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Edda246
Wohnort: 
Hamburg

Bewertungen

Insgesamt 80 Bewertungen
Bewertung vom 03.03.2025
Ein ungezähmtes Tier
Dicker, Joël

Ein ungezähmtes Tier


sehr gut

Gute Unterhaltung!

Es geht um einen Raubüberfall am 2. Juli 2022, der exakt 7 Minuten dauern wird.
Doch wie kam es dazu? Das Buch schildert ausführlich die Geschichte in Rückblenden und gegenwärtigem Voranschreiten.
Da sind Arpad mit seiner Frau Sophie in einem schicken Designer Glashaus am Genfer See und da ist das Pärchen Greg und Katrine, die etwas entfernt in einer Mittelschichts-Siedlung, von den Reichen spöttisch „die Warze“ genannt, mit ihren Kindern wohnen,
Den Reichen bleibt kein Wunsch offen und so könne sie mit einer Lässigkeit damit umgehen. Sophie, Anwältin, ist schön, attraktiv und zufrieden. Ihre Ausstrahlung beeindruckt vor allem Greg, Polizist, der schon bald Möglichkeiten ersinnt, sie heimlich zu beobachten. Sie strahlt für ihn etwas Animalisches aus, dem er sich nicht entziehen kann. Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf. Sophie und Katrine freunden sich an. Es taucht ein Fremder auf. Liebe, Intrigen, Grenzüberschreitungen und alte und neue Geheimnisse – dies verspricht eine gute Unterhaltung.
Wie immer hat Joel Dicker den Roman intelligent konstruiert. Langsam angehend, doch dann mit immer mehr unerwarteten Wendungen steigert sich die Spannung.
Die Verknüpfungen der mitspielenden Personen zu dem Raubüberfall wird deutlich und auch jedes Eigeninteresse und Beweggrund – und das sind sehr unterschiedliche - kommen Häppchenweise ans Licht und da mehr Personen in die Geschichte einsteigen steigt die Spannung.
Es überzeugt, dass der Plot wichtig ist und das ist gelungen. Eine eher leichte Lektüre, die man gern in einem Stück anhört oder durchliest. Torben Kessler liest ausgezeichnet und bringt die einzelnen Charaktere zum Leben.

Bewertung vom 01.03.2025
In einem Zug
Glattauer, Daniel

In einem Zug


sehr gut

Gute Unterhaltung!

Über einen Liebesromanautor, der in einem Zug eine jüngere Frau kennenlernt.
Jeder kennt es: Wie wahre ich Distanz zu Mitreisenden, die zufällig auf dem Platz vis-à-vis oder schräg gegenüber sitzen. In diesem Roman sitzt hier Catrin, Psychologin, die offenbar noch keinen Roman Eduards gelesen hat. Heiter beschreibt Daniel Glattauer dies und später wie sich die Distanz verschiebt anhand der Gedanken und Worte des Protagonisten Eduard, dem bekannten Liebesromanautor.
Mit einem Mal sieht sich Eduard, der sonst Zurückhaltende, über sein Leben erzählen. Es geht um freie Liebe, die Ehe, Liebesangelegenheiten, alles, was ein Autor von Liebesromanen als Profi wissen sollte. Die beiden Catrin und Eduard kommen sich näher auf der Strecke Wien - München. Seine Mitreisende verwickelt ihn in eine angeregte Unterhaltung, so kommen Wahrheiten und Unwahrheiten zutage - man erzählt Fremden oft mehr als Vertrauten – so auch hier. Manches will man als Leser gar nicht wissen, das ist der Moment, wo die Distanz zunimmt und die Geschichte anstrengender und nicht mehr in einem Zug durchgehört wird. Doch es ist kein langes Hörbuch und der Schluss, in dem Catrin eine Wahrheit gesteht, gibt einen spannenderen Ausklang, nicht unbedingt realistisch, doch humorvoll und originell.
Man kann sich dem anfänglichen Gespräch kaum entziehen. Ich bin ein Fan von Daniel Glattauers Romanen und war schon begeistert von „Gut gegen Nordwind“ (auch gelesen u.a.von Christian Berkel), der auch eine Gesprächsdynamik aufzeigte, nur in Form von Emails. Als Leser/in lauscht man auch hier gebannt als „Mäuschen“ und lässt sich gut unterhalten.
Manches plätschert vor sich hin, es darf nicht allzu Tiefgründiges erwartet werden, der Schluss mit den unerwarteten Wendungen gibt dann das gewisse Extra.
Für mich eine gute humorvolle Unterhaltung mit einem wunderbaren
Christian Berkel, der auch dieses Hörbuch sensibel und ergreifend vorträgt, so ist der Protagonist gleich doppelt sympathisch.

