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Benutzername: 
Emma Peters
Wohnort: 
München

Bewertungen

Bewertung vom 27.01.2020
Was wir zu hoffen wagten
Saalfeld, Michaela

Was wir zu hoffen wagten


ausgezeichnet

Der Roman „Was wir zu hoffen wagten“ spielt etwa zur gleichen Zeit vor und während des 1. Weltkrieges wie „Vergiss das mit der Liebe“ von Emma Peters. Auch hier geht es um eine junge Frau und ihre Familie, nur stammt diese aus Berlin, nicht dem Ruhrgebiet und trägt einen Adelstitel, keine Kittelschürze. Wer „Vergiss das mit der Liebe“ mit Vergnügen gelesen hat, dem könnte auch Michaela Saalfelds Roman gefallen – und natürlich umgekehrt.
Die Protagonistin, die strenge, unkonventionelle Felice, älteste von drei Geschwistern, will nicht nur Jura studieren, sondern auch in den Referendardienst eintreten, gut genug ist sie allemal. Die Zulassung dazu wird ihr allerdings – weil Frau – verwehrt. Ihr Bruder Willi träumt vom Film und fällt durchs Abitur und die jüngste Schwester Ille betet Felice an, geht ihr jedoch nur auf die Nerven. Die Wege, die sie jeweils wählen, um die ihnen gesetzten Grenzen zu sprengen, sind unbefriedigend und zum Scheitern verurteilt. Dann kommt der Krieg, und die Karten werden neu gemischt.
Als Historikerin ist Michaela Saalfeld hervorragend gerüstet, die großen politischen und militärischen Ereignisse anhand vieler kleiner Details zu illustrieren. Sehr glaubhaft sind die Charaktere in der ausgehenden wilhelminischen Zeit verwurzelt, das Zusammenspiel von historischen Fakten und interessanten Charakteren gelingt. Unbedingt will man das Schicksal der Geschwister und der Menschen, die sie lieben weiterverfolgen und keine der Beziehungen ist unkompliziert.
Die Antagonisten, alte weiße Männer, die sich an ihrer Macht festhalten, sind es, die den furchtbaren Krieg vom Zaun brechen und weit über die Grenze des erträglichen aufrechterhalten. In den Personen von Benno und Berndt erhalten sie ein Gesicht, dass der Leser gerne verabscheut.
Die Marotten der Oma Hertha und der ironische Ton von Quintus Quirin liefern ein humorvolles Gegengewicht zu den gewichtigen Fragen der Handlung.
Patriarchat und Emanzipation, alter Ehrenkodex und moderne Technik, Loyalität und Verrat prallen an allen Ecken aufeinander. Glückliche und unglückliche Zufälle, kluge und weniger kluge Entscheidungen führen zu einer Reihe von unerwarteten Wendungen.
Allein die Frage, wie sich der unrealistische Wunsch, Juristin zu werden, wohl verwirklichen lässt, baut von Anfang an Spannung auf. Das mehrmals verwendete Element einer Frau zwischen zwei Männern sorgt ebenfalls für schwierige Entscheidungen mit ungewissem Ausgang und dann ist da ja noch die Todesgefahr, zu Hause und an der Front. So bleibt es bis zur letzten Seite ungewiss, ob der Leser das Buch am Ende zufrieden zuschlagen kann.
Besonders gefallen haben mir die Szene am Theater, Quirins charmante Art und Mos Briefe von der Front. Schön fand ich Sätze wie:
"Kinder wollen geliebt werden, junge Erwachsene vor allem verstanden"
"Unter dem ganzen Haufen neuer Wunderwaffen, die in diesen Krieg geschleppt werden, ist Film die wirksamste“.
Stellenweise, vor allem am Anfang ist die Distanz zum Leser noch groß, erst im zweiten Teil taucht man richtig in die Gefühlswelt der Charaktere ein. Wer diese Mischung aus Eintauchen in eine andere Zeit und Mitfühlen mit der Protagonistin zu schätzen weiß, dem wird „Was wir zu hoffen wagten“ sicher Freude bereiten.

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