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Benutzername: 
Andrea
Wohnort: 
München

Bewertungen

Insgesamt 11 Bewertungen
12
Bewertung vom 10.07.2024
Aufbruch in eine neue Welt / Savannah Bd.1
Wilke, Malou

Aufbruch in eine neue Welt / Savannah Bd.1


ausgezeichnet

Ganz ehrlich gesagt hat mich das Cover ein bisschen befürchten lassen, dass es sich bei "Savannah" eher um einen romantischen Roman handeln würde, da der metallic-pinke Schriftzug und die Illustration eines sumpfigen Flussarmes in diese Richtung geht, aber bereits nach ein paar Seiten waren meine subjektiven Vorbehalte zerstreut und ich konnte sowohl die wirklich schöne Illustration als auch das Buch genießen.
Es ist eine lebendige, auf historischen Fakten beruhende Geschichte der ersten Siedler in South Carolina, damals noch eine unwegsame Sumpflandschaft und von Weißen unbewohnt.

Die Geschichte beginnt 1732 in Preussen und wir begleiten die junge Nellie, die nach einer Vergewaltigung schwanger wurde und und ihr Zuhause verlassen muss.
Schweren Herzens läßt sie ihre geliebten Geschwister zurück und macht sich auf den Weg zu einem ihr nur aus Erzählungen bekannten Cousin der Familie, und dort Unterschlupf zu finden.
Auf dem Weg dorthin begegnet sie einer Salzburger Familie, die aufgrund ihres protestantischen Glaubens ihre Heimat verlassen musste und nun ihr Glück im weit entfernten Amerika suchen will, denn dort werden vom Stadtgründer Oglethorpe Land und Freiheit für fleißige Siedler versprochen.
Trotz gegenseitiger Sympathie trennen sich ihre Wege bald wieder und Nellie verbringt einige Zeit bei ihrem Cousin und seiner Familie, die sie und ihr dort geborenes Kind hilfsbereit aufnehmen, aber sie möchte ihrem Cousin nicht für immer zur Last fallen und ergreift nach einigen Monaten die Gelegenheit, mit einem entfernten Verwandten zur Küste zu reisen, um ein Schiff nach Amerika zu besteigen.

Damit beginnt die eigentliche Reise erst so richtig.
Die lange Überfahrt im beengten Bauch des Schiffes, Stürme, Flauten und Krankheiten ließen mich wünschen, die Siedler mögen einfach nur bald ankommen und ihr neues Leben genießen können, aber die schwierigen Bedingungen fordern ihren Tribut.
Mit der Anlandung in South Carolina beginnt ein neues Kapitel im Leben der Auswanderer und ich war fasziniert von der Detailtreue und gut recherchiertem Hintergrund der Autorin, die den Aufbau der neuen Siedlung "Savannah" lebendig werden läßt.
Da ich selbst schon in den Südstaaten und sogar in Savannah war, kann ich die Mühen durch die hohe Luftfeuchtigkeit, die Moskitos und den Kampf gegen sumpfiges Gelände und Überflutung sehr gut nachvollziehen und habe mit Nellie und ihren Freunden gelitten oder mich gefreut, wenn sie eine gute Ernte erzielten oder eine Krankheit besiegten.

Ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen und wollte immer wissen, wie es weitergeht, zusehen wie die Siedlung wächst, miterleben, wie sich Naturgewalten, Katastrophen und menschliche Belange abwechseln und die Spannung durchgehend hochhalten.
Natürlich will ich nicht verraten, wie es Nellie und ihrer neuen Familie im Neuen Land ergeht, aber ich habe ihren Weg mit viel Freude, Anspannung und Mitgefühl begleitet und war oft dankbar dafür, in der heutigen Zeit mit ihren Annehmlichkeiten leben zu dürfen.

Malou Wilke läßt eine Epoche lebendig werden, über die man vielleicht weniger weiß als die klassische Siedlungsbewegung im Wilden Westen.
Sie beweist viel historisches Wissen, etliche der Figuren haben tatsächlich gelebt und der Roman zeigt einerseits die spannenden Anfänge einer völlig neuen Siedlung sowie die zwischenmenschlichen Beziehungen, die mit immer mehr Ankömmlingen auch komplexer und schwieriger werden.
Interessant sind auch die Begegnungen mit den dort ansässigen Ureinwohnern der Yamacraw, die sich in dieser Epoche noch friedlich gestalteten.

