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Aischa

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Insgesamt 582 Bewertungen
Bewertung vom 02.12.2025
Perego, Carlotta

Carlottas vegane Küche


sehr gut

Als Flexitarierin greife ich nicht unbedingt als erstes zu veganen Kochbüchern – aber "Carlottas vegane Küche" hat sich sehr schnell zu einer echten Bereicherung in meinem Küchenregal entwickelt. Die Italienerin Carlotta Perego, erfolgreiche YouTuberin und Bloggerin, lebt überzeugend eine vegane Ernährung vor, und genau diese Leidenschaft spürt man auf jeder Seite.

Bevor es zu den 80 Rezepten geht, bietet das Buch einen erstaunlich umfangreichen Theorieteil. Mir haben die praktischen Tipps rund ums Entrümpeln, das Organisieren der Vorratskammer sowie Hinweise zu Lagerung und Meal-Prep gefallen. Als jemand, der Linsen, Bohnen & Co. meist in Gläser umfüllt und dadurch die Verpackungsinfos wegwirft, finde ich die übersichtlichen Tabellen zu Einweich- und Kochzeiten von Hülsenfrüchten und Getreide unglaublich hilfreich. Ähnlich nützlich sind die Gemüse-Tabellen, die je nach Zubereitungsart (Backofen, Bratpfanne, Kochtopf) angeben, wie klein man das Gemüse schneiden soll und wie lange es garen muss – besonders für weniger erfahrene Köch*innen eine echte Unterstützung.

Ein Detail, das ich ebenfalls sehr schätze: Bei italienischem Mehl wird das deutsche bzw. österreichische Pendant direkt mit angegeben. Ein kleiner Kritikpunkt ist allerdings die Rezeptlegende, die inmitten des Buchs am Ende des Theorieteils (auf Seite 60) etwas versteckt ist. Die Symbole sind nicht unbedingt selbsterklärend – dass „FF“ für freezer friendly steht, hätte ich beispielsweise nicht erraten. Doch das ist eher eine Randnotiz, denn das Herzstück des Buchs, die Rezepte, überzeugt dafür umso mehr.

Von den bisher sechs ausprobierten Gerichten war wirklich jedes außerordentlich lecker: der gebackene Rosenkohl (mit Öl, Ahornsirup und Sojasoße mariniert – schnell gemacht und ein echter Knaller), das Kichererbsencurry, die Pappardelle mit Pilz- und Walnussragout, Portobellopilze auf Cannelinibohnenpüree und der würzige Ofentofu. Bei der Farinata musste ich etwas improvisieren, da der Teig mit der angegebenen Wassermenge für meinen Geschmack zu flüssig geworden wäre. Nach längerer Quellzeit des Teigs und ebenfalls verlängerter Backzeit wurde sie dennoch herrlich knusprig und geschmacklich top.

Besonders angenehm finde ich, dass Carlotta Perego komplett auf vegane Ersatzprodukte verzichtet – und man trotzdem keinerlei tierische Produkte vermisst. Die Rezeptauswahl ist breit gefächert: Frühstück, Salate, Suppen, Hauptspeisen, Süßes, Snacks und Basics wie Soßen – hier kann man richtig auf Entdeckungsreise gehen. Die Zubereitungszeiten habe ich öfter überschritten, aber das stört mich persönlich nicht. Ein Punkt, an dem man noch feilen könnte, ist das alphabetische Rezeptverzeichnis: Den Birnenkuchen hätte ich z. B. unter „B“ erwartet, nicht unter „F“ wie „fluffiger Birnenkuchen“.

Fazit: Ein äußerst abwechslungsreiches und inspirierendes Kochbuch mit einem überraschend ausführlichen und praktischen Theorieteil sowie vielen wirklich köstlichen, oft schnell gemachten Rezepten. Für Neulinge der veganen Küche genauso geeignet wie für alle, die ihren kulinarischen Horizont erweitern möchten – selbst wenn sie, wie ich, nicht ausschließlich vegan essen.

Bewertung vom 25.11.2025
Ganeshananthan, V. V.

