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wasserklaenge

Bewertungen

Insgesamt 34 Bewertungen
Bewertung vom 01.04.2025
Das Ministerium der Zeit
Bradley, Kaliane

Das Ministerium der Zeit


sehr gut

Eine junge Frau bewirbt sich auf eine Stelle im Ministerium. Um welches Ministerium es sich genau handelt, wird ihr erst zusammen mit der Jobzusage mitgeteilt: Das Ministerium der Zeit. Offenbar ist es der britischen Regierung gelungen, eine Art Zeitmaschine herzustellen. Damit sind eine Handvoll sogenannter Expats aus der Vergangenheit gerettet worden. Und ihr Job ist es nun, einen von Ihnen ins 21. Jahrhundert einzuführen – sie wird eine Brücke.
Verständlicherweise sehen die Expats es nicht unbedingt als Rettung, sich plötzlich in einem anderen Jahrhundert zu befinden. Mit all der modernen Technik und der veränderten Welt in der sie gestrandet sind, gehen die Reisenden alle anders um. Margaret, eine fröhliche junge Frau, die im 17. Jahrhundert fast an der Pest gestorben wäre, begrüßt die Freiheiten der neuen Zeit. Arthur Reginald-Smith, der aus dem Jahr 1916 aus der Schlacht an der Somme gerettet wurde, hat zusätzlich zum Schock der Zeitreise mit den Nachwirkungen des Kriegsgeschehens zu kämpfen. Dass es später noch einen zweiten Weltkrieg gegeben hat, verrät man ihm erstmal lieber nicht. Der Expat, der unserer Erzählerin zugeteilt wird, ist Commander Graham Gore. Er kommt aus dem Jahr 1847, wo er von einer im Eis gestrandeten Arktisexpedition gerettet wurde. Für einen Mann mit viktorianischen Moralvorstellungen macht er sich relativ gut. Gore ist charmant, neugierig und humorvoll und gefällt auch seiner Brücke besser, als sie es sich eingestehen will.
„Das Ministerium der Zeit“ ist ein wirklich unterhaltsamer Roman, der für mich vor allem von den Zeitreisenden selbst gelebt hat. Ich mochte die Entwicklung der Beziehung zwischen der Erzählerin und Gore gerne, deren Dialoge viel Witz versprühen. Über die Kapriolen der Expats zu lesen, macht unheimlich Spaß. Allerdings fehlte mir etwas der Einblick in die Geschichte der Expats, bei denen die Integration nicht ganz so rund lief. Diese werden leider immer nur am Rande erwähnt.
Was sich nicht ganz so rund las, war der Plot rund um das Ministerium und dessen Pläne. Es war ein wilder Mix mit spärlichen Informationen. Nur im Nebensatz wird mal kurz hingeworfen warum und von welcher Seite Gore nun eigentlich verfolgt wird. Oder warum die Expats überhaupt in Gefahr sind. Ich fand es sehr unklar wer warum was tut, wer auf welcher Seite steht und was genau die Erzählerin sich nun genau vorwirft, übersehen zu haben. Das hätte man irgendwie runder und informativer gestalten können.
Immerhin gefiel mir der Romance-Part der Geschichte – und ich bin wahrlich kein Romance-Fan. Insgesamt bin ich also etwas zwiegespalten: Ich mochte ich die Idee und die Figuren des Romans wirklich gerne. Der Action-Teil des Plots war mir aber zu wirr. Trotzdem ist Kaliane Bradley ein sehr charmanter literarischer Zeitreise-Roman gelungen!

3,5*

Bewertung vom 19.03.2025
Halbinsel
Bilkau, Kristine

Halbinsel


gut

Annett ist stolz auf ihre Tochter Linn, die gleich nach dem Abi in die weite Welt hinaus ist. Nach dem Studium im Ausland hat Linn nun einen guten Job in Berlin. Doch auf einer Tagung bricht Linn am Rednerpult zusammen, zieht anschließend erst einmal wieder bei ihrer Mutter ein und plötzlich wirkt es so, als sei die engagierte junge Frau gescheitert. Damit muss Annett erst einmal zurechtkommen.

