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Edda246
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Hamburg

Bewertungen

Insgesamt 75 Bewertungen
Bewertung vom 01.02.2025
Halbe Leben
Gregor, Susanne

Halbe Leben


ausgezeichnet

Zwei Frauenleben – sensibel betrachtet und grandios beschrieben

Paulina ist alleinerziehend und in der Zwickmühle – Sie wird als Pflegerin in Österreich bei einer Familie für die nach einem Schlaganfall pflegebedürftige Irene eingesetzt. Sie wird ihr eigenes Leben zurückstellen müssen und glaubt, dass sie Arbeit und Familie vereinen kann. Ihre Arbeit in Österreich ist eine existenzielle Notwendigkeit.
Paulina ist eine gute Pflegerin übernimmt auch andere Tätigkeiten, dies wird zwar großzügig entlohnt, doch Paulina merkt, dass die Zeit, die sie mit ihren eigenen heranwachsenden Kindern verbringen könnte immer weniger wird und die Kinder ihr entgleiten.

Schon das erste Kapitel zeigt das Ende und der Roman zeigt dann auf, wie es dazu gekommen ist.
Das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Ausgangslagen und das Nichterkennen dieser ist spannend dargestellt. Das, was in der Familie Klara, Jakob, Ada funktioniert, ist nicht übertragbar auf Paulinas Leben.
Hier werden drei Frauen vorgestellt, Paulina, Klara und auch die jetzt pflegebedürftige Irene.
Susanne Gregor stellt dar, was auch in einem Sozialstaat häufig stattfindet, in welchen Verzicht alleinstehende Frauen eintreten, um das Mindeste zu haben. Die Umstände, die aufeinandertreffen sind existenzielle wie bei der von ihrem Mann verlassenen Paulina und auf der anderen Seite herrscht vorrangig der Wunsch danach, das eigene Potential zu entfalten, Klara durch ihren Einsatz für ihre Karriere, Jakob als freischaffender Fotograf.
Wie erleichtert waren Jakob und Klara, dass Paulina jetzt einspringt, damit die beiden ihr Leben so weiterführen können wie bisher. Gedankenlos werden neue Wünsche angestrebt – hat es nicht früher auch gut geklappt, als Irene gerne eingesprungen ist im Kümmern und Versorgen der kleinen Ada? Es treffen zwei Welten aufeinander. Der Riss wird im Laufe der Geschichte immer größer. Paulina wird immer mehr zugemutet. Der Kontrast macht sich besonders deutlich durch ein Wellnessgeschenk, das Paulina bekommt. Das Nicht-über-den-Tellerand-gucken von Jakob und Klara macht betroffen.
Die wohlhabenden Protagonisten Klara und Jakob werden im Laufe des Romans für den Leser fremder in ihren Vorstellungen und Lebensweisen und die Sympathie zu Paulina nimmt zu. War nicht Paulina vorerst die Fremde? So kann man beim Lesen ihr den Respekt zollen, den die österreichische Familie ihr nicht geben kann, die selber verstrickt in eigene Bedürfnisse ist, die aber sehr wohl verständlich sind. Geht es doch um das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Die Situation spitzt sich zu.

Susanne Gregor setzt feine stilistische Mittel ein, schreibt eingängig, psychologisch spannend mit einer unterschwelligen Ahnung, die den roten Faden vorantreibt – ein grandioser, betroffen machender Roman, aus dem Leben gegriffen und mit viel Verständnis für die Hauptpersonen.

Bewertung vom 26.01.2025
Digitale Diagnosen
Wiesböck, Laura

Digitale Diagnosen


ausgezeichnet

Eine gesunde Sicht auf digitale Diagnosen – Augen öffnend!

Die österreichische Soziologin Laura Wiesböck leitet die Gruppe „Digitalisierung und soziale Transformation am Institut für Höhere Studien Wien.

Sie sagt: „Die Wahrnehmung von seelischen Erkrankungen ist gesamtgesellschaftlich gestiegen. Definitionen von krank und gesund sind keine objektiven Parameter mehr..., unterliegen Moden, sind sozial konstruiert..“
Sie fragt sich, was die Popularität von Influencer:innen über gesellschaftliche Zustände offenbart.