Der brennende Garten


gut

Was hatte ich mich auf diesen Roman gefreut! Ich lese leidenschaftlich gerne Geschichten, die in fernen Ländern spielen und mir Einblicke in Kulturen geben, über die ich bisher wenig wusste. Über die leidvolle Geschichte Sri Lankas nach der Unabhängigkeit war mir abgesehen von den brutalen Schlaglichtern des Bürgerkriegs, die es in westliche Nachrichten geschafft hatten, kaum etwas bekannt. Umso größer war meine Vorfreude auf "Der brennende Garten" – und, ja, vielleicht auch mein Wunsch, dieses Buch unbedingt mögen zu wollen. Leider ist mir das nicht gelungen.

Der Anfang hat mich durchaus überzeugt. Ganeshananthan zeigt sehr eindrücklich, wie relativ der Begriff „Terrorist“ sein kann. Niemand wird als solcher geboren; oft steht dahinter ein verzweifelter Wunsch, ein als ungerecht empfundenes System zu verändern. Auch die Einblicke in die tamilische Kultur haben mir gefallen. Dass die Großmutter der Protagonistin das „gute Porzellanservice“ nur zu ganz besonderen Anlässen hervorholt, hat mich an meine eigene Oma erinnert und daran, wie ähnlich wir Menschen einander trotz aller Unterschiede sein können. Besonders beeindruckt hat mich zudem, welchen Stellenwert Bildung in Sri Lanka offensichtlich genießt – und welch immenser Respekt, ja gar Liebe Lehrern und Professorinnen auf dem Inselstaat entgegengebracht wird.

Doch leider verlor mich die Geschichte relativ schnell. Die letzten beiden Drittel waren für mich ein zähes Ringen, ich habe mich durch die Seiten gequält und das Buch immer wieder weggelegt. Ich habe bis zum Schluss mit Sashi und ihren Brüdern gehadert, ohne wirklich Zugang zu ihren Beweggründen oder Gefühlen zu finden. Warum geht ein junger Mensch in den Untergrund und tötet Zivilisten? Wie kann eine politische Mission die Bindungen an die eigene Familie kappen? Der Roman stellt diese Fragen, liefert aber für meinen Geschmack zu wenige greifbare Antworten oder auch nur emotionale Anknüpfungspunkte.

Dass dies offenbar beabsichtigt war, macht die Autorin im Nachwort deutlich: „Wie dir inzwischen klar sein wird, wenn du bis hierher gelesen hast, habe ich in Personalunion mit der Erzählerin dieses Romans ein kompliziertes Verhältnis zu Erklärungen. Wer ist verpflichtet, sie abzugeben, und warum?“ Natürlich muss Literatur komplexe Themen nicht bedingungslos vereinfachen, und sie schuldet uns keine eindeutigen Antworten auf vielschichtige Fragen. Aber wenn ich nach einem gut 450-seitigen Roman ratloser dastehe als zuvor, dann hinterlässt das bei mir ein deutliches Gefühl der Unzufriedenheit.

Gerade weil ich dieses Buch so gerne gemocht hätte – nicht zuletzt, nachdem ich gelesen habe, dass Ganeshananthan unglaubliche 18 Jahre daran gearbeitet hat – wiegt meine Enttäuschung schwer. Am Ende bleibt für mich ein sehr durchwachsenes Leseerlebnis: interessant in Ansätzen, atmosphärisch dicht, aber emotional und erzählerisch zu oft fern und unzugänglich.

Bewertung vom 12.11.2025
Sagon (Romaniszyn), Anja

Weihnachtlich vegan


ausgezeichnet

Ein lieber Kollege hat seine Ernährung vor einigen Monaten umgestellt, er lebt nun komplett vegan. Da kam dieses hübsch gestaltete Buch für mich wie gerufen, so kann ich ihn mit (vor-)weihnachtlichen Leckereien überraschen. Der erste Test war rundum überzeugend: Ich habe ihm den Gewürzkuchen mit Schokolade gebacken - ein Traum, der Kuchen kam außerordentlich gut an!

Autorin Anja Sagon, erfolgreiche Foodbloggerin, hat mit "Weihnachtlich vegan" ein sehr gelungenes Rezeptbuch veröffentlicht. Die Gerichte zeigen, dass man wirklich lecker backen und kochen und dabei komplett auf tierische Produkte verzichten kann. Doch das Buch ist mehr als eine Rezeptsammlung: In ihrer sehr persönlich gehaltenen Einleitung gibt Sagon auch Hilfestellung, wie man Vorurteilen und Unverständnis gegenüber veganem Essen im Familien- und Freundeskreis begegnen kann.

