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gudrun4
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NWu

Bewertungen

Insgesamt 33 Bewertungen
Bewertung vom 31.10.2024
Das Haus der Bücher und Schatten
Meyer, Kai

Das Haus der Bücher und Schatten


sehr gut

Spannend, dramatisch und voller historischer Bezüge

Zwei Erzählstränge versorgen die Lesenden mit teils wenig bekannten historischen Informationen, einerseits zur Situation 1933 im Graphischen Viertel in Leipzig, andererseits zum Literaturbetrieb 1913 und dem Leben in einem entlegenen Herrenhaus in Livland, auf dem Gebiet des heutigen Estland und Lettland.
Zunächst Leipzig 1933:
Cornelius Frey ist ambitionierter Kriminalkommissar, Gerechtigkeitsfanatiker, weitgehend schmerzresistent, wenn nötig brutal, impulsiv, kein Kommunist, kein Jude und am allerwenigsten Nazi. Wenn allerdings Geld oder Macht oder schlimmstenfalls beides zusammen die Aufklärung von Verbrechen verhindern, dann fühlt er sich herausgefordert.
Dass die aufstrebenden Nazis zunehmend wichtige Posten in der Gesellschaft mit Parteifreunden besetzen und eine unabhängige Polizeiarbeit unmöglich machen, führte zu seiner Entlassung. Er wird in den Dienst zurückgeholt, weil er einen Polizistenmord aufklären soll, diesmal aber mit den von seinen Vorgesetzten gewünschten Ergebnissen.
Alles zusammen bringt ihn in fast ausweglose Situationen, aus denen er jedoch irgendwie immer herauskommt.
Der historische Hintergrund im Jahr 1933 wirkt sehr bedrückend und deutet schon auf die politische Entwicklung im damaligen Deutschland hin: zu Judenverfolgung und drohendem Krieg, unter diesem Gesichtspunkt fand ich den Roman recht interessant.
Der Handlungsstrang 1913 in Livland, von der Leipziger Lektorin Paula in der Ich-Form erzählt, wirkte zunächst ziemlich unmotiviert. Erst als auch hier der Einfluß der Politik zutage trat, ergaben sich Verbindungen. Ich konnte mit den Geistererscheinungen in Hundsheide nichts anfangen, doch zum Schluss fügte sich alles verblüffend logisch ineinander und ließ doch noch ein stimmiges Ganzes entstehen.
Insgesamt spannend und flüssig zu lesen.
Aber so richtig gefallen hat mir der Roman trotzdem nicht, teils zu reißerisch, teils zu unwahrscheinlich, oft viel zu detailliert beschriebene Brutalität. Deshalb keine 5 Sterne.

Bewertung vom 24.09.2024
Akikos stilles Glück (eBook, ePUB)
Sendker, Jan-Philipp

Akikos stilles Glück (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Was wäre, wenn...
Ich bin neugierig geworden, weil ein deutscher männlicher Autor über eine japanische Frau schreibt. Was ich unlängst von japanischen Autoren gelesen habe, war immer etwas ganz besonderes und hat mir sehr gut gefallen.
Ich bin nicht enttäuscht worden, im Gegenteil! Dieses Buch ist ruhig und stimmt nachdenklich, steckt dabei voller wunderbarer Gedanken und vermittelt eine Ahnung von der mir fremden Kultur. Unterstrichen wird dies von dem dezenten, aber exotisch wirkenden Cover.
Akiko hat sich mit 29 Jahren ihr Leben eingerichtet, sie ist bescheiden und hat keine abgehobenen Ansprüche an ihr Leben. Zwei Dinge bringen sie dazu, alles in Frage zu stellen: Einmal der Fakt, dass ihre Freundin, wie es in Japan möglich ist, “sich selbst geheiratet” und dadurch eine Menge Selbstbewusstsein gewonnen hat und zum anderen ihr ehemaliger Schulkamerad Kento mit seinen Fragen “Kennst du dich? Magst du dich?”.
Akiko lässt ihr Leben Revue passieren, stellt sich auch die Frage “Was wäre, wenn…” und malt sich verschiedene Szenarien aus. Bei allem fühlt sie sich von dem hochsensiblen und zurückgezogen lebenden Kento inspiriert. Indem sie über dessen Leben und über seine Motive nachdenkt, kommt sie auch den Antworten auf ihre eigenen Fragen näher.
Mir haben die Perspektivwechsel in der durchweg gut zu lesenden Geschichte gefallen: Rückblenden in Akikos eigenes Leben, Einblicke in “K.s Welt” und die von Akiko in der Ich-Form erzählte Gegenwart.

