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Benutzername: 
Yasmin
Wohnort: 
Stuttgart

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Bewertung vom 24.07.2018
Die Schulter des Riesen
Rauhenberg, Raffael

Die Schulter des Riesen


ausgezeichnet

Auf dem Cover: ein orientierungsloser Mann vor einer städtischen Straße, eine wunderschöne, in Gold gehaltene alte Grafik des Sternbildes Orion schwebt dominierend über der Szene, der Titel: geheimnisvoll, dann der Klappentext: sehr vielversprechend...

Meine Erwartungen wurden dennoch weit übertroffen!

Gregor, die tragende Figur des Romans, ist ein Liebhaber der schönen Dinge, ein Ästhet und Kunstkenner der seine Umwelt wie ein sich stets wandelndes Kunstwerk empfindet: "Die Wände des Flurs rahmten ihre Gestalt ein, und mit ihrer gelblich grauen Haut und den großen dunklen Feldern unter den Augen glich sie einer von Rosso Fiorentinos abartigen Madonnen.", "Selbst Egon Schiele hätte ihn nicht hässlicher malen können.", "Rührte sich nicht mehr, und wurde für Sekunden zum Teil einer grausigen, fotorealistischen Kunstinstallation."

Sein Hang zur Unbeherrschtheit ist der Auslöser für eine tragische Kettenreaktion die Gregor unaufhaltsam und unerbittlich buchstäblich an den Abgrund führt.

In beklemmender Intensität schildert der begnadete Autor Raffael Rauhenberg, Gregors Desaster in all seinen Facetten und lässt den Leser
in die Abgründe menschlicher Existenz blicken.

Köstlich und metaphorisch ist Gregors Abscheu gegen die moderne Architektur die er als seelenlos, tot und steril wahrnimmt: "Jenseits dieses Schmuckkästchens wütete die Moderne, lag das Skizzenbuch der ästhetisch Desorientierten offen da. Schon auf dem Nachbargrundstück ein Dutzend schmale, schräggestellte Blocks, ein Arrangement, so originell und lebendig wie eine Kompanie geklonter Soldaten, eingefroren im Links-um.", während ihm der Jugendstil lieb ist, Lebendigkeit, Wärme und Bewegung verkörpert.

Raffael Rauhenberg hat mit seinem brillanten Werk das Paradoxon vollbracht Hässlichkeit schön darzustellen, mit Worten wahre Kunstwerke zu erschaffen, mit zärtlicher Poesie voller Melancholie den sonst in seiner Gnadenlosigkeit fast nicht zu ertragenden Inhalt in einen wunderbaren und fesselnden Lesegenuss zu verwandeln.

Schade, dass man nur fünf Sterne vergeben kann!