Neulinge in der veganen Küche werden sich über die Auflistung benötigter Grundzutaten wie auch nützlichem Equipment freuen. Zudem gibt es am Ende des Buches gleich fünf unterschiedliche Menüvorschläge. Für diese sind auch Tipps zu Einkauf und Vorbereitung angegeben, so dass man Stress vermeiden und mit seinen Gästen entspannt feiern kann.

Die mehr als 60 Rezepte sind ansprechend und übersichtlich auf je einer Doppelseite mit ganzseitigem Foto präsentiert und bieten eine große Vielfalt. Dabei sind die polnischen Wurzeln der Autorin gut erkennbar: Es gibt Klassiker wie Kohlrouladen oder Piroggen, die vegan interpretiert werden, aber auch Neues wie Blumenkohlsteak oder eine feine Weihnachtspastete mit Cranberry-Soße. Ich habe mich schon fleißig durch die verschiedenen Gerichte probiert und kann aus voller Überzeugung sagen, dass ein Verzicht auf tierische Lebensmittel keinesfalls Verzicht auf Genuss bedeuten muss. Ich empfehle dieses tolle Buch allen, die sich oder/und andere vegan bekochen wollen, aus ganzem Herzen.

Bewertung vom 31.10.2025
Ach, Marianne

Von gestern eine Spur


ausgezeichnet

Manchmal begegnet mir ein Buch, das leise und unscheinbar daherkommt – und doch mit einer solchen Klarheit, Tiefe und Schönheit spricht, dass ich nach der Lektüre anders in die Welt blicke. "Von gestern eine Spur" von Marianne Ach ist ein solches Buch.

In kurzen, tagebuchartigen Abschnitten erzählt Ach von einer Frau, deren erwachsener Sohn eines Tages einfach verschwindet – ohne Ankündigung, ohne Abschied. Was bleibt, sind Gedanken, Erinnerungen, Fragen. Die Erzählerin blickt zurück auf ihre Ehe, auf spätere Lieben, auf ihr Leben als Schriftstellerin – und tastet sich zugleich suchend in eine ungewisse Zukunft vor.

Was diesen schmalen Roman so besonders macht, ist Marianne Achs unverwechselbare literarische Stimme. Große Sängerinnen und Sänger erkennt man an der einzigartigen Klangfarbe ihrer Stimme – ebenso verhält es sich mit Achs Sprache, ihrer literarischen Stimme. Sie schreibt mit einer Präzision, die jedes überflüssige Wort vermeidet, und zugleich mit einer poetischen Kraft, die weit über das Gesagte hinausreicht. Ihre Sätze sind wie feine Linien, die erst aus der Distanz das ganze Bild sichtbar machen.

Achs Kunst besteht für mich auch darin, Alltagsmomente vor dem Vergessen zu bewahren. Eine flüchtige Geste, ein Lichtwechsel, eine Erinnerung an einen Geruch – alles wird bedeutsam, ohne je pathetisch zu werden. So entsteht eine leise, aber tief bewegende Meditation über Verlust, Erinnerung und die fragile Schönheit des Daseins.

Mich hat dieses Buch tief berührt. Es hat etwas mit mir gemacht: Es hat mich daran erinnert, die Welt mit offenen Sinnen wahrzunehmen, nicht vorschnell zu urteilen, und das Glück auch in unscheinbaren Augenblicken wahrzunehmen. "Von gestern eine Spur" ist ein stilles Meisterwerk – und eine Einladung, achtsamer zu leben.

Marianne Ach schreibt mit einer unverwechselbaren Stimme – zart, wahrhaftig und mit leiser Kraft.

Bewertung vom 31.10.2025
Hall, Sarah

Die Töchter des Nordens


sehr gut

Sarah Hall, geboren 1974 in Carlisle, Nordengland, ist eine bedeutende zeitgenössische britische Autorin. Sie ist für ihre kraftvolle, poetische Sprache und ihre schonungslose Gesellschaftskritik bekannt. Die Töchter des Nordens (The Carhullan Army, 2007) wurde vielfach ausgezeichnet und gilt inzwischen als moderner Klassiker feministischer Dystopien.

Der Roman spielt in einer nahen Zukunft, in der die britische Insel nach dramatischen klimatischen Veränderungen in eine autoritäre Ordnung zurückgefallen ist. Demokratie, individuelle Freiheit und Privatsphäre existieren kaum mehr: Lebensmittel und Strom werden streng rationiert, Frauen wird zwangsweise die Spirale eingesetzt, und in den Gemeinschaftsunterkünften herrscht Überwachung und Enge. In dieser düsteren Welt flieht die Ich-Erzählerin – eine namenlose Frau – aus der Stadt und schließt sich den Töchtern des Nordens an, einer Gruppe von Rebellinnen, die in den Bergen eine selbstverwaltete Kommune aufgebaut haben.

