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Benutzername: 
Marie
Wohnort: 
Falkensee

Bewertungen

Insgesamt 28 Bewertungen
Bewertung vom 17.07.2023
Zwischen Himmel und Erde
Rodrigues Fowler, Yara

Zwischen Himmel und Erde


schlecht

Die brasilianische Doktorandin Catarina entstammt einer politisch einflussreichen Familie und zieht zwecks ihres Studiums nach London. Hier kommt sie in einer WG unter, in welcher sie auf ihre Mitbewohnerin Melissa stößt. Diese widerum ist in einer sozial schwachen Gegend Londons aufgewachsen, doch merken beide schnell, dass vor allem ihre Wurzeln sie verbinden. Denn auch Melissas Vorfahren mütterlicherseits stammen aus Brasilien, nur sie selbst hat ihre britische Heimat nie verlassen und weiß auch nicht viel vom Leben ihrer früh verstorbenen Mutter in Brasilien. Es ist 2016, beide Länder befinden in Zeiten politischer Umbrüche sowie gesellschaftlicher Spannungen. Im Vereinigten Königreich löst das Votum zum Brexit eine Welle politischer Erdbeben aus, und auch Brasilien kommt aufgrund andauernder Proteste gegen die politische Führung nicht zur Ruhe. Melissa und Catarina sind selbst beide politisch interessiert und aktivistisch unterwegs, darin bestrebt, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Der Klappentext klingt so vielversprechend und auch das vielfältige Themenpotpourri, in das die Geschichte eingebettet ist, ist sehr spannend. Man erfährt einiges über die britische sowie vor allem über die brasilianische Zeitgeschichte: politische Unruhen, Putschversuche, Kolonialismus. Aber der Schreibstil hat leider alles verhagelt. Fowler verliert sich in ihrer Geschichte häufig in Belanglosikeiten. Die Art des Schreibens ist sehr artifiziell, experimentierfreudig und zeichnet sich durch einen überwiegend fragmentarischen Charakter aus. Eine sehr gewundene, ausufernde und unstringente Erzählweise, die irgendwie auf kein Ergebnis kommt - kann man mögen, aber ich hab einfach nicht verstanden, wie dieses Buch funktioniert und worauf es hinauslaufen soll.
Nicht jedes Buch muss Spaß machen, aber dieses war leider überhaupt nichts für mich. Ich habe das Buch in seiner Quintessenz schlichtweg nicht verstanden, weshalb ich irgendwann den Faden komplett verloren habe und es nach der Hälfte erleichtert abgebrochen habe. Ein Buch, das keinen Spaß gemacht hat und eher einer formalen Achterbahnfahrt glich, keine Empfehlung.

Bewertung vom 04.05.2023
Das Café ohne Namen
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen


ausgezeichnet

Es sind die 1960er-Jahre in Wien. Zeit und Gesellschaft sind geprägt von einer merkbaren Aufbruchstimmung, die aus dem noch gar nicht mal allzu fernen Ende des Krieges resultiert. Am Karamelitermarkt erfüllt auch Robert Simon sich seinen Traum: er bricht aus seinem Alltag als Gelegenheitsarbeiter am Markt aus und pachtet das örtliche Café am Rand des Marktes. Schnell etabliert es sich zum Treffpunkt der Arbeiter des Viertels und sonstigen Flaneuren auf der Suche nach Gesellschaft. Fortan beobachtet Robert als neuer Gastwirt die Menschen bei Kaffee, Bier und Schmalzbrot, bei Tag sowie bei Nacht, schnappt ihre Geschichten auf über Glück, Träume, das Leben und die Vergänglichkeit im Wandel der Zeit.

Der Roman war mein erster Seethaler, aber mir hat die warme, heimelige und doch zugleich sehr seichte Art des Erzählens von Beginn an sehr gut gefallen. Die Geschichte ist aus dem Alltag gegriffen und thematisch passiert gar nicht mal allzu viel, und dennoch verströmt das Werk einen sehr behaglichen, stillen und angenehmen Flair. Mit Robert Simon hat Seethaler einen komplett umgänglichen Protagonisten erschaffen, der wirklich sympathisch daherkommt und in den man sich prima einfühlen kann. Ich habe mich sehr wohlgefühlt in der Geschichte und hatte einige sehr schöne Lesestunden. Es wird ganz sicher nicht das letzte Buch sein, das ich von ihm gelesen habe!

