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Erfurt

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Insgesamt 9 Bewertungen
Bewertung vom 07.11.2024
Gefährliche Betrachtungen
Eckardt, Tilo

Gefährliche Betrachtungen


sehr gut

Gehobene Sprache

Übersetzer Miuleris größter Traum ist es, die Werke Thomas Manns ins Litauische übersetzen zu dürfen. Dafür ist er extra ins ostpreußische Dörfchen Nidden gereist, um den großen Schriftsteller selbst um seine Zustimmung zu bitten.
Dieser arbeitet in seinem dortigen Sommerhaus allerdings gerade an einer hochbrisanten politischen Rede, die ihn schwer in die Bredouille bringen könnte, wenn dieser Entwurf in die falschen Hände gerät. Als jedoch genau diese Blätter verloren gehen, werden Miuleris und Mann zu einer Art Watson und Holmes und begeben sich auf die Suche danach.

In einer besonders gehobenen und gut ausformulierten Sprache, gespickt mit allerlei Fremdwörtern und Phrasen die heute durchaus im Deutschen nicht mehr ganz üblich sind, erzählt Tilo Eckardt seinen fiktionalen Kriminalroman mit Thomas Mann in einer der Hauptrollen. Der wahre Held der Geschichte ist jedoch Übersetzer Miuleris. Hat man am Anfang noch etwas Probleme in die Handlung hinein zu finden, was auch dem teilweise etwas schwülstigen Schreibstil geschuldet ist, wächst einem Miuleris - oder Müller, wie ihn Thomas Mann nennt - recht schnell ans Herz. Die Handlung beginnt etwas zäh und es dauert damit eine Weile bis sich eine gewisse Spannung aufbaut, aber letztlich ist man doch sehr daran interessiert, ob hier denn ein Verbrechen vorliegt und wie es weitergeht. Ein echter Krimi, oder das was man sich darunter halt vorstellt, ist das sicherlich nicht, aber trotzdem allemal lesenswert.

Bewertung vom 01.11.2024
Die Mitford Schwestern / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.6
Benedict, Marie

Die Mitford Schwestern / Starke Frauen im Schatten der Weltgeschichte Bd.6


ausgezeichnet

Familiengeschichte

Die Familie Mitford ist eine bekannte Größe der englischen Adelswelt zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zu den sieben Kindern der Familie zählen auch Diana, Unity und Nancy Mitford.
Diana ist die Schöne. Sie hat zwei Söhne, lässt sich aber von ihrem Mann, dem Guinness-Erben scheiden, um ihre Affäre mit Oswald Mosley, dem Anführer der englischen Faschisten ungehindert ausbauen zu können.
Nancy ist älter als Diana und arbeitet als Schriftstellerin. Für die damalige Zeit sehr spät, heiratet sie erst mit über 30 ihren Peter, der mehr Augen für den Alkohol als für seine Frau zu hat. Sie ist die Realistin unter den Schwestern.
Unity, die jüngste der drei, ist die Eigensinnige, die immer aus der Reihe getanzt ist. Für sie gibt es nur Schwarz oder Weiß. Sie geht schließlich nach Deutschland, um ihrem Idol Adolf Hitler so nah wie möglich zu sein.

"Die Mitford Schwestern" ist ein packender historischer Roman, der auf wahren Begebenheiten beruht. Die Mitglieder der Familie Mitford sind wahre Personen und auch ihre Verstrickungen in die damalige Politik sowie die Nähe von Diana und Unity zu den Nationalsozialisten in Deutschland, insbesondere zu Hitler, sind belegt.
Umso bedeutender wird damit dieses Buch. Es beschreibt auf detailreiche Art und Weise die Besessenheit Unitys zu Hitler und die Berechnung Dianas, immer auf ihren Vorteil zu kommen. Nancy ist eine Art Hauptperson. Ihre Kapitel sind als einzige aus der Ich-Perspektive geschrieben und man kann sich in ihre Hilflosigkeit und persönlichen Empfindungen gut einfühlen. Mich hat dieses Buch sehr berührt. Es ist flüssig zu lesen und versucht die Aufarbeitung einer grausamen Zeit. Die Schlüsse für die Gegenwart muss daraus jeder selber ziehen.