Ein wunderbares Buch für Menschen, die sich auf eine phantasievolle und ruhige Geschichte einlassen wollen!

Bewertung vom 03.08.2024
Mein drittes Leben
Krien, Daniela

Mein drittes Leben


ausgezeichnet

Linda und Richard erleben den Unfalltod ihrer Tochter als katastrophalen Einschnitt in ihrem Leben. Doch jeder der beiden empfindet und bewältigt die Trauer auf völlig unterschiedliche Weise.
Während Robert sich um seine beiden Kinder aus erster Ehe kümmert, bricht Linda völlig zusammen. Zuerst verliert ihr Körper jegliche Widerstandskraft, sie bekommt Krebs, wird geheilt, aber verfällt in eine tiefe Depression. Von Richard fühlt sie sich nicht verstanden, ist enttäuscht und zieht sich mehr und mehr zurück. Das geht soweit, dass sie ihre Arbeit als Kuratorin aufgibt, auf ein gesichtsloses, tristes Dorf zieht und ihr Leben über sich ergehen lässt.
Im ersten Teil des Romans erlebt der Leser in zahlreichen Rückblenden, wie es zu der Situation kam, wie Linda ihr früheres Ich verliert und warum sie es nicht schafft, mit anderen Menschen zusammen zu sein.
Für mich wurde das Buch immer besser, je mehr ich Linda verstehen lernte. Sehr eindringlich und berührend wird Lindas einsames Leben und ihre langsame Befreiung von depressiven Gedanken geschildert.
Im dritten Teil gibt Linda nicht ganz freiwillig ihr selbst gewähltes Exil auf, sucht wieder Kontakte, auch Aufgaben.
Das offene Ende und Lindas Erkenntnis, dass Trauer um einen geliebten Menschen die Lebensfreude nicht ausschließen muss, empfinde ich als einen gelungenen Ausgang.

Bewertung vom 16.07.2024
Der Bademeister ohne Himmel
Pellini, Petra

Der Bademeister ohne Himmel


ausgezeichnet

Eine bewegende Geschichte
Ein ernstes und in unserer Zeit immer öfter auftretendes Problem: Wie geht man als Laie mit den Bedürfnissen und oft unverständlichen Aktionen eines dementen Angehörigen um?
Linda, eine Fünfzehnjährige mit jeder Menge eigener Probleme, erzählt von den Erlebnissen eines einzigen Jahres, ihren Beobachtungen mit oft überraschenden Schlussfolgerungen und von ihrem intuitiven Umgang mit Hubert, dem ehemaligen Bademeister, der jetzt pflegebedürftig ist.
Oft genug musste ich mich nachdenklich fragen, warum manche simplen oder nahe liegenden Dinge nicht von mehr Menschen erkannt werden. Man kann von Lindas Art und Weise, mit unerwarteten Situationen fertig zu werden, einiges lernen.
Linda als Ich-Erzählerin benutzt eine ihrem Alter angemessene lockere Sprache ohne Schnörkel. Um ihren Charakter zu verstehen, helfen die locker eingeflochtenen Erinnerungen, sowohl an Familiengeschichten, als auch an die Entwicklung ihrer Beziehung zu Kevin, dem eigenwilligen Schulkameraden.
Es ist spannend, zu erleben, wie sie selbst in diesem Jahr wächst und und wie hoffnungsvoll die tragischen Momente für Linda und ihr Leben ausgehen.
Dieses Buch liest sich sehr gut, beinhaltet viel Nachdenkenswertes und trotz aller Tragik Humorvolles. Ich wünsche ihm viele Leser und Leserinnen.

