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Frankfurt

Bewertungen

Insgesamt 758 Bewertungen
Bewertung vom 29.05.2025
Wozu eigentlich Mathe?

Wozu eigentlich Mathe?


sehr gut

Mein Sohn schreibt demnächst eine Mathearbeit – Thema: Primzahlen. 🧠🔢 Beim gemeinsamen Üben sind wir auf dieses Buch gestoßen – und plötzlich war Mathe nicht mehr nur „Pflicht“, sondern richtig spannend! 🤩
„Wozu eigentlich Mathe?“ hat uns beide überrascht: Es ist bunt, anschaulich und zeigt auf tolle Weise, wie Mathe im Alltag steckt – oft ohne dass wir es merken. Ob beim Schätzen von Kugeln in einem Glas, beim Planen von Reisen ✈️, beim Einkaufen 🛒 oder sogar in der Geschichte – dieses Buch verbindet Wissen mit Alltag, Neugier mit Spaß.
Besonders gelungen finde ich die vielen kleinen Aha-Momente 💡: Wie hat man früher ohne die Null gerechnet? Warum sollte man bei einer Spielshow die Tür wechseln? Wie konnte man mit wenigen Daten ganze Bevölkerungen zählen? Mein Sohn war begeistert – und ich gleich mit.
Die Gestaltung ist ein echter Hingucker 🎨: Farbenfrohe Illustrationen, Retro-Stil, übersichtliche Kapitel – und immer wieder „Du bist dran“-Seiten, auf denen man das Gelesene direkt anwenden kann. Super für neugierige Kinder ab 9 Jahren – und ehrlich gesagt auch für Erwachsene, die Mathe früher eher gemieden haben 😉
Fazit: Dieses Buch macht Mathe greifbar, verständlich und – ja! – richtig unterhaltsam. Ein toller Begleiter zum Schulstoff und eine echte Schatzkiste für alle, die Mathe nicht nur lernen, sondern erleben wollen. 🌍📐🧩

Bewertung vom 29.05.2025
Atlas der vom Aussterben bedrohten Sprachen
Schenk, Arnfrid;Schnell, Stefan

Atlas der vom Aussterben bedrohten Sprachen


sehr gut

Angesichts von derzeit noch rund 7000 Sprachen weltweit ist das ein dramatisches Tempo – und es verdeutlicht, wie ernst die Lage ist. Der Atlas der vom Aussterben bedrohten Sprachen von Arnfrid Schenk und Stefan Schnell ist daher mehr als ein schönes Buch: Er ist ein eindringlicher Appell, ein kulturhistorisches Warnsignal und ein sprachwissenschaftlicher Schatz zugleich.
Der Band stellt 50 gefährdete Sprachen vor – von Nordfriesisch und Niedersorbisch in Europa über das indigene Comanche in Nordamerika, das Kayardild in Australien bis zum fast vergessenen Mbugu in Afrika. Darunter finden sich Sprachen mit Begriffen für feinste Geruchsnuancen, mit einzigartigen Raum-Zeit-Konzepten oder Grammatiksystemen, die es so kein zweites Mal gibt. Wirklich sehr sehr beeindruckend!
Besonders berührend: Die Sprache Nyang’i aus Uganda wird heute nur noch von einer einzigen Person gesprochen. Wenn sie stirbt, stirbt auch ihr Wissen, ihre Geschichte, ihre Welt. Ein stilles Drama, wie es sich auf allen Kontinenten abspielt – etwa in Ozeanien, das mit rund 2100 Sprachen der sprachreichste Raum der Welt ist, aber von denen zwei Drittel vom Aussterben bedroht sind.
Nicht zuletzt besticht der Atlas auch gestalterisch: Die Karten, Infografiken und das klare Layout machen komplexe Zusammenhänge sichtbar und begreifbar. Begleitende Essays erklären nicht nur, warum Sprachen verschwinden – sie zeigen auch, wie sie gerettet werden können. Ob durch Community-Projekte, digitale Initiativen oder Rückbesinnung auf kulturelle Wurzeln – es gibt Hoffnung.
Fazit:
Der Atlas der vom Aussterben bedrohten Sprachen ist ein faszinierendes, liebevoll gestaltetes Buch, das Augen öffnet und Herzen erreicht. Er macht deutlich: Sprache ist mehr als Kommunikation – sie ist gelebte Kultur, Identität und ein unersetzliches Gut. Ein Must-Read für alle, die unsere Welt in ihrer Vielfalt bewahren wollen.