Der Schreibstil ist so lebendig, dass ich das Gefühl hatte, immer mittendrin dabei zu sein und mir persönlich gefiel auch, dass die wenigen Liebesszenen nicht künstlich ausgewalzt und episch beschrieben wurden. Das ist für mich immer etwas Gekünsteltes, das mich in einem nichtromantischen Roman nicht weiterbringt und hätte auch stilmäßig nicht in diese eher puritanische Zeit gepasst.

Ich freue mich bereits jetzt auf den zweiten Teil. Die Leseprobe am Ende des Romans hat eine schöne Aussicht auf ein weiteres spannendes Buch mit Nellie und den Siedler gegeben.

Bewertung vom 21.05.2024
Die Stimme der Kraken
Nayler, Ray

Die Stimme der Kraken


ausgezeichnet

Ray Naylers Roman "Die Stimme der Kraken" entführt uns in eine düstere Zukunft, in der die Grenzen zwischen Mensch und Roboter verschwimmen. Mitten in einem globalen Wettstreit um Ressourcen und Macht stößt eine Gruppe aus Meeresbiologen in asiatischen Gewässern auf eine neue Version einer bereits als intelligent bekannten Spezies in den Tiefen des Ozeans: Kraken.

Die Protagonistin, Dr. Ha Nguyen, sieht in den Tieren die Chance auf eine neue Verständigung zwischen den Arten. Doch schnell wird klar, dass nicht alle diese friedlichen Absichten teilen. Mächtige Konzerne wittern Profit und skrupellose Militärs sehen in den Kraken eine neue Waffe.
Gleichzeitig wirft das Buch wichtige Fragen über die Zukunft der Menschheit auf.
Was bedeutet es, intelligent zu sein? Können Mensch und Maschine friedlich koexistieren? Und wer hat das Recht, über das Schicksal der Erde zu bestimmen?

Der Roman verwebt geschickt verschiedene Genres: Thriller, Science-Fiction und Umweltroman. Nayler zeichnet ein packendes Bild einer Welt, die am Abgrund steht (Sklaverei auf Fangschiffen) und wirft gleichzeitig wichtige Fragen nach der Zukunft der Menschheit auf.

Besonders beeindruckend ist die detaillierte Beschreibung der Unterwasserwelt. Nayler lässt uns hautnah an den Tauchgängen der Protagonisten teilhaben und erweckt die Meereskreaturen zum Leben, so dass ich mir manches Mal gewünscht hätte, so etwas wäre möglich.

Die Handlung ist rasant und voller Spannung, man fiebert mit den Figuren und rätselt bis zum Schluss, wer hinter den Intrigen steckt.
Für mich war der Schreibstil klar und flüssig, Nayler versteht es, komplexe Themen verständlich und fesselnd zu erzählen.

Sehr interessant ist auch das Setting in einer futuristischen Welt, in der manche Menschen ihr Gesicht hinter KI-gesteuerten Visieren verbergen oder Waffensysteme dadurch befehligen, indem sie in einem Flüssigkeits- Tank schwimmen.
Die KI-Thematik hätte für mich noch tiefergehend behandelt werden können, da sie im Buch als gesetzt gilt, aber trotzdem im Lauf der Geschichte Fragen aufwirft.

"Die Stimme der Kraken" ist ein spannender und lesenswerter Roman, der mit seinen gesellschaftskritischen Themen und der detaillierten Beschreibung der Unterwasserwelt überzeugt.

Bewertung vom 20.05.2024
The April Story - Ein wirklich erstaunliches Ding
Green, Hank

The April Story - Ein wirklich erstaunliches Ding


ausgezeichnet

Die Geschichte beginnt rasant und fesselte mich von der ersten Seite an.
Die junge, sehr internetaffine April May entdeckt nach einer Nachtschicht in ihrer Agentur in New York City eine sonderbare Skulptur und filmt sie.
Das Video geht viral und löst eine Kettenreaktion aus, denn weltweit tauchen gleichzeitig identische Skulpturen auf, die ihren Ursprung nicht auf der Erde zu haben scheinen.
April, die unfreiwillig über Nacht zur Berühmtheit avanciert, sieht sich mit einer Flut an Fragen und dem plötzlichen Interesse der Medien und bald auch der Regierung konfrontiert.
Sie begibt sich auf eine gefährliche Suche nach Antworten und gerät dabei in das Visier von Verschwörungstheoretikern und fanatischen Gruppen.
Durch einige für mich nicht immer nachzuvollziehende Entscheidungen taucht April immer tiefer in die Geheimnisse hinter den Skulpturen ein und gerät dadurch immer mehr in einen Strudel aus Ereignissen, den sie nicht mehr zu steuern vermag.