Laura Wiesböck zeigt in diesem Buch ausführlich und spannend die Tendenzen der digitalen Diagnosen im Social-Media-Bereich auf und öffnet die Augen, wie dies funktioniert. Hierbei beleuchtet sie User:innen sowie Influencer:innen. Beide Gruppen agieren aus bestimmten Gründen. Laura Wiesböck stellt dies dar und nimmt später Stellung.

Zugehörigkeit zu einer Gruppe, verstanden zu werden, sich mitteilen und auseinandersetzen sind Grundbedürfnisse zwischenmenschlichen Zusammenseins. Doch wie wird im Netz damit umgegangen?

Das Reden und die Wahrnehmung von psychischen Auffälligkeiten ist gerade bei den Millennials gestiegen und ist weit verbreitet.
„Der Krankheitsstatus wird auf Social Media zu einer neuen Art dazuzugehören“ ...„Das Selbstverständnis als psychisch Verwundeter schafft eine gemeinschaftliche Verbindung zu anderen Personen mit ähnlichen Erfahrungen.“ Und Plattformen sind auch Orte, stellt Laura Wiesböck fest, „vermeintlicher „Realitätsvermittlung. Sie zielen auf „Bestätigung und Reichweite ab“...

Das Buch zeigt Manipulationen und Täuschung auf, Laura Wiesböck zeigt für und wider und bleibt respektvoll.

Ihre Recherche zeigt in dieser komplexen Analyse, den Trend auf, um sich eine eigene Meinung zu bilden. Es ist jeder Satz aussagekräftig und anregend. Mit vielen Hinweisen von wissenschaftlich fundierten Studienergebnissen und auch Aussagen von Bloggern. Wer Kinder im jugendlichen oder frühen Erwachsenenalter hat, kennt Ausdrücke wie „triggern“ und „toxisch“, bekommt in diesem Buch ein anderes Verständnis für Aussprüche und Ansprüche, die einem evtl schon begegnet sind. Das Buch wirft ein gesundes Licht auf für inzwischen selbstverständlich genutzte Worte, Darstellungen und Vorstellungen, es hat mir nicht nur ein neues Verständnis gebracht, sondern auch umfassende Erkenntnis zu den Funktionen von diesem Social Media Trend.

Ein von Analysen sprudelndes Werk „Psychische Gesundheit als Social-Media-Trend“. Auch gibt es außerhalb dieses Bereichs viele zusätzliche Anregungen für diejenigen, die großes Interesse an gesellschaftlichen Trends haben, an der Gegenwart, wie sie betrachtet und ausgedrückt wird.
Für mich eine Augen öffnendes Buch und eine große Empfehlung!

Bewertung vom 19.01.2025
Für Polina
Würger, Takis

Für Polina


ausgezeichnet

Großartige literarische Unterhaltung!

Hannes wächst mit Polina auf, nachdem sich seine Mutter im Wochenbett mit Polinas Mutter angefreundet und sie später zusammenziehen. Alles scheint paradiesisch gut zu verlaufen, doch nachdem seine Mutter durch ein Unglück starb, ändert sich alles für die beiden. Hannes, mit einem großen musikalischen Potential geboren, verweigert dies zu zeigen, bis er, sehr viel später mit sich im Reinen ist. Es beginnt seine Heldenreise.

Die Geschichte ist unkonventionell, humorvoll, mit schönen Metaphern.
Hannes bekommt – wie ein Kelim Teppich - dessen Muster manchmal in den Vordergrund geworfen wird beim Betrachten, wie ein Vexierbild, Hinweise auf seinem Weg, die erst im Laufe der Zeit von ihm entdeckt werden und ihn weiterführen. Es ist schon da, er muss es nur erkennen.

Takis Würger erzeugt Vorstellungen einer Welt, in der man gerne beteiligt wäre und die auftretenden Helfer auf der Heldenreise von Hannes sind sympathische Charaktere, die dem Protagonisten Hannes in seinen Lebensabschnitten begleiten und auch später wieder auftauchen und sich dann alles wieder neu formiert, was auseinander stob – einfach großartige Unterhaltung. Eine herzerwärmende Geschichte, nicht nur eine Liebesgeschichte.

