Wien - Stadtabenteuer Reiseführer Michael Müller Verlag

ausgezeichnet

Judith Weibrecht hat sich ja schon lange einen Ruf und eine treue Lesergemeinde erworben als engagierte Reisejournalistin, spezialisiert auf nachhaltige Genussreisen und ökologisch einwandfreie Fahrradtouren, die sie in der ihr eigenen frischen und lebendigen Sprache schildert - unprätentiös, nachdenklich und immer ganz nah dran. Auf ihr etwas anderes Wien-Buch durfte man also gespannt sein.

Immerhin geht es hier um die lebenswerteste Stadt Europas, wenn man den Umfragen und Touristenzahlen trauen darf. Aber ist denn nicht über das charmante Wien schon alles, aber auch wirklich alles geschrieben worden, was nur irgendwie der Erwähnung wert ist? Durchaus nicht! Das zeigt schon der erste Überblick über die von der Autorin behandelten Themen. Sie führt uns bevorzugt dorthin, wo wir alleine wohl nicht so schnell hingeraten würden: hinter die Kulissen des Burgtheaters, ins nächtliche Museum, in Keller und Katakomben ... aus denen wir dann wieder auftauchen, um durch die Straßen zu bummeln und uns den ganz irdischen (wenn auch nicht alltäglichen) Genüssen zu widmen.

Was ich als Wien-Fan an dem Buch besonders mochte: Ganz klar wird beim Lesen, dass Weibrecht ihre Eindrücke nicht irgendwo abgeschrieben hat, es sind keine Aufgüsse aus zweiter Hand. Sie war dort, hat sich gründlich umgeschaut, mit Leuten gesprochen und Spuren verfolgt, und das sicherlich mehr als einmal. Nur wenn sich jemand richtig reinkniet, kann ein solches Ergebnis zustandekommen. Gerade wenn man meint, dass man schon alles kennt und gelesen hat, stößt man beispielsweise auf eine Stadtführung durch Obdachlose, die zwangsläufig einen ganz anderen Blick auf die Fassaden haben. Aha-Effekt! Mit ihrer charakteristischen Offenheit und respektvollen Sensibilität vermag die Autorin auch bei solchen Begegnungen den rechten Ton zu treffen.

So werden in den acht Kapiteln alle Bezirke durchforscht und präsentiert, man glaubt beim Lesen mit einer Freundin gemeinsam unterwegs zu sein. Eine sehr vergnügliche, aber auch zum Nachdenken anregende Lektüre. Ich habe mir jedenfalls eine Liste gemacht, was ich mir beim nächten Wienbesuch unbedingt noch anschauen will.

Natürlich kommt alles locker-flockig im Plauderton daher, das ist wohl vom Verlag für die Reihe der "Stadtabenteuer" so gewünscht - und auch bestimmt nicht verkehrt. Dennoch entsteht der Eindruck, dass Judith Weibrecht noch sehr viel mehr zu erzählen und zu sagen hätte, sie muss sich offenbar manchmal mit Blick auf die Seitenzahlen fast gewaltsam ausbremsen. Man wünscht sich unwillkürlich mehr "Zusammenhängendes" aus ihrer Feder, vielleicht mal in einem Buchformat, das ihrem Gedankenfluss nicht so enge Grenzen setzt. Trotzdem sind die fünf Sterne für den vorliegenden Band inhaltlich wohlverdient. Auch das Preis-/Leistungsverhältnis stimmt. Also: klare Kaufempfehlung für alle Wien-Freunde - und solche, die es werden wollen!

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