Bewertung vom 19.10.2024
Das Comeback
Berman, Ella

Das Comeback


gut

Abhängigkeit

Grace Turner war ein Kinderstar. Als Teenie wurde sie in England entdeckt und zog kurzerhand mit ihrer Familie ins immer strahlende L.A. Dort kommt sie in den Machtbereich des Produzenten Able, der sie gemäß des Grundsatzes "Zuckerbrot und Peitsche" zu einem Star werden lässt. Doch der Weg dahin ist steinig für Grace. Es entsteht eine psychische Abhängigkeit zu Able, aus der dann in der Konsequenz auch eine physische Abhängigkeit von Drogen aller Art wird. Als junge Erwachsene ist sie nun an ihrem persönlichen Tiefpunkt angekommen und will sich in ihr Leben zurück kämpfen. Doch wie sieht ihr Leben überhaupt aus?

Das Thema dieses Romans wiegt schwer. Es zeigt wie in der anscheinenden Glamourwelt Hollywoods der Mensch als Produkt gesehen wird. Doch das ist natürlich nicht nur in der Filmindustrie so, wo viele Menschen abhängig vom Erfolg einer einzelnen Person sind. Analog kann man diese Abhängigkeit und Existenzangst auch auf das "normale" Leben projizieren und kann somit jeden einzelnen von uns irgendwann treffen. Ein weiterer zentraler Punkt ist das Thema Missbrauch. Schon von Beginn an wird zunächst angedeutet, dass Grace dies widerfahren zu sein scheint, später dann immer deutlicher. Leider dauert es sehr lange bis die Geschichte Fahrt aufnimmt und der dünne Spannungsfaden reißt immer wieder ab. Auf den letzten 100 Seiten passiert dagegen viel, was in den etwas mehr als 300 Seiten davor sehnlichst vom Leser erwartet wird. Ich finde es sehr schade, dass leider kein richtiger Lesefluss aufkommt, wo das Thema doch so wichtig ist und mit Grace auch eine, aus meiner Sicht, sehr authentische Person dafür entstanden ist.

Bewertung vom 17.10.2024
Broken Crystal
Miller, Tobias

Broken Crystal


ausgezeichnet

Zwischen Aktivismus und Terrorismus

Ich bin deutlich über 30 Jahre alt. Ich bin viele Jahre als Legionär auch im Ausland tätig gewesen. Jetzt arbeite ich für Trevor Hilson. Meine Name? Der tut nichts zur Sache. Mein Auftrag ist Crystal McCray davon zu überzeugen aus dieser radikalen Gruppe von Umweltaktivisten auszusteigen. Im Erfolgsfall wartet ein Wahnsinnsgehalt auf mich, das ihr Vater locker gemacht hat um seine Tochter zurück zu bekommen. Eigentlich wollte ich den Job gar nicht annehmen. Babysitter spielen ist nicht so mein Ding. Warum ich es dann trotzdem getan habe? Vielleicht hat es mit Brenda zu tun, meine Verbindungsfrau vom FBI. Irgendetwas gefällt mir an ihr.

Tobias Miller ist mit "Broken Crystal" ein außergewöhnlich tiefgründiger Thriller gelungen. Mit dem Thema der Umweltaktivisten ist er ganz nah am Puls der Zeit und stellt zwischen den Zeilen die entscheidende Frage an den Leser: wo hört Aktivismus auf und wo fängt Terrorismus an?
Das Buch hat durchgehend einen Ich-Erzähler, was eine besondere Spannung erzeugt, weil man die Geschehnisse im Hintergrund zunächst nur erahnen kann. Die Geschichte ist keineswegs vorhersehbar und hat ein besonders spannendes Ende, was alles nochmal auf den Kopf stellt.
Wer einen Thriller im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ohne große Brutalität, aber mit Köpfchen sucht, ist hier genau richtig!

