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goldilinchen
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Steinberg
Buchflüsterer: 

Bewertungen

Insgesamt 88 Bewertungen
Bewertung vom 02.11.2024
Das Glück am Ende des Ozeans
Thorn, Ines

Das Glück am Ende des Ozeans


weniger gut

Freiheit ist das wichtigste Gut

Ich hatte über viele Seiten das Gefühl einen Erstlingsroman zu lesen, aber dem ist nicht so. Aufgrund des Klappentextes war ich auf die Ereignisse während der Überfahrt gespannt und überrascht, dass dieser Abschnitt lediglich drei kurze Kapitel umfasste. (Allzu vorhersehbar kann man die Handlung daher nicht bezeichnen.) Die Darstellung wirkt bis dahin sprunghaft, wie eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten Ereignisse. Weitere Szenen hätten der Entwicklung gut getan. Auch der Blick in die Gefühlswelt der drei Protagonistinnen bleibt anfangs verwehrt, von Freundschaft keine Spur. Das Verhalten nach dem verbindenden Ereignis ist unglaubwürdig, vor allem seitens der amischen Gottwitha. Annett's vehementes Auftreten dürfte ebenfalls kaum dem einer 18-Jährigen Mitte des 19. Jahrhunderts entsprechen. Dies widerspricht vor allem der Tatsache, dass sie ihr 2.-Klasse-Ticket samt eigener Kabine ohne schlüssige Begründung für einen Platz im Zwischendeck aufgegeben hat. (Gleichwohl konnte sie jedoch gefälschte Papiere besorgen?) Ich könnte hier noch weitere Beispiele nennen, möchte aber nicht spoilern.

Die Sprache ist einfach und bemüht sich damaliger Ausdrucksweisen zu bedienen: "Und kaum waren diese Worte ausgesprochen, da musste sie wieder bitterlich weinen, und ihre Schultern bebten, die Nasenflügel zitterten, die Brüste hoben und senkten sich. Vivian versuchte nun gar nicht mehr, Gottwitha zu beruhigen, sondern wartete einfach, und dabei lächelte sie."

Ich hätte nach den ersten Kapiteln fast aufgegeben, breche Bücher jedoch ungern ab. Die Schicksale von Annett, Gottwitha und Susanne werden nach der Ankunft in New York abwechselnd weiterverfolgt, die unterschiedlichen Lebenswege etwas tiefgründiger betrachtet.

Da ich an der Lebensweise der Amischen großes Interesse habe und u.a. mehrere Siedlungen in den USA besuchen durfte, war ich an diesem Teil besonders interessiert. Die Darstellung unterscheidet sich deutlich von den gottesfürchtigen Familienmenschen (mit starkem Gemeinschaftssinn), die mir persönlich und in anderweitigen Schilderungen begegnet sind. An der historischen Genauigkeit habe ich darüber hinaus ebenfalls Zweifel. Vermutlich ist mit dem mehrfach erwähnten Batterfield Park, der New Yorker Battery Park gemeint?! Nach mehreren Besuchen der Stadt hat auch Google keine Erklärung für die abweichende Bezeichnung gefunden.

Fazit:
Die Geschichte bleibt insgesamt trivial, lässt aber in Ansätzen Potential erkennen. Viele wichtige Themen wirken wahllos platziert und oberflächlich abgehandelt. Leider bleiben dabei auch Klischees nicht aus, vor allem gegen Ende des Buches.

Tipp: Wesentlich gelungener in Bezug auf die Auswanderer-Thematik ist beispielsweise "Schiff der tausend Träume" von Leah Fleming.

Bewertung vom 26.10.2024
Die Frauen jenseits des Flusses
Hannah, Kristin

Die Frauen jenseits des Flusses


sehr gut

Frankie oder das Mädchen, dass die Welt verändern wollte

Bei Kristin Hannah's Neuerscheinungen greife ich meist blind zu und lasse mich von den abwechslungsreichen Inhalten überraschen. Auch diesmal war ich schnell mitten im Geschehen, genauer gesagt: mit Hauptprotagonistin Frankie auf dem Weg von den USA ins südvietnamesische Kriegsgebiet...