Was mich als Leserin besonders beeindruckt hat, ist die beklemmende Glaubwürdigkeit dieser Zukunftsvision. Sarah Hall entwirft kein überzogenes Science-Fiction-Szenario, sondern eine bedrückend plausible Fortsetzung unserer Gegenwart: eine Welt, in der ökologische Katastrophen und staatliche Kontrolle Hand in Hand gehen. Ihre Sprache ist präzise, zugleich roh und lyrisch – eine seltene Kombination, die den Text sowohl poetisch als auch unmittelbar erfahrbar macht.

Die Erzählung in Form von Protokollen – Aussagen einer Gefangenen – verleiht der Geschichte eine besondere Intensität, auch wenn sie zugleich etwas Spannung nimmt. Als Leserin weiß man durch diese Erzählperspektive von Anfang an, dass die Rebellion kein glückliches Ende nehmen wird. Trotzdem bleibt der Text fesselnd, weil er weniger auf den Ausgang als auf die innere Entwicklung der Erzählerin zielt: vom nach außen hin angepassten Mitglied einer autoritären Gesellschaft zur kämpfenden, denkenden Frau.

Die derbe, oft obszöne Sprache der Rebellinnen wirkt authentisch und verleiht der Gemeinschaft eine kraftvolle Präsenz. Gleichzeitig schleicht sich hier ein kleiner Bruch ein: Dass diese fast amazonengleich gestählten Frauen in ihren Häusern auf heimelige Dekoration achten, bedient ein Klischee, auf das ich gut hätte verzichten können. Ebenso geraten die wenigen Männer, die außerhalb der Farm in Hütten leben dürfen, etwas schablonenhaft – sie bleiben Randfiguren ohne Tiefe.

Dennoch hat mich Die Töchter des Nordens tief beeindruckt. Der Roman ist düster, spannend und zugleich von einer eigentümlichen Zärtlichkeit durchzogen – gerade in der Beschreibung weiblicher Solidarität, Verletzlichkeit und Stärke. Ich habe mich unmittelbar in diese fiktive Welt hineingezogen gefühlt. Vielleicht, weil diese Zukunft, so erschreckend sie auch ist, nicht allzu fern und durdaus möglich scheint.

Fazit:
Ein kraftvoller, sprachlich gelungener Roman über Freiheit, Körper, Macht und Widerstand. Die Töchter des Nordens ist kein leichtes Buch, aber eines, das warnt – wie ein Ruf aus einer Zukunft, die wir besser verhindern sollten.

Bewertung vom 31.10.2025
Murrin, Alan

Coast Road


gut

Alan Murrin, geboren in Donegal, Irland, ist ein noch junger Autor, der mit Coast Road sein Romandebüt vorgelegt hat. Nach einem Studium des Creative Writing in Dublin und London lebt und arbeitet er heute in Großbritannien. Coast Road wurde vielfach als eindringliches Porträt einer irischen Gesellschaft am Wendepunkt beworben.

Der Roman spielt in einer fiktiven Kleinstadt an der irischen Küste, etwa ein Jahr vor dem historischen Referendum von 1995, das die Scheidung in Irland endlich legalisierte. Diese historische Tatsache allein zeigt schon, welch enormen Einfluss die katholische Kirche bis weit ins späte 20. Jahrhundert hinein auf das private und gesellschaftliche Leben Irlands hatte (und noch hat) – und genau dieses Spannungsfeld zwischen Tradition, Moral und individueller Freiheit bildet den Hintergrund des Romans.

Im Mittelpunkt steht Colette, eine Schriftstellerin, die ihren Ehemann verlässt, nachdem sie sich neu verliebt hat – ein Schritt, der in ihrer Umgebung als moralisches Vergehen betrachtet wird. Ihr Mann reagiert, indem er ihr den Kontakt zu den gemeinsamen Kindern verweigert. Parallel dazu zeichnet Murrin die Schicksale weiterer Frauen nach: Izzy, die unter der Selbstgefälligkeit ihres karrierebewussten Ehemanns leidet, und Dolores, die in einer lieblosen Ehe mit einem notorisch untreuen Mann gefangen ist.

