Benutzer
Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
nil_liest
Wohnort: 
Frankfurt

Bewertungen

Insgesamt 730 Bewertungen
Bewertung vom 02.03.2025
30 Pflanzen pro Woche
Seiser, Katharina

30 Pflanzen pro Woche


ausgezeichnet

Wer Stress hat mit den eigenen inneren Werten, also dem eigenen Darm, dem kann ich getrost dieses charmante Kochbuch empfehlen aus dem Hause Brandstätter: 30 Pflanzen pro Woche! Es ist eine feine Sammlung an Rezepten, die uns anstiften zur Abwechslung wie es zum Auftakt so schön lautet. Bund ist gesund und wer viele verschiedene pflanzliche Lebensmittel frisch in seine Ernährung einbaut, lebt versöhnlicher mit seinem Darm und merkt es auch am Wohlbefinden.
Es sind war allesamt Rezepte, die sich bereits in anderen Brandstätter Kochbüchern finden lassen, aber eben zusammengestellt um eine besonders große Vielfalt für pflanzliche Kost zusammen zu bringen.
Wie ist das Kochbuch aufgebaut? Es entält eine Sektion KALT und eine Sektion WARM sowie SÜSS.
Damit ist schon mal klar, dass es viele tolle Salatrezepte gibt, die wirklich sehr abwechslungsreich sind, sowie auch warme Speiseideen. Die Sektion Süß ist schmaler, aber ja auch das im idealen Anteil zu herzhafter Kost wie es unsere Körper mögen.
Wir waren durch die kalte Wetterlage erst einmal mehr den warmen Speisen zugetan und probierten das ein und andere aus. Die Kids lieben die Rote-Linsen-Bällchen, ich das Tofu Keema und wie sollte es anders sein: Mein Mann mochte das Bananenbrot mit Nüssen!
Abwechslungsreich, schlichte schöne Bilder, gut erklärte übersichtliche Rezepte mit einem Zutatenbanner am äußeren Rand. Gelungen.

Bewertung vom 27.02.2025
bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann
Lovrenski, Oliver

bruder, wenn wir nicht family sind, wer dann


ausgezeichnet

Was für ein Roman. Hammer. Oliver Lovrenski hat mit "Bruder, wenn wir nicht Family sind, wer dann" einen Roman geschrieben, der sprachlich und inhaltlich herausfordert, weil er so was von außerhalb jeglicher literarischer Normen liegt. Das Buch erzählt die Geschichte von Ivor und seinen Freunden – vier jungen Männern, die in Oslo aufwachsen, aber kaum Chancen auf ein besseres Leben haben. Ihre Realität ist geprägt von Gewalt, Drogen und einer Sehnsucht nach Zugehörigkeit, die sie nur in ihrer brüchigen Freundschaft zu finden scheinen. Sehr hart, kaum ertragbar.
Oliver Lovrenski selbst stammt aus sozial schwachen Verhältnissen, daher nimmt man dem Autoren ab was er schreibt, er kennt dieses – ja sein Millieu.Die Sprache seines Romans ist roh, direkt und durchzogen von einem Slang, der für viele Leser:innen gewöhnungsbedürftig sein dürfte. Hier liegt ein faszinierender Widerspruch: Während literarische Werke oft eine gewisse sprachliche Ästhetik anstreben, verzichtet Oliver Lovrenski bewusst darauf. Stattdessen wirkt seine Sprache wie ein ungefilterter Strom an Gedanken, manchmal stakkatoartig, manchmal unfertig, aber immer authentisch. Daher eben auch leicht anstrengend. Dieser Stil ist keine spielerische Provokation, sondern spiegelt die Lebenswelt seiner Protagonisten wider – eine Welt, in der Regeln, auch sprachliche, nicht mehr viel zählen.
Wer sich auf dieses Buch einlässt, muss bereit sein, sich von vertrauten literarischen Strukturen zu lösen. Es gibt keinen sanften Einstieg, keine geschliffenen Metaphern, sondern nur die harte Realität, serviert in einer Art Telegrammstil, der zwischen Poesie und Chaos schwankt. Manche Sätze bohren sich tief ins Herz, andere sind wie eine Ohrfeige. Es ist ein Roman, der nachhallt, aber nicht unbedingt bequem ist.
Besonders beeindruckend ist, wie Oliver Lovrenski die Sehnsucht seiner Figuren nach einem besseren Leben einfängt. Trotz all der Trostlosigkeit gibt es Momente, in denen sie sich vorstellen, jemand anderes zu sein – ein Künstler, ein Unternehmer, ein Star. Doch diese Träume zerplatzen schnell an der Wirklichkeit. Traurig.
"Bruder, wenn wir nicht Family sind, wer dann" ist ein mutiges Buch. Es fordert seine Leser:innen heraus, es verlangt, dass man sich auf eine ungewohnte Erzählweise einlässt.