Man hat das Gefühl, Takis Würger hätte viele Szenen selbst erlebt, so genau, farbig und bildhaft sind sie beschrieben, jeder in der Geschichte hat etwas Besonderes, Einzigartiges, das ihn für Hannes wertvoll macht.
So ein Leben mit diesen Höhen und Tiefen möchte man fast selbst haben, oft märchenhaft, doch mit keinem märchenhaften Ausgang – oder doch? Noch im Leserausch der Geschichte ist jedes Ende jeder Schluss eigentlich nicht wichtig. Takis Würger weist nicht wie im Märchen auf etwas hin, seine Beschreibungen an sich haben es in sich und das ist in fast jedem verschachtelten Satz schon eine Geschichte, mit Hinweisen, Erläuterungen, die aus der Vergangenheit ziehen und in die Gegenwart werfen und die volle Aufmerksamkeit des Lesers hervorbringen - und anschließend ein Satz, kurz und erleichternd.

Ein Roman, der in sich die Hoffnung trägt, das Unerwartete anzunehmen, trotz aller Widerstände, wie eine Selbstverständlichkeit sich damit auseinanderzusetzen, voranzuschreiten und weiterzuwachsen – alles so wie im wirklichen Leben selbst, hätte der Leser auch nur immer den Mut so taff durch das Leben zu gehen wie Hannes und seine Entscheidungen von innen kommen zu lassen. Ein märchenhafter Roman über Liebe und Freundschaft, der ein wohliges Gefühl hervorbringt von allerbester literarischer Unterhaltung, das staunen lässt und nachwirkt.

Bewertung vom 14.01.2025
Wackelkontakt
Haas, Wolf

Wackelkontakt


ausgezeichnet

Spaßbringendes Paradox

Der Protagonist Franz Escher ist Trauerredner und verbringt seine Freizeit mit Puzzlen, überwiegend aus der Welt der alten Malerei. Er ist ein Eigenbrötler geworden seitdem er mit 19 Jahren das erste Puzzle geschenkt bekam. Eines Tages gibt es einen Wackelkontakt in seiner Wohnung und er bestellt einen Elektriker.
Franz Escher wartet auf den Elektriker, währenddessen liest er ein Buch. Das Buch handelt von dem Kronzeugen Elio Russo.

Die andere Geschichte die sich verknüpfen wird, beschreibt den Ex-Mafioso Elio Russo, der in falscher Identität lebt. Hier wird sein ganzes Leben erzählt, bis es zu dem Kontakt mit Escher kommt. Das Absurde ist, beide verbindet das Lesen in einem Buch, ein Buch das über den jeweils anderen erzählt.
Escher sagt: „ Man muss sich die Zeit wie eine Schleife vorstellen“. Und auch der Leser von „Wackelkontakt“ liest, was die jeweils anderen lesen.
Die Wahrnehmungswechsel bzw. der Übergang zu der jeweils anderen Realität werden immer fließender bis sie sich erreichen.

„Was für ein Langweiler“, denkt man sich bei dem puzzlespielenden Trauerredner, doch dieser entpuppt sich und als das letzte lange fehlende Teil bei dem Tausend-Teile-Puzzle “Die Erschaffung Adams“ von Michelangelo hinzugefügt wird - genau der, der den göttlichen Funken zwischen Gottes Finger auf Adam übertragen soll - erfolgt auch in Wolf Haas Geschichte ein lebendiges unerwartetes Ende, was wiederum ein Anfang ist.

Wolf Haas spielt mit der Zeit, beginnt mit der vertrauten Linearität der Puzzles und spielt dann mit der Unstabilität der Wahrnehmung. (Auch der Protagonist Escher wundert sich über die „spiegelverkehrte Situation“).

Für mich ist „Wackelkontakt“ ein Buch, rätselhaft, witzig unterhaltsam und sehr klug konzipiert; Franz Geschichte z.B. beginnt mit einem geschenkten Puzzlespiel vom Namensvetter M.C. Escher. Dieses Puzzle zeigt zwei Hände, wobei eine Hand gerade im Zustand des Hervorbringens der anderen Hand ist - Eine verblüffende Kunst, gewohnte Wahrnehmungen infrage zu stellen. Wolf Haas entwickelt literarisch dieses Experiment und spielt meisterhaft mit Paradoxien.