So weit, so vielversprechend – der Stoff bietet tatsächlich alles, was ein kritischer Gesellschaftsroman braucht: Konflikte, emotionale Fallhöhe, gesellschaftliche Relevanz. Doch Murrin gelingt es nicht ganz, die Potenziale seines Themas auszuschöpfen. Die Sprache bleibt eher schlicht und konventionell, sie trägt die Geschichte, ohne je wirklich zu glänzen. Auch die Figuren, vor allem die Frauen, entwickeln keine innere Kraft, um sich gegen ihre Umstände zu behaupten. Sie bleiben in ihren Rollen gefangen, und ich habe mich am Ende gefragt, ob genau das die Absicht des Autors war – oder ob schlicht eine erzählerische Schärfe fehlt, um das Thema wirklich zum Brennen zu bringen.

Trotz dieser Schwächen liest sich Coast Road recht gut: Die Handlung ist klar strukturiert, die Atmosphäre der irischen Küste eindrucksvoll eingefangen. Besonders interessant ist, wie Murrin den Einfluss der katholischen Moralvorstellungen subtil, aber spürbar in den Alltag seiner Figuren einsickern lässt.

Fazit: Coast Road ist ein thematisch relevanter Roman über gesellschaftliche Zwänge, weibliche Ohnmacht und den schwierigen Weg zur Selbstbestimmung in einem von Religion geprägten Irland. Sprachlich kein Meisterwerk, erzählerisch solide – und vor allem ein Stück Literatur, das uns daran erinnert, wie jung manche Selbstverständlichkeiten unserer Gegenwart eigentlich sind.

Bewertung vom 10.10.2025
Kuhn, Yuko

Onigiri


sehr gut

Yuko Kuhns Roman "Onigiri" bewegt sich geschickt zwischen Fiktion und Autobiografie. Sowohl die Autorin als auch ihre Ich-Erzählerin Aki haben einen deutschen Vater und eine japanische Mutter – eine Parallele, die dem Text spürbare Authentizität und emotionale Tiefe verleiht.

Die Geschichte entfaltet sich auf zwei Erzählebenen: In der Gegenwart begleitet Aki ihre an Demenz erkrankte Mutter auf eine letzte Reise nach Japan, um dort die Verwandten zu besuchen. Diese Reise wird immer wieder von Rückblenden unterbrochen, die das frühere Leben der Mutter beleuchten – eine junge Frau, die einst allein nach Deutschland auswanderte, um dort eine neue Existenz aufzubauen. Kuhn schildert eindrücklich, wie sie sich in einer ihr fremden Kultur zurechtfinden muss, mit den ablehnenden Schwiegereltern, der psychischen Erkrankung ihres Ehemanns und schließlich der Einsamkeit als Alleinerziehende.

Besonders stark ist der Roman dort, wo er gesellschaftliche und kulturelle Spannungen sichtbar macht. Kuhn gelingt es, die Schwierigkeiten und Vorurteile darzustellen, mit denen Einwander*innen in Deutschland konfrontiert sind – damals wie heute. In diesen Momenten überzeugt "Onigiri" als feinfühlige, manchmal schmerzhafte Studie über Fremdsein, Anpassung und Identität.

Weniger überzeugend wirken hingegen die innerfamiliären Konflikte. Weder die Beziehung der Eltern noch Akis immer wieder auflodernde Wut auf ihre Mutter waren für mich wirklich greifbar oder psychologisch nachvollziehbar. Gerade hier hätte ich mir mehr Tiefe und Blick ins Innere der Figuren gewünscht, um ihre emotionalen Brüche besser zu verstehen.

Der Anhang mit japanischen Begriffen ist hilfreich, die japanischen Kapitelüberschriften blieben für mich leider dennoch meist ohne sichtlichen Bezug zum Inhalt.

Trotz dieser Schwächen bleibt Onigiri ein lesenswerter Roman, der mit leisen Tönen und autobiografischer Ehrlichkeit einen wichtigen Beitrag zur deutsch-japanischen Migrationsgeschichte leistet. Yuko Kuhn zeichnet das Porträt zweier Frauen, die zwischen zwei Kulturen aufwachsen und ihren Platz in der Welt suchen – ein Thema, das über die persönlichen Grenzen der Erzählung hinausweist.