»Frag nicht, was dein Land für dich tun kann, sondern frag, was du für dein Land tun kannst.« Patriotismus, (falsche) Entscheidungen oder Pflichtbewusstsein? Lässt sich damit wirklich die Welt verbessern? Auf diese und andere Fragen liefert die Autorin auf 542 Seiten bzw. innerhalb von 17,5 Hörstunden Antworten. Nach der Leseprobe habe ich mich diesmal für das Hörbuch entschieden, kann jedoch beide Versionen empfehlen. Den Klappentext finde ich passend. Es wird nicht zu viel vom Inhalt des Buches verraten. Bei Titel und Cover bevorzuge ich die US-Ausgabe. ("The women")

Frankie's Weltbild der Frauen im Kalifornien kurz nach Kennedy's Ermordung löst sich (etwas zu) schnell in Wohlgefallen auf. Natürlich sind auch mir impulsive Entscheidungen nicht fremd, aber sich nach 2 kurzen Begegnungen für den Kriegsdienst zu melden, erscheint etwas blauäugig - vor allem mit Blick auf ihren familiären Hintergrund. Vielleicht sorgt aber gerade dieser Umstand dafür, dass ich umso gespannter Frankie's Weg begleitet habe, nachdem die Realität sie - rasch & unbarmherzig - eingeholt hat... Trotz der Schilderung des harten Krankenhausalltags im Kriegsgebiet, gelingt der Autorin eine realistische Darstellung der Geschehnisse. Statt ins Negative abzudriften und sich in Klischees zu verlieren, gibt es Lichtblicke und Hoffnungsschimmer. Der Zeitgeist der 60er und 70er Jahre wurde gut getroffen. Die gelegentliche Erwähnung der Musiktitel hat mich an den Soundtrack von Forrest Gump erinnert.

Nachdem ich Vietnam vor der Pandemie bereisen durfte, war ich besonders an den Schauplätzen und Einblicken in den (Kriegs-)Alltag interessiert. Der erste Teil hat diesbezüglich meine Erwartungen voll erfüllt. (*****) Die knapp 2/3 des Buches umfassen Frankie's Rekrutierung, Stationierung und Rückkehr. Der 2. Teil setzt 1971 ein und schildert Frankie's Alltag nach der Rückkehr in die USA. Der Grat zwischen Erinnerungen und Schuld sowie Heilung und Heldentum ist schmal. Hier fiel das Buch leider für mich ab. (***) Manches wurde zu schnell abgehandelt, bei einigen Charakteren und dem Ende wurde Potential verschenkt.

Vorkenntnisse sind für die Lektüre nicht erforderlich, aber evtl. mit Blick auf die geschichtlichen Hintergründe von Vorteil. (Hinweis: Nachdem ich das Kriegsopfermuseum in Ho-Chi-Minh-Stadt, dem ehemaligen Saigon, besichtigt habe, empfand ich die Beschreibungen im Buch als authentisch - Zartbesaitete seien jedoch vor den Kriegsverletzungen gewarnt. Außerdem könnte das Buch noch weitere Themen triggern. Ich möchte hier jedoch nicht spoilern.)

Bewertung vom 25.09.2024
Suche liebevollen Menschen
Borger, Julian

Suche liebevollen Menschen


ausgezeichnet

Vom Gewicht des Verlustes und der Schuld des Überlebens

"Du sollst kein Täter sein, du sollst kein Opfer sein und niemals, unter keinen Umständen, ein Zuschauer.“ Yehuda Bauer

Das es sich bei diesem Buch keinesfalls um leichte Kost handelt, verrät ein Blick auf den Klappentext und das vorangestellte Zitat. Ich brauchte daher einige Tage für die gut 300 Seiten umfassende Lektüre. Der Schreibstil mit häufig verwendeten Satzfragmenten ist ein wenig gewöhnungsbedürftig, könnte jedoch der Übersetzung geschuldet sein.