Bewertung vom 27.02.2025
Eine feine Linie
Madjidi, Maryam

Eine feine Linie


ausgezeichnet

Eine Linie, die Maryam nie übertreten wird.
Maryam Madjidi hat mit ihrem Debüt, dass ich leider noch nicht gelesen habe, „Du springst, ich falle“ den renommierten Prix Goncourt gewonnen. „Eine feine Linie“ ist wohl der Folgeroman dieser Fluchtgeschichte, denn es geht um die jugendliche Maryam. Nicht nur der Name gleicht der Autorin, hier sind scheinbar viele sehr persönliche Elemente.
Die Jugendliche Maryam, lebt in einem Banlieue außerhalb von Paris, in Drancy. Fühlt sich aber weder heimisch noch verloren. Ein Zwischen-den-Stühlen-sitzen und ihre Eltern, auch fremd hier in Frankreich sind keine Hilfe die sozialen Codes zu knacken. Ihr wird der Wunsch eingepflanzt sich um einen Studienplatz an einer der Elite-Universitäten zu bemühen, heißt also erst einmal bewerben um die Vorbereitungsklasse. Und es klappt! Aber wie es schon hinten der Buchrücken verrät: Ein Quotenplatz, da sie aus den Banlieues kommt. Hart, aber wahr.
Die Wut kocht aus mehreren Gründen und sie schwimmt sich frei und findet sich selbst.
Auch wenn der Stoff hart klingt und eine Realität abbildet, die es genauso in Frankreich gibt, sind die etwas mehr als 200 Seiten eine unterhaltsame und gute Lektüre. Sogar witzig ist sie an manchen Stellen! Wirklich gelungen und lesenswert!