"The April Story" ist für mich nicht nur ein spannender Science-Fiction-Thriller, sondern wirft auch wichtige gesellschaftskritische Fragen zu den Themen Social Media, Berühmtheit und dem Einfluss von Technologie auf unser Leben auf.
Der Autor, Hank Green, beleuchtet Themen wie die Macht der sozialen Medien, die Gefahren von Verschwörungstheorien und den Umgang mit dem Unbekannten.
Er zeigt auf, wie schnell Angst und Misstrauen in einer Welt voller Informationen und Desinformationen grassieren können und ich habe mir beim Lesen oft gedacht, dass dies oder jenes genau so kommen würde, wäre die Geschichte real.

April ist eine vielschichtige und authentische Protagonistin, mit der man schnell mitfiebert. Sie ist intelligent, mutig und entschlossen, die Wahrheit hinter den Skulpturen zu finden. Gleichzeitig kämpft sie mit den Herausforderungen des plötzlichen Ruhms und den Zweifeln an sich selbst, was sie nicht immer die richtigen Entscheidungen treffen läßt, aber die Gründe dafür sind immer so erklärt, dass man sie nachvollziehen kann.

Ein ganz anderes Buch, das mich durch seinen lockeren, modernen Schreibstil sofort in die Geschichte eintauchen ließ und durchweg unterhaltsam und auch humorvoll geschrieben ist. Die Figuren sind gut angelegt, wirken lebendig und nahbar und durch die Erzählung in der Ich-Perspektive fühlt man sich der Heldin der Story sehr nahe. Es hat Spass gemacht, Aprils Gedankengänge zu begleiten und ihre Sicht der Dinge zu verstehen.
Manchmal wollte ich April packen und schütteln und ihr zurufen, etwas Geplantes bitte nicht zu tun, aber im Endeffekt macht das auch die Geschichte aus.
Das Ende hat mich sehr überrascht und ich hätte mir gewünscht, mehr über die Gründe dieses Finales zu erfahren, aber es könnte durchaus den Weg für einen zweiten Teil bereiten.

Fazit: "The April Story" ist ein spannender und unterhaltsamer Roman, der nicht nur Science-Fiction-Fans begeistern wird. Mit seinen relevanten gesellschaftskritischen Themen und seiner sympathischen Protagonistin ist er ein Must-Read für alle, die sich für die Macht der sozialen Medien, die Gefahren von Verschwörungstheorien und die Zukunft der Menschheit interessieren.

Bewertung vom 09.04.2024
Das kleine Buch der großen Risiken
Thomä, Jakob

Das kleine Buch der großen Risiken


ausgezeichnet

In diesem, mit einem schönen und auffälligen Cover in schwarz und gelb gehaltenen Buch nimmt uns Jakob Thomä mit auf eine spannende Reise durch die Welt der zivilisatorischen Risiken mit. Von Atomwaffen bis hin zu Zombieapokalypse beleuchtet er 26 Gefahren, die uns im 21. Jahrhundert bedrohen (könnten).
Dabei gelingt es ihm, komplexe Themen auf unterhaltsame und informative Weise zu vermitteln.
Humorvoll und leicht verständlich geschrieben, ohne dabei die Ernsthaftigkeit der Themen zu vernachlässigen, werden komplexe Sachverhalte einfach und anschaulich erklärt und durch Anekdoten aus dem Leben des Autors aufgelockert.

Das Buch ist voller interessanter Fakten und Informationen, die zum Nachdenken anregen. Es zeigt uns, wie wenig wir oft über die Risiken wissen, denen wir tagtäglich ausgesetzt sind.
Der Autor schafft es, ein Gefühl der Dringlichkeit zu vermitteln, ohne dabei in Panikmache zu verfallen. Man lernt, dass wir die Risiken unserer Zeit nicht ignorieren können, aber gleichzeitig auch, dass es Möglichkeiten gibt, uns auf sie vorzubereiten- oft beendet Thomä ein Kapitel sogar mit einem positiven Ausblick.