Bewertung vom 27.05.2025
Die Windmacherin
Lunde, Maja

Die Windmacherin


ausgezeichnet

Es beginnt mit salziger Luft. Mit einem Jungen, der zum ersten Mal wieder das Meer riecht. Der Wind fährt ihm durchs Haar, während die Fähre ihn auf eine abgelegene Insel bringt – weit weg von Trümmern, Sirenen und der Angst. So beginnt der Sommer von Tobias, elf Jahre alt, still geworden nach einem Krieg, der ihm zu viel genommen hat.
Die Windmacherin, der dritte Band in Maja Lundes Jahreszeitenquartett, führt uns in die warmen Monate – doch es ist kein fröhlich-leichtes Sommerbuch. Wie schon in Die Schneeschwester und Die Sonnenwächterin verwebt Maja Lunde auch hier Kindheit mit Tiefe, Schmerz mit Hoffnung, Fantasie mit Realität.
Tobias soll sich erholen. Statt Ferienidylle findet er sich bei der wortkargen Lothe wieder, einer Fischerin mit verhärmtem Blick und verschlossenen Türen. Es dauert, bis Tobias erkennt, dass auch Lothe Narben trägt – und dass diese Insel mehr verbirgt, als sie zeigt. Alte Kinderzeichnungen, ein verlassenes Leuchtturmhaus und die Geschichte einer zerbrochenen Freundschaft ziehen ihn langsam hinein in ein leises Abenteuer – und in ein Erinnern, das heilt.
Maja Lundes Sprache ist schlicht, aber eindringlich. Sie schreibt mit großer Zärtlichkeit über schwere Themen: Trauma, Verlust, Sehnsucht, das Überleben nach dem Überleben. Und wieder ist es Lisa Aisato, deren Illustrationen diese Geschichte tragen, erweitern, vertiefen. Manche Bilder sind so intensiv, dass sie den Text für einen Moment überstrahlen. Oder besser: zum Leuchten bringen. Die emotionale Wucht ihrer Bilder ist kaum in Worte zu fassen – sie sind bewegende Begleiter, Stimmungsbilder, Kunstwerke.
Besonders ist auch das Format: ein hochwertiges, großformatiges Buch, das man gerne verschenkt, gemeinsam anschaut, langsam liest. Es lädt zum Innehalten ein – und ist dabei alles andere als kitschig!!!
Die Windmacherin ist ein Buch für Kinder ab etwa 10 Jahren – aber auch für Erwachsene, die wissen, wie viel Kinder aushalten (müssen) und wie viel Literatur heilen kann. Es erzählt davon, dass man weitergehen kann. Dass es Menschen gibt, die helfen. Und dass auch nach dunklen Zeiten ein Sommer kommt, der etwas in Bewegung bringt – ganz leise, wie der Wind.