Eine absurde Geschichte, die Spaß bringt und bei der man beim mehrmaligen Lesen immer neue Gleichungen, Anspielungen, Vexierbilder entdecken könnte.
Ein fortwährendes Vergnügen, was die auftretenden Fragen gar nicht beantwortet, sondern zeigt, dass das Paradox an sich schon als gesamt kurios, witzig und unterhaltsam ist. Ein sehr gelungenes, ungewöhnliches Buch - ein Spaß aus 1000 verknüpften Teilen!

Bewertung vom 25.12.2024
Unmöglicher Abschied (eBook, ePUB)
Kang, Han

Unmöglicher Abschied (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Beeindruckende Vielschichtigkeit!

Gyeongha wird von ihrer Freundin Inseon gebeten, sofort ins Krankenhaus von Seoul zu kommen, Dort liegt Inseon mit abgeschnittenen Fingern, durch einen Kreissäge verursacht, beim Arbeiten in ihrer Tischlerwerkstatt in einem abgelegenen Bergdorf auf der Insel Jeju. Ihr weißer Papagei sei kurz vor dem Verhungern, so bittet sie Gyeongha dorthin zu fahren, ihn zu füttern, damit er überlebt. Doch ein Schneesturm bringt Hindernisse auf der Reise und Gyeongha muss sich mit den neuen Gegebenheiten vertraut machen, erfährt die Situation der Freundin dort an ihrem Ort. Zwischendurch im Roman erzählt auch Inseon von ihrem Leben. Gyeongha selbst schreibt anfänglich ein Testament, doch sie schreibt es immer wieder neu und zerreißt es. Sie möchte einen „echten Abschied, aber richtig“ formulieren.
Sie träumt von schwarzen Bäumen und dieser Traum beschäftigt sie so sehr, dass sie ihn mit ihrer Freundin Inseon, die sie als Dokumentarfilmerin kennenlernte, in einen Kurzfilm umzusetzen plant. Der Titel des Projekts, den beide planen, soll eine Installation sein mit dem Titel „Unmöglicher Abschied“. Beide wollen die geplante Installation im späteren Verlauf des Romans, am Ort der Tat aufstellen und begeben sich auf den Weg

Eine Bilddokumentation von Inseon, die einen grausamen Ausschnitt aus Südkoreas Vergangenheit zeigt, ist verwoben mit ihrer Mutter, mit der eigenen Geschichte und sie erkennt, dass auch die Mutter Zeit ihres Lebens recherchiert hat, genauso wie sie selbst, Inseon. Wiederkehrende Träume der Protagonistin und Ich- Erzählerin Gyeongha, führen dies zusammen und ergänzen die Geschichte.
Diese Essenz zieht den Leser in das Mitempfinden und den Bann des Romans.

Han Kang schreibt beeindruckend bildgewaltig auf unterschiedlichen Ebenen und benutzt symbolträchtige Erklärungen oder Metaphern. Fragen, die die Protagonistin denkt, führen den Roman voran und bieten dem Leser einen Denkprozess über das Geschehen, der auch die Grenzen der Realität ankratzt. Gyeongha überdenkt ihre Wahrnehmung, stellt sich aber immer wieder mutig den Begebenheiten und vertraut vollends ihrer Freundin, was sie lebendig und sehr sympathisch macht. Der Roman zeigt die beiden beherzten Frauen. Ein intensives Miteinander verbindet sie über die Grenzen hinaus. Obwohl Gyeongha nicht weiß, ob Inseon ein Geist ist, agiert und reagiert sie, als ob Inseon lebendig wäre. Die Realität verschiebt sich und lässt Gyeongha sowie den Leser im Ungewissen. Die Annäherung an das Unfassbare, nicht Gegenwärtige und nicht Reale doch dem Leben Dazugehörige, die Vergangenheit, die prägt, sowie mysteriöse Zwischenwelten werden hier auf außergewöhnliche Art verbunden.
Es gibt nur wenige weitere Mitspieler.