Mir haben besonders die etwas ungewöhnlicheren Risiken wie z.B. "Zombieapokalypse" gefallen. Im Nachhall der Corona- Pandemie wirkt dieses Thema gar nicht so abwegig, wie man denken möchte und durch die wissenschaftliche Beleuchtung läßt es sich nicht einfach als kurioses letztes Kapitel abtun.

Ich habe mich amüsiert, gewundert, über manches Risiko erschrocken und gehofft, dass ich mich niemals damit auseinandersetzen muss, aber das Buch hat mich informiert und bestens unterhalten.

Bewertung vom 07.03.2024
OLAF ERMITTELT - Der Kanzler-Krimi
Hofer, Wolfgang

OLAF ERMITTELT - Der Kanzler-Krimi


ausgezeichnet

Der Plot allein schon hat mein Interesse geweckt: Bundeskanzler Olaf Scholz entdeckt beim Gassigehen mit seinem Hund Schröder (ja, genau nach dem benannt, den man vermutet!) eine Leiche im Park.
Was zunächst wie ein Unfall aussieht, entpuppt sich als kaltblütiger Mord. Getrieben von Neugier und Gerechtigkeitssinn beschließt Scholz, selbst zu ermitteln.
Und das, obwohl er grade alle Hände voll mit den aktuellen politischen und globalen Geschehnissen zu tun hat.

In "Olaf ermittelt" entführt Wolfgang Hofer den Leser in die spannende Welt der deutschen Politik. Mit viel Humor und Augenzwinkern zeichnet er ein Bild von Bundeskanzler Scholz, der sich zu seiner eigenen Überraschung als begnadeter Detektiv erweist.
Unterstützt von seiner Frau Britta, einer Kellnerin namens Mizzi, deren halbseidenem Bruder Rocco und dem charmanten Wiener BKA-Beamten Joschi nimmt Scholz die Spur des Mörders auf und teilt seine Erkenntnisse jeweils so, dass es nicht an die Öffentlichkeit gerät.
Wäre ja auch etwas merkwürdig, ein Kanzler als Detektiv!

Die illustre Riege der Verdächtigen liest sich wie ein Who's who der Berliner Politik: von der intriganten Oppositionsführerin bis zum skandalumwitterten Wirtschaftsminister.
Scholz und sein Team müssen geschickt bluffen, um den wahren Täter zu entlarven. Hofer spielt gekonnt mit den Klischees und Vorurteilen der deutschen Politiklandschaft und sein flüssiger, oft pointiert zugespitzter und oft witziger Schreibstil machen Spass beim Lesen.
Die zahlreichen Anspielungen auf aktuelle Ereignisse und Politiker sorgen für zusätzlichen Unterhaltungswert und man erfährt so nebenbei einiges über die internen Vorgänge oder bekommt zumindest eine plausible Vorstellung davon, wie es wohl sein könnte.

Ich habe mich öfters gefragt, ob alle im Buch genannten Personen von ihrem Cameo- Auftritt wissen und wie sie dazu stehen (sehr amüsant ein Absatz über Annalena Baerbocks Kinder, die Olaf und Gattin eines Abends hüten müssen und das, obwohl sie kein Trampolin im Haus haben)- aber ich gehe davon aus, dass ein bekannter Autor und Texter wie Wolfgang Hofer sich entweder rechtlich abgesichert hat oder Narrenfreiheit genießt.
Schließlich verunglimpft er keinen seiner Protagonisten und er laviert geschickt um zu deutliche Aussagen herum, damit jeder ahnt oder versteht, wer gemeint ist und wie es in der Realität stattfindet, ohne sich auf eine politische Seite zu schlagen.

An einigen Stellen wirkt die Geschichte zwar etwas konstruiert und die Auflösung des Falls ist ein wenig vorhersehbar, aber "Olaf ermittelt" ist ein kurzweiliger und spannender Krimi, der Politik und Unterhaltung auf humorvolle Weise verbindet.

Man muß die Hauptpersonen im echten Leben weder lieben noch hassen, um an dem Buch seinen Spass zu haben.