Bewertung vom 26.02.2025
Der Gott des Waldes
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


ausgezeichnet

Mitreißend beschrieben und komplex konstruiert – ein Highlight!

Ein Sommercamp in den Adirondack Mountains, einem bewaldeten Gebirge nordöstlich von New York lädt an die 90 Jungen und Mädchen ins Sommercamp ein. Hier lernen sie unter anderem sich in der Wildnis zurechtzufinden und, wenn es darauf ankommt, zu überleben. Ein Survivaltrip ist der Höhepunkt am Ende jeden Camp-Aufenthalts.

Es sind ganz individuelle Lebensschicksale, welche die Menschen an diesen Ort zusammenkommen lassen. Die Jugendlichen kommen überwiegend aus wohlhabenden Familien aus Kalifornien oder New York. Doch dann verschwindet ein junges Mädchen.
Barbara van Laar, 13-jährig, Mitglied des Camps. Es wird zur Suche aufgerufen.
Wohin geht Barbara nachts in den Wald, regelmäßig? Barbara verschwindet 1975, 14 Jahre nachdem ihr Bruder Bear verschwand mit 8. Gibt es einen Zusammenhang zwischen den beiden Begebenheiten? Die taffe Investigatorin Juditha Luptack einer der ersten weiblichen State Troopers, tritt auf den Plan und recherchiert.
Durch Rückblenden bis hin zum Jahr 1961 erfährt man Lebensgeschichten der einzelnen Beteiligten. Da sind die Aufseher, wie z.B. Louise oder T.J., da gibt es die junge Außenseiterin Tracy, die sich mit Barbara angefreundet hat, da gibt es das Ehepaar van Laar, die Besitzer des Naturreservats, sie bewohnen das Haus Self-Reliance.
Fäden ziehen sich zusammen, Schuld wird zugewiesen, Investigator Luptack recherchiert
unvoreingenommen, muss sich zusätzlich in ihrem eigenen Arbeitsbereich herablassend und bevormundend von ihrem Vorgesetzten durchsetzen und zuhause auf ihre Selbständigkeit bestehen
Liz Moore zeigt einzelne Mitstreiter auf, deren Herkunft und deren Antrieb. Sie zeigt verwundete Seelen und taffe Heldinnen an diesem Ort. Es sind kluge Beobachtungen menschlichen Verhaltens und auch der Überheblichkeit und der Wertevorstellungen der Reichen in den 1950ger,1960ger Jahren. Werden die sozial Vernachlässigten von den Wohlhabenden belastet, beschuldigt?
Judytha denkt:
„Reiche Leute werden vor allem dann wütend, wenn sie merken, dass sie für ihre Vergehen zur Rechenschaft gezogen werden sollen“

Der Wald und das Camp sollten heilen – doch ist dies der Fall?„Wenn du dich verlaufen hast, setz dich hin und Schrei“ , ein Leitsatz des Camps reicht nicht im geringsten aus.
Es scheint alles nicht so zu sein, wie es sich die Van Laars zurechtgelegt haben.
Innerhalb von Lügen und jahrelangen Täuschungen findet Judytha die Wahrheit heraus und trifft eine Entscheidung.