Bereits die Einleitung macht neugierig auf die einzelnen Schicksale. Man spürt sofort an wie viel Mühe sich Julian Borger bei seiner Recherche, der Spurensuche der Schicksalsgeschwister, gemacht hat. Das folgende Zitat ist der Webseite JewishGen.org, entlehnt und repräsentiert teilweise die Beweggründe des Autors: „Wir können nicht in der Vergangenheit leben, und wir können sie nicht zurückfordern. ... Aber wir dürfen zulassen, dass die Erinnerung an die Vergangenheit uns prägt, unser Identitätsgefühl prägt und das prägt, was wir an künftige Generationen weitergeben."

Ich mag den eindrucksvollen Stil, der sowohl sachlich als persönlich ist und aus kurzen Annoncen sowie Erinnerungen Menschen samt ihrer Geschichten zu neuem Leben erweckt. Den roter Faden bildet über 12 Kapitel die Familienhistorie der Borgers - geschickt verwoben mit den Biografien weiterer Inseraten-Kinder und unter Bezugnahme auf das damalige Weltgeschehen. In jungen Jahren aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen, wurden sie auf sich allein gestellt von den Schrecken des Krieges erfasst.

Der persönliche Anteil verdrängt zunehmend die geschichtlichen Hintergründe. Trotz aller Entbehrungen und Verluste vermittelt die Geschichte Hoffnung in Form von unterschiedlichsten Lebenswegen und kleinen Wundern - obwohl die detaillierten Erinnerungen erschüttern. Den gemeinsamen Nenner bildet die Frage "Was wäre, wenn...?" Besonders die Schicksale von Manfred Schwarz und Lisbeth Weiss bewegen und stehen exemplarisch für die endlosen Gräueltaten: "Plötzlich ist man im Dunkeln eingeschlossen", schreibt Fred. „Die Lok pfeift, der Zug setzt sich in Bewegung. Wir sind unterwegs. Wohin?"

Ich würde das Werk als biografisches Sachbuch bezeichnen, welches zum Nachdenken anregt und Interessierten zu empfehlen ist. Borgers kritische Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Verantwortung ist sowohl zeitgemäß als auch objektiv. Er stellt Fragen, die uns alle betreffen, und fordert uns auf, unser eigenes Handeln zu hinterfragen. Ich bin 38 Jahre alt und hoffe das dieses wichtige Buch dazu beiträgt, Verständnis und Mitgefühl zu wecken - denn: "Am Ende ist die Geschichte eines Lebens die Geschichte von Zufällen."

Bewertung vom 28.08.2024
Das kleine Weingut in Frankreich / Romantic Escapes Bd.10
Caplin, Julie

Das kleine Weingut in Frankreich / Romantic Escapes Bd.10


weniger gut

"Dieses Buch ist all jenen gewidmet, die sich mit schwierigen Familienthemen herumschlagen müssen – möge es für euch ein Licht am Ende des Tunnels geben."

Diese Widmung hat die Autorin dem neusten Teil der Romantic-Escapes-Reihe vorangestellt, aber ich habe etwas völlig anderes im Hinblick auf die folgende Geschichte erwartet. Bei Julie Chaplin's Neuerscheinungen greife ich blind zu und bin gespannt, mit welchem Inhalt Sie diesmal überrascht.

Auch im 10. Band ist man wieder direkt im Geschehen, genauer gesagt: mit der sympathischen Hattie im Château Saint Martin. Zwecks einer detaillierteren Inhaltsangabe verweise ich auf den Klappentext. Ein Pluspunkt ist wie gewohnt das lokale Flair: die Landschaftsbeschreibung samt Kulinarik. Champagnerproduktion zählt nicht unbedingt zu meinen Interessen, aber auf die Autorin ist wie immer Verlass: das Thema wurde informativ und kurzweilig in die Handlung eingebunden. Ebenso gibt es ein gut gewähltes Wiedersehen mit bekannten Protagonisten aus den vorherigen Geschichten.