Bewertung vom 27.02.2025
Unico erwacht Bd.1
Tezuka, Osamu;Sattin, Samuel

Unico erwacht Bd.1


ausgezeichnet

Was ein cooles Buch! Mit Unico erwacht wird die zauberhafte Welt eines fast vergessenen Klassikers neu belebt. Ursprünglich von Osamu Tezuka im Jahr 1976 geschaffen, hat sich die Geschichte um das magische kleine Einhorn Unico tief in die Herzen von Manga- und Comicfans eingebrannt. Nun kehrt Unico in einer modern interpretierten Version von Samuel Sattin und dem Künstlerduo Gurihiru zurück, um eine neue Generation von Leserinnen und Lesern zu verzaubern, dennen Unico noch gänzlich unbekannt ist.
Das Original von Osamu Tezuka, der oft als "Gott des Manga" bezeichnet wurde, erschuf mit Unico eine Geschichte, die tief in der japanischen Mythologie und in universellen Themen wie Freundschaft, Verlust und Wiedergeburt verwurzelt ist. Ursprünglich erschien Unico als Manga in den 1970er Jahren und wurde später auch in zwei Anime-Filmen adaptiert. Die Geschichte dreht sich um ein magisches Einhorn, das die Fähigkeit besitzt, Liebe und Glück zu schenken. Doch die Göttin Venus, eifersüchtig auf Unicos Einfluss, verbannt ihn immer wieder an fremde Orte und löscht seine Erinnerungen.
In der Neuinterpretation Unico erwacht greifen Sattin und Gurihiru die Essenz von Tezukas Werk auf, während sie es gleichzeitig in ein neues visuelles und erzählerisches Gewand kleiden. Wir finden es frisch und cool! Die farbenfrohen, ausdrucksstarken Illustrationen fangen die Magie und Emotionalität der Geschichte perfekt ein. Besonders dynamisch sind die Passagen, die ganz ohne Text auskommen und nur durch die Kraft der Bilder die Handlung vorantreiben. Daher auch so gut für Erstleser geeignet, denn die Geschichte wird vorrangig von den Bildern getragen und das Lesen passiert (fast) von alleine!
Die Geschichte wird aus mehreren Perspektiven erzählt: Venus, die Unico aufspüren und vernichten will, der Westwind, der Unico zu retten versucht, und Unicos eigene Abenteuer.
Die Illustrationen von Gurihiru sind nicht nur eine Hommage an Tezukas Originalstil, sondern setzen auch eigene Akzente. Die leuchtenden Farben und der moderne Zeichenstil machen Unico erwacht zugänglicher für ein breiteres Publikum, ohne die Ursprünglichkeit der Geschichte zu verlieren. Ein besonderes Highlight ist der Vergleich mit dem alten Unico am Ende des Buches, der einen faszinierenden Einblick in die Weiterentwicklung der Figuren und der Erzzählweise gibt. Super für alle die den Klassiker (noch) nicht kannten.
Die Geschichte ist fantasievoll, spannend und liebevoll erzählt, mit Figuren, die das Herz im Sturm erobern. Der Cliffhanger am Ende lässt uns gespannt zurück: Wohin wird Unicos Reise als nächstes führen? Wir freuen uns auf Band 2: Unico wird gejagt!
Toll ab 8 Jahren, auch schon in der ersten Klasse – oder noch besser zum Zeugnis nach der 1. Klasse als Leseansporn!

Bewertung vom 23.02.2025
Das Museum der Insekten
Goulson, Dave;Carter, Emily

Das Museum der Insekten


ausgezeichnet

Ich liiiiiebe diese Reihe aus dem Prestel Verlag mit all seinen „Eintritt Frei“ – Museums-Erklärbüchern. Wir haben schon einige im Regal stehen und immer wenn wir uns wieder einem Thema genauer widmen, holen wir sie hervor.
Da ist eines über Pilze, Meerestiere, das Planetarium, Bäume. Herrlich! Und nun Insekten! Achtung, auch der Knesebeck Verlag hat ein Buch mit dem gleichen Titel, ist aber ein anderes Buch anderer Autoren!
Was ich wieder so mächtig toll finde, sind die detailreichen Bilder und detailgetreuen Abbildungen der Tiere. Bei Insekten kommt das ganze besonders zum Tragen, da ja viele der Tiere größer als ihre eigene Lebensgröße abgebildet sind.
Es startet mit einem kurzen historischen Abriss und geht dann über in die Frage: Was sind eigentlich Insekten? Wer gehört dazu? Viele!
Und dann geht es Saal für Saal los mit den einzelnen Gruppen. Natürlich sind nicht alle abgebildet und es ist nicht vollständig, aber zeigt einige größere Gruppen und erklärt grundsätzliches. Wer gehört zu den Heuschrecken und Grillen, was sind Schnabelkerfe (ich hab mich nicht verschrieben!).
Und auch wichtig für alle Kindergartenkinder: Auch die Laus kann man hier mal in Ruhe und in Überlebensgröße studieren.
Auch sind zwischendrin immer mal wieder Erklärungen zu Lebensräumen: Wald, Wasser, Wüste.
Aus meiner Sicht auch dieser Band wieder hervorragend gelungen. Aber seht es mir nach: ich bin befangen, ich liebe diese Reihe! :0)