Bewertung vom 24.03.2024
Die Vermesserin der Worte
Seck, Katharina

Die Vermesserin der Worte


sehr gut

Ida, eine junge Autorin mit Schreibblockade und ohne Einkommen verschlägt es in ein kleines Dorf. Dort sucht sie neben dem Broterwerb als Haushaltshilfe auch nach Inspiration und Motivation. Nicht zuletzt, weil ihr Vater mit seiner abwertenden Haltung der Schriftstellerei gegenüber ihr in der Vergangenheit jedes Selbstvertrauen genommen hat. Die Menschen im Dorf werden als recht kauzige Chartaktere eingeführt, sie machen es Ida nicht leicht, Fuß zu fassen.
In Idas Arbeitgeberin, der von beginnender Demenz heimgesuchten Bücherliebhaberin Ottilie, findet sie einen hilfsbedürftigen und in hellen Stunden sehr einfühlsamen Menschen, der ihr das Gefühl gibt, eine Aufgabe zu haben. Um die Risse in Ottilies Erinnerungen zu kitten, sucht Ida nach Informationen über deren ungewöhnliches Leben, die sie auch auf verschiedene Weisen gewinnt und dank ihrer Phantasie auch wie ein Puzzle zusammenfügen kann.
Die daraus entstehende Geschichte über die “Wortvermesserin” erzählt sie der alten Dame in Fortsetzungen und ruft damit positive, wie auch unerwartete Reaktionen hervor. Idas Mitgefühl, ihre Hingabe an die ältere Freundin, lenkt sie von ihren eigenen Sorgen ab. Von ihr fast unbemerkt, gewinnt sie dabei ihre Erzählfähigkeit zurück. Sie besinnt sich auf die Kraft ihrer Worte, die Gewicht haben und viel bewirken.

In diesem Buch steckt eine interessante und anrührende Geschichte, viele sehr gute Gedanken und wunderschöne, sehr warmherzige Beschreibungen. Die Gedanken über das Wesen von Büchern, über das Lesen und das Versinken in den Lebenswelten der Charaktere aus den Büchern fand ich sehr schön. Leider aber ist das Lesen kein ungetrübtes Vergnügen, sondern ein Stolpern durch den oft unbeholfenen, aufgeblähten schwer lesbaren Text geworden. Dazu kam eine häufig ungeschickte, sogar gelegentlich falsche Wortwahl, die mich sehr gestört hat.
Sprachlich am besten fand ich die kursiv gedruckten Passagen von Idas Erzählung.

Fazit: Menschenliebe, Bücherliebe und viel Mitgefühl in einer bewegenden Geschichte ohne sprachlichen Glanz.

Bewertung vom 02.01.2024
Das Philosophenschiff
Köhlmeier, Michael

Das Philosophenschiff


sehr gut

Was ist Wahrheit?
Eine hundertjährige Architektin möchte neben bereits geschriebenen Biografien eine ganz persönliche Lebenserzählung geschrieben haben. Dafür wählt sie einen Schriftsteller, der Wahres für Fiktion und Falsches als Wahrheit verkaufen kann. »Gesagt werden soll es. Und wenn es keiner glaubt, umso besser. Aber erzählt werden soll es.«
Ihre Geschichte ist so abenteuerlich, dass man sich tatsächlich fragt, hat sie das alles erlebt oder geträumt?
Es geht um verbürgte Personen der Geschichte: Lenin, Trotzki, aber auch weniger populäre wie Nikolai Berdjajew, Nikolai Gumiljow, Moissei Urizki u.a. Wenn man sich die Mühe des Nachschlagens macht, findet man die von Frau Perleman-Jacob erzählten Ereignisse als tatsächlich geschehene. Köhlmeier verknüpft ihre fiktive Familiengeschichte so gekonnt mit historischen Tatsachen, dass man sich vorstellen kann, es könne so gewesen sein. Und wenn nicht so, dann vielleicht ganz anders? Was ist Wahrheit?
Um die phantasievolle Lektüre wirklich genießen zu können, sollten einem die historischen Fakten tatsächlich ein wenig vertraut sein, nachschlagen lohnt sich jedenfalls.