Die Zeit 1975 mit all den Umbrüchen atmet auf und das Buch gibt einen positiven hoffnungsfrohen Ausblick.
Ein Einblick in eine Zeitepisode, die alle geprägt hat. Judytha die Heldin schreitet trotz aller Hindernisse voran, ebenso Barbara zu selbstbestimmten Frauen, die ihre Selbständigkeit nicht bezeichnen müssen durch ein namensgebendes Haus namens Self-Reliance – sie sind es von innen heraus. 1975 wurde von der Uno zum ersten Mal das internationale Jahr der Frau ausgerufen, Judytha und Barbara sind Pioniere und geben dem Roman den erleichterten hoffnungsfrohen Ausblick – und dieser wirkt nach. Grübeln wird man allerdings über die menschlichen Mechanismen, die Schuld zuweisen, die Opfer werden lassen. Und ist nicht auch dies oder jenes übertragbar auf heute? Das Buch stellt dar anhand eines Zeitabschnitts. Sehr gut gefallen hat mit die Zeitleiste, die über jedem Abschnitt genau den behandelnden Zeitabschnitt zeigt von 1961-1975. Spannende 590 Seiten eines packenden Krimis und eines Gesellschaftsromans!
Klug und mitreißend beschrieben und komplex konstruiert von Liz Moore. Für mich ein Buch, dass den Vorschusslorbeeren vollends gerecht wird und das ich jederzeit weiterempfehle. Ein Highlight!

Bewertung vom 16.02.2025
Von hier aus weiter
Pásztor, Susann

Von hier aus weiter


ausgezeichnet

Ein leichtfüßiger Roman zu einem schweren Thema

Marlene ist Witwe geworden, ihr schwerkranker Mann Rolf beging Selbstmord und ließ sie allein zurück. Die Geschichte beginnt mit der Trauerfeier und der kuriosen Situation, dass Marlene sich mit einer verklemmten Toilettentür auseinandersetzen muss. Marlene betrachtet sich und ihre Situation, mit der sie vorerst nur fertig wird durch Rückzug. Doch ein Klempner wird im Haus benötigt und dieser entpuppt sich als ehemaliger Schüler und dieser, Jack, zieht bei ihr vorübergehend ein. Marlenes Anfang, sich einem erfüllten Leben wieder zu nähern, beginnt. Und als sich beide mit der Ärztin Ida in Richtung Wien aufmachen, wo Rolf Marlene einen Brief hinterlassen hat, wird die Reise für die drei ereignisreich.

Der Roman ist witzig, durch die Begebenheiten und der eigensinnigen Beobachtungsgabe der Protagonistin. Marlene denkt, als sie sich im Spiegel erblickt: “Eine Untote mit schlecht einmassiertem Trockenshampoo“. Ein bodenständiger Humor, der die Protagonistin sofort vertraut und sympathisch macht. Sind es nicht die kleinen Dinge, die wichtig sind!

Der Roman handelt auch von wahrer Freundschaft, beeindruckend die Menschen und Begebenheiten, die Marlene auf ihren Weg zurück ins Leben ohne Rolf begleiten. Er handelt von der Liebe zum Leben, sich den Herausforderungen zu stellen, so kurios und ungewöhnlich sie auch sind - die Situationen erfordern von Marlene und ihren Begleitern Annahme und Einsatz – mit tiefem Vertrauen in die Schicksalsfügung.

So wie Marlene am Anfang vor die Aufgabe gestellt wird „es müsste ihr aus eigener Kraft gelingen, sich zu befreien“ (in Bezug auf die verklemmte Toilettentür, als Metapher) so wird ihre individuelle Reise gelingen, denn aufgehoben in Begegnungen und Freunden findet Marlene wieder zu sich.
In poetischer beeindruckender geschriebener Sprache, wie z.B. :.... erspürte mühsam errichtete Grenzposten und legte innere Landschaften frei, die sie seit Ewigkeiten nicht mehr aufgesucht hatte...ergänzt beeindruckend mit ihrer Stimme im Hörbuch Ruth Reinecke

Der Roman berührt, amüsiert und hat die Botschaft, nicht zu verzweifeln, der Reise zu vertrauen, die Hinweise anzunehmen. Ein wunderbar feinsinniges Buch, das mit Tod und Verlust, ernsthaft, doch mit Humor und Leichtigkeit umgeht und einem schweren Thema Hoffnung macht.
Sehr empfehlenswert.