Bewertung vom 18.02.2025
Der große Riss
Henríquez, Cristina

Der große Riss


sehr gut

Cristina Henríquez' Roman Der große Riss entfaltet ein faszinierendes Panorama historischer Umbrüche und menschlicher Schicksale zur Zeit des Baus des Panamakanals. Besonders beeindruckend ist ihre Erkundung der Frage, wie nah Fortschritt und Ausbeutung beieinanderliegen und wie tief soziale, ethnische und geschlechtsspezifische Gräben die damalige Gesellschaft durchzogen. Henríquez erzählt aus der Perspektive von Frauen und gibt damit jenen Menschen eine Stimme, die oft im Schatten der großen historischen Narrative stehen. Daher ist dieser Roman heutzutage sehr wertvoll!
Die poetische Sprache des Romans, die sich bereits in der atmosphärisch dichten Eröffnung zeigt, entfaltet eine beeindruckende Bildkraft. Francisco, der Fischer, und sein in handwerklicher Präzision gebautes Boot symbolisieren die alte Welt, die mit dem technokratischen Fortschritt der Kanalbauprojekte kollidiert. Henríquez fängt in ihren Naturbeschreibungen eine fast mythische Ruhe ein, die durch den Einbruch der Moderne zerstört zu werden droht. Diese Faszination für das Fremde, das Ursprüngliche und die natürlichen Rhythmen des Meeres und der Arbeit verleiht dem Roman eine zusätzliche, fast kontemplative Dimension.
Gleichzeitig verleiht die Autorin auch den Frauenfiguren eine erzählerische Tiefe, die ihre Rolle in der Gesellschaft infrage stellt. Marians Geschichte etwa, die auf erschütternde Weise von den Ungleichheiten zwischen Mann und Frau berichtet, zeigt, wie tief patriarchale Strukturen verwurzelt sind. Dabei wird deutlich, dass Henríquez nicht nur an historischen Fakten interessiert ist, sondern an den inneren Welten ihrer Figuren, an den oft unausgesprochenen Konflikten und der Suche nach Selbstbestimmung.
Der Roman gelingt als eindrucksvolle Verbindung von großem historischen Drama und intimen Einzelschicksalen. Er fängt die Ambivalenz eines gigantischen Projekts ein, das sowohl Hoffnung als auch Zerstörung brachte, und macht deutlich, dass die gesellschaftlichen Fragen von damals keineswegs ihre Relevanz verloren haben. Der große Riss ist damit nicht nur ein packender historischer Roman, sondern auch eine vielschichtige Reflexion über Machtverhältnisse, Widerstand und den Preis des Fortschritts.

Bewertung vom 16.02.2025
Halbe Leben
Gregor, Susanne

Halbe Leben


sehr gut

Der Roman beginnt mit Klaras Tod, einem mysteriösen Absturz beim Wandern, der im Verlauf der Geschichte als unausgesprochener Katalysator wirkt. Dieser erzählerische Kunstgriff – die Umkehrung von Anfang und Ende – verleiht dem Werk eine dichte Atmosphäre, die von Beginn an Spannung aufbaut. Susanne Gregor meidet spektakuläre Wendungen zugunsten eines subtilen Spiels aus Andeutungen, Rückblenden und leisen Beobachtungen, die viel Raum für eigene Deutungen lassen. Muss man nicht mögen, ich fand es super gemacht.
Die Stärke des Romans „Halbe Leben“ liegt in der psychologischen Ausgestaltung seiner Figuren. Klara und Paulína werden in all ihrer Widersprüchlichkeit und Ambivalenz gezeichnet. Klara, die in der Illusion lebt, alles unter Kontrolle zu haben, wirkt einerseits bewundernswert zielstrebig, andererseits distanziert und emotional unzugänglich. Paulína hingegen, die scheinbar selbstlos den Haushalt übernimmt, trägt eine Last, die in jeder Geste und jedem unausgesprochenen Gedanken spürbar wird. Es ist ein Gleichgewicht, das ständig zu kippen droht – zwischen Nähe und Abhängigkeit, Dankbarkeit und Ausbeutung. Ein Balanceakt.
Gregor seziert mit beeindruckender Präzision die soziale Ungleichheit zwischen den Frauen und deren Lebensrealitäten. Dabei stellt sie unbequeme Fragen: Was bedeutet es, wenn Fürsorge zur Dienstleistung wird? Welche emotionalen und gesellschaftlichen Kosten birgt ein System, das familiäre Verantwortung auslagert? Besonders eindringlich ist Gregors Blick auf die unsichtbaren Opfer dieses Arrangements – Paulínas Kinder, die von ihrer Mutter nur aus der Ferne betreut werden, während sie sich um Fremde kümmert.
Die Sprache des Romans ist unaufgeregt und prägnant, und gerade in ihrer Reduktion entfaltet sie eine enorme Intensität. Susanne Gregor gelingt es, ohne Pathos oder moralische Urteile die innere Zerrissenheit ihrer Figuren spürbar zu machen. Ihre Worte wirken wie feine Nadelstiche, die den Leser immer wieder zum Innehalten zwingen.
Halbe Leben ist ein Roman, der weit über die individuelle Geschichte hinausgeht und den Finger auf eine der drängendsten Fragen unserer Zeit legt: die Last und Verteilung von Care-Arbeit. Dabei bleibt das Buch wohltuend unsentimental, fast dokumentarisch, ohne dabei an Emotionalität zu verlieren.
Fazit: Mit ihrem Roman Halbe Leben legt Susanne Gregor ein vielschichtiges Werk vor, das sich der feinen Vermessung zwischenmenschlicher Abgründe und gesellschaftlicher Verwerfungen widmet. In einer klaren, nüchternen Prosa erzählt sie von Klara, einer erfolgreichen Architektin, die für das Leben ihrer Mutter Irene nach deren Schlaganfall eine Pflegerin engagiert: Paulína, eine Frau aus der Slowakei, deren eigene Familie unter ihrer Abwesenheit leidet.