Leider waren das Verhalten der Protagonisten und der Plot diesmal klischeehaft, oberflächlich und vorhersehbar. Die Kapitel wirkten teils episodenhaft und ich hätte mir etwas mehr Einblick in das Alltagsgeschehen auf dem Chateau gewünscht. Mit Letzterem habe ich gerade bei dieser Reihe kein Problem, allerdings störte mich der negative Unterton, welcher durch die Spielchen und Intrigen vor allem im ersten Teil vorherrschte. Hattie hatte es ziemlich schwer zuversichtlich zu bleiben. Auch die Liebesgeschichte(n) fand ich wenig überzeugend.
Ich hätte mir mehr Spannung und Tiefgang gewünscht, da das Setting wirklich Potenzial bot.

"Das kleine Weingut in Frankreich" von Julie Caplin hat zwar einen charmanten Schauplatz und einige nette Momente, konnte mich jedoch nicht wirklich überzeugen.

Bewertung vom 14.08.2024
Man sieht sich
Karnick, Julia

Man sieht sich


sehr gut

Frie & Robert - Biografie einer Liebe

"Es gibt kaum ein Unterfangen, das mit so ungeheuren Hoffnungen und Erwartungen begonnen wird und das mit einer solchen Regelmäßigkeit fehlschlägt wie die Liebe."

Obwohl ich einige Jahre jünger bin als die Protagonisten, habe ich direkt einen Draht zu Frie und Robert gehabt. Die Autorin schafft von Beginn an eine Verbindung, die mir bisher nur selten begegnet ist. Vielleicht liegt aber einfach daran, dass bei mir kürzlich das 20-jährige Abschlusstreffen anstand und einige Parallelen - auch zur zurückliegenden Schulzeit - bestanden.

"Man sieht sich" ist ein beeindruckender Roman, der die Höhen und Tiefen einer Freundschaft über einen Zeitraum von mehr als 30 Jahren nachzeichnet. Im Mittelpunkt stehen Robert und Frie, zwei Charaktere, deren Lebenswege unterschiedlicher nicht sein könnten.

Klassische Liebesgeschichten zählen nicht unbedingt zu meinen literarischen Vorlieben, allerdings fand ich in diesem Fall die authentische Schilderung überaus gelungen. Die Kapitel werden abwechselnd aus den Perspektiven der Hauptprotagonisten erzählt. Die Leichtigkeit bleibt dabei auf 400 von 480 Seiten erhalten - gegen Ende wird es ein wenig anstrengend. Zum Glück kompensiert dies der flüssige Schreibstil der Autorin.

Julia Karnick war mir nicht bekannt. Das Buch hätte ich mir - wie so häufig bei Überraschungen - nicht selbst ausgesucht...mich reizt jedoch gelegentlich das Unerwartete. Titel und Cover sind auf das Wesentliche reduziert und äußerst passend. Der Klappentext gibt einen guten Überblick des Inhalts.

Ich habe meine Rezension bewusst allgemein gehalten um nicht zu Spoilern. Dieses Buch muss man einfach selbst lesen!

Bewertung vom 13.08.2024
Eleven Liars
Gold, Robert

Eleven Liars


gut

Parental love - part II

"Eleven Liars" had the potential to be a compelling sequel, but unfortunately, it didn't quite meet my expectations. As a fan of "Twelve Secrets," I was eager to see where the story would go, but I ended up feeling somewhat let down.

While the book shares some structural similarities with its predecessor, it lacks the same level of freshness and intrigue. Certain aspects of the plot were not entirely convincing, which detracted from the overall experience. Moreover, the partially unresolved ending left me feeling a bit unsatisfied. Although I really enjoyed the author's storytelling, "Eleven Liars" didn't fully live up to the promise of the first book. I'm not sure if I'll continue with the series.

This review is intentionally vague to avoid giving away too much. (For a more detailed insight, please refer to the blurb.)