Bewertung vom 26.02.2024
Die Hoffnung der Chani Kaufman
Harris, Eve

Die Hoffnung der Chani Kaufman


ausgezeichnet

Das Buch wirkt anfangs wie eine eher leiser Roman, der einen in die Welt der jüdisch- orthodoxen Gemeinde in London einführt. Schon bald entspinnen sich jedoch gewaltige Konflikte, Intrigen und Befindlichkeiten, deren Bedeutung sich erst so richtig erschließt, nachdem man die Familien etwas kennengelernt hat.
Was für einen außenstehenden Nicht-Juden banal wirken mag, hat in der jüdischen Gemeinde eine unglaublich starke Wirkung.

Ich war neugierig auf das Buch, weil ich mich ausserhalb meiner Komfortzone bewegen wollte und wurde nicht enttäuscht.
Ehrlich gesagt wusste ich vor der Lektüre sehr wenig über den streng orthodoxen jüdischen Glauben. Mir war bekannt, dass man dort koscher isst und Milch und Fleisch strikt trennt, es gibt dafür sogar separate Kühlschränke und Arbeitsflächen.
Neu war mir, dass verheiratete Frauen stets ihr Haar bedecken müssen und statt eines Kopftuchs fast immer eine Perücke, Scheitel genannt, wählen. Streng gläubige Frauen verbergen ihr Haar sogar in den eigenen vier Wänden vor ihrem Ehemann.
Die meisten Männer arbeiten nicht, sondern verbringen ihre Tage mit dem Studieren und Diskutieren der Tora, wodurch den Frauen nicht nur der Haushalt und die Kinder, sondern auch das Erwerbsleben zu bewältigen bleibt. Das klingt für jemand ausserhalb dieser Welt einigermassen verrückt und auch ungerecht.

Wie streng, reglementiert und für einen Laien wie mich ehrlich gesagt auch eingeschränkt dieses Tora-treue Leben ist, war mir nicht klar.
Insofern habe ich durch das Buch einen sehr spannenden Einblick in eine mir komplett fremde Welt erhalten.

Wir lernen die Familie Kaufman kennen, deren Tochter Chani (ein Kind von zehn Geschwistern!) mit Baruch, dem Sohn der wohlhabenden Familie Levy verheiratet ist und nach den erforderlichen 3 Monaten immer noch keine Schwangerschaft vorweisen kann. Dies kommt ihrer Schwiegermutter grade recht, denn die war nie mit Baruchs Wahl einverstanden und spinnt nun Intrigen, um ihren kostbaren Sohn aus den Fängen der ungeliebten Schwiegertochter zu reißen und einer neuen braven jüdischen Frau zuzuführen, die ihre Pflicht zur Mutterschaft zügiger erfüllt.

Parallel dazu gibt es noch den Erzählstrang von Rivka, einer dreifachen Mutter, die aus dem strengen Leben der frommen Gemeinde ausbricht und ihre Familie verlässt, dann aber erkennen muss, dass ein Ausstieg nicht nur seelisch, sondern auch sozial große Probleme bereitet. Nicht genug damit, dass ihre Kinder und der Ehemann sie verachten, auch die bissigen Damen der ehemaligen Gemeinde und der weitreichende Arm der Rabbiner machen ihr das neugewählte Leben schwer.
Dazu kommt noch, dass ihr ältester Sohn ebenfalls vom orthodoxen Weg abkommt, seinen Glauben anzweifelt und nach Jerusalem flieht, wo sich sein Leben gravierend ändert.

Ich habe mit den Familien mitgefiebert und konnte stellenweise nicht glauben, was sich Chani antut, nur um endlich schwanger zu werden und welche Krisen sie durchlebt, weil sie ihre Pflicht nicht erfüllen kann.
Mir war nicht bewusst, wie stark das Leben einer orthodoxen Frau auf Kinder gebären ausgerichtet ist und wie schlimm die Ächtung im Falle einer Nichterfüllung in vorgegebener Zeit zuschlägt, obwohl nach aussen hin Fürsorge und Mitgefühl vorgegaukelt werden.
Die soziale Kontrolle in diesem sehr eng geflochtenen Kreis der Kehilla (Gemeinde) ist unfassbar stark und obwohl die Familien nach aussen hin normal leben, also Auto fahren, schöne Kleidung tragen und sich in Cafes treffen, herrscht hinter der Kulisse eine extrem stark kontrollierte Hierarchie, die besonders für die Frauen oft himmelschreiend ungerecht wirkt, so dass ich beim Lesen oft einfach nicht glauben konnte, dass so etwas in der heutigen Zeit parallel zu uns existiert.