Bewertung vom 16.02.2025
Frau Hempels Tochter (eBook, ePUB)
Berend, Alice

Frau Hempels Tochter (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Habt ihr schon von Alice Berend gehört? Unfassbar, dass diese Schriftstellerin in Vergessenheit geraten ist, war sie doch zum Beginn des 20. Jahrhunderts einer der meistgelesenen Autorinnen Deutschlands. Was geschah? Simple und niederschmetternd: Sie war Jüdin und ihre Bücher wurden unter den Nationalsozialisten verboten.
“Die besten und die schlimmsten Tage haben gemeinsam, dass man sie erst spürt, wenn sie vorüber sind.” (S 144)
‚Frau Hempels Tochter‘ wurde nun nach sachten Restaurationsarbeiten im Reclam Verlag erneut publiziert und ich danke dem Verlag für diesen Vorstoß! Dieses Buch bietet eine einfache Geschichte, aber ist ein historisches Dokument. Wenn die Portiersfrau den Kuchen zum Bäcker bringt zum Backen, weil es keinen eigene Ofen gibt. Heute erstaunlich zu lesen, damals scheinbar Gang und Gebe. Zuerst erschienen 1913, hat es eine immense Auflage, es war das zweite erfolgreiche Buch der Autorin Alice Berend.
“Die meisten Menschen reden zu viel. Sie vergessen, dass es beim Sprechen nicht auf die Masse ankommt. Die richtige Wahl der Worte ist alles.” (S 24)
Alice Berend, durch und durch Berlinerin, portraitiert das Leben im Moloch Großstadt gekonnt und wenn da Wörter wie „pletten“ (=bügeln) fallen, dann merke ich das sich ein wenig Heimat hier niederschlägt.
„Geflüsterte Worte sprechen doppelt laut im Gedächtnis.“ (S 38)
Es geht im Grunde um Frau Hempel, Portiersfrau, mitten in Berlin. Ihr Mann ist Schuster und ihre Tochter Laura ein entzückendes Wesen. Mutter möchte für das Kind eine bessere Zukunft und hofft auf einen Verehrer aus höherem Stand. Laura verliebt sich in einen Grafen, leider aus verarmtem Hause und mit einer Gräfinnen-Mutter, die davon wenig amüsiert ist, wem es ihrem Sohn angetan hat. Es folgen noch Wendungen, die scheinbar für alle die Karten neu mischen und die Geschichte nimmt seinen Lauf.
Wie erwähnt, die Geschichte ist nicht sonderlich trickreich, aber die erzählweise, auch wenn es ein Unterhaltungsroman zur damaligen Zeit war, ist historisch spannend und schön geschrieben. Eine Fülle an Aphorismen und Zitaten habe ich mir aufgeschrieben.
Der Mensch tastet in Lärm und Ungewissheit vorwärts, aber still und sicher geht die Zeit ihren Weg. (S 135)
Auf jeden Fall sollte man das sehr gelungene Nachwort von Marget Greiner lesen, das rundet das Lesevergnügen besonders ab und meine Neugier über die Schriftstellerin war (zum Teil) gestillt.
Nun – lieber Reclam Verlag, wann kommt den eines der anderen Werke von Alice Berend neu aufgelegt in die Buchhandlungen?