Bewertung vom 04.05.2023
Es war einmal in Brooklyn
Atlas, Syd

Es war einmal in Brooklyn


gut

Wir schreiben das Jahr 1977. Brooklyns Bewohner ächzen unter einer enormen Hitzewelle, die der Stadt die Luft abschnürt. Darunter befinden sich auch Juliette und David, beide 17 Jahre jung und schon seit frühester Kindheit beste Freunde. Eben noch waren sie unzertrennlich, doch in diesem Sommer liegt Veränderung in der Luft. David lebt seit einer Weile mit der Diagnose Leukämie und in dem Wissen, dass ihm nicht mehr viel Lebenszeit bleibt. Er steht total auf Juliette und will endlich sein Liebesleben in Angriff nehmen. Juliette steht kurz vor dem College und will dahingehend sogar fortziehen, doch vorher will auch sie noch die Liebe entdecken - nur eben nicht mit David. Aber dann gehen die Lichter aus: New York wird von einem 25-stündigen Blackout ins Chaos gestürzt - und das Leben von Juliette und David gleich mit.

"Es war einmal in Brooklyn" ist ein gar allzu typischer Coming-of-Age-Roman, der neben Freundschaft und dem ersten Mal Verliebtsein auch schwere Themen behandelt. So geht es um den Umgang mit einer schweren Krankheit und die Sorge um die abzählbar kurze Lebenszeit. Von Seiten Juliettes geht es überdies hinaus um körperliche Gewalt und psychologische Gesundheit. Im Allgemeinen sind das keine neuen Themen, die nicht schon unzählige Male in der Adoleszenzliteratur abgehandelt worden sind. Leider werden diese Themen hier aber nur sehr lakonisch behandelt. Auch die Figuren wirkten in der ersten Hälfte unscheinbar, doch zumindest dies hat sich ab der zweiten Hälfte entscheidend geändert - und dann war das Buch leider fast schon wieder vorbei. Die Sprache war angenehm leicht, die Kapitel kurz, und so blieb das Buch eines zum schnell wegsnacken ohne dabei groß Tiefgang zu haben. So ganz catchen wollte mich der Roman also nicht, er hat mir aber insgesamt gut gefallen. Wer etwas innovatives sucht wird womöglich enttäuscht werden, doch wer auf der Suche nach einem unaufgeregtem Buch ist welches schwierige Themen sanft anspricht, der ist hiermit sicherlich gut bedient. Ich hatte einfach mehr Pepp erwartet, und vielleicht richtet sich das Buch eher an noch jüngere Leser.

Bewertung vom 04.05.2023
Malibu Rising
Reid, Taylor Jenkins

Malibu Rising


ausgezeichnet

Malibu im Sommer 1983. Wie jedes Jahr schmeißt Model und Herzblut-Surferin Nina Riva die Party des Jahres in ihrer Strandvilla: der Place to be für die High Society. Angelockt per Mund zu Mund Propaganda erscheint nahezu jeder der Rang und Namen hat, und so stehen auch heute wieder die Stars und Sternchen Hollywoods, Topmodels, Sänger und Produzenten auf der Fußmatte.
Im Buch begleiten wir Gastgeberin Nina sowie ihre drei jüngeren Geschwister Jay (Profisurfer), Hud (Fotograf) und Kit (Nesthäkchen) vom Tag vor der Party bis hin zu ihrem Ende. Dabei erfahren wir in allerlei Rückblenden von der harten Kindheit der vier, die sich lange ohne elterlichen Halt durchs Leben schlagen mussten, bevor jeder für sich seinen Weg gefunden hat. Doch mit der Party gerät ihre Welt erneut ins Wanken, als nicht nur die Champagnerkorken knallen: auch die Stimmung ist hoch explosiv. Denn so einige Überraschungsgäste erschüttern mit ihrem Erscheinen den harmonischen Zusammenhalt der vier Geschwister und nach und nach wird das ein oder andere Geheimnis gelüftet. Und mit steigenden Alkohol- und Drogenkonsum unter den Gästen wird die Feierlaune immer und immer ausgelassener - bis plötzlich alles in Flammen steht.