Susann Pasztor ist auch ausgebildete Sterbebegleiterin

Bewertung vom 11.02.2025
Der große Riss
Henríquez, Cristina

Der große Riss


sehr gut

Atmosphärisch dicht, bildgewaltig, klug recherchiert

Noch 1899 gehörte Panama zu Kolumbien, 1903 erklärte Panama die Unabhängigkeit und erlaubte den USA, den Panamakanal zu bauen. Die Männer die den Kanal bauten kamen aus aller Welt. Da ist z.B. John Oswald mit seiner Frau aus Tennessee im Auftrag der USA, der die Malaria bekämpfen will; da gibt es Ada, 16jährig, aus Barbados, die ihr Glück versucht; da gibt es Francisco den Fischer aus Panama mit seinem Sohn Omar.

Nicht nur der reale Bau des Kanals auch das, was die Lebensumstände des und der Einzelnen betrifft mit all den Hoffnungen und Ängsten, die damit verbunden sind, werden vorgestellt. Es sind die unbekannten Helden, die es wagten, sich dem auszusetzen mit Hoffnung auf Arbeit, auf Selbstbestimmung und gutem Verdienst all den Widerständen zum Trotz.
Christina Henriquez stellt ein Spektrum an menschlichen Schicksalen vor und verzahnt sie was wiederum neue Perspektiven und Entscheidungen aufwirft.
Sie beleuchtet sehr unterhaltsam deren Hintergrund und Geschichte, deren Beweggründe nach Panama zu kommen, deren Mut und Überlebenskampf. Und dieser bezieht sich nicht nur auf existentielles. Sehr gut recherchiert sind die Bedingungen, die dort 1907 herrschten. Krankheiten, Hunger, Ausbeutung, Ausgrenzung.

Atmosphärisch dicht, bildgewaltig, klug recherchiert und sehr unterhaltsam.

Bewertung vom 01.02.2025
Halbe Leben
Gregor, Susanne

Halbe Leben


ausgezeichnet

Zwei Frauenleben – sensibel betrachtet und grandios beschrieben

Paulina ist alleinerziehend und in der Zwickmühle – Sie wird als Pflegerin in Österreich bei einer Familie für die nach einem Schlaganfall pflegebedürftige Irene eingesetzt. Sie wird ihr eigenes Leben zurückstellen müssen und glaubt, dass sie Arbeit und Familie vereinen kann. Ihre Arbeit in Österreich ist eine existenzielle Notwendigkeit.
Paulina ist eine gute Pflegerin übernimmt auch andere Tätigkeiten, dies wird zwar großzügig entlohnt, doch Paulina merkt, dass die Zeit, die sie mit ihren eigenen heranwachsenden Kindern verbringen könnte immer weniger wird und die Kinder ihr entgleiten.