Nun, da Linn wieder bei ihr wohnt, denkt Annett viel nach über ihr Leben mit der kleinen Tochter nach dem viel zu frühen Tod ihres Mannes. Über die ständigen Geldsorgen. Darüber es besser machen zu wollen als die eigenen Eltern. Dass es ihr eigentlich auch gelungen ist, man aber trotzdem nie alles richtig machen kann. Über Stolz auf die erwachsene Tochter, Einsamkeit und den schmalen Grat zwischen elterlicher Sorge und Vorwurf. Ich hätte mir gewünscht, dass sie über irgendetwas davon auch mit Linn redet. Aber genau wie ihre Tochter macht sie das meiste mit sich selbst aus.

Annett wirkt manchmal ein bisschen trutschig, war mir insgesamt aber sehr sympathisch. Auch das Setting in den alten Häuschen nahe des Watts hat mir gefallen. Generell sind alle Orte – Linns Wohnung, das verlassene Haus in der Senke, das Hotel, die Werkstatt des Restaurators – mit wenigen Worten so treffend beschrieben, dass sie mir bildhaft vor Augen standen.

Obwohl sich der Roman wirklich schnell und angenehm lesen ließ und mir der Erzählton wieder sehr gefallen hat, hatte ich das Gefühl, dass hier eine Zielgruppe angesprochen wird, zu der ich nicht gehöre. Die dezenten Konflikte (Konfliktchen eher) in der Mutter-Tochter-Beziehung haben mich nicht so sehr interessiert, dass ich einen ganzen Roman darüber lesen müsste. Annetts Gedanken zum Leben ihrer Tochter waren interessant. Mit den Fokus darauf wirkte es aber wie ein Nostalgieroman für Muttis. Viel mehr hätte mich die Zeit interessiert, in der Annett ihren Mann verloren hat, in der sie sich von ihrem Vater emanzipierte oder gerne auch die Zukunft – etwa ob sie in ihrem Häuschen wohnen bleibt oder ob ihr Leben vielleicht noch eine ganz andere Richtung einschlägt. Eben genau dieses „Leben neu überdenken und ausrichten“ von dem der Klappentext spricht, das aber eigentlich kaum stattfindet.

Insgesamt war Halbinsel ein schöner, ruhiger Roman, mit einer interessanten Hauptfigur, in deren Leben ich gerne einen Blick geworfen habe. Inhaltlich hat es aber bei mir keinen Nerv getroffen und es blieb mir etwas zu beschaulich.

Bewertung vom 18.03.2025
Schweben
Ben Saoud, Amira

Schweben


sehr gut

Ihren eigenen Namen hat sie vergessen. Zu oft ist sie in die Rolle anderer Personen geschlüpft. Verschwundene Frauen, deren Angehörige nicht mit dem Verlust abschließen können und deswegen ihre Hilfe in Anspruch nehmen. Nun ist sie Emma, aber was bringt sie dazu deren toxische Beziehung immer weiter fortzuführen? Wohin ist die echte Emma verschwunden? Und kann sie ihren speziellen Job weiter ausführen, wenn sie ein echtes Leben mit echten Gefühlen führen will?

Das Setting des Romans hat mir sehr gut gefallen. Man merkt, man lebt in einer Zeit weit in der Zukunft, die sich aufgrund der Zerstörung außerhalb der Siedlungen aber eher rückläufig entwickelt hat. Das Gewaltverbot und das Verbot über das Davor und Draußen zu reden machen die Sache spannend, auch wenn sich eigentlich niemand so richtig daran hält. Dazu kommen seltsame Phänomen, die diese dystopische Welt nochmal aufregender machen.

Auch die Geschichte unserer Erzählerin mit den vielen Namen und dem ungewöhnlichen Job ist ziemlich interessant. Warum schlüpft sie bis zur Selbstvergessenheit immer wieder in neue Personen und was sind das für Leute, die ihre Dienste in Anspruch nehmen? Spannende Fragen, die Amira Ben Saoud hier aufgeworfen hat.

Am Ende blieben mir die Motive der weiblichen Figuren etwas zu unklar. Dass nicht alles bis ins Kleinste erklärt wird ist ja kein Problem und gerade bei dystopisches Geschichten fast schon Standart, aber gerade über die Beweggründe der beiden Frauen hätte ich schon gerne mehr erfahren.