Bewertung vom 26.05.2025
Salads every day
Zaslavsky, Alice

Salads every day


sehr gut

Ich hätte nie gedacht, dass ein Salatkochbuch mir so viel Freude bereiten würde – aber Salads Every Day von Alice Zaslavsky hat mich komplett begeistert. Ich habe schon einige Rezepte ausprobiert – und jedes einzelne war ein Volltreffer! Besonders der Honig-Süßkartoffel-Risoni-Salat mit mariniertem Feta hat es mir angetan – warm, sättigend, aromatisch… einfach himmlisch.
Was dieses Buch so besonders macht, ist seine unglaubliche Vielfalt: Von schnellen Feierabendgerichten bis zu echten Highlights für die Grillparty oder den gemütlichen Couchabend ist alles dabei – und zwar in warm und kalt! Salat ist hier keine Beilage, sondern der Star auf dem Teller.
Alice Zaslavsky schreibt so charmant, liebevoll über Essen, dass man sich beim Lesen fast wie in einem kleinen Küchengespräch mit ihr fühlt. Die Texte machen Lust aufs Kochen, man merkt, dass die Autorin ihre Gerichte wertschätzt, das macht dieses Buch so sympathisch und lebendig.
Ich schätze besonders das praktische Gemüse-Register: Es hilft mir oft, mit dem, was gerade im Kühlschrank liegt, spontan etwas zu zaubern. Dazu kommen über 80 Dressings, die man herrlich kombinieren kann – da wird wirklich fast (!) jeder Tag zum Salattag!
Vor allem, wenn man die Ansage hat, dass es abends weniger Brot sein muss, ist man hier richtig.
💚 Fazit: Ein Muss für alle, die Salat lieben – oder ihn dank dieses Buchs endlich lieben lernen wollen!

Bewertung vom 26.05.2025
Tiny House
Wurmitzer, Mario

Tiny House


sehr gut

Tiny Houses versprechen ein Leben im Kleinen mit großem Glück. Doch was, wenn der reduzierte Lebensstil zur Kulisse einer Dauerperformance wird – und das Wohnen selbst zur Ware? Mario Wurmitzers neuer Roman nimmt diesen Trend zum Anlass für eine herrlich schräge, satirisch überdrehte Geschichte über Überwachung, Entfremdung und den absurden Wunsch nach Selbstverwirklichung im Zeitalter von Likes und Livestreams.
Im Zentrum steht Emil – ein stiller, passiver Held, der sich durch wechselnde Wohn- und Arbeitsverhältnisse treiben lässt, irgendwo zwischen Digital Detox und Dauerperformance. Die Welt um ihn herum gerät immer wieder ins Kippen: Häuser brennen, die Realität wird zur Fassade, und zwischen Bewerbungsgesprächen und Firmenesoterik blitzt der Irrsinn unserer Gegenwart auf.
Wurmitzer gelingt es mit erstaunlicher Leichtigkeit, das Groteske und das Tragische miteinander zu verweben. Sein Humor ist trocken, seine Sprache pointiert – und genau darin liegt die Kraft dieses kurzen, aber intensiven Romans. Die Handlung folgt keiner klassischen Logik, sondern wirkt wie ein Stream aus zufälligen Begegnungen, absurden Wendungen und immer wieder kleinen Momenten der Klarheit. So entsteht das Bild eines Lebens, das sich zwischen Anpassung und Auflehnung verheddert hat – und das doch nicht ganz aus der Bahn gerät.
Tiny House ist keine Wohnutopie und keine klassische Gesellschaftssatire. Es ist vielmehr eine fein austarierte Farce über das Lebensgefühl einer Generation, die gleichzeitig nach Rückzug und Sichtbarkeit, nach Bedeutung und Ruhe sucht – und dabei in den Widersprüchen der Zeit festhängt.
Fazit:
Ein witziger, intelligenter Roman über das große Chaos im kleinen Raum. Wurmitzer schreibt klug und komisch über das Wohnen, das Arbeiten und das Suchen – und trifft dabei erstaunlich oft den wunden Punkt. Ein lesenswerter Roman für alle, die sich manchmal fragen, ob das Leben nicht längst selbst eine Inszenierung geworden ist.