Bewertung vom 09.07.2024
Eine andere Vorstellung vom Glück (eBook, ePUB)
Levy, Marc

Eine andere Vorstellung vom Glück (eBook, ePUB)


sehr gut

Eine andere Art von Glück

Zwei Frauen, fünf Tage, ein Roadtrip...

"Ich biete dir die Gelegenheit, Menschen zu begegnen, die du sonst niemals kennenlernen würdest, Menschen, die vielleicht dein Schicksal verändern. Glaubst du an das Schicksal?'

Ich schätze ungewöhnliche Geschichten, und der Klappentext dieses Buches hat mich sofort angesprochen. Marc Levy hat mit Milly, Agatha und Tom einzigartige Charaktere geschaffen. Trotz der wechselnden Erzählperspektiven gelingt es dem Autor, eine besondere Atmosphäre zu erzeugen und gesellschaftliche Themen generationsübergreifend einzubeziehen. An einigen Stellen liest sich die Geschichte wie ein kurzweiliger geschichtlicher Exkurs. Die Annäherung der beiden unbekannten Frauen wird trotz der kurzen Zeitspanne der Handlung glaubwürdig dargestellt. Hier und da hätte ich mir tiefgehendere Einblicke in die Gedankenwelt der Protagonisten gewünscht.

Ab der Hälfte des Buches wird nach und nach Agatha's Vergangenheit aufgearbeitet. Die Spannung bleibt bis zum letzten Moment erhalten, wobei einige meiner Vermutungen zutrafen. Manche Wendung war absehbar, doch das Ende entsprach nicht meiner Erwartung.

Obwohl mir der französische Autor schon länger bekannt war, ist dies mein erstes Buch von ihm.
(Und dann wurde der Schauplatz ausgerechnet von Frankreich in die USA verlegt...)

Die Übersetzung des Titels entspricht dem französischen Original und ist passend gewählt. Der Klappentext bietet einen guten Einblick in die Handlung, ohne zu viel zu verraten. Allerdings empfinde ich die Übersetzung ins Deutsche an einigen Stellen als nicht zeitgemäß, insbesondere das formelle "Sie" in Anlehnung an das amerikanische Original. Das knappe Ende fand ich zufriedenstellend.

Bewertung vom 26.05.2024
Terafik
Karkhiran Khozani, Nilufar

Terafik


gut

"Es gibt kein richtiges Leben im falschen." T. Adorno

Das Zitat, welches auch im Buch vorkommt, bringt den Inhalt auf den Punkt: "terafik" oder traffic - internationaler Verkehr und Beziehungen. Das Debüt von Nilufar Karkhiran Khozani - ein deutsch-iranisches Genogramm.

"Selbst in Berlin kam ich mir immer noch vor, als würde ich mich in meinem eigenen Leben immerzu beobachten. Als würde ich über mir schweben und immer weiter von mir wegtreiben wie auf einem Ozean."

Der Roman wartet mit interessanten Perspektivwechseln auf. Zum einen wird die Ankunft von Khosrow (Vater der Autorin) Ende der 70er Jahre in Deutschland in Rückblenden thematisiert, andererseits steht der erste Besuch Nilufars in Iran an. Es ist sind ehrliche und persönliche Einblicke.

Ich bin allerdings zwiegespalten: der fehlende Optimismus und die anhaltende Distanz zu Nilufar machen das Gelesene schwer greifbar, obwohl ich nur wenige Jahre jünger bin als sie und es Parallelen zu meiner eigenen Kindheit in der DDR gibt. Erst nach ca. 170 Seiten habe ich langsam Zugang zu Nilufars Zerrissenheit, der Suche nach Identität und Zugehörigkeit in zwei grundverschiedenen Welten gefunden.