Taylor Jenkins Reid hat die Gabe, ganz unaufgeregt zu schreiben und den Leser trotzdem durchgehend am Ball zu halten. Ihre Charaktere sind mit Hand und Fuß ausgestattet, wunderbar griffig und echte Individuen, die einander sehr gut ergänzen und vollkommen authentisch wirken.
Auch Carrie Soto, Tennis-Ass und Protagonistin aus TJR vorherigem Roman "Carrie Soto ist Back" besetzt eine Nebenrolle, welche die Handlung stark prägt. Ihr neuer Roman "Malibu Rising" reiht sich also mit in das literarische Universum der Autorin ein, in welcher starke Frauenfiguren im Zentrum der Erzählungen stehen. Bisher habe ich nur "Carrie Soto" und "Malibu Rising" der bisherigen vier übersetzten Werke gelesen, aber beide haben mich sehr für sich begeistern können. Es sind leichte Lektüren mit ganz eigener Dynamik und unerwartet viel Tiefgang, die mich beide sehr positiv überrascht haben!

Bewertung vom 22.03.2023
Der weiße Fels
Hope, Anna

Der weiße Fels


ausgezeichnet

"Der weiße Fels" ist für mich bisher das größte buchige Highlight des Frühjahrs. Die Autorin Anna Hope (bekannt durch "Was wir sind") erzählt in ihrem druckfrischem Roman von vier Personen verschiedener Zeiten, deren geographische Verbindung ein sakraler, weißer Felsen vor der Pazifikküste Mexikos ist.

Zuerst folgen wir einer Schriftstellerin, die mit Mann, Tochter und einer kleinen internationalen Gruppe zum heiligen Felsen pilgert und am dortigen Strand für die Geburt ihrer Tochter eine Opfergabe ins Meer setzen will - und zwar genau dann, als das Wörtchen "Corona" immer mehr Menschen zum Begriff wird. Dann: The Doors-Frontman Jim Morrison himself, der in der mexikanischen Abgeschiedenheit versucht seinem Ruhm zu entkommen und eine rauschhafte Nacht im kleinen Küstenstädtchen am Felsen durchtorkelt. Noch 60 Jahre weiter zurück in der Zeit erleben wir, wie zwei Yeome-Schwestern gewaltsam ihrem Land entrissen werden und auf ihrer Verschleppung per Schiff in die Sklaverei an jenem weißen Felsen Halt machen. Und zuguterletzt verfolgen wir den Tag eines spanischen Kapitänslieutnanten des späten 18. Jahrhunderts, welcher vom weißen Felsen aus auf Entdeckungs- und Missionierungsfahrt in die nördlichen Längengrade in See stechen will.

Inspiriert von wahren Ereignissen erzählt Anna Hope in vier Jahrhunderten von grundverschiedenen Menschen, deren Schicksal sie früher oder später in ihrem Leben aus ganz verschiedenen Gründen an jenen brandungsumtobten Felsen im Meer führt. Ich habe mich gut durch die einzelnen Geschichten tragen lassen, die Sprache war bildgewaltig und ruhig, zu einem Teil poetisch und zum anderen Teil abstrakt, ab und an auch spirituell.
Das Buch ist keines für jene, die eine auserzählte Geschichte suchen. Die Fäden der Erzählstränge sind wenn überhaupt nur vage miteinander verknüpft, die Leben der Protagonisten nur knapp und ausschnitthaft dargestellt. Doch ich fand die Personen trotz dessen greifbar, das Buch bewegend, in sich stimmig und sehr besonders.

Ich hab's wirklich gern gelesen mit dem einzigen Kritikpunkt, dass es gern noch länger hätte sein können!