Ich mochte den ruhigen Erzählton und den rätselhaften Touch der Geschichte. Auch die Figuren und das Setting haben mir sehr gefallen. Am Ende hätte ich gerne ein klein wenig mehr erfahren aber für Fans literarischer Dystopien ist dieses Buch definitiv ein must-read!

Bewertung vom 10.03.2025
Wild wuchern
Köller, Katharina

Wild wuchern


ausgezeichnet

Marie ist auf der Flucht. Irgendetwas ist in ihrer Wiener Wohnung vorgefallen, dass sie in Panik versetzt hat. Und da fällt ihr ihre Cousine Johanna ein, die sie zwar seit Jahren nicht mehr gesehen hat, die aber auf einer vollkommen abgelegenen Alm wohnt, auf die Marie niemand folgen wird. Aber Johanna ist über den überraschenden Besuch nicht unbedingt glücklich.

Katharina Köller erzählt in ihrem Debütroman von zwei gegensätzlichen Frauen, denen von den Eltern schon in jungen Jahren eine Konkurrenz angedichtet wurde, die eigentlich nie da war - die aber enormen Einfluss auf die Mädchen hatte. Dadurch, dass wir im Roman quasi in Maries Kopf stecken, in dem die Gedanken und Sorgen nur so herumrasen, wirkt die stille, verschlossene Johanna noch gegensätzlicher. Trotzdem hoffte ich die ganze Zeit, dass die beiden Frauen sich näher kommen. Sich öffnen. Endlich richtig miteinander reden.

Den Roman zur Seite zu lesen, was unheimlich schwer! Es gibt keine Kapitel, die Geschichte rast genauso, wie Maries Gedanken. Diese atemlose Erzählweise hat dafür gesorgt, dass ich immer weiter lesen wollte.

Ich fand es großartig, wie Marie nach und nach ihre Jugendzeit und ihre aktuelle Lebenssituation reflektiert. Wie Marie als Jugendliche zum Beispiel von den Eltern fürs Nächte durchmachen, fürs trinken, fürs liebliche aussehen, für diese vermeintliche Normalität gefeiert wurde und doch immer schon ahnte, dass Johannas stille Art, die sich ihren Rausch in der Natur holte, irgendwie richtiger war, als das, was sie gemacht hat. Marie hat diese früh Konditionierung in eine toxische Beziehung geführt. Johanna ist freiwillig in die Einsamkeit gegangen aber sie scheint jede Minute davon zu genießen. Auch wenn das Leben auf der Alm – und auch das beschreibt Köller richtig gut – mit enorm viel Arbeit verbunden ist.

Köller haut einem teilweise Sätze um die Ohren, die eine enorme Schlagkraft haben. Ich habe Johannas direkte Art genauso bewundert, wie Maries Reflektion ihres eigenen Verhaltens, in deren people-pleasing-Tendenzen ich mich oft wiedergefunden habe. Marie hat Witz, auch wenn sie tief in einer Krise steckt. Ich habe über beide Frauen unheimlich gerne gelesen.

So ist „Wild wuchern“ eine rasante wie poetische Gesellschaftskritik, der der Wiener Schmäh noch das gewisse Etwas gibt!

Bewertung vom 19.02.2025
Der letzte Mord am Ende der Welt
Turton, Stuart

Der letzte Mord am Ende der Welt


ausgezeichnet

Eine Insel, umgeben von tödlichem Nebel. Gut 120 Menschen leben auf diesem letzten bewohnbaren Fleckchen Erde. Drei von ihnen sind Wissenschaftler, die fast wie Götter verehrt werden. Und dann ist eine von ihnen tot! Es bleiben nur 107 Stunden um den Mord aufzuklären, bevor die Insel vom Nebel verschluckt wird. Aber niemand erinnert sich mehr an die Nacht des Mordes – auch nicht der Mörder selbst.

Für Aufklärung sorgen soll Emory. Sie hat schon immer zu viele Fragen gestellt und sich damit wahrlich keine Freunde gemacht. Nun ist ihre Skepsis endlich zu etwas nütze! Zusammen mit ihrer Tochter Clara versucht sie, das Gespinst aus Lügen und Geheimnissen zu entwirren, dass die Wissenschaftler und allen voran die getötete Niema hinterlassen haben. Unterstützt werden sie dabei von Abi. Einer Stimme, die wie ein gutes Gewissen im Kopf jedes Inselbewohners steckt. Abi verbindet alle miteinander, kein Gedanke ist vor ihr geheim. Aber Abi ist Niemas Geschöpf. Ist sie noch an die Befehle der Toten gebunden oder verfolgt Abi vielleicht ihren eigenen Plan?