"Ich erinnere mich daran, wie einmal in Berlin ein schmaler, schüchtern aussehender Mann in einem roten löchrigen T-Shirt vor mir am U-Bahnhof Hermannplatz stand. In meinen Gedanken hat er auf einmal eine bauschige Hose an. Ich griff damals am Obststand nach einer Avocado, Getümmel, »ein Euro ein Euro, billig billig billig«, Kinderwagen, Kopftücher, Einkaufstrolleys. Der Mann hielt dem Verkäufer eine Tüte mit Tomaten hin, lächelte, suchte Augenkontakt. »Bitte«, sagte er. Ich konnte die Scham spüren, die er soeben überwunden hatte, Kälte wehte durch die Schreie der Verkäufer, seine durchgedrückten Schultern sagten: »Ich bin hier, ich bitte dich«, der Verkäufer sagte: »Nee, nee, mein Freund, pack das mal alles schön wieder aus, yalla.« Die Erwartung, die von weit her mitgekommen sein musste, in diesem Moment zersprang sie im Gesicht des jungen Mannes, seine Augen wurden leer. Ich legte die Avocado wieder weg und spürte einen Schmerz, obwohl es nicht meiner war."

Die Schilderungen erinnern an bruchstückhafte Fragmente im Episodenstil. Was ist Realität und was Fiktion? Ein imaginäres Leben - was wäre wenn...?

"Nachrichten, Videoclips, Zeichentrickserien, eine Satellitenschüssel voll von Gefühl wie altes Badewasser mit abgestorbenen Schuppen, einer DNA, die nur noch im Äther existiert. Es fließt in sein Leben hinein, nachts Atemaussetzer, Schlafapnoe, Erstickungsgefühl, besser, seit er mit der Maske schläft."

"Ich konzentrierte mich auf die Box und versuchte, nicht zuzuhören. Eine Kette nachkommender Kleenex-Tücher, die wie ein Perpetuum mobile immer weiter aus der Pappbox wuchs. Wie eine Blume, nein, wie eine Hydra, der man portionsweise den Kopf abschlug."

Die abschweifenden Gedankengänge und der bildhafte Schreibstil erfordern Konzentration, strengen auf Dauer aber an. Die Schachtelsätze mit den endlosen Aufzählungen verstärken diesen Effekt. Mir fiel es oft schwer aufmerksam zu bleiben. Hier lohnt sich ein Blick in die Leseprobe.

Es ist nicht mein erstes Buch mit Schauplatz Iran. Anderen gelang es besser mein Interesse aufrecht zu halten. Inhaltlich stehen die Autorin und ihre familären Beziehungen klar im Vordergrund. Ich kann das Buch daher eher als subjektiven Kultur- denn Reisebericht empfehlen. Mich hat das Buch leider nur teilweise erreicht, obwohl zeitgenössische und gesellschaftskritisch Themen aufgegriffen werden.

Bewertung vom 29.03.2024
So ist das nie passiert
Collins, Sarah Easter

So ist das nie passiert


sehr gut

Nichts auf der Welt bricht einfach so

"Man kann alles heil machen, solange man das richtige Werkzeug hat." Ist das wirklich so? Die Antwort auf diese Frage liefert das Debüt von Sarah Easter Collins auf den folgenden 400 Seiten...

Gelegentlich lasse ich mich von geschenkten oder geliehenen Büchern überraschen und stürze mich ohne einen Blick auf den Klappentext ins Geschehen. Das zu empfehlen um z.B. unvoreingenommen neue AutorInnen kennenzulernen. Diesen Roman hätte ich wohl selbst nicht gewählt.

Da ich aufgrund des Titels keinerlei Vorstellung vom Inhalt hatte, fühlte ich mich zu Beginn unorientiert, einer unbehaglichen Atmosphäre ausgesetzt. Trotz der Ich-Erzähler-Perspektiven, den unterschiedlichen Blickwinkeln und obwohl bin etwa im Alter der Hauptprotagonisten bin, ist der Funke erst in der zweiten Hälfte des Buches übergesprungen. Ich mache das u.a. an bedrückenden Stimmung und den Geheimnissen fest. Selbst nach mehreren Kapiteln wirkte z.B. Protagonistin Robyn noch distanziert. Die Perspektivwechsel zu Willa und später Claudette sprachen mich hingegen mehr an.