Anfangs wusste ich nicht, dass dieser Roman der zweite Teil einer Reihe ist und ich will nun unbedingt noch erfahren, wie alles begann, also werde ich mir den ersten Teil auf alle Fälle kaufen.
Es hat aber dem Roman überhaupt keinen Abbruch getan, erst hier eingestiegen zu sein und ich habe nicht nur viel gelernt, sondern mich dank des flüssig und gut geschriebenen Texts bald in die Handlung eingefunden und mit den Leuten mitgefiebert.
Gewöhnungsbedürftig fand ich die vielen jüdischen Ausdrücke in kursiver Schrift, aber es gibt im Anhang ein Glossar mit den Redewendungen und nach einiger Zeit hat man diese tatsächlich gelernt.
Also auch hier für mich eine Bereicherung!

Bewertung vom 05.01.2024
Himmelfahrt
Binge, Nicholas

Himmelfahrt


ausgezeichnet

Das Buch beginnt anders als von mir angenommen nicht gleich mit dem geheimnisvollen Berg, der mitten im Pazifik aus dem Nichts auftaucht, sondern mit einem Pflegeheim, in dem ein älterer Brite seinen seit vielen Jahren verschollenen Bruder Harold wiederfindet.
Bei seinen Besuchen fällt ihm ein Stapel Briefe in die Hände, die merkwürdigerweise an seine Tochter Hattie adressiert sind. Natürlich liest er sie, da sein Bruder nie den Eindruck gemacht hatte, sich viel für den Rest der Familie zu interessieren und es erscheint nun merkwürdig, dass er ausgerechnet seiner Nichte schreiben würde.
Wie sich bald herausstellt, sind diese Briefe eigentlich ein Tagebuch und damit beginnt die eigentliche, sehr spannende Geschichte.

Harold war vor vielen Jahren Mitglied einer Expedition aus Wissenschaftlern und Geheimdienst/Militär, die zu einem plötzlich im Ozean aufgetauchten gigantisch großen Berg führte.
Er leidet neben der körperlichen Anstrengung insbesondere daran, dass seine Ex- Frau Naoko auf dieser Expedition dabei ist und der Leser erfährt erst nach und nach, warum ihr Verhältnis so zerrüttet und schwierig ist.
Durch die niedrige Sicherheitsfreigabe weiß anfangs keines der Mitglieder, worauf sie sich eingelassen haben, aber schnell wird klar, dass hier einiges nicht mit rechten Dingen zugeht und die Expeditionsleiter mehr wissen, als sie zu sagen bereit sind. Das wirkt sich bald äußerst negativ auf die Gruppe aus, als sie von etwas Nichtmenschlichem attackiert wird.

Gleichzeitig nehmen Zeit- Anomalien zu und als Harold ein wichtiges Geheimnis entdeckt, das sie dem Gipfel näherbringen könnte, überschlagen sich die Ereignisse.

Mir hat das Thema von Anfang an gefallen, denn ein Berg, den niemand vorher je gesehen hat und der plötzlich auf dem Radar auftaucht, klingt spannend.
Ich war sofort im Lesefluss, der Stil ist eingängig und flüssig und für mich kam an keiner Stelle Langweile auf.
Durch die wiederkehrenden Rückblenden erfährt man nach und nach auch den Grund für Harolds besondere Art und seine Beziehung zu Naoko.
Die Charaktere werden tiefgründig dargestellt und ich habe jeden vermisst, der ein unschönes Ende fand- was im Lauf der Expedition nicht wenige waren.
Gegen Ende nimmt die Handlung rasant an Fahrt auf, aber die Action- Szenen passen gut in den Lesefluss und wirken nicht reißerisch oder überzeichnet.

Das Ende... ich werde es natürlich nicht verraten, aber es hat mich dennoch überrascht. Ich hatte mit etwas ganz anderem gerechnet und bin mir noch nicht ganz sicher, ob ich damit glücklich bin.
Man kann es auf zwei Arten interpretieren und ich glaube, genau das ist die Absicht des Autors, aber hier habe ich auch meine einzigen Kritikpunkt anzubringen: es kam mir zu schnell und wirkte auf mich zu kurz und abrupt im Verhältnis zu der großen, spannenden Geschichte, durch die mich das Buch getragen hat.