Bewertung vom 24.05.2025
Daily Soap
Osagiobare, Nora

Daily Soap


ausgezeichnet

Nora Osagiobare hat mit Daily Soap einen literarischen Coup gelandet: einen Roman, der nicht nur bitterböse und blitzgescheit, sondern auch radikal gegenwärtig ist. Was auf den ersten Blick wie eine locker-leichte Satire wirkt, entpuppt sich als messerscharfe Gesellschaftsanalyse mit maximalem Unterhaltungswert – ein echter page-turner mit Haltung.
Im Zentrum steht Toni – eine Schwarze Frau in der Schweiz, deren Hautton die Behörden liebevoll mit „Cappuccino Macchiato, serviert an einem lauen Novemberabend in Sri Lanka“ kategorisieren. Klingt absurd? Ist es auch – und genau das ist der Punkt. Osagiobare deckt in jedem Satz auf, wie tief Rassismus, Mikroaggressionen und Exotisierungsfantasien in der sogenannten Normalität verankert sind. Tonis Leben ist ein täglicher Spießrutenlauf zwischen strukturellem Ausschluss, familiärem Irrsinn und Kopfschmerzen, die vielleicht mehr sind als nur medizinisch erklärbar.
Parallel läuft der zweite Handlungsstrang: Ein gutbürgerliches Unternehmen wird durch einen Rassismus-Shitstorm aus dem neoliberalen Himmel geholt und beschließt – völlig ironiefrei – eine Reality-Show mit Schwarzen Protagonist:innen zu produzieren, um sich reinzuwaschen. Was sich daraus entspinnt, ist ein herrlich groteskes Panoptikum medialer Selbstinszenierung, performativer Antirassismus-Kampagnen und kolonialer Denkmuster im neuen Gewand. Wer glaubt, Kapitalismus und „Diversity“ seien versöhnbar, wird hier mit Stil und Schmackes eines Besseren belehrt.
Was Daily Soap so besonders macht, ist Osagiobares Sprachkunst: Jede Zeile sitzt, jeder Seitenhieb trifft – und zwar dort, wo es wehtut. Ihr Ton ist gleichzeitig rotzig und verletzlich, ihr Humor so präzise wie entlarvend. Sie schreibt mit einer Haltung, die sich nie anbiedert, sondern konsequent von unten, von der Seite, aus der Erfahrung der Marginalisierten erzählt. Dabei gelingt ihr das Kunststück, sowohl wütend als auch verspielt, melancholisch wie überdreht zu sein – eben genau so wie eine gute Daily Soap: voller Drama, Intrige, Chaos, aber mit Substanz.
Und ja – diese Geschichte hat Tiefe. Die Familiengeschichten, die Osagiobare erzählt, sind schrill und voller Absurditäten, aber sie bleiben nie bloß Karikaturen. Sie sind durchzogen von Fragen nach Zugehörigkeit, Identität, Entfremdung und Nähe – verpackt in popkulturellen Referenzen, feministischen Verweisen und einem Bewusstsein dafür, dass persönliche Geschichten immer auch politisch sind.
Fazit:. Eine literarische Watsche für alle, die immer noch glauben, Rassismus sei ein Einzelfall oder Humor könne nicht politisch sein. Osagiobare führt uns durch einen absurden Spiegelkabinettstaat, der unsere Welt erschreckend genau abbildet – und dabei so unterhaltsam ist, dass man erst beim Lachen merkt, wie sehr es brennt.
Wild und wahnsinnig gut – unbedingt lesen.