Han Kang entblättert, ausgelöst durch die Schneeflocken und mithilfe Gyeonghas Gedanken und Empfindungen, einen grausamen Teil Südkoreas Geschichte. 1948 wurden 30000 Menschen hingerichtet, die nicht politisch konform waren, Rebellen, aus Angst vor Fremdbestimmung. Der Roman entwickelt diesen vergangenen Abschnitt und beschreibt anhand der beiden Freundinnen. Aufschlussreiche Hinweise in den Aufzeichnungen der Mutter bringen persönliche Erkenntnisse und führen vom individuellen Schicksal zu den politischen Gräueltaten.

Der Roman geht unter die Haut, und je mehr man ihn verdaut und sacken lässt, tauchen immer mehr Facetten auf, die ein Gesamtbild ergeben.
Wort und bildgewaltige Sprache beherrschen den vielschichtigen Roman, die ungewöhnliche Freundschaft zwischen den beiden Hauptdarstellern führt ihn voran.
Für mich ein beeindruckender Roman, der lange nachhallt.

Bewertung vom 11.12.2024
Die blaue Stunde
Hawkins, Paula

Die blaue Stunde


sehr gut

Atmosphärische Landschaftsbeschreibungen!

Auf einer Ausstellung der verstorbenen Künstlerin Vanessa Chapman wurde ein offensichtlich menschlicher Knochen in der Tate Modern in einer ihrer Kunstwerke gefunden.
James Becker, Kurator der Stiftung, die den Nachlass der Werke Vanessas besitzt, geht dem nach. Er besucht die Freundin der Verstorbenen auf dem schottischen Eris Island. Eine Halbinsel, deren Erreichen abhängig von den Gezeiten ist, nur bei Ebbe erreichbar. Dort erhofft Becker sich, absolut begeistert von Vanessas Kunst, mehr über ihre Persönlichkeit zu erfahren und als Kurator, über den Verbleib der fehlenden Stücke der Sammlung mehr zu erfahren.

Der Roman erzählt von Gegenwart und Vergangenheit, dargestellt von Vanessa durch ihre Tagebuchnotizen, die Sicht von James Becker, dem Kurator mit beruflichen und eigenen Interessen und von Grace, der Freundin der Verstorbenen, Erbin des Hauses auf Eris Island.
Es werden Rückblenden zum Verständnis, vor allem dem psychologischen der Hauptpersonen aufgezeigt. Nach und nach kristallisieren sich Beweggründe für spätere Handlungen und Erklärungen heraus.
Man wird schon frühzeitig durch die Dialoge der Mitspieler in deren Wertvorstellungen einbezogen.
Nur als Beispiel: ein „reicher, teuflisch gutaussehender Julian“, „ein Golden Retriever in Menschengestalt“ oder „die böse Hexe von Eris Island“.

Ab und zu wirkt diese Sprache fast trivial ganz im Gegensatz zu den beachtlichen Landschafts- und Wetterbeschreibungen, deren beschreibender dichten Atmosphäre man sich nicht entziehen kann und die zum großen Teil den Roman für mich getragen haben.
Die Protagonisten konnten mich nicht wirklich erwärmen.

Den Roman, es ist kein Kriminalroman im herkömmlichen Sinn, ist interessant aufgebaut, doch die Spannung kommt erst nach der Hälfte des Romans in Fahrt, was sehr schade ist, auch enttäuschend, denn ich hatte mich durch die Vorschusslorbeeren und Äußerungen von Lee Child oder Val Mc Dermid in Erwartungshaltung gebracht. Für mich leider dadurch auch kein „Literarisches Spannungshighlight“.
Für mich fehlte auch der zeitgemäße oder moderne Bezug. Fast, als ob man in
traditionelle britische Kriminalromane à la Agatha Christie oder Rebecca du Maurier abtauchen würde. Ein schon auf andere Art bekanntes Schema, dadurch ein fast vorhersehbares Geschehen. Wären da nicht die fein dargestellte Beschreibung der psychologischen Beweggründe der Mitspieler und die beeindruckenden Landschaftsbeschreibungen! Sie machen für mich den Roman aus.