Schon das erste Kapitel zeigt das Ende und der Roman zeigt dann auf, wie es dazu gekommen ist.
Das Aufeinanderprallen unterschiedlicher Ausgangslagen und das Nichterkennen dieser ist spannend dargestellt. Das, was in der Familie Klara, Jakob, Ada funktioniert, ist nicht übertragbar auf Paulinas Leben.
Hier werden drei Frauen vorgestellt, Paulina, Klara und auch die jetzt pflegebedürftige Irene.
Susanne Gregor stellt dar, was auch in einem Sozialstaat häufig stattfindet, in welchen Verzicht alleinstehende Frauen eintreten, um das Mindeste zu haben. Die Umstände, die aufeinandertreffen sind existenzielle wie bei der von ihrem Mann verlassenen Paulina und auf der anderen Seite herrscht vorrangig der Wunsch danach, das eigene Potential zu entfalten, Klara durch ihren Einsatz für ihre Karriere, Jakob als freischaffender Fotograf.
Wie erleichtert waren Jakob und Klara, dass Paulina jetzt einspringt, damit die beiden ihr Leben so weiterführen können wie bisher. Gedankenlos werden neue Wünsche angestrebt – hat es nicht früher auch gut geklappt, als Irene gerne eingesprungen ist im Kümmern und Versorgen der kleinen Ada? Es treffen zwei Welten aufeinander. Der Riss wird im Laufe der Geschichte immer größer. Paulina wird immer mehr zugemutet. Der Kontrast macht sich besonders deutlich durch ein Wellnessgeschenk, das Paulina bekommt. Das Nicht-über-den-Tellerand-gucken von Jakob und Klara macht betroffen.
Die wohlhabenden Protagonisten Klara und Jakob werden im Laufe des Romans für den Leser fremder in ihren Vorstellungen und Lebensweisen und die Sympathie zu Paulina nimmt zu. War nicht Paulina vorerst die Fremde? So kann man beim Lesen ihr den Respekt zollen, den die österreichische Familie ihr nicht geben kann, die selber verstrickt in eigene Bedürfnisse ist, die aber sehr wohl verständlich sind. Geht es doch um das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung. Die Situation spitzt sich zu.

Susanne Gregor setzt feine stilistische Mittel ein, schreibt eingängig, psychologisch spannend mit einer unterschwelligen Ahnung, die den roten Faden vorantreibt – ein grandioser, betroffen machender Roman, aus dem Leben gegriffen und mit viel Verständnis für die Hauptpersonen.

Bewertung vom 26.01.2025
Digitale Diagnosen
Wiesböck, Laura

Digitale Diagnosen


ausgezeichnet

Eine gesunde Sicht auf digitale Diagnosen – Augen öffnend!

Die österreichische Soziologin Laura Wiesböck leitet die Gruppe „Digitalisierung und soziale Transformation am Institut für Höhere Studien Wien.

Sie sagt: „Die Wahrnehmung von seelischen Erkrankungen ist gesamtgesellschaftlich gestiegen. Definitionen von krank und gesund sind keine objektiven Parameter mehr..., unterliegen Moden, sind sozial konstruiert..“
Sie fragt sich, was die Popularität von Influencer:innen über gesellschaftliche Zustände offenbart.

Laura Wiesböck zeigt in diesem Buch ausführlich und spannend die Tendenzen der digitalen Diagnosen im Social-Media-Bereich auf und öffnet die Augen, wie dies funktioniert. Hierbei beleuchtet sie User:innen sowie Influencer:innen. Beide Gruppen agieren aus bestimmten Gründen. Laura Wiesböck stellt dies dar und nimmt später Stellung.

Zugehörigkeit zu einer Gruppe, verstanden zu werden, sich mitteilen und auseinandersetzen sind Grundbedürfnisse zwischenmenschlichen Zusammenseins. Doch wie wird im Netz damit umgegangen?

Das Reden und die Wahrnehmung von psychischen Auffälligkeiten ist gerade bei den Millennials gestiegen und ist weit verbreitet.
„Der Krankheitsstatus wird auf Social Media zu einer neuen Art dazuzugehören“ ...„Das Selbstverständnis als psychisch Verwundeter schafft eine gemeinschaftliche Verbindung zu anderen Personen mit ähnlichen Erfahrungen.“ Und Plattformen sind auch Orte, stellt Laura Wiesböck fest, „vermeintlicher „Realitätsvermittlung. Sie zielen auf „Bestätigung und Reichweite ab“...

Das Buch zeigt Manipulationen und Täuschung auf, Laura Wiesböck zeigt für und wider und bleibt respektvoll.