Bewertung vom 01.11.2023
Endstation Malma
Schulman, Alex

Endstation Malma


ausgezeichnet

KInder sind immer die Opfer

Endstation Malma - der Titel ist genial gewählt, bezieht er sich doch einerseits auf jede der 3 Reisen als auch auf das tragische Ende des Romans.
Zu Anfang scheinen diese Reisen nach Malma völlig voneinander unabhängig zu sein.
Die 8-jährigen Harriet, die mit ihrem Vater unterwegs ist, erinnert sich an ihre Mutter, die mit ihrer älteren Schwester vor Monaten weggegangen ist, aber den Namen erfahren wir nicht.
Oskar, der seine Frau nach Malma begleitet, um seine Ehe zu retten, nennt sie nie beim Namen.
Und die 28-jährige Yana ist nach Malma unterwegs, um etwas über ihre Mutter herauszufinden, die sie seit ihrer Kindheit nicht mehr gesehen hat. Namen fallen auch hier nicht.
Jeder Erzählstrang für sich ist spannend, die Personen nicht immer sympathisch, jedoch faszinieren die Episoden aus dem Leben der Protagonisten.
In jedem Kapitel wechselt die Perspektive und mit jedem Wechsel treten neue erhellende Fakten zutage. Nach und nach fügen sich die zuerst losen Stränge zu einem stimmigen Ganzen, auch die zeitlichen Zusammenhänge und familiäre Verflechtungen werden immer klarer. Erschütternde Schicksale offenbaren, dass die Opfer von Beziehungskrisen immer wieder Kinder sind, deren ganzes Leben dadurch beeinflusst wird.
Dieser so kunstvoll komponierte Roman ist mit einiger Konzentration gut und flüssig zu lesen und hinterlässt einen nachhaltigen, allerdings auch etwas verstörenden Eindruck.

Bewertung vom 10.10.2023
Ich bin Frida / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.23
Bernard, Caroline

Ich bin Frida / Mutige Frauen zwischen Kunst und Liebe Bd.23


ausgezeichnet

Eine außergewöhnliche Künstlerin sucht ihren Weg

In diesem sehr gut recherchierten Roman wird nur ein knappes Jahr vom Leben Frida Kahlos beleuchtet. Dieses aber ist eine ganz entscheidende Phase, in der sie ihre künstlerische Entwicklung vom Einfluss ihres Ehemanns befreit. Gleichzeitig führt sie einen inneren Kampf um die Liebe(n) ihres Lebens.
Die Geschichte wird von einer dritten Person erzählt, die auch Fridas Gefühle und inneren Monologe wiedergibt. Zahlreiche lebhafte Dialoge schaffen filmreife Szenen vor dem inneren Auge, beim Lesen entsteht ein regelrechter Sog, man kann nicht aufhören.
Ich habe voller Mitgefühl Anteil an Fridas Entwicklung in dieser Zeit genommen, ihren Kampfgeist, Ausdauer und eisernen Willen bewundert. Trotz ihrer erheblichen körperlichen Beeinträchtigungen lässt sie sich nicht unterkriegen. Frida ist stark, sehr stark und in Bezug auf ihre Ziele auch konsequent und hat damals direkt auf andere Frauen in ihrem Umfeld sehr inspirierend gewirkt.
Dennoch habe ich mir oft Fragen gestellt: Ist mir Frida sympathisch? Ist ihre Interpretation von Freiheit nicht zu egoistisch?
Auf jeden Fall hat sie es sich nicht leicht gemacht, hat ihre Gefühle, ihre Beziehungsprobleme von vielen Seiten her beleuchtet und in ihren Bildern verarbeitet. “Ich bin Frida” heißt für sie: Ich bin diese Frida mit all meinen Widersprüchen und ich habe zu wenig Zeit, um mein Leben linear zu führen, ich muss vieles gleichzeitig nebeneinander schaffen.
Ein lesenswertes Buch!