Nicht weniger als das Überleben der Menschheit steht in diesem Roman auf dem Spiel. Aber hat die Menschheit es überhaupt verdient zu überleben? Wird sie nicht den nächsten Krieg beginnen, den nächsten Mord planen? Hybris, Geheimnistuerei und Misstrauen sind leider nur allzu menschliche Eigenschaften. Turton spart an diesem Punkt nicht mit Kritik, und zusammen mit der Entwicklung der Hauptfiguren gibt das der Geschichte das gewisse Etwas!

Whodunit-Krimi trifft auf Science-Fiction trifft auf Dystopie. Ein Genre-Mix, der von mir aus gerne schon eher hätte erfunden werden dürfen! Es hat großen Spaß gemacht, zusammen mit Emory die zahlreichen Geheimnisse der Insel zu erkunden und ein Rätsel nach dem anderen zu entwirren!

Bewertung vom 17.02.2025
Toyboy
Theresia, Jonas

Toyboy


gut

In Toyboy erzählt Jonas Theresia von zwei ungleichen und doch ähnlich verlorenen Brüdern. Levin, der ältere, ist vor ein paar Jahren nach LA abgehauen und hat so gut wie alle Brücken hinter sich abgebrochen. Doch mit der Modelkarriere wollte es auch im fernen Amerika nichts werden und so ist er nun wieder zu Hause. Hier wohnt neben Katze Liu und der in jedem Wortsinn abwesenden Mutter auch noch Levins kleiner Bruder Georg. Georg vergräbt sich tagein tagaus in seinem Zimmer, zockt hauptsächlich und guckt nebenbei Pornos. Ein Klischeenerd. Levin macht sich Sorgen, aber bei ihm läuft das Leben auch nicht besser. In LA ist er gescheitert, in Deutschland scheitert er weiter. Ob als Callboy, Camboy oder bei Pornodrehs, Levin jagt von einer Panikattacke in die nächste und ist trotz Körperkontakt genauso einsam wie sein kleiner, unberührter Bruder.

Toyboy ist ein unterhaltsamer Roman über Geschwisterliebe und Sinnsuche. Über Gefühle und Verletzungen zu reden fällt hier allen schwer, aber Levin versucht es zumindest. Auch wenn er bei dem Versuch die Beziehung zu Georg zu kitten erstmal alles noch schlimmer macht.

Theresia erzählt zwar gekonnt von Levins aktueller Gefühlswelt - der Leere, der Panik, der Ungewissheit, der Liebe - aber darüber wie er so geworden ist erfährt man fast nichts. Ebenso bei Georg. Ich hätte gerne mehr über die Vergangenheit der beiden erfahren; warum beispielsweise Georg keine Freundschaften und Beziehungen außerhalb des Bildschirms führt oder warum Levin überhaupt auf die Idee kommt seinen Körper zu verkaufen obwohl es ihm doch offensichtlich ziemlich unangenehm ist.

Spaß gemacht haben allerdings die Ausflüge in die absurdesten Ecken der Erotikbranche, in der Levin Fuß fassen will, oder die Interaktion mit Oxana - einer Mischung aus OnlyFans-Camgirl und Lovescammerin.

Insgesamt habe ich Toyboy ganz gerne gelesen, am Ende blieb es mir aber zu brav und zu wenig mitreißend.

Bewertung vom 12.02.2025
Wenn wir lächeln
Unterlehberg, Mascha

Wenn wir lächeln


weniger gut

Jara und Anto sind mehr als beste Freundinnen. Sie sind Schwestern, immer zusammen, immer füreinander da, immer auch Achse.

Jara ist eher nachdenklich, oft besorgt und kommt aus einem liebevollen aber finanziell nicht gerade gutgestellten Elternhaus. Anto ist laut und selbstbewusst und macht, wonach ihr gerade der Sinn steht. Ihre Mutter hat zwar viel Geld, scheint aber nie da zu sein. Immer ist Anto allein.