Mein Fazit: ein wirklich lesenswerter Roman, der neue und spannende Ansätze hat, die ich so noch nicht gelesen habe und der mir viel Freude bereitet hat.
Vor allem die Geschehnisse rund um die Zeit- Anomalien fand ich sehr interessant, auch wenn bei mir noch einige Fragen offenbleiben.
Aber Nachdenken über ein Buch schadet ja nie und das ist dem Autor gelungen anzuregen!

Bewertung vom 04.10.2023
12 Gesetze der Dummheit
Beck, Henning

12 Gesetze der Dummheit


ausgezeichnet

Der Titel klingt auf den ersten Blick lustig, aber das Buch ist keineswegs eine witzige Ansammlung von menschlichen Dummheiten, sondern eine fundierte wissenschaftliche Lektüre.
Der Autor spricht direkt zum Leser und gibt auch einiges von sich selbst preis, was das Ganze auflockert und damit weit weg von einem trockenen Fachbuch ist.
Die Kapitel behandeln nicht nur Irrtümer, die Menschen weltweit begehen, sondern beleuchten auch die Eigenarten der verschiedenen Länder und Kulturen, zeigen Fallbeispiele, einiges an Statistiken und auch etliche interessante Lösungsmöglichkeiten.
Was man allgemein unter "Dummheit" zusammenfasst, ist wesentlich vielschichtiger und mir sind beim Lesen einige Zusammenhänge klargeworden, z.B. warum Menschen bestimmte Entscheidungen immer wieder treffen, obwohl sie es besser wissen oder warum man gegen manchen Fehler aus neurologischer Sicht einfach nicht ankommt, denn es ist so in uns angelegt.
Auch die Politik wird seziert und ich habe einiges besser verstanden, was vorher nur Kopfschütteln verursacht hat- denn auch hinter großen und wichtigen Dingen stehen Menschen, die manchmal einfach nicht aus ihrer Steinzeit- Haut können und wider besseren Wissens entscheiden.
Es hat mich erstaunt, wieviel in uns allen einfach als "Standardeinstellung" gesetzt ist, mich zum Teil selbst ertappt, dass mir dies oder jenes schon genau so durch den Kopf gegangen ist und ich nicht wusste, warum ich mich nicht dagegen wehren konnte.
Für mich ein sehr spannendes Sachbuch, das mit den Unterschied zwischen dummen und klugen Ansichten und Entscheidungen so gut gezeigt hat, dass ich in Zukunft öfters darin nachschlagen werde.

Bewertung vom 30.08.2023
So weit der Fluss uns trägt
Read, Shelley

So weit der Fluss uns trägt


ausgezeichnet

Das Buch hat mich von Anfang an gefesselt- zuerst war ich etwas skeptisch, da bereits auf den ersten Seiten einer wichtigen Wendung vorgegriffen wird, aber sobald man die Hauptheldin, Victoria Nash, näher kennelernt, möchte man unbedingt wissen, wie es weitergeht und warum es zu den angekündigten Ereignissen kommt.
Für einen in der heutigen Zeit lebenden Menschen scheinen einige Reaktionen oder Handlungen vielleicht seltsam, da wichtige Dinge oft unausgesprochen bleiben und manchmal wollte ich Victoria, den geheimnisvollen Wil oder ihren Vater direkt anschieben und rufen "Sag's doch!"
Im Lauf der Geschichte habe ich jedoch verstanden, dass diese teilweise enervierende Sprachlosigkeit der Härte des damaligen Lebens, den strengen Moralvorschriften und der sozialen Kontrolle einer Kleinstadt geschuldet sind und perfekt zu Zeit und Ort passen.

Sehr positiv aufgefallen ist mir auch die Sprache des Buches- schöne Sätze, die teils mit ungewöhnlichen Formulierungen etwas beschreiben und dadurch sehr kraftvoll wirken.
An der Stelle möchte ich die sehr gute Übersetzung loben, da ich das Buch ja auf Deutsch gelesen habe und das englische Original nicht beurteilen kann.
Man schmeckt die Pfirsiche, die eine immens wichtige Rolle spielen, man wähnt sich am Ufer des Flusses, der sich durch als wichtiger Anhaltspunkt durch das ganze Buch zieht, man hat das Gefühl, die Härte der Jahreszeiten und die täglichen Arbeiten auf der Farm hautnah mitzuerleben.