Bewertung vom 08.12.2024
Wenn wir ins Gras beißen - Das Buch vom Tod für große und kleine Menschen
Wrede, Eric

Wenn wir ins Gras beißen - Das Buch vom Tod für große und kleine Menschen


ausgezeichnet

Dieses Buch hilft, sich, gemeinsam mit den Kindern, mit dem schwierigen Thema „Trauer und Verlust“ auseinanderzusetzen. Es begleitet auf natürliche und ehrliche Art und beantwortet wichtige Fragen.
Eric Wrede, Bestatter und Trauerbegleiter, beschreibt im Vorwort für Erwachsene: „Kinder lernen besser mit Verlusten umzugehen und sich für Situationen im Leben zu wappnen“. und “Kinder brauchen klare Antworten und haben häufig einen anderen Zugang zu den Themen über die Erwachsene ungern sprechen“.
Ich erinnere mich, dass ich als Kind mit diesem Thema allein gelassen war mit einer Vorstellung, des nicht fassen oder erfassen könnens, auch, weil dieses Thema früher nicht angesprochen wurde, ein Tabuthema. Der Tod ist für einen selbst unvorstellbar. Eric Wrede, lehrt auch in Schulen und Kitas, weiß durch seine Erfahrungen, dass Kinder „häufig einen anderen Zugang zu Themen haben über die Erwachsene ungern sprechen“. So ist eine wichtige Aussage hier, dass alles Lebendige endlich ist und zum Leben der Tod gehört. Auf einfühlsame und natürliche Weise vermittelt dieses Buch kleinen Menschen wie großen Vorlesern einen Einblick in diesen schwierigen Themenbereich.
Das Buch hat ein quadratisches fast rechteckiges Format mit einem in fröhlichen Farben einladenden Cover. Ein das Format ausfüllender Kinderkopf, der einen umgekippten Marienkäfer betrachtet, darunter ein Stück Erde mit Regenwurm und Knochen. Der Regenwurm sagt in einer Sprechblase: Trost geben, Angst nehmen und Aufklären.
Im Innenteil wird in angenehmer großer Schrift auf natürliche Weise erklärt, einbezogen das kindliche Erleben und der Wissensdurst.
Die Illustrationen füllen die Seiten zur Hälfte aus, sind erfrischend ebenso präsent wie der Text. Ich finde dies sehr die Fantasie fördernd, den Text, der leicht dargebracht wird, doch einen anspruchsvollen Hintergrund hat, abzufedern, dem Text nachzusinnen und zu verstehen, abgleiten zu können von der anspruchsvollen Thematik in die Bilder und das visuelle Verständnis. Sensibel und passend umgesetzt von Emily Claire Völker.
Denn das Buch ist zum Vorlesen und Ansehen schon ab 5 Jahre.

Jedes Kapitel ist gefüllt mit Informationen und modernen Erkenntnissen, in Tippkästen gibt es Hinweise für Erwachsene.
So erfährt man z.B wie lange eine Eintagsfliege im Gegensatz zu einem Meeresschwamm lebt.
Besonders gut gefallen hat mir der Abschnitt „Warum sterben nicht nur alte Menschen
und „Trauerfeiern weltweit“.
Es gibt zum Nachschlagen ein Glossar am Ende des Buches.
Dieses beeindruckende Kinderbuch ist ungewöhnlich, ehrlich und herausfordernd. Es nimmt die Angst und stärkt die Neugier. Ein richtungsweisendes Buch, wertvoll für die Kleinen und die Großen, denn auch die erfahren einiges noch nicht Gewusste, nicht nur durch das Gespräch mit den Kleinen, auch durch die interessanten Inhalte.

Bewertung vom 05.12.2024
Die Vegetarierin
Kang, Han

Die Vegetarierin


ausgezeichnet

Ungewöhnlich umgesetzt, macht betroffen

Yong-Hue führt ein langweiliges Leben. Doch dann hat sie einen Traum, dem sie nachgeht. „Es ist mein Herz, das schmerzt“ und „es sind Schreie und Gebrülle, und das kommt vom Fleisch“. Sie wird Vegetarierin. Doch das ist erst der Anfang. Yong-Hues Weg sich der sie umgebenden Unterdrückung durch Verwandlung zu entziehen beschreibt Han Kang.