Die unterschiedlichen Charaktere der beiden Mädchen spiegeln sich auch in den Dynamiken Ihrer Freundschaft wieder. Jara will Anto am liebsten für sich alleine, auch wenn Antos Präsenz schnell zu viel sein kann. Ich hatte den Eindruck, dass Jara eigentlich in Anto verliebt ist, aber die Geschichte geht darauf nicht weiter ein, was ich ein bisschen schade fand.

Die Gesellschaftskritik in Form von männlicher Übergriffigkeit, die Jara gefühlt täglich begegnet, fand ich etwas zu gewollt. Catcalls, Exibitionismus, Zwischen-die-Beine-greifen im Club, Anfassen ohne Konsens, eine Wette sie ins Bett zu kriegen, you name it, its there. Das hatte zusammen mit dem teils fragmentarischen Erzählstil nichts natürliches mehr und wirkte ein wenig wie das abarbeiten einer Liste.

Besonders zum Ende hin fand ich dem Roman zunehmend unstrukturiert erzählt und irgendwie ziellos. Zu den Figuren wollte sich keine Nähe aufbauen. So hat der Roman mir leider gar nichts gegeben. Als Alternative würde ich eher zu Ruth Maria Thomas „Die schönste Version“ raten.

Bewertung vom 28.01.2025
Die Gabe
Suzuki, Suzumi

Die Gabe


weniger gut

Eine Mutter will ein letztes Gedicht schreiben bevor sie stirbt und zieht dafür vom Krankenhaus in die kleine Wohnung ihrer Tochter. Die Tochter ist hin und hergerissen zwischen dem unkonkreten Wunsch der Mutter in ihren letzten Tagen beizustehen und dem Drang ihr aus dem Weg gehen zu wollen.

Dieser Roman fühlt sich dunkel und kalt an. Es gibt so viel, das Emotionen erzeugen müsste: Das langsame sterben der Mutter, der Su1zid einer Freundin, die kleine, kalte ungemütliche Wohnung, in die die Erzählerin immer wieder zurückkehrt, das Kontaktverbot mit dem Vater, die Sprachlosigkeit in der Beziehung von Mutter und Tochter. Doch irgendwie kam nichts davon an mich heran. Vielleicht wegen der verworrenen, unsentimentalen Erzählweise. Vielleicht, weil man sich beim lesen genauso betäubt fühlt wie die Erzählerin, die mit zu viel Alkohol und zu vielen Zigaretten in unpersönlichen Nachtclubs vor ihrem Leben flüchten möchte.

Ich habe leider nicht ganz durchblickt, was Suzumi Suzuki mit dem Roman eigentlich erzählen will. Bestimmt gibt er ein authentisches Bild des Lebens einer Hostess ab. Aber über deren Arbeit wird eigentlich kaum etwas erzählt. Hauptsächlich pendeln wir zwischen Krankenhaus und Wohnung, es passiert wenig. Auch über die Beziehung zwischen Mutter und Tochter habe ich nichts greifbares erfahren.

Der Klappentext spricht von „zwei Frauen mit ganz unterschiedlichen Verständnissen von weiblicher Selbstermächtigung, Liebe und Gewalt“. Wo hier von Selbstermächtigung und Liebe die Rede war, müsste mir bitte jemand anstreichen. Die Gewalt habe ich gefunden, bezweifle aber, dass davon unterschiedliche Verständnisse herrschen.

Ja, der Roman hat etwas soghaftes. Trotzdem blieb er für mich unbefriedigend. Unsentimental, distanziert, unkonkret. Die Gabe gibt einen kleinen Einblick in das Leben einer jungen Frau, die alle Gefühle tief in sich vergraben hat. Mit hat er leider nicht viel gegeben.

Bewertung vom 28.01.2025
Klapper
Prödel, Kurt

Klapper


sehr gut

Thomas wird wegen seiner ständig knackenden Gelenke von allen nur Klapper genannt. Und das eher nicht auf liebevolle Weise. Er ist ein Außenseiter, bekommt kaum den Mund auf und verbringt fast seine komplette Zeit damit Counter-Strike zu zocken. Darauf welches Bandshirt er wohl als nächstes tragen wird werden schon Wetten abgeschlossen. Er ist ein lieber Kerl, nur leider merkt das niemand. Bis Bär kommt.