Bewertung vom 05.03.2023
Morgen, morgen und wieder morgen
Zevin, Gabrielle

Morgen, morgen und wieder morgen


ausgezeichnet

Was bleibt mir noch zu sagen, was nicht schon so oft geschrieben worden ist. Gefühlt haben das Buch ja schon alle gelesen, auf den Inhalt brauche ich also nicht mehr groß einzugehen. Es geht um die drei Jugendfreunde Sadie, Sam und Marx, die seit den 90er Jahren zusammen Videogames entwickeln und damit ziemlich schnell auch internationale Erfolge feiern können. Ihre Freundschaft, samt ihrer Höhen und Tiefen, begleiten wir dabei über die Jahrzehnte hinweg. Für viele ist das Buch ein Highlight und eigentlich bleibt auch mir nicht viel mehr, als mich den vielen positiven Stimmen anzuschließen. Die Handlung war vielschichtig und ausgefeilt, Erzählstränge waren perfekt miteinander verknüpft und alles insgesamt sehr mitreißend und bewegend erzählt. Die Protagonisten waren zwar nicht durchgehend sympathisch, haben jedoch allesamt gute Entwicklungen durchgemacht, die vor allem aber auch durchweg nachvollziehbar waren. Die drei Freunde und ihre Weggefährten waren tiefgreifend unterfüttert und ich konnte mich mit ihnen identifizieren. Plus: das Buch hat in mir die Sehnsucht entwickelt, die von den Freunden programmierten Games zu zocken, und das obwohl ich mit Videospielen eigentlich wenig bis gar nichts anfangen kann. Das lag vor allem mit daran, dass neben der realen Welt auch die virtuellen Spielwelten unglaublich detailliert und bildhaft beschrieben waren; die Handlungen der Spiele waren tiefgründig sowie moralisch untermalt und allgemein sehr clever durchdacht. Der Schreibstil war einfach und flott zu lesen, aber dafür nicht weniger mitreißend. Ein sehr, sehr unterhaltsames Buch, das mich quasi rundum begeistert hat!

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 26.02.2023
Malvenflug
Wiegele, Ursula

Malvenflug


schlecht

Malvenflug ist ein Roman, der von einer österreichischen (Groß-)Familie zur Zeit des 2. Weltkriegs und einigen Jahren danach erzählt. Doch die Familiengeschichte hat mich leider gar nicht erreicht und auch überhaupt keinen Lesefluss bei mir geweckt. Positiv hervorzuheben ist zwar das Personenverzeichnis ganz am Anfang, aber meistens, wenn ich eine Person nachschlagen wollte, stand sie noch nicht einmal drin. Im ersten Teil waren es kurze, sehr spartanische Episoden aus den Leben verschiedenster Familienangehöriger, aber irgendwie waren diese komplett ohne roten Faden aneinandergereiht und wirkten wie wahllos durcheinandergewürfelt. Die zweite Hälfte des Romans wollte ich eigentlich nur noch so schnell wie möglich hinter mich bringen, aber nach 200 durchgekämpften Seiten habe ich das Buch dann 20 Seiten vor Schluss doch noch ziemlich enttäuscht abgebrochen.

Ich bin überhaupt nicht warm geworden mit dem Buch, habe weder in die Handlung reingefunden, noch haben mich die Charaktere in irgendeiner Weise interessiert. Die ständigen Perspektivwechsel fand ich enorm verwirrend, es ging die ganze Zeit kreuz und quer durch alle möglichen Familienangehörigen, und dabei wurde meist nur ein Jahr auf zwei oder drei Seiten abgehandelt. Ich hab irgendwie nichts verstanden und mich deswegen auch durchweg gelangweilt, was vor allem mit an einer sehr abgehackten, stakkatoartigen Erzählweise lag. Total schade, aber das war leider gar nichts für mich, auch wenn der Klappentext und die Leseprobe vielversprechend waren.

Bewertung vom 19.02.2023
Lichte Tage
Winman, Sarah

Lichte Tage


gut

1950: Carol Judd gewinnt bei einer Tombola und hat die Wahl zwischen verschiedenen Preisen. Ihr Mann fordert sie auf, die Flasche Whisky zu nehmen, doch Carol entscheidet sich für ein Bild mit 15 Sonnenblumen - eine ziemlich authentische Reproduktion des berühmten Meistermerks Van Goghs. Sie hängt das Bild in die Trostlosigkeit ihrer heimischen Stube, wo es für sie zum Symbol der Sehnsucht und Ort für unausgelebte Träume wird. Ihr Sohn Ellis und sein halbverwaister Kindheitsfreund Michael wachsen mit dem Bild auf. Sie sind schon früh unzertrennlich und auf einer gemeinsamen Reise in die Provence wird aus Freundschaft bald Leidenschaft, wenngleich auch nur kurzweilig. Als wenig später eine Frau namens Annie in ihr Leben tritt, ändert sich einiges: aus dem Zweiergespann wird ein dreiköpfiges Team. Doch plötzlich trennen sich die Wege der Freunde, als Michael überstürzt und ohne viele Worte nach London zieht.