Bewertung vom 12.02.2025
Pink Elephant
Kieser, Luca

Pink Elephant


ausgezeichnet

Drei Jungs – Ali, Tarek und Vincent. Vincent, das Opfer aus dem Reihenhaus. Ali und Tarek, Hochhauskinder, diejenigen, die ihn scheinbar grundlos vermöbeln. Es kommt zu einem Täter-Opfer-Gespräch und Vincent wird neugierig. Ist er hier wirklich das Opfer?
Drei Freunde - Ali, Tarek und Vincent. Die drei kommen sich näher. Vincent findet hier mit seinen 14 Jahren etwas was er von zu Hause nicht kennt: echtes Leben. Seine Eltern sind karrieretechnisch auf der Überholspur, haben aber ihr Einzelkind wohlstandsverwahrlosen lassen. Vincent sieht in Tarek und Ali seine Crew.
Diese Geschichte rauscht förmlich auf eine Katastrophe zu. Toll erzählt und mit viel Bedacht formuliert. Spannend ist diese Coming-of-Age Geschichte auch alleine aus dem Grund, dass man in Frage stellen könnte, ob Luca Kieser es zusteht so einen Roman zu schreiben. Viele Klischees schwingen mit, wenn hier über den weißen privilegierten Jungen aus dem Reihenhaus gesprochen wird und den Kindern mit Migrationshintergrund, die im Hochhaus leben. Hierzu ist wohl recht viel an Auseinandersetzung im Bezug auf Rassismus in dieses Roman geflossen, zwei Sensitivity reader haben den Autor beraten. Ein genaues Lektorat und eine lange Auseinandersetzung des Autors mit den pain points. 10 Jahre lang hat Luca Kieser am Roman geschrieben.
Ich finde ihn gelungen.

Bewertung vom 09.02.2025
Ein Liekesch für Jascha
Zaeri-Esfahani, Mehrnousch;Angel, Frauke

Ein Liekesch für Jascha


ausgezeichnet

Was um alles in der Welt ist ein Liekesch? Fragt man sich doch, wenn man diesen Titel liest: „Ein Liekesch für Jascha“. Recht einfach erklärt, denn der kleine Jaša aus Bosnien ist noch nicht so lange in Deutschland, dass er jedes Wort in der Schule versteht und so wird kurzer Hand aus der Bemerkung der Sportlehrerin, dass Jaša ein paar Liegestütze machen soll um die dünnen Ärmchen aufzupeppen: Liekesch. DAS zentrale Element dieser Geschichte. Wo findet man dieses Sportgerät? Richtig, im Sportgeschäft, hier trifft er auf einen jungen Mann, Frank, der scheinbar Rechtschreibschwierigkeiten hat und seiner kürzlich verstorbene Mutter Briefe schreibt. Das eine kommt zum anderen und Frank und Jaša, den man allerdings Jascha ausspricht, haben sich gefunden.
Eine zarte Geschichte über das Leben mit all seinen Hürden die es so mit sich bringen kann. Ohne Belehrung, einfach mit viel Gefühl erzählt. Hier fühlen sich sicherlich viele abgeholt, die sich als defizitär empfinden. Tolle Geschichte und gut geschrieben von dem Duo Mehrnousch Zaeri-Esfahani & Frauke Angel. Wunderbar ist auch die Art wie Franks Briefe inklusive der Rechtschreibfehler (natürlich verbessert!) dargestellt werden. Großartig.
Auch tun die schönen Illustrationen von Barbara Jung natürlich auch noch viel mit dem Text. Beides ergänzt sich sehr gut.
Selbst lesbar ab der 2/3 Klasse. Die Altersangabe an 8 Jahren passt. Vorlesbar auch schon ab der Vorschule.
Fazit: Was ein herzallerliebstes Buch! Muss in alle Kinderzimmer einziehen, weil es nett ist und viel Wärme verströmt.