Bewertung vom 10.10.2024
Wohnverwandtschaften
Bogdan, Isabel

Wohnverwandtschaften


sehr gut

Wahlfamilie

Anke, Jörg und Murat wohnen in einer WG, obwohl alle bereits viele Jahre aus ihrem Studentenleben raus sind. Als letztes ist Constanze hinzugekommen. Obwohl jeder sein eigenes Leben hat, teilen sie mehr als nur die Wohnung miteinander. Sie sind zu so etwas wie einer Familie geworden, mit allen Höhen, Spannungen und Tiefen.

Isabel Bogdan ist ein warmherziger und inniger Roman über vier Erwachsene mit eigentlich ganz unterschiedlichen Lebensentwürfen und doch zwei großen Gemeinsamkeiten gelungen: Sie teilen ihren Alltag miteinander und sie sind einander wichtig.
In den einzelnen Kapiteln erzählen die Protagonisten über die Ereignisse aus ihrer Sichtweise, gefolgt von kürzeren Passagen, die wie ein Theaterstück in Dialogform gefasst sind. Oftmals kann man herzlich mitlachen, vielleicht genau deswegen weil die Autorin so nah an der Realität erzählt und man sich oder seine Mitmenschen manchmal wiedererkennt.
Trotz allen Humors bleiben am Ende Fragen stehen, über das Miteinander in der Gesellschaft und über einen selbst.

Bewertung vom 23.09.2024
Die außergewöhnlichen Abenteuer der Alice Tonks
Kenny, Emily

Die außergewöhnlichen Abenteuer der Alice Tonks


ausgezeichnet

Eine besonderes Mädchen

Die elfjährige autistische Alice ist neu am Internat in Pebbles. Schon am ersten Tag kommt ihr einiges in dem kleinen Küstenort seltsam vor. Nicht nur ihre Zimmergefährtin Otti verhält sich auf einmal seltsam, sondern auch die Tiere können sprechen, aber nur Alice kann sie verstehen. Sie bitten das Mädchen um Hilfe, weil in letzter Zeit wiederholt Tiere in der Umgebung geraubt worden sind. Es beginnt ein Abenteuer für Alice, bei dem die Schule zur Nebensache wird.

Der Autorin ist eine tolle Abenteuergeschichte für Mädchen und Jungen ab 10 Jahren gelungen. Der Schreibstil ist gehoben, aber trotzdem der Altersgruppe entsprechend gehalten. Die Kapitel sind nicht zu lang und es wird schon von Beginn an eine Spannung aufgebaut, sodass man das Buch nur schwer beiseite legen kann.
Auch das Cover und die kleinen Illustrationen zu Beginn der einzelnen Abschnitte regen die Fantasie der jungen Leser an, lassen aber auch genug Raum für eigene Vorstellungen.
Ein durchweg gelungenes Buch mit einer spannenden Geschichte.

Bewertung vom 17.09.2024
Tage mit Milena
Burseg, Katrin

Tage mit Milena


sehr gut

Reise in die Vergangenheit

Annika ist glücklich mit ihrer Beziehung und ihrem Beruf. Bis die 17-jährige Luzie in ihren Laden kommt, Sekundenkleber kauft und sich damit wenige Minuten später als Protestaktion auf den Asphalt klebt. Von diesem Moment an, gehen in Annika die Abgründe der Vergangenheit wieder auf: sie sieht in Luzie ihre frühere Freundin Milena, mit der sie in der Hamburger Hausbesetzerszene der 80er-Jahre aktiv war. Es beginnt eine Reise der beiden Frauen in Annikas Vergangenheit, um für Luzies Zukunft zu kämpfen.