Die erste Hälfte des Buches wird aus Ellis' Perspektive erzählt. Einst wollte er Künstler werden, doch nun ist er bereits über 40, schiebt Nachtschichten in in einer Autofabrik Oxfords und klopft kleine Dellen aus den Karosserien von Neuwagen. Mittlerweile verwitwet, ist seine Einsamkeit großes Thema. Im zweiten Teil wechselt die Handlung zu einer tagebuchartigen Erzählung Michaels, der als junger Mann immer das Ziel vor Augen hatte, Dichter zu werden - und ab hier habe ich mich irgendwie verloren.

Ich bin ein bisschen zwiegespalten, weil ich vom Klappentext her irgendwie etwas anderes erwartet hatte, als einen Roman voller Erinnerungen, in dem aber handlungsmäßig gar nicht mal so viel passiert. Es geht viel um die Bände der Freundschaft, die erste Liebe, Einsamkeit und Verlust. Die Stimmung ist melancholisch, es ist die Zeit, in der Aids auch in Großbritannien um sich greift. Ich habe die Gefühle der Protagonisten verstanden, konnte mich aber trotzdem nicht wirklich in sie hineinfühlen, mir waren sie zu unantastbar und ich "fühlte" die Liebe nicht - sie war mir fast gleichgültig. Ich hätte auch gern Annie besser kennengelernt, von ihr erfährt man fast gar nichts, obwohl sie doch scheinbar auch eine tragende Rolle spielt. Und so kommt es, dass ich die ruhige, aber auch wirklich poetische Sprache der Autorin sehr viel mehr mochte, als die Handlung an sich. Während die erste Hälfte noch sehr subtil war, habe mich in der zweiten Hälfte zwar nicht unbedingt gelangweilt, aber das Gefühl schwingt mit, dass man aus der Handlung so viel mehr hätte machen können. Ich habe es vor 4 Tagen beendet und irgendwie jetzt schon wieder so ziemlich alles vergessen, was in der zweiten Hälfte passierte. Leider war das Buch für mich nichts Halbes und nichts Ganzes, hinterlässt hier und dort (für mich) unüberwindbare Lücken und hat irgendwie als Gesamtkonzept nicht ganz funktioniert. Vielleicht bekommt es aber irgendwann noch eine zweite Chance von mir.

Bewertung vom 12.02.2023
Männer sterben bei uns nicht
Reich, Annika

Männer sterben bei uns nicht


weniger gut

"Männer sterben bei uns nicht" erzählt von sieben Frauen einer Familie, die in einem herrschaftlichen Anwesen mit Seeblick wohnen. Das Anwesen ist wahrlich riesig, ringsum eingezäunt und von einer irgendwie mysteriösen Aura umgeben. Insgesamt fünf Häuser stehen hier, die von den Frauen dreier Generationen bewohnt werden. Die Matriarchin des Anwesens ist die Großmutter, und wer sich ihrer Gunst nicht würdig erweist, wird entweder verbannt oder muss in Abgeschiedenheit sein mehr oder minder trostloses, einsames Dasein fristen.
Ein Haus auf dem Grundstück steht jedoch seit Jahrzehnten leer: in ihm sind die Erinnerungen an die nach und nach verlorengegangenen und totgeschwiegenen Männer der Familie gelagert - ein stilles Angedenken an das Nichtvorhandensein männlicher Familienangehöriger. Und überhaupt, Männer sterben hier grundsätzlich nicht - denn schließlich bleiben sie nie lange genug. Doch nicht nur die ehemaligen männlichen Familienangehörigen sind absolutes Tabuthema; auch allgemein wird in der Familie nicht wirklich über Empfindungen geredet - sie alle hier fremdeln miteinander.
Als Luise, die Enkelin, schließlich das pompöse Anwesen ihrer Großmutter erbt, treffen alle Frauen auf der Beerdigung der Matriarchin erstmals wieder bewusst aufeinander; nach vielen Jahren des Nebeneinanderwohnens und im Bestehen unterschiedlichster Diskrepanzen, die das Resultat jahrelang fehlender Kommunikation sind.

