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jbn

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Insgesamt 2 Bewertungen
Bewertung vom 10.12.2017
Weihnachtsoratorium/Kantate Bwv 191
Oelze/Blochwitz/Güttler/Vs/Con

Weihnachtsoratorium/Kantate Bwv 191


ausgezeichnet

Wie schade, dass diese Aufnahme in der großen Menge von Einspielungen des Bach'schen Weihnachtsoratoriums untergeht! Ludwig Güttler, der einer breiteren Öffentlichkeit v.a. als Startrompeter bekannt ist, beweist hier seine außergewöhnlichen Fähigkeiten auch als musikalischer Leiter. Seine Interpretation des Weihnachtsoratoriums kommt ausgesprochen festlich, in barocker Pracht daher. Das liegt nicht zuletzt an den wunderbaren Blechbläsern der "Virtuosi Saxoniae". Hören Sie sich dazu etwa den Schlusschor der sechsten Kantate ("Nun seid ihr wohl gerochen") an. Dabei ist die Aufnahme insgesamt nicht besonders schnell, die meisten Aufnahmen der letzten drei, vier Jahrzehnte, insbesondere die historisch informierten, bedienen sich schnellerer Tempi.
Neben der sprühenden Festlichkeit dieses Werks bringt Güttler eben auch seine Innigkeit und Tiefe souverän zum Ausdruck. Besondere Glanzpunkte setzt dabei die lyrische Sopranistin Christiane Oelze (die Echo-Arie "Flößt mein Heiland" aus der vierten Kantate gehört zu den schönsten Interpretationen dieses berühmten Stücks). Auch der Tenor Hans Peter Blochwitz gefällt mir mit seinem warmen Timbre als Evangelist und bei den Arien sehr gut. Ordentlich, aber nicht herausragend die weiteren Solisten. Der Chor (Concentus Vocalis Wien) setzt die Anforderungen moderner Aufführungspraxis tadellos um, klingt dynamisch und transparent.
Insgesamt eine Aufnahme, die ich nicht missen möchte, die ich oft allen anderen vorziehe.

Bewertung vom 10.12.2017
Weihnachtsoratorium
Rilling,H./Gächinger Kantorei

Weihnachtsoratorium


sehr gut

Zum Werk
J.S. Bach schrieb sein berühmtes Weihnachtsoratorium in sechs Teilen („Kantaten“) für das Weihnachtsfest 1734. Die sechs Kantaten wurden dabei ursprünglich nicht am Stück, sondern einzeln zu den sechs Festgottesdiensten zwischen dem ersten Weihnachtsfeiertag, also dem 25. Dezember, und dem darauffolgenden Epiphaniasfest am 6. Januar aufgeführt.
Als „roten Faden“, der das ganze zusammenhält, kann man die Evangelientexte zur Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas- und dem Matthäusevangelium betrachten. Diese Texte werden von einem Tenor, dem „Evangelisten“ in kurzen Sequenzen rezitiert. Darum herum stellt Bach seine eigentlichen musikalischen Schmuckstücke: Zu jeder Kantate gibt es Eingangs- und Schlusschöre (eine kleine Ausnahme bildet die zweite Kantate, die mit einem Instrumentalstück beginnt), dazu kommen Choräle, also einzelne Strophen aus Kirchenliedern, und Arien (bzw. ein Duett und ein Terzett), die von Solisten verschiedener Stimmlagen gesungen werden.

Zu den verschiedenen Aufführungspraktiken
Über die Aufführungspraxis von Barockmusik ist in den letzten Jahrzehnten viel und leidenschaftlich diskutiert worden. Entsprechend unterschiedlich sind auch die zahlreichen Aufnahmen von Bachs Weihnachtsoratorium. Grob gesprochen hat sich seit den 80er Jahren immer mehr die „historisch informierte Aufführungspraxis“ durchgesetzt, bei der kleine, auf Barockmusik spezialisierte Ensembles auf originalen bzw. nachgebauten Barockinstrumenten in meist recht schnellem Tempo, mit leicht und oftmals tänzerisch wirkendem Ausdruck professionelle Erwachsenenchöre in ebenfalls eher kleiner Besetzung begleiten. Ein transparenter Klang wird hier angestrebt. Keine „Klangwand“, wie es den bis in die 70er Jahre dominierenden „romantisierenden“ Aufführungen mit großer Besetzung, getragenen Tempi und vibratoreichen Arien vorgeworfen wurde.

Zu dieser Aufnahme
Mit der vorliegenden Einspielung hat sich Helmuth Rilling Mitte der 80er Jahre sozusagen zwischen die Fronten gestellt. Die Musiker der Bach-Akademie spielen auf modernen Instrumenten, die Solistenriege ist hochkarätig (zum Teil identisch mit der Besetzung der Bestseller-Aufnahme unter M. Flämig von 1974) und anstelle eines traditionellen Knabenchors singen mit der Gächinger Kantorei erwachsene Sängerinnen und Sänger, die man sicherlich zur Spitzengruppe der Chöre zählen kann. Das Tempo bleibt ziemlich genau in der Mitte zwischen den Extremen (Gesamtdauer 2h34; vgl. Gardiner 2h20, K. Thomas 2h49).
Ist das nun der „goldene Mittelweg“ oder ein „fauler Kompromiss“? Meine ganz subjektive Einschätzung: Ein vielleicht nicht goldener, aber doch sehr gangbarer, gefälliger Mittelweg. Das Tempo ist aus meiner Sicht genau passend gewählt: Wo es der frohen Botschaft angemessen ist, wirkt die Aufnahme beschwingt, aber niemals gehetzt. Der Chor: trotz seiner Größe sehr beweglich und dynamisch. Die Solisten: durchgängig überzeugend. Originalinstrumente mit ihren typischen Obertönen, dem Schnarren und Knarren, ich vermisse sie nicht. Das kann mitunter auch ins Manierierte abdriften.
Also eine runde, schöne Aufnahme. Warum dann doch nicht meine persönliche Referenzaufnahme schlechthin? Vielleicht weil die absoluten Glanzpunkte fehlen. Ich habe an keiner Stelle gedacht: diese Arie, diesen Chor muss ich mir jetzt gleich nochmal anhören – und nochmal… (wie etwa bei der Aufnahme unter Ludwig Güttler 1995: mit sensationell guten Blechbläsern (z.B. Schlusschor der 6. Kantate) und einer überragenden Sopranistin Ch. Oelze, z.B. in der 4. Kantate die Echo-Arie "Flößt mein Heiland").

Mein Fazit
Am besten nicht nur eine Aufnahme, sondern mehrere besitzen. Wenn es nur eine sein soll, dann vorab probehören, welche interpretatorische Stilrichtung dem eigenen Geschmack am meisten entspricht. Wenn es nicht unbedingt Originalklang (nach wie vor ein Meilenstein: Gardiners Aufnahme von 1984) oder Romantisierend-Traditionelles sein muss, ist die vorliegende Aufnahme von Helmuth Rilling gewiss eine der besseren.