Ihre Recherche zeigt in dieser komplexen Analyse, den Trend auf, um sich eine eigene Meinung zu bilden. Es ist jeder Satz aussagekräftig und anregend. Mit vielen Hinweisen von wissenschaftlich fundierten Studienergebnissen und auch Aussagen von Bloggern. Wer Kinder im jugendlichen oder frühen Erwachsenenalter hat, kennt Ausdrücke wie „triggern“ und „toxisch“, bekommt in diesem Buch ein anderes Verständnis für Aussprüche und Ansprüche, die einem evtl schon begegnet sind. Das Buch wirft ein gesundes Licht auf für inzwischen selbstverständlich genutzte Worte, Darstellungen und Vorstellungen, es hat mir nicht nur ein neues Verständnis gebracht, sondern auch umfassende Erkenntnis zu den Funktionen von diesem Social Media Trend.

Ein von Analysen sprudelndes Werk „Psychische Gesundheit als Social-Media-Trend“. Auch gibt es außerhalb dieses Bereichs viele zusätzliche Anregungen für diejenigen, die großes Interesse an gesellschaftlichen Trends haben, an der Gegenwart, wie sie betrachtet und ausgedrückt wird.
Für mich eine Augen öffnendes Buch und eine große Empfehlung!

Bewertung vom 19.01.2025
Für Polina
Würger, Takis

Für Polina


ausgezeichnet

Großartige literarische Unterhaltung!

Hannes wächst mit Polina auf, nachdem sich seine Mutter im Wochenbett mit Polinas Mutter angefreundet und sie später zusammenziehen. Alles scheint paradiesisch gut zu verlaufen, doch nachdem seine Mutter durch ein Unglück starb, ändert sich alles für die beiden. Hannes, mit einem großen musikalischen Potential geboren, verweigert dies zu zeigen, bis er, sehr viel später mit sich im Reinen ist. Es beginnt seine Heldenreise.

Die Geschichte ist unkonventionell, humorvoll, mit schönen Metaphern.
Hannes bekommt – wie ein Kelim Teppich - dessen Muster manchmal in den Vordergrund geworfen wird beim Betrachten, wie ein Vexierbild, Hinweise auf seinem Weg, die erst im Laufe der Zeit von ihm entdeckt werden und ihn weiterführen. Es ist schon da, er muss es nur erkennen.

Takis Würger erzeugt Vorstellungen einer Welt, in der man gerne beteiligt wäre und die auftretenden Helfer auf der Heldenreise von Hannes sind sympathische Charaktere, die dem Protagonisten Hannes in seinen Lebensabschnitten begleiten und auch später wieder auftauchen und sich dann alles wieder neu formiert, was auseinander stob – einfach großartige Unterhaltung. Eine herzerwärmende Geschichte, nicht nur eine Liebesgeschichte.

Man hat das Gefühl, Takis Würger hätte viele Szenen selbst erlebt, so genau, farbig und bildhaft sind sie beschrieben, jeder in der Geschichte hat etwas Besonderes, Einzigartiges, das ihn für Hannes wertvoll macht.
So ein Leben mit diesen Höhen und Tiefen möchte man fast selbst haben, oft märchenhaft, doch mit keinem märchenhaften Ausgang – oder doch? Noch im Leserausch der Geschichte ist jedes Ende jeder Schluss eigentlich nicht wichtig. Takis Würger weist nicht wie im Märchen auf etwas hin, seine Beschreibungen an sich haben es in sich und das ist in fast jedem verschachtelten Satz schon eine Geschichte, mit Hinweisen, Erläuterungen, die aus der Vergangenheit ziehen und in die Gegenwart werfen und die volle Aufmerksamkeit des Lesers hervorbringen - und anschließend ein Satz, kurz und erleichternd.

Ein Roman, der in sich die Hoffnung trägt, das Unerwartete anzunehmen, trotz aller Widerstände, wie eine Selbstverständlichkeit sich damit auseinanderzusetzen, voranzuschreiten und weiterzuwachsen – alles so wie im wirklichen Leben selbst, hätte der Leser auch nur immer den Mut so taff durch das Leben zu gehen wie Hannes und seine Entscheidungen von innen kommen zu lassen. Ein märchenhafter Roman über Liebe und Freundschaft, der ein wohliges Gefühl hervorbringt von allerbester literarischer Unterhaltung, das staunen lässt und nachwirkt.