Bewertung vom 24.05.2025
dreimeterdreißig
Scheiber, Jaqueline

dreimeterdreißig


ausgezeichnet

dreimeterdreißig ist ein absolut beeindruckendes Debüt – ein Roman, der tief ins Herz trifft und uns, die Leserschaft, nicht mehr loslässt. Jaqueline Scheiber erzählt hier von einem ungleichen Paar, Klara und Balázs, das gerade dabei ist, sich in einer Wiener Altbauwohnung mit den hohen, fast majestätischen drei Meter dreißig hohen Wänden ein gemeinsames Leben aufzubauen. Doch was folgt, ist eine einzige Nacht, die alles verändert – eine Nacht, die mit einem Schlag das Leben zum Stillstand bringt und Klara vor die existenziellen Fragen von Liebe, Verlust und Erinnerung stellt.
Dieses Buch ist mehr als nur eine Geschichte über Liebe – es ist ein schmerzhaft schönes, poetisches Kammerspiel, das zwischen Vergangenheit und Gegenwart wechselt und so die innersten Gefühlswelten der Figuren erschließt. Scheiber zeigt uns, wie zerbrechlich und doch unendlich kraftvoll Liebe sein kann. Ihre Sprache ist dabei zart, brutal und gleichzeitig meisterhaft konstruiert – jede Seite pulsiert vor emotionaler Tiefe.
Was dreimeterdreißig so besonders macht, ist der intensive Blick auf zwei so unterschiedliche Lebensgeschichten: Klara, die aus einem wohlhabenden, behüteten Umfeld kommt, und Balázs, der mit einer ganz anderen, geprägt von Erinnerungen an Ungarn und den Nachwirkungen der kommunistischen Vergangenheit aufwächst. Durch diese Kontraste entsteht eine feinsinnige Erzählung, die auch subtil Gesellschaftliches und Klassismus beleuchtet, ohne dabei jemals belehrend zu wirken.
Die Autorin nimmt uns mit auf eine Reise durch das Zusammenspiel von Erinnerung und Gegenwart, von Glücksmomenten und Schmerz, die das Ende einer Liebe unvermeidlich machen. Man spürt förmlich das knarzende Parkett, die offenen Flügeltüren und das leise Ticken der Uhr, während Klara verzweifelt versucht, die Zeit anzuhalten oder zumindest das Unvermeidliche zu verstehen.
Ein weiteres besonderes Highlight ist der wunderschöne, kunstvoll gestaltete Farbschnitt des Buches, der nicht nur optisch überzeugt, sondern auch die emotionale Atmosphäre des Romans unterstreicht – eine perfekte Symbiose von Inhalt und Design, die zeigt, wie viel Liebe zum Detail hier steckt. Dass dieses außergewöhnliche Werk beim renommierten, kleinen österreichischen Leykam Verlag erschienen ist, unterstreicht deren exzellentes Gespür für literarische Perlen, die man nicht verpassen darf.
Für alle, die sich auf eine tiefgründige, literarisch kunstvolle Reise einlassen wollen, ist dreimeterdreißig ein absolutes Muss. Ein Buch, das erdet und gleichzeitig schwerelos macht, das mit jeder Seite mehr berührt und mit seinem vielschichtigen Psychogramm von Klara und Balázs nachhallt.
Mein Fazit: dreimeterdreißig ist ein kraftvolles, berührendes und sprachlich meisterhaftes Romandebüt, das von einer Liebe erzählt, die nicht endet, auch wenn das Leben es tut. Ein wunderschön gestaltetes Buch, das man am liebsten mit der Hand auf dem Herzen liest – und das einen lange begleitet. Absolute Leseempfehlung!