Dieses Zusammentreffen ist der Fixpunkt im Roman, der immer wieder durch Rückblenden in verschiedene Stationen Luises Leben unterbrochen wird. Sie ist die Protagonistin, und obwohl man von ihr noch am meisten erfährt, ist es leider doch recht wenig und nicht genug, um eine Verbindung zu ihr aufzubauen. Luise ist eine Frau, die im kindlichen Alter bereits zwei tote Frauen im See gefunden hat - welche wohl auch metaphorisch für die geheimnisvolle Verschwiegenheit innerhalb der Familie stehen. Und doch sind alle Charaktere nur karikaturenhaft skizziert, das Grundwesen der Frauen bleibt schwammig, genauso wie ihre Bedürfnisse und Geschichten.
Ich mochte das Buch anfangs eigentlich ganz gern, der Schreibstil war angenehm und leicht, es war immer wieder rätselhaft und alles insgesamt eher nebulös. Aber am Schluss war ich doch enttäuscht, da ich das Gefühl hatte, irgendwie nichts richtig verstanden zu haben. Es war im allgemeinen eine kurzweilige Erzählung einer Familie - von einer richtigen Geschichte möchte ich irgendwie nicht so ganz sprechen, da ich keine so ganz ausgefeilte Handlung entdecken konnte. Dafür gibt es leider zu viele lose Fäden, die nicht schlüssig zusammenlaufen. So gehe ich leider mit einer ziemlich vagen und unbefriedigenden Vorstellung aus dem Buch, von dem ich nur einen kleinen Überblick davon erhaschen konnte, worum es überhaupt ging.

Bewertung vom 29.01.2023
Die Perfektionen
Latronico, Vincenzo

Die Perfektionen


gut

Anna und Tom, aufgewachsen in irgendeinem südeuropäischen Nest, ziehen ins aufregende Berlin, um als Freiberufler durchzustarten. Zwischen Vernissagen und Nachtleben muss das Leben in den sozialen Netzwerken vor allem eins sein: fotogen. Die Fassade ihres Daseins ist glanzvoll und perfekt insziniert, die Wohnung gemütlich-urban: Altbau im Szene-Kiez, honigfarbenes Fischgrät-Parkett, Stuck, Pflanzen. Der Beruf der beiden (natürlich): was mit Medien und Design. Ihre Freunde sind international, sie kommen und gehen - ein sich ständig wandelnder Fluss von Neu-Berlinern.
Doch irgendwann fängt das Leben in ihrer Blase an, Anna und Tom anzuöden. Doch kein Problem: schließlich sind sie sind jung und mobil. Und so vermieten sie ihre Wohnung unter und machen sich auf die Suche nach neuen Abenteuern im europäischen Ausland. Schließlich kann man als digitaler Nomade von überall aus arbeiten, solange man seinen standardsilbernen Macbook im Gepäck hat. Aber auch an anderen Orten holt das Pärchen die Unzufriedenheit über das eigene, beliebige Leben immer wieder ein.

Das Buch spielt hervorragend mit Klischees und der Autor malt ziemlich authentische Bilder vom angestrebten Idealismus sowie Individualismus einer ganzen Generation. Kurz: die Thematik ist ein perfektes Abbild unseres digitalen Zeitalters und fängt den Puls der Zeit beängstigend nah ein. In der Umsetzung dessen liegt der Fokus des Romans, weshalb es zwar zwangsläufig wenig Handlung, dafür aber viel Stimmung gibt. Ist man sich dessen erstmal bewusst, ist das Buch wirklich gut. Wer aber eine Geschichte mit tiefer Handlung erwartet, wird enttäuscht werden. Leider konnte ich aufgrund dessen aber auch keine Verbindung zu den beiden Protagonisten aufbauen, obwohl sie doch sinnbildlich für eine ganze, sinnsuchende Generation stehen. Und auch wenn es interessant war, in diese auf knapp 120 Seiten mal reinzuschnuppern - möchte man diese perfekt inszenierte Welt auch eigentlich ganz schnell wieder verlassen.