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Bewertungen
Insgesamt 10 BewertungenBewertung vom 12.07.2024 | ||
Elif Shafaks neuestes Buch ist eigentlich mehr als nur ein Roman, so viele Geschichten enthält er. Kunstvoll verknüpft sie die Schicksale der drei Hauptfiguren miteinander und spannt einen Bogen von den Anfängen der Geschichte über das 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Das ist so spannend und klug geschrieben, dass man es kaum aus der Hand legen kann. Überzeugend deckt Shafak historische Zusammenhänge auf, schlägt Brücken über Zeit und Raum hinweg, (er)findet Verbindungen und Motive, ohne dass es je bemüht wird. Erst das Nachwort zeigt, wie viel Recherche und Arbeit dahintersteckt und wieviel von alldem historisch verbürgt ist. Shafak merkt man die Lust am Erzählen an, aber das ist nicht ihr einziges Anliegen. Nach und nach entfaltet der Roman auch eine politische Dimension, die nach dem Lesen umso stärker nachwirkt. Einzig am Ende gibt es Stellen, an denen das Buch vielleicht zu viel will und ein Thema zu viel einbindet. Aber "Am Himmel die Flüsse" ist eben mehr als nur ein Roman: Er ist ein Epos, eine Welt, durch die man sich gerne von der Autorin führen lässt. |
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Bewertung vom 10.03.2024 | ||
Percival Everett erkundet Mark Twains Klassiker "Huckleberry Finn" neu und wechselt dabei die Perspektive. Aus Jim wird der titelgebende James, dessen Leben wir verfolgen. Schnell löst sich der Roman von seinem Vorbild und schlägt eigene Wege ein, voller Drehungen und Wendungen, wie diejenigen des Mississippi River, auf dem die Figuren treiben. Wo Huck Finn noch jugendliche Abenteuer sah, bleibt James die bittere Realität, die Grausamkeit der Welt, in der er lebt, nicht verborgen. Die Schwindler, die Sklaventreiber, die Mörder - Amerika zeigt hier seine hässliche Fratze, die noch bis heute zu sehen ist. Und doch sind da auch Momente der Menschlichkeit, der Hoffnung, der Verbindung. Der Roman ist ein auf eine stille Art subversives Unterfangen. Everett verleiht der Figur des James eine eigene Sprache, eine Identität, eine Tiefe, eine berechtigte Wut, die Würde, die sie verdient, kurz: Eine Stimme, die - wie wir bei der Lektüre feststellen - bislang schmerzlich gefehlt hat. |
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Bewertung vom 27.09.2023 | ||
Lauren Groffs neuer Roman ist nichts für schwache Nerven. In einer teils altertümlich, gar biblisch anklingenden Sprache erzählt sie vom Überlebenskampf eines jungen Mädchens in der Wildnis Amerikas. Der Weg, den sie sich durch die Natur bahnt, ist alles andere als romantisch. An jeder Ecke lauern Gefahren, und wir erfahren in drastischer Deutlichkeit, was es kostet, dort am Leben zu bleiben. Schonungslos lesen wir von Körperflüssigkeiten, Gewaltausbrüchen, den unvorstellbarsten Grausamkeiten, die Menschen sich antun können. Es ist ein Verdienst der Autorin, dass sich das Buch nicht in Hoffnungslosigkeit verliert. Durch das Buch ziehen sich auch Betrachtungen über das Verhältnis von Mensch und Natur, über Einsamkeit, und langsam, aber sicher entfaltet sich eine Art spirituelle Lehre. Gerade gegen Ende hin ist das Buch mehr Evangelium als Abenteuerroman. Das ist durchaus kein Nachteil. Allerdings verfängt diese Versuchsanordnung nicht über die gesamte Länge der Erzählung. Die Handlung ist repetitiv, die Atmosphäre teils statisch. Am Ende ist man froh, bis zum Schluss durchgehalten zu haben. Aber ein bisschen kämpfen musste man doch. |
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Bewertung vom 23.07.2023 | ||
Die Handlung des neuen Romans von Emma Clines ist trügerisch simpel: Alex, ein 22-jähriges Escort, versucht, die Woche bis zur großen Sommerparty von Simon zu überstehen, dem älteren Mann, bei dem bis vor Kurzem gewohnt und der sie vor die Tür gesetzt hat. Was folgt, ist eine Odyssee durch die Hamptons, durch die Welt der reichen Elite, die sich in Gated Communities verschanzt hat und deren jedes Bedürfnis von Angestellten erfüllt wird. Macht, Manipulation und Sonnencreme: In lakonischer, messerscharfer Prosa erzeugt Cline eine nervöse Spannung, bei der jede Begegnung zu kippen droht. Dabei versucht sie nicht zu erklären, wie Alex zu dem wurde, was sie ist, sondern schwelgt in der Ambivalenz ihrer Figur. Ist sie eine skrupellose Betrügerin? Ist sie zu bemitleiden? Eine abgründige Sommerlektüre. Eine volle Leseempfehlung. |
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Bewertung vom 04.03.2023 | ||