Dieses Hörbuch ist in drei Akte unterteilt. Das Geschehen aus Sicht des Ehemannes, des Schwagers und der Schwester. Alle drei zeigen ihre eigene Einstellung auf die sie umgebende Welt und beleuchten die Protagonistin Yong-Hue auf sehr unterschiedliche Art.

Die Geschichte ist erst einmal irritierend, vielleicht auch für das europäische Verständnis, vielleicht auch durch das Groteske der Schilderung. Doch sie verliert nicht den Realitätsbezug und zeigt eine Situation auf, die den familiären Zusammenhalt der angepasst und gewohnten Art auseinanderbrechen lässt durch eine Person, die die bekannte Realität im Laufe der Geschichte verweigern wird, sozial sowie psychisch.

Die Sprecher der drei Akte, Rike Schmid, Devid Striesow und Thomas Loibl, können die einzelnen Charaktere einfühlsam ins Leben rufen; es ist ein Vergnügen zuzuhören!
Die Sprache Han Kangs ist schön, einfach, verständlich in einem komplex aufgebauten Roman. Ein Roman, der Einblicke in die südkoreanische Kultur gibt und auch übertragbar auf den Westen ist. Der Schamanismus und die Verehrung von Tieren, Bergen und Pflanzen ist in Südkorea nicht unüblich und in der Kultur verwoben.

Er hat mir sehr gut gefallen – absurd, überspitzt und durch den Bezug zur Realität eindringlich. Ich war hin und her gerissen zwischen Abstand und Betroffenheit. Der Roman ist spannend und hallt lange nach.

„Die Vegetarierin“ erschien erstmals 2007 in Südkorea und wurde 2016 ins Deutsche übersetzt, 2016 geehrt mit dem britischen Man Booker International Prize.
Han Kang ist Literaturnobelpreisträgerin 2024 mit der Begründung:“für ihre intensive Prosa, die sich historischen Traumata stellt und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens aufzeigt“. Für mich absolut passend zu diesem Roman „die Vegetarierin“.

Bewertung vom 24.11.2024
Flavorama
Johnson, Arielle

Flavorama


ausgezeichnet

Außergewöhnlicher Blick auf die Kochkunst!

Dieses hochwertige Buch gibt einen erstaunlichen Einblick in den umfangreichen Bereich des Geschmacks.
Arielle Johnson führt uns mit ihrem Ratgeber in eine kulinarische Welt, wie man sie so noch nicht kennengelernt hat. Sie definiert und erklärt detailliert den Geschmack neu. Sie stellt die Geschmacksrichtungen vor und darüber hinaus fordert sie zum Wahrnehmen und Experimentieren heraus. Wir reagieren auf Moleküle“ schreibt sie als promovierte Chemikerin. Sie weiß, wie sie sich zusammensetzen und was sie bewirken können.

Sie leitet an, das, was wir mit unseren Sinnen erleben, in Worte zu fassen, welchen Duft oder Geschmack wir genau empfinden. Geruch birgt Erfahrung und Erinnerung! „ Den Geschmack durch den Geruch hochfahren“, formuliert und beschreibt sie.
- Interessante Ergänzung hierzu im Buch: ein Wörterbuch der Weinansprache oder die Bezeichnungen von Parfümgerüchen.-

Arielle Johnson lässt einen eintauchen in die kulinarische Welt des Geschmacks und der fünf bekannten Geschmacksempfindungen. Diese werden umfangreich vorgestellt.
Es werden u.a. vier Geschmacksgesetze vorgestellt: Der Geruch, die vorhersehbaren Muster, wie kann man diese erschaffen, extrahieren verteilen und umwandeln kann. Hochspannend beschrieben mit beeindruckenden und eingängigen Informationen und unterstützenden Illustrationen.
Zahlreiche Rezepte vervollständigen den umfangreichen Ratgeber. Wie setzt sich die bekannte Frankfurter Sauce zusammen, wie das argentinische Chimichurri Gewürz? Und darüber hinaus: Wie ersetzt man den Geschmack einer Bitterorange?
Wer noch nie über die kleinste innere Zusammensetzung von Speisen nachgedacht hat,
wer selber kocht oder gerne sehr gut isst, für den ist dieses umfangreiche Werk genau das richtige. Dr. Arielle Johnson hat das Fermentationslabor im berühmten Kopenhagener Restaurant Noma mitbegründet. ( Das Noma ist fünf mal zum besten Restaurant der Welt gekürt worden) Das Vorwort zu diesem Buch ist geschrieben von René Redzepi, dessen Küchenchef . „Geschmack treibt den Koch an, schmeckt das Essen nicht, haben wir versagt“, beginnt er.