Als besonderes Highlight möchte ich den Ansatz der
"Korrumpierung des Gedächtnisses" hervorheben. Dabei geht um die Fehlbarkeit unserer Erinnerungen, dass unser Verstand Dinge umarbeitet und selbst Schlüsselerlebnisse aus unserer Kindheit womöglich Einbildung sind. Ein faszinierendes Motiv, welches treffen gewählt und umgesetzt wurde und außerdem zum Nachdenken angeregt. Auch die Verbindung zum japanischem Kintsugi ist gelungen und die Rückblenden auf die Geschehnisse vor 20 Jahren sorgen für Spannung.

Die unerwarteten Misshandlungen von Mensch und Tier sind in Kombination mit dem Thema Missbrauch sicher nicht ungewöhnlich, aber für zartbesaitetere Lesende eventuell ungeeignet.

Ob sich mit dem richtigen Werkzeug wirklich alles heilmachen lässt, können die Lesenden nach der Lektüre für sich selbst entscheiden...

PS Bei dem Titel meiner Bewertung handelt es sich um die übersetzte Bezeichnung des englischen Originals. Diese sowie den dazugehörigen Klappentext finde ich im Nachhinein passender als die deutschen Versionen.

Bewertung vom 21.03.2024
Tödlicher Stoff / Die Hausboot-Detektei Bd.3
Achterop, Amy

Tödlicher Stoff / Die Hausboot-Detektei Bd.3


sehr gut

Seltsame Zufälle und seltsame Fährten

Die Leseprobe von "Die Hausbootdetektei: Tödlicher Stoff" entführt die Lesenden auf ein charmantes Hausboot im regnerischen Amsterdam. Passend zum derzeitigen Frühlingswetter hatte ich spontan Lust auf die gedankliche Reise in die Niederlande...

Die Gestaltung der Cover der Reihe hinsichtlich Farbwahl und Details gefällt mir ausgesprochen gut. Der Plot vom dritten Teil ist ebenfalls gelungen: kurzweilig und ansprechend, eine nicht alltägliche Geschichte mit niederländischem Flair und Lokalkolorit. Die Beschreibungen vermitteln das Gefühl die Stadt zu kennen. Das sorgt für Glaubwürdigkeit. Stilistisch ist das Buch leicht lesbar und atmosphärisch.

Die Ermittlungen zum im Klappentext erwähnten Unfall starten zügig. Nach 3 Kapiteln sind die wichtigsten Protagonisten eingeführt. Mir persönlich haben auch keine Vorkenntnisse aus den vorherigen Bänden gefehlt.

Amy Achterop zeichnet mit Arie Poepjes einen glaubhaften Hauptprotagonist, der zwischen den Grachten der niederländischen Hauptstadt eine Hobby-Detektei gegründet hat. Ihn und Hund habe ich bereits nach dem ersten Kapitel ins Herz geschlossen. Ich mochte auch die differenzierte Darstellung sowie die verschiedenen Blickwinkel der weiteren Charaktere (insbesondere den des Gnadenhof-Besitzers) und die gemütliche Atmosphäre auf der "Lakshmi". Treffend fasst es dieses Zitat zusammen: "Solche Freunde will ich auch haben" 🙂

Der Spannungsbogen hat für meinen Geschmack noch ein wenig Luft nach oben. Ich könnte mir auch vorstellen, dass die Regel Nr. 9 und deren kreative Auslegung ("Manchmal ist es unmöglich, sich an das Gesetz zu halten und gleichzeitig das Richtige zu tun. Im Zweifel wählen wir Letzteres.") nicht den Geschmack aller Lesenden trifft - zumindest nicht derjenigen mit ausgeprägtem Realitätssinn und hoher Moralvorstellung 😉 Für mich vervollständigt sie die unkonventionelle Hausboot-Detektei.

Fazit: Unterhaltsame Cozy Crime in klassischer Whodunit-Manier im frühlingshaften Amsterdam mit liebenswerten Charakteren. Ich freue mich nach der Trilogie von Britta Bolt eine ähnliche Reihe gefunden zu haben.