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alegna
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München

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Bewertung vom 23.08.2017
Die Assistentin des Sisyphus
Stoner, Marbie

Die Assistentin des Sisyphus


ausgezeichnet

"Zwei Seelen wohnen ach! in meiner Brust." Dieser Spruch von Goethes "Faust" fällt mir ein, wenn ich Marbie Stoners Buch beschreiben will. Es ist ein außergewöhnliches Buch, ein anspruchsvolles Buch. Denn es beschäftigt sich mit zwei Themen, die nicht gerade im Trend liegen: Die psychische Krankheit Schizophrenie zum einen und die Sterbehilfe zum anderen.
Auf den ersten Blick meint man, mit der Protagonistin eine der typischen modernen Frauen vor sich zu haben. Sie stemmt das Leben mit anscheinend links, braust mit Motorrad durch Landschaften, ist stark und widerstandsfähig. Stark und widerstandsfähig ist sie tatsächlich, und durch Landschaften braust sie auch, unter anderem mit dem Motorrad. Aber vor allem braust sie ohne Motorrad durch Landschaften, die sie (unabsichtlich) selbst kreiert. Auf einem dieser Ausflüge begegnet sie dem Mythos Sisyphus, der zum ständiger Begleiter und zum – nicht erwünschten – Ratgeber wird. Und sie begegnet noch einem anderen Mann, der ebenfalls ihr Begleiter wird. Christoph, in diesem Fall nicht nur erwünscht, sondern inniglich ersehnt. – Zwei Männer in Katharinas Leben. Und dann noch ein dritter, der alkoholkranke Vater.

Der Roman fesselt von der ersten bis zur letzten Seite. An manchen Stellen braucht man starke Nerven, weil einem die Geschichte so nahe geht. Man spürt förmlich Katharinas Zwiespalt. Ständig hin und her geworfen zwischen Bedürftigkeit und Stärke. Zwischen dem Wunsch nach Nähe und Distanz, nach Liebe und Autonomie. Kann der Darkfahrer ihr geben, wonach sie sich so sehnt? Kann sie ihm umgekehrt geben, was er sich wünscht und auch dringend braucht?

Die Autorin lässt die Antworten offen. Was sie aber eindringlich beschreibt, ist die Fahrt durch die Höhen (eher weniger) und Tiefen (deutlich mehr) eines Lebens, das auf den ersten Blick außergewöhnlich scheint. Aber ist es das wirklich? Hat nicht jeder von uns seine individuellen Landschaften, deren Durchqueren höchste Wachsamkeit erfordern? Stehen nicht die meisten von uns irgendwann vor der Frage, was zu tun ist, wenn ein Angehöriger sterben möchte, es wegen gesellschaftlicher Zwänge aber nicht darf?

Marbie Stoner legt uns mit diesem Roman eine berührende Lektüre vor, die zum Nachdenken anregt, aber jedem Leser die Freiheit lässt, seine eigenen Schlüsse zu ziehen. So etwas passiert selten …