Katrin Burseg erzählt mit ihrem Roman "Tage mit Milena" eine tiefgründige Geschichte über zwei Frauen, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten. Dabei geht es mit dem Klimaschutz um ein hoch aktuelles und gleichermaßen brisantes Thema. Man kann in diesem Roman aber auch Parallelen zwischen Jugendlichen von heute und damals sehen und wie das Schicksal einzelner eine Gruppe beeinflusst.
Der Autorin gelingt es dabei sehr gut, ein umfassendes Bild aus Gefühlen und Impulsen der Protagonisten zu skizzieren. Insgesamt zieht sich eine grundlegende Spannung durch das Buch, die an einigen wenigen Stellen abzureißen droht, weil mir persönlich manche Passagen zu langatmig waren. Dagegen hätte das Ende etwas genauer ausgeführt werden können. Trotzdem gibt das nur geringe Abstriche in meinem Gesamteindruck und ich kann das Buch sehr empfehlen.

Bewertung vom 07.09.2024
Und später für immer
Jarck, Volker

Und später für immer


ausgezeichnet

Eine menschliche Geschichte

Es ist Frühjahr 1945. Der Soldat Johann Meinert ist in Stade, ganz in der Nähe seines Heimatdorfes, als Funker bei der Luftwaffe stationiert. Er und drei seiner Kameraden haben schon seit einiger Zeit erkannt, dass der Krieg verloren ist und jeder Flug einem Himmelfahrtskommando gleicht. Weil sie ihr Leben nicht länger für sinnloses Töten aufs Spiel setzen wollen, desertieren sie und setzen sich damit ebenso großen Gefahren aus.

Die Geschichte, die uns Volker Jarck in seinem Buch "Und später für immer erzählt", ist keine reine Fiktion, sondern beruht auf einem Tagebuchfund seines Großvaters, der eine ähnliche Geschichte im Zweiten Weltkrieg zu erzählen hatte wie die Hauptfigur Johann Meinert.


Besonders berührt hat mich dabei ein Satz im Nachwort: "Diese Geschichte will nicht historisch wahr sein, sondern menschlich" (S. 204).
Und genau das gelingt dem Autor auch, eine menschliche Erzählung mit Fokus auf die Gefühle, die Zerrissenheit des jungen Johanns, der in sein Tagebuch am Tag des Kriegsendes schreibt: "Es soll, wer leben will, auch leben dürfen auf der Erde" (S. 196). Und damit spricht er wohl so vielen Menschen in dieser Zeit aus dem Herzen.

Dieses Buch hat mich tief berührt und zum Nachdenken angeregt. Es ist spannend und fesselnd auf seine ganz eigene Art und Weise. Außerdem steht dem Thema in der heutigen Zeit eine ganz besondere Aufmerksamkeit zu. Daher bekommt "Und später für immer" eine klare Leseempfehlung von mir!

Bewertung vom 05.09.2024
Ein anderes Leben
Peters, Caroline

Ein anderes Leben


ausgezeichnet

Familienkonstellationen

Drei Schwestern stehen zur Beerdigung am Grab ihres Vaters. Ihre Mutter Hanna ist bereits einige Jahre zuvor verstorben. Doch nur eine der Schwestern ist jetzt elternlos. Denn Lotta und Laura haben jeweils noch ihren eigenen Vater an ihrer Seite stehen.
Was vielleicht auf den ersten Blick konfus wirkt, ist der Anfang einer wortgewaltigen und tiefsinnigen Geschichte über eine Familie mit drei Kindern, drei Vätern und einer Mutter.

Caroline Peters schreibt in ihrem Debütroman "Ein anderes Leben" aus der Sicht der jüngsten Tochter über ihren Vater, ihre eigensinnige Mutter, die Konflikte mit den Eltern, den beiden Halbschwestern und deren Vätern.
Es geht um Erinnerungen an Anekdoten aus dem gemeinsamen Familienleben und Antworten auf Fragen, die immer präsent waren, jedoch nie gestellt worden sind. Ich habe während des Lesens eine große Sympathie für die Erzählerin entwickelt, die sehr authentisch wirkt und deren Gefühlen und Entwicklung nachvollziehbar sind.
Der Autorin ist ein großartiger Roman gelungen, der an manchen Stellen zum Schmunzeln einlädt, aber in erster Linie zum Nachdenken anregt.
Dafür gibt es eine absolute Leseempfehlung von mir!