Bewertung vom 14.01.2025
Wackelkontakt
Haas, Wolf

Wackelkontakt


ausgezeichnet

Spaßbringendes Paradox

Der Protagonist Franz Escher ist Trauerredner und verbringt seine Freizeit mit Puzzlen, überwiegend aus der Welt der alten Malerei. Er ist ein Eigenbrötler geworden seitdem er mit 19 Jahren das erste Puzzle geschenkt bekam. Eines Tages gibt es einen Wackelkontakt in seiner Wohnung und er bestellt einen Elektriker.
Franz Escher wartet auf den Elektriker, währenddessen liest er ein Buch. Das Buch handelt von dem Kronzeugen Elio Russo.

Die andere Geschichte die sich verknüpfen wird, beschreibt den Ex-Mafioso Elio Russo, der in falscher Identität lebt. Hier wird sein ganzes Leben erzählt, bis es zu dem Kontakt mit Escher kommt. Das Absurde ist, beide verbindet das Lesen in einem Buch, ein Buch das über den jeweils anderen erzählt.
Escher sagt: „ Man muss sich die Zeit wie eine Schleife vorstellen“. Und auch der Leser von „Wackelkontakt“ liest, was die jeweils anderen lesen.
Die Wahrnehmungswechsel bzw. der Übergang zu der jeweils anderen Realität werden immer fließender bis sie sich erreichen.

„Was für ein Langweiler“, denkt man sich bei dem puzzlespielenden Trauerredner, doch dieser entpuppt sich und als das letzte lange fehlende Teil bei dem Tausend-Teile-Puzzle “Die Erschaffung Adams“ von Michelangelo hinzugefügt wird - genau der, der den göttlichen Funken zwischen Gottes Finger auf Adam übertragen soll - erfolgt auch in Wolf Haas Geschichte ein lebendiges unerwartetes Ende, was wiederum ein Anfang ist.

Wolf Haas spielt mit der Zeit, beginnt mit der vertrauten Linearität der Puzzles und spielt dann mit der Unstabilität der Wahrnehmung. (Auch der Protagonist Escher wundert sich über die „spiegelverkehrte Situation“).

Für mich ist „Wackelkontakt“ ein Buch, rätselhaft, witzig unterhaltsam und sehr klug konzipiert; Franz Geschichte z.B. beginnt mit einem geschenkten Puzzlespiel vom Namensvetter M.C. Escher. Dieses Puzzle zeigt zwei Hände, wobei eine Hand gerade im Zustand des Hervorbringens der anderen Hand ist - Eine verblüffende Kunst, gewohnte Wahrnehmungen infrage zu stellen. Wolf Haas entwickelt literarisch dieses Experiment und spielt meisterhaft mit Paradoxien.

Eine absurde Geschichte, die Spaß bringt und bei der man beim mehrmaligen Lesen immer neue Gleichungen, Anspielungen, Vexierbilder entdecken könnte.
Ein fortwährendes Vergnügen, was die auftretenden Fragen gar nicht beantwortet, sondern zeigt, dass das Paradox an sich schon als gesamt kurios, witzig und unterhaltsam ist. Ein sehr gelungenes, ungewöhnliches Buch - ein Spaß aus 1000 verknüpften Teilen!

Bewertung vom 25.12.2024
Unmöglicher Abschied (eBook, ePUB)
Kang, Han

Unmöglicher Abschied (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Beeindruckende Vielschichtigkeit!