Bär heißt eigentlich Vivi und im Gegensatz zu Klapper hat sie sich ihren Spitznamen selbst ausgesucht. Sie ist groß und stark, sie steht auf Deutschrap und lässt sich von niemandem herumschubsen. Und irgendwie hat sie sich den verschlossenen Klapper als Freund auserkoren.

Dieser Roman ist überraschend unterhaltsam, die Seiten fliegen nur so dahin! Prödel trifft einen Ton der nostalgisch macht, etwas wahrhaftes hat, witzig ist aber auch Bitteres nicht ausspart. Mir ist Klapper richtig ans Herz gewachsen. Man wünscht ihm, dass er mal aus sich heraus kommt - so, wie wenn er seinem Spießerpapa Kontra gibt. Aber wenn man sich die 2025er Storyline so anschaut, scheint das nicht geklappt zu haben. Er ist genauso verschlossen und einsam wie eh und je. Was ist also passiert? Und wieso ist Bär aus seinem Leben verschwunden?

Cringer 2011er Deutschrap, lange vergessene Axe-Deo-Werbung, das Gefühl ein angsty Teenager zu sein und die fast schon alltäglichen Dramen, die sich hinter verschlossenen Türen abspielen – Prödel erspart dem Leser nichts. Mit Klapper ist ihm ein wunderbar unterhaltsamer und authentischer Roman über Freundschaft und das Erwachsenwerden gelungen. Traurigschön und manchmal wunderbar absurd.

Bewertung vom 15.12.2024
Only Margo
Thorpe, Rufi

Only Margo


ausgezeichnet

Margo ist gerade mal 19 als sie von ihrem Literaturprofessor schwanger wird. Der hat bereits Frau und Kinder und will mit Schwangerschaft und Baby nichts zu tun haben. Mit dem Baby ist an ein Studium nicht mehr zu denken und ihren Kellnerjob ist Margo schneller los als sie gucken kann. Auch von ihren Eltern ist nicht viel zu erwarten: Ihr Vater, ein ehemaligen Wrestling-Star, hat bisher hauptsächlich mit Abwesenheit gegläntz und ihre Mutter ist so desinteressiert und überfordert mit ihrem kleinen Enkel, dass man sich fragt, wie sie ihr eigenes Kind überhaupt zu einem halbwegs normalen Menschen hat heranziehen können.

Margo ist also mehr oder minder auf sich allein gestellt und so entsteht die Idee sich einen OnlyFans-Account anzulegen. Damit verdient sie gut, kann von zu Hause arbeiten und sich nebenbei um Baby Bodhi kümmern. Aber bringt der Account vielleicht mehr Probleme mit sich, als er löst?

Nach den ersten Seiten dachte ich: Oje, eine schwangere, komplett naive 19-Jährige, das kann ja heiter werden! Aber schon bald hat mich die Geschichte total in ihrem Bann gezogen und nicht mehr losgelassen! Margos Stärke, ihre Kreativität und die Entwicklung die sie im Laufe der Geschichte durchmacht, sind einfach toll zu lesen.

Rufi Thorpe zeichnet ein lebendiges Bild davon, welche Steine jungen Müttern in den Weg gelegt werden. Welche Vorurteile herrschen, wie machtlos man sich fühlt und wie man dafür verachtet wird, wenn man sich etwas Macht zurückholen möchte. Zusammen mit einem Wrestling-Vater, einer Cosplay-Mitbewohnerin und den nischigen Ecken von Social-Media kommen die ernsten Themen aber nicht zu harsch daher. Zwar möchte man teilweise ins Buch beißen vor lauter Ungerechtigkeit, es gibt aber auch witzige Stellen und manchmal ist es schlicht und einfach schön, beispielsweise wenn Margo ihrem Vater endlich näher kommt.

Wie schon Rufi Thorpes ersten Roman habe ich dieses Buch an einem Wochenende durchgesuchtet. Ich war so in Margos Schicksal involviert, dass nicht weiter zu lesen einfach keine Option war. Thorpe spielt dazu noch so geschickt mit einer Mischung aus Ich-Erzählerin und dritter Person, dass Margos Leben noch realer wirkt.

Wer eine ernste Geschichte mit Witz, Chaos und Wrestling lesen möchte, die einen in die seltsameren Ecken des Internets führt, dabei berührt und mitreißt, der ist hier genau richtig! Ich habe das Buch wirklich gerne gelsen und vermisse Margo und Co jetzt schon!