Obwohl streckenweise "nur" der Alltag in den späten 40er- Jahren des vorigen Jahrhunderts beschrieben wird, haben mich auch diese Stellen gefesselt und ließen mich den Leuten nahe fühlen und teils wirklich froh darüber sein, im Heute leben zu dürfen.
Umso mehr litt ich dann mit Victoria, als ihr Leben durch die Ankunft des fremden Jungen namens Wilson Moon gehörig auf den Kopf gestellt wird und sie Entscheidungen trifft, die ich zwar nicht alle nachvollziehen, aber durch die sehr anschaulich beschriebene Zeitperiode doch verstehen konnte, denn viele Dinge waren damals einfach anders und mussten so gemacht oder ertragen werden.

Knapp in der Hälfte des Romans gibt es einen Bruch, der Victorias Jugend von ihrem späteren Leben trennt und ich hatte zuerst wie sie ein Problem, mich in die neue Situation einzuleben.
Das hat die Autorin also hervorragend gelöst und ich wollte unbedingt wissen, wie es mit Victoria und der Farm weitergeht und habe mir für sie besonders gegen Ende des Buches wirklich von Herzen ein schönes Ende ohne Kitsch gewünscht.
Natürlich verrate ich nicht, was ihr im Detail passiert ist, um die Spannung nicht zu nehmen, aber ich kann versichern, dass einen das Buch mit schönen und auch grausamen, traurigen Ereignissen nicht verschont!

Für mich 5 von 5 wohlverdienten Pfirsichen für ein außergewöhnliches Debut!

Bewertung vom 30.08.2023
Der Laden der unerfüllten Träume
Cox, Amanda

Der Laden der unerfüllten Träume


gut

Ich liebe Geschichten aus amerikanischen Kleinstädten, die haben oft so viel Seele! Das habe ich mir auch von diesem Buch versprochen, das alles beinhaltet, was eine spannende und auch emotionale Geschichte verspricht: ein kleiner Laden, der seit zwei Generationen familiengeführt ein wichtiger Bestandteil des Städtchens Brighton ist, nun aber durch die Ausbreitung einer großen Kette vor der Pleite steht.
Die dritte Generation, Sarah, kommt nach dem Tod ihres Mannes wieder nach Hause und ist fassungslos angesichts der Pläne ihrer Mutter, den geliebten Laden gegen den Willen der Großmutter nun doch zu verkaufen.
Ebenso im Spiel: ein fescher Ex- Soldat, zu dem sich Sarah hingezogen fühlt, deren Ehe wohl doch nicht so perfekt war, wie alle glaubten, ein Geheimnis, das ich hier nicht spoilern will und eine lange vergangene tragische Liebe aus Zeiten des Vietnam- Krieges.
Alles perfekte Zutaten für Drama, Herz, Spannung, Verwicklungen und eine Milieustudie.
Obwohl das alles im Buch stattfindet, bleiben die Figuren für mich teilweise zu blaß. Jede der Heldinnen überlegt, grübelt, plant und denkt nach, aber keine redet mit den anderen und so entstehen seit 3 Generationen Mißverständnisse, Versäumisse, Trauer und Probleme, die relativ einfach hätten vermieden werden können.
Das will ich dem Roman nun nicht grundsätzlich vorwerfen, denn der Plot soll ja Spannung und Drama beinhalten, aber mir hat über längere Strecken Tiefe gefehlt- vieles wird nur angerissen und war mir im Verlauf merkwürdig erschienen. Handeln Leute wirklich so, denen Dinge wichtig sind?
Am Ende wird ziemlich schnell alles aufgelöst, plötzlich reden alle miteinander und eine ganze Reihen von Knoten platzen quasi binnen einiger Seiten.
Das ging mir zu schnell und fühlte mich fast aus der Geschichte hinauskatapultiert, nachdem über viele Seiten das Familiendrama aufgespannt wurde.
Für mich 3 von 5 Punkten, da die Geschichte an sich Basis für eine schöne, spannende und dramatische Familiengeschichte bietet, mich aber teils ratlos und manchmal auch genervt zurückläßt, wenn die Charaktere schwer nachvollziehbar agieren.
Etwas schade auch, daß das Cover aus einer austauschbaren Fotocollage besteht- drei lachende Frauen aus drei Generationen, okay, aber für mich ziemlich zusammenhanglos aus Stock- Medien gewählt, und auch das Foto des Ladens hat nichts mit dem im Buch beschriebenen Geschäft zu tun. Hier hätte eine Illustration vielleicht mehr bewirkt.

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