Bewertung vom 21.05.2025
Sommer ohne Plan
Swanberg, Johanna

Sommer ohne Plan


ausgezeichnet

Sommer ohne Plan ist genau das Gegenteil von planlos – Johanna Swanberg gelingt mit ihrem Debütroman ein durchkomponierter, pointierter und zugleich tief berührender Sommerroman, der Witz und Wärme gekonnt verbindet. Ein klarer, lebendiger Stil, schräge, aber glaubwürdige Figuren und ein feines Gespür für zwischenmenschliche Zwischentöne.
Swanbergs Stil ist leicht, dialogreich und gespickt mit liebevollen Details. Sie schreibt mit Augenzwinkern, aber ohne ihre Figuren bloßzustellen. Vielmehr begegnet sie ihnen mit Wärme und Verständnis. Ihre Sprache ist alltagstauglich und direkt, aber immer wieder überraschend – sei es durch eine absurde Wendung oder eine scharf beobachtete Pointe. Dabei wirkt der Ton nie bemüht humorvoll, sondern fließt natürlich aus den Eigenheiten der Figuren.
Ich muss auch die tolle Übertragung aus dem Schwedischen loben von Nina Hoyer. Sie hat den Text toll in ein lesbares Deutsch übertragen und man könnte meinen es ist auf Deutsch erschiene!
Im Mittelpunkt steht Cassie, die sich – urplötzlich Alleinerbin eines Hauses – in einem kleinen, sehr eigenwilligen Dorf wiederfindet. Die Begegnungen mit den Dorfbewohnern sind herrlich skurril: Da ist die Nachbarin, die zu viel weiß, ein Bürgermeister mit Mission und ein charmant-schrulliger Handwerker. Aus dem Kontrast zwischen Cassies anfänglicher Überforderung und dem seltsamen Charme der Dorfgemeinschaft entsteht ein fein gezeichneter, tragikomischer Sog.

Fazit:
Sommer ohne Plan ist ein klug erzählter Wohlfühlroman mit eigenem Ton, der nicht ins Kitschige abgleitet, sondern mit einer sympathisch schrägen Erzählwelt überzeugt. Ideal für Leserinnen und Leser, die humorvolle Romane mit Herz suchen.

Bewertung vom 21.05.2025
Das Haus der Türen
Eng, Tan Twan

Das Haus der Türen


ausgezeichnet

Als jemand, der asiatische Literatur sehr schätzt, war Das Haus der Türen von Tan Twan Eng für mich eine rundum gelungene Lektüre. Der Roman überzeugt mit einer durchdachten Struktur, vielschichtigen Figuren und einer Sprache, die ruhig und atmosphärisch ist, ohne je ins Pathetische zu kippen. Wirklich gut!
Die Handlung spielt vor der Kulisse des kolonialen Malaysia der 1920er Jahre. In den Mittelpunkt stellt der Autor Lesley Hamlyn, eine Frau der britischen Kolonialgesellschaft, deren Leben durch den Besuch des bekannten Schriftstellers W. Somerset Maugham eine unerwartete Wendung nimmt. Zwischen ihr und Maugham entsteht ein vorsichtiges Vertrauensverhältnis, in dem sie beginnt, über persönliche Erlebnisse und ihre Vergangenheit zu sprechen – darunter eine Beziehung die etwas heikel ist sowie eine Verwicklung in einen Mordfall (der wohl auf realen historischen Ereignissen basiert).
Tan Twan Eng gelingt es, historische Fakten, politische Umbrüche und persönliche Schicksale sehr präzise miteinander zu verknüpfen. Besonders interessant fand ich, wie das koloniale Machtgefüge, gesellschaftliche Rollenbilder und die eingeschränkten Handlungsspielräume von Frauen thematisiert werden. Geschichtlich spannend für mich.
Auch stilistisch hat der Roman überzeugt: Die Sprache ist klar, stellenweise poetisch, aber nie überladen. Die Beschreibungen der tropischen Landschaft, des Lichts, der Geräusche – all das schafft eine stimmige Atmosphäre, die sich gut mit der inneren Welt der Figuren verbindet. WOW! Lesley ist keine idealisierte Figur, sondern glaubwürdig gezeichnet – mit inneren Widersprüchen, Unsicherheiten und leisen Formen von Widerstand.
Erwähnenswert ist auch der literarische Kunstgriff, Somerset Maugham als Figur einzubauen. Er bleibt distanziert, aber aufmerksam, und dient gewissermaßen als Katalysator für die Erzählung – auch das sehr gelungen umgesetzt.
Nicht alle Handlungsstränge fand ich gleich spannend, manche Themen hätten für meinen Geschmack etwas gestraffter sein können. Dennoch überwiegt am Ende ein sehr positives Gesamtbild: ein Roman mit Tiefe, guter Beobachtungsgabe und einer historischen wie emotional glaubwürdigen Erzählweise.
Fazit: Das Haus der Türen ist ein ruhiger, intelligenter Roman mit gesellschaftlichem und politischem Hintergrund, gut eingebettet in eine persönliche Geschichte. Für Leserinnen und Leser mit Interesse an südostasiatischer Geschichte, britischer Kolonialzeit und fein erzählten Figurenbeziehungen absolut empfehlenswert.