Gyeongha wird von ihrer Freundin Inseon gebeten, sofort ins Krankenhaus von Seoul zu kommen, Dort liegt Inseon mit abgeschnittenen Fingern, durch einen Kreissäge verursacht, beim Arbeiten in ihrer Tischlerwerkstatt in einem abgelegenen Bergdorf auf der Insel Jeju. Ihr weißer Papagei sei kurz vor dem Verhungern, so bittet sie Gyeongha dorthin zu fahren, ihn zu füttern, damit er überlebt. Doch ein Schneesturm bringt Hindernisse auf der Reise und Gyeongha muss sich mit den neuen Gegebenheiten vertraut machen, erfährt die Situation der Freundin dort an ihrem Ort. Zwischendurch im Roman erzählt auch Inseon von ihrem Leben. Gyeongha selbst schreibt anfänglich ein Testament, doch sie schreibt es immer wieder neu und zerreißt es. Sie möchte einen „echten Abschied, aber richtig“ formulieren.
Sie träumt von schwarzen Bäumen und dieser Traum beschäftigt sie so sehr, dass sie ihn mit ihrer Freundin Inseon, die sie als Dokumentarfilmerin kennenlernte, in einen Kurzfilm umzusetzen plant. Der Titel des Projekts, den beide planen, soll eine Installation sein mit dem Titel „Unmöglicher Abschied“. Beide wollen die geplante Installation im späteren Verlauf des Romans, am Ort der Tat aufstellen und begeben sich auf den Weg

Eine Bilddokumentation von Inseon, die einen grausamen Ausschnitt aus Südkoreas Vergangenheit zeigt, ist verwoben mit ihrer Mutter, mit der eigenen Geschichte und sie erkennt, dass auch die Mutter Zeit ihres Lebens recherchiert hat, genauso wie sie selbst, Inseon. Wiederkehrende Träume der Protagonistin und Ich- Erzählerin Gyeongha, führen dies zusammen und ergänzen die Geschichte.
Diese Essenz zieht den Leser in das Mitempfinden und den Bann des Romans.

Han Kang schreibt beeindruckend bildgewaltig auf unterschiedlichen Ebenen und benutzt symbolträchtige Erklärungen oder Metaphern. Fragen, die die Protagonistin denkt, führen den Roman voran und bieten dem Leser einen Denkprozess über das Geschehen, der auch die Grenzen der Realität ankratzt. Gyeongha überdenkt ihre Wahrnehmung, stellt sich aber immer wieder mutig den Begebenheiten und vertraut vollends ihrer Freundin, was sie lebendig und sehr sympathisch macht. Der Roman zeigt die beiden beherzten Frauen. Ein intensives Miteinander verbindet sie über die Grenzen hinaus. Obwohl Gyeongha nicht weiß, ob Inseon ein Geist ist, agiert und reagiert sie, als ob Inseon lebendig wäre. Die Realität verschiebt sich und lässt Gyeongha sowie den Leser im Ungewissen. Die Annäherung an das Unfassbare, nicht Gegenwärtige und nicht Reale doch dem Leben Dazugehörige, die Vergangenheit, die prägt, sowie mysteriöse Zwischenwelten werden hier auf außergewöhnliche Art verbunden.
Es gibt nur wenige weitere Mitspieler.

Han Kang entblättert, ausgelöst durch die Schneeflocken und mithilfe Gyeonghas Gedanken und Empfindungen, einen grausamen Teil Südkoreas Geschichte. 1948 wurden 30000 Menschen hingerichtet, die nicht politisch konform waren, Rebellen, aus Angst vor Fremdbestimmung. Der Roman entwickelt diesen vergangenen Abschnitt und beschreibt anhand der beiden Freundinnen. Aufschlussreiche Hinweise in den Aufzeichnungen der Mutter bringen persönliche Erkenntnisse und führen vom individuellen Schicksal zu den politischen Gräueltaten.

Der Roman geht unter die Haut, und je mehr man ihn verdaut und sacken lässt, tauchen immer mehr Facetten auf, die ein Gesamtbild ergeben.
Wort und bildgewaltige Sprache beherrschen den vielschichtigen Roman, die ungewöhnliche Freundschaft zwischen den beiden Hauptdarstellern führt ihn voran.
Für mich ein beeindruckender Roman, der lange nachhallt.