Ich dachte bis jetzt, wenn man sich mit dem Zauber des Geschmackssinns beschäftigt, verliert er seine Magie, doch keineswegs, hier wird ganz genau analysiert und festgestellt und kombiniert auf eine Weise, so, dass man mit Flavorama eine hochinteressante innovative Reise antritt, die voller Überraschungen steckt. Verzaubert bin ich tatsächlich über dieses kulinarische Werk. Es hat mir zu diesem Thema die Augen geöffnet, einen erstaunlich neuen Einblick in den umfangreichen Bereich des Geschmacks verliehen!
Ein kompaktes und hochwertiges Buch, ein Hingucker aus dem Verlag Ullstein. Ein Buch, das bereichert und für jeden, der mehr über die Kunst des Kochens erfahren und „über den Tellerrand“ hinausgucken will.

Bewertung vom 10.11.2024
Der König
Nesbø, Jo

Der König


ausgezeichnet

Sehr vielschichtig, meisterlich aufgebaut!

„Der König“ ist Teil 2 der Geschichte über die Brüder Roy und Carl kann sehr gut auch für sich stehen.
Wie im ersten Band ist auch dieser Roman aus Sicht von Roy, dem älteren der beiden erzählt. Schauplatz ist der kleine Ort Os in Norwegen. Dieser ist umgeben von einer beeindruckenden Landschaft, eine Inspiration, die Roys und Carls Wunsch erwecken, Touristen in diesen abgelegenen Ort zu führen, denn das macht reich. Carl durch ein Wellness Hotel; Roy hat die Absicht, eine Holzachterbahn zu bauen.
Ziele müssen finanziert werden und Hindernisse, wie ein geplanter Tunnel, der die Touristenströme verhindern würde, beseitigt werden. Roy ist gewitzt und weiß Vorteile für sich zu nutzen. Er setzt eigene Regeln ein, seine Ziele zu erreichen, denn er kennt die Bürger dieses Ortes genau, kennt deren Sehnsüchte und Handlungsweisen.
Er jongliert mit seinem Wissen, überschreitet moralische Grenzen und dieses Tempo mit schnellen Wendungen erzeugt im Ort eine eigene, nicht vorhergesehene Dynamik. Dies zu lesen ist rasant wie auf einer Achterbahn und bringt Spaß. Roy will das beste für sich und seinen Bruder. Eine dunkle Vergangenheit schweißt die Brüder zusammen. Doch als Carl erfährt, dass die Grenzüberschreitungen seines Bruders auch ihn betreffen, werden die Brüder zu Gegenspielern. Es wird deutlich, es kann nur einen König geben.

Virtuos aufgebaut und intelligent und mit Humor erzählt. Die Sympathie, die sich für Roy entwickelt, bleibt auf einem distanzierten Level, so dass Staunen und Überraschung durch die unerwarteten Wendungen garantiert sind. Trotz einiger Längen ein aufregender, spannender Kriminalroman mit dem hervorragenden und raffiniert aufgebauten Schreibstil von Jo Nesbo. In dem zweiten Band kann man gut einsteigen, da Vorangegangenes im Laufe der Erzählung noch einmal im Zusammenhang gut erklärt wird, auch hilfreich für Leser, die den Roman „Ihr Königreich“ schon nicht mehr deutlich vor Augen haben.
Ein hervorragender Krimi, Geschichte, Aufbau, vielschichtige Darsteller, gekonnter Schreibstil – herausragend! In der Absurdität, doch nahe der Realität, ein echtes Lesevergnügen!