Uneingeschränkte Empfehlung.

Bewertung vom 20.05.2025
Wut und Liebe
Suter, Martin

Wut und Liebe


ausgezeichnet

Was haben ein mittelloser Künstler, eine karrierebewusste Buchhalterin und eine wohlhabende, alte Dame gemeinsam? Auf den ersten Blick nichts – doch in Martin Suters neuem Roman Wut und Liebe kreuzen sich ihre Lebenswege in einer Geschichte über emotionale Abhängigkeiten, moralische Abgründe und die verzweifelte Suche nach Kontrolle über das eigene Leben.
Noah ist Anfang dreißig, ein Maler mit Talent, aber ohne wirtschaftlichen Erfolg. Seine Freundin Camilla – Buchhalterin, rational, zukunftsorientiert – trägt die finanzielle Last der Beziehung. Als sie sich trennt, wirkt es wie eine kluge Entscheidung: „Ich liebe dich, aber nicht das Leben mit dir.“ Eine nüchterne Trennung – oder doch eine Flucht vor einem Leben, das nicht den Erwartungen entspricht?
Was folgt, ist keine klassische Liebesgeschichte. Es ist vielmehr ein Roman über das, was nach dem Liebes-Aus bleibt: Wut, Leere, der Drang, sich zu beweisen – und eine fast groteske Hoffnung, durch materielle Sicherheit die Liebe zurückzugewinnen. Genau an diesem Punkt tritt Betty Hasler auf den Plan. Alt, scharfzüngig und reich, bietet sie Noah einen „Deal“ an, der auf Rache basiert – und auf ein Millionenvermögen. Moralisch fragwürdig? Absolut. Doch Suter macht deutlich: In der Grauzone zwischen verletzter Würde und menschlichem Verlangen gibt es selten eindeutige Entscheidungen.
Was Suter in diesem Roman wieder mal gelingt, ist die Balance zwischen psychologischer Tiefe und leichter, eleganter Erzählweise. Die Figuren wirken nie wie Stereotype – oft verwirrend, manchmal töricht, aber immer nachvollziehbar in ihren Widersprüchen. Besonders Noah, der zwischen Hilflosigkeit, kreativer Sehnsucht und wachsender Wut schwankt, entwickelt sich im Laufe der Geschichte zu einer tragischen Figur – nicht, weil er scheitert, sondern weil er glaubt, mit dem richtigen Einsatz die Liebe zurückkaufen zu können.
Auch Camilla ist mehr als nur die „kalte Berechnende“. Im zweiten Handlungsstrang gewinnt sie an Profil, versucht sich selbst zu behaupten – und verfängt sich dabei in einer eigenen Spirale aus Täuschung, Ernüchterung und Selbstinszenierung. Das Besondere: Auch sie wird von ihrer Version der Liebe angetrieben, aber in einer ganz anderen Tonlage als Noah.
Zwischen den Kapiteln entfaltet sich allmählich ein Beziehungs- und Gesellschaftsdrama, das sich gegen Ende zu einem fast thrillermäßigen Wirtschaftskrimi zuspitzt. Mit einem Gespür für Tempo und Timing lässt Suter die Handlung Fahrt aufnehmen, verwebt Kunstwelt mit Finanzskandalen, persönliche Niederlagen mit struktureller Ungerechtigkeit. Und dabei bleibt stets die titelgebende Ambivalenz: Wut und Liebe – beide Gefühle bedingen einander, nähren sich gegenseitig, fließen ineinander über.