch am Kai vor der Einschiffung werden von den gut 200 Intellektuellen die meisten erschossen, bevor sie das Schiff betreten können. Nach einem 5-tägigem Stopp auf hoher See wird der letzte Passagier an Bord gebracht: es ist Lenin selbst, der sich mit Anouk anfreundet.
Ich hatte mich sehr gefreut auf das Buch, auch das Cover finde ich sehr ansprechend. Die Lektüre wäre sicher einfacher gewesen, wenn man sich besser mit der russischen Geschichte auskennen würde.

Bewertung vom 22.09.2023
Vom Himmel die Sterne
Walls, Jeannette

Vom Himmel die Sterne


sehr gut

Die wilden 20er
Sallie wächst während der Prohibition in den USA auf. Und während ihr Vater, der Duke sein Imperium durch Whiskey Schmuggel aufbaut, muss sie das Elternhaus verlassen, weil die Stiefmutter sie nach einem Unfall nicht mehr im Haus haben will. Erst nach deren Tod kehrt sie zurück. Der Duke bleibt der harte Familienboss und sie soll den Halbbruder erziehen. Doch die beiden kommen sich kaum näher. Die Geschichte ist spannend erzählt, das Cover deutet auf ein wildes Mädchen hin. Und das ist Sallie auch - wild, ungezügelt und unabhängig. Nach x Schicksalsschlägen und dem Tod des Duke übernimmt sie die Firma. Leider ist die Protagonistin für meinen Geschmack etwas überzogen mit ihrer Unnahbarkeit und ihrem taffen Gebaren. Die Geschichte wird zunehmend unglaubwürdiger, was wirklich schade ist, denn der Schreibstil ist toll. Alles in allem spannend, gut zu lesen, aber überzogen.

Bewertung vom 28.07.2023
Die Einladung
Cline, Emma

Die Einladung


sehr gut

Die Antiheldin
Nach ihrem Debut "The Girls" erscheint nun der zweite Roman von Emma Cline. Auf dem Cover eine ausgestreckte Hand, die entweder etwas bekommen möchte oder eben wie eine Einladung wirkt. Es geht um Alex, eine junge Herumtreiberin. Sie ist abhängig von Drogen und Schmerzmitteln, schläft sich durch die New Yorker Gesellschaft, bis sie jemanden beklaut und aus der Stadt verschwinden muss. Mit dem älteren Lebemann Simon reist sie zu den Hamptons und damit in die Welt der Reichen und Schönen. Dort fühlt sie sich sicher, aber es ist sehr anstrengend für sie, die Fassade zu wahren. Beim ersten Fehltritt schmeißt Simon sie raus. Nun treibt sie durch die Gegend, überzeugt, dass er sie am Tag seiner jährlichen stattfindenden Labour Day Party zurück nimmt.
In dieser einen Woche wird uns die Protagonistin nicht wirklich sympatisch - sie klaut, lügt, bricht in leere Häuser ein. Dennoch liest man das Buch gespannt und gern bis zum Showdown.

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