Mit großer Ausführlichkeit erzählt der Roman von einer Frau, die unter den patriarchalen Strukturen des faschistischen Italiens zur Zeit des zweiten Weltkriegs zu kämpfen hat. Der Klappentext verspricht eine Politisierung der Erzählerin, deutet ein Verbrechen an, zu dem sie aus Verzweiflung getrieben wird. Daraus zieht die Geschichte seine Spannung. Leider trägt das nicht über die deutlichen Längen des Buches hinweg. Nach einem guten ersten Teil, der sich um die Mutter der Erzählerin dreht, verliert es sich in minutiösen Beschreibungen, kratzt mitunter am Kitsch. Den Kampf der Frauen mit ihrer gesellschaftlichen Rolle hat Céspedes selbst in ihrem Vorgänger "Das verbotene Notizbuch" prägnanter beschrieben, literarischer, erschütternder. Das - durchaus subversive - Ende vermag die zähe Reise dorthin nicht auszubügeln. Auch trotz einem klugen Nachwort bleibt der Eindruck: Eine ermüdende Lektüre, und ein Rückschritt im Vergleich zum Vorgänger. |
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Bewertung vom 06.12.2022 | ||
Die tausend Verbrechen des Ming Tsu In den vergangenen Jahren hat das Western-Genre in den USA eine Art Renaissance erfahren. Sogenannte "revisionistische Western" spielen ebenso wie ihre Vorbilder in den weiten Landschaften des amerikanischen Westens, ihre Protagonisten sind aber Figuren, die bislang viel zu wenig Beachtung bekommen haben. Auch Tom Lin fügt mit seinem Buch eine neue Perspektive hinzu. Sein Ming Tsu, der Sohn chinesischer Immigranten, hat Gleise verlegt und befindet sich zu Beginn des Romans auf einem Rachefeldzug. Das Potenzial der Geschichte löst sich jedoch leider nicht ein. Der Schreibstil ist karg, aber anstatt eine lakonische Atmosphäre zu schaffen, wirkt er bloß simpel. Die Nebenfiguren sind überzeichnet, der Humor geht nicht auf. Und auch Ming Tsu selbst bleibt zweidimensional, seine Motive oberflächlich. So folgt der Leser einem rastlosen, episodischen Plot mit viel Action - und vermisst doch die Spannung. Eine Enttäuschung. |
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Bewertung vom 09.10.2022 | ||
Solider Thriller |
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Bewertung vom 09.10.2022 | ||
Auch der neue Roman von Celeste Ng ist – wie bereits ihre Vorgänger – eine dramatische Familiengeschichte. Im Zentrum steht ein Junge, Bird genannt, und seine Mutter, die die Familie aus ihm unbekannten Gründen vor Jahren verlassen hat. Die Welt, in der Bird lebt, ist eine handfeste Dystopie, ein erschreckendes Zerrbild der USA in naher Zukunft, in der ein rassistisches Gesetz dafür gesorgt hat, dass vor allem asiatisch aussehende Menschen in ständiger Angst leben müssen. In ruhigem, eindringlichem Ton erzählt Ng von Gewaltausbrüchen auf der Straße, von Anfeindungen und von Kindern, die von ihren Familien getrennt werden. All das kommt einem so schmerzlich bekannt vor, dass es der vielen Details, mit der sie die „Krise“ beschreibt, die zu der Situation geführt hat, gar nicht bedurft hätte. Im Verlaufe des Buches macht Bird sich auf die Suche nach seiner Mutter, und der Leser begleitet ihn auf seiner Reise. Die Geschichte ist leidenschaftlich geschrieben, mit sinnlichen Beschreibungen und ausdrucksstarker Sprache. Trotz des alltäglichen Horrors, den er beschreibt, ist der Roman trotz allem rettungslos optimistisch. Er glaubt an die Macht der Worte. Die heimlichen Helden sind Bibliothekarinnen. Und Gedichte sind in der Lage, die Welt zu verändern. Das ist leidenschaftlich und mit klarem moralischem Kompass geschrieben, doch dadurch leider auch zu eindeutig. Vor allem am Ende des Buches wird die Schwelle zum Kitsch immer wieder überschritten. So kann der Roman nicht restlos überzeugen. |
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Bewertung vom 02.09.2022 | ||
Der Roman „Ich verliebe mich so leicht“, der nun auf Deutsch als Nachfolger von Hervé Le Telliers preisgekröntem Bestseller „Die Anomalie“ erscheint, ist eigentlich ein Vorgänger. Im französischen Original ist das schmale, groß gedruckte Buch bereits im Jahr 2007 erschienen. Im deutschen Marketing für das Buch wird diese Tatsache, soweit ersichtlich, nicht erwähnt. Dies mag aus unternehmerischer Sicht verständlich sein, für einige Leser eher für Irritation sorgen. Ganz ohne Zynismus besteht aber auch Grund zur Freude: Der Erfolg der „Anomalie“ hat offensichtlich ein Interesse geweckt, auch die älteren Werke Le Telliers für das deutsche Publikum zu erschließen. Auch „Ich verliebe mich so leicht“ ist vom Übersetzerpaar Jürgen und Romy Ritte aus dem Französischen übertragen worden. |
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Bewertung vom 23.08.2021 | ||
New York, Anfang der 1960er-Jahre: Ray Carney versucht, sich mit ehrbaren Mitteln eine bürgerliche Existenz aufzubauen und im Leben voranzukommen. Sein Vater war Kleinkrimineller, doch Ray hat in eine angesehene Familie eingeheiratet – zum Missfallen der Schwiegereltern – und verkauft Möbel auf der 125th Straße in Harlem. Doch das ehrliche Leben kann ihn nur bis zu einem gewissen Punkt bringen – als Schwarzer werden Carney immer wieder die Grenzen aufgezeigt. Und so lässt er sich von seinem Cousin Freddie immer wieder dazu bringen, bei krummen Geschäften mitzumachen. So auch nach dem Raubüberfall auf das Hotel Theresa, als Freddie ihm Juwelen bringt, die er weiterverkaufen soll. Nur hat ausgerechnet auch ein Gangsterboss es auf die Juwelen abgesehen… |
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