Bewertung vom 25.08.2023
Kontur eines Lebens
Robben, Jaap

Kontur eines Lebens


ausgezeichnet

Unglaublich und intensiv
In den Niederlanden 1963 konnten Dinge geschehen, die für mich völlig unvorstellbar sind. Gut, wenn man sich nie in den Fängen der katholischen Kirche befand, wenn man in einer viel freieren und toleranteren Gesellschaft aufwachsen durfte, dann ist man fassungslos.
Mich hat dieses Buch in mehrerer Hinsicht erschüttert. Ich hatte eine ganz andere Vorstellung von den Niederlanden, wusste nichts über die konservative und frauenverachtende Haltung gegenüber ledigen Müttern noch in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts.
Frieda Tendeloo denkt mit über 80 Jahren nach einem langen Leben mit ihrem Ehemann und Sohn über völlig verdrängte Ereignisse vor ihrer Ehe nach: Ihre leidenschaftliche Liebe zu Otto, einem verheirateten Mann und die Geburt ihrer unehelichen Tochter unter unglaublichen Bedingungen.
Auslöser war der überraschende Tod ihres Ehemanns Louis und der dadurch zwingend notwendige Umzug in ein Pflegeheim. Hier setzt die Handlung ein. Wir erfahren von den Schwierigkeiten der ersten Tage und Wochen, von Friedas Problemen mit Pflegern und Pflegerinnen, ihrer Scham, wenn sie die Hilfe völlig fremder Menschen in intimsten Situationen annehmen musste. Und in dieser neuen Umgebung überfielen sie die Gedanken an früher mit großer Wucht.
Sie weiht ihren Sohn Tobias ein, erzählt ihm von Otto und ihrer ungewollten Schwangerschaft und bittet ihn um Hilfe. Frieda möchte herausfinden, ob Otto noch lebt, warum er sie nach der Geburt des Kindes so alleine gelassen hat. Sie konnte ja früher mit niemandem darüber sprechen und hat alles ein Leben lang in sich verschlossen.
Stück für Stück erschließt sich Friedas Geschichte. Mit ungeheurer Intensität stürmen die Eindrückende auf den Lesenden ein. Die Ich-Erzählung mit all ihren Bekenntnissen, Unsicherheiten und Fragen war wie ein Sog, unmöglich, das Buch aus der Hand zu legen.

Bisher kannte ich den Autor Jaap Robben noch nicht, doch seine einfühlsame Erzählweise hat mich sofort überzeugt. Ich finde das Buch großartig!

Bewertung vom 18.08.2023
Die Butterbrotbriefe
Henn, Carsten Sebastian

Die Butterbrotbriefe


sehr gut

Plädoyer für das Briefeschreiben
Wenn auch das witzige Cover eine eher heitere Erzählung erwarten läßt, so verstecken sich in der leicht und locker geschriebenen Geschichte doch einige nachwirkende Gedanken. Speziell natürlich über Eltern-Kind-Beziehungen.
Kati - eine wenig selbstbewusste Enddreißigerin - beginnt spät, aber vielleicht doch noch rechtzeitig, ihr Leben in Frage zu stellen. Sie tut das auf eine sehr skurrile Weise, indem sie Briefe schreibt und sich auf zum Teil lange zurückliegende Ereignisse - positive wie negative - in ihrem Leben bezieht. Die Briefe überbringt sie persönlich und trägt sie dem Adressaten vor. Das kostet sie Überwindung, doch sie kann sich auf ihre wohlüberlegten und präzise formulierten Gedanken verlassen.
Diese Briefe auf altem Butterbrotpapier schreibt Kati vor allem für sich selbst, um Klarheiten zu gewinnen, um Ursachen für Dinge, die nicht so gut gelaufen sind, zu erforschen.
Ihr wird beim Schreiben klar, dass ihr bisher fremdbestimmtes Leben einer radikalen Änderung bedarf.
Zufällig begegnet ihr genau in dieser für sie aufwühlenden Zeit Severin, der selbst ein zutiefst unglücklicher und suchender Mensch mit einer tragischen Vorgeschichte ist. Er verliebt sich in Kati und findet dadurch aus seiner Misere heraus. Bei Kati dauert es länger, bis sie begreift, wie wertvoll Severin für sie selbst ist, wie ihr die Gespräche mit ihm Richtung und Selbstvertrauen geben.
Doch die Lösung für sie ist nicht, jetzt einfach da zu bleiben und ihre Pläne aufzugeben.
Das letzte Viertel des Buches empfinde ich zwar als etwas chaotisch, aber durchaus konsequent, dass letztlich einige Geheimnisse durch alte Briefe aufgedeckt werden.

Fazit: Eigenwillige, aber liebenswerte Charaktere machen diese Geschichte zu etwas Besonderem, einem Plädoyer für das Briefeschreiben.

Mein liebstes Zitat: „Ein Brief war ein Gespräch, bei dem der Lesende die Geschwindigkeit bestimmte.“