Bewertung vom 16.09.2025
Everett, Percival

Dr. No


sehr gut

Percival Everetts "Die Bäume", eine bissig-geistreiche Satire über Lynchmorde an Schwarzen fand ich großartig, sein Roman "James", eine Neuerzählung des Klassikers über Tom Sawyer und Huckleberry Finn ließ mich zum Fan seiner Literatur werden. Entsprechend große Erwartungen hatte ich an das neueste Werk aus Everetts Feder.

Die ersten Seiten haben mich denn auch großartig unterhalten. Die Figuren könnten kaum schräger sein: Ein Schwarzer autistischer Mathematikprofessor mit "nichts" als Fachgebiet, samt einer einbeinigen Bulldogge namens Trigo, die er sich in einer Babytrage umschnallt, wird vom - ebenfalls Schwarzen - Milliardär John Sill zunächst mit viel Geld dazu "überredet" sein Wissen über (das) Nichts zu teilen. Sill will erklärtermaßen ein Bond-Bösewicht werden und die Weltherrschaft an sich reißen. Wenn der Professor erklärt, dass Sills Vater starb, "als John minus vier Monate alt war", dann trifft das nicht nur mitten in mein Humorzentrum, sondern ist auch eine elegante Weise, die Denke des Mathematikers zu demonstrieren, der zwischenmenschlich Defizite hat.

Leider hat Everett seine Kunstfertigkeit in Sachen intellektueller Wortspiele jedoch überstrapaziert. „Ich habe gerade ein Stipendium erhalten, von dem ich hoffe, dass es zu nichts führt“, sagt Kitu einmal zu einem Kollegen. In diesem Stil reiht sich Abschnitt an Abschnitt, Seite an Seite - ich war bald gelangweilt, irgendwann genervt. Allerdings zolle ich Übersetzer Nikolaus Stingl hier größten Respekt, denn das englische "nothing" ins Deutsche so zu übertragen, dass die Doppeldeutigkeit von "nichts" beziehungsweise "das Nichts" erhalten bleibt, war sicher eine Herausforderung. Everett spickt seine Geschichte des weiteren mit mathematischen Fachbegriffen (Nornsches Lemma, Knaster-Tarski-Fixpunkttheorem) und philosophischen Betrachtungen, die ehrlicherweise meinen Intellekt und meinen Bildungshorizont überschreiten, und dies in einer Zahl, die leider meinen Lesegenuss immer wieder geschmälert hat.

Viel Diskussionsstoff bietet die Geschichte hinsichtlich des Schwarzen Selbstverständnisses, etwa wenn Sill erklärt, dass all sein Geld ihn vor allem weiß gemacht hat. Und so nimmt er für seine Rache auch in Kauf, dass unzählige Unschuldige sterben müssen.

Fans von Bondfilmen werden sicher nicht müde werden, Referenzen in "Dr. No" zu den Geschichten um den berühmtesten aller Geheimagenten zu suchen. Schurke Sill fährt der Küstenwache nur zum Spaß in einem U-Boot davon oder tötet Mitarbeiter, indem er sie beim gemeinsamen Lunch durch eine Falltür unter dem Sitz in ein darunter liegendes Haifischbecken stürzen lässt.

Bissigen Witz, Ironie und eine gewisse Leichtigkeit mit intellektuellem Anspruch und ernsthafter Gesellschaftskritik zu verpacken ist definitiv eine der großen Stärken von Percival Everett. Für mich persönlich ist dies diesmal nicht vollständig aufgegangen, was zugegebenermaßen auch daran liegen mag, dass Spionageromane und Actionfilme nicht zu meinen Lieblingsgenres zählen.

Bewertung vom 16.09.2025
Noort, Tamar

Der Schlaf der Anderen


gut

Der Klappentext von "Der Schlaf der Anderen" verspricht eine spannende Geschichte über Schlaflosigkeit, Überlastung und die Begegnung zweier sehr unterschiedlicher Frauen. Und tatsächlich war ich zunächst positiv überrascht: Die Ausgangssituation ist interessant, die Figuren – die gestresste Fachkrankenschwester Janis und die erschöpfte Kunstlehrerin Sina – wirken auf den ersten Blick wie aus zwei verschiedenen Welten, und gerade darin liegt ein Reiz. Ihre vorsichtige Annäherung, die Freundschaft, die sich daraus entwickelt, aber auch schnell wieder ein Ende findet, fand ich anfangs durchaus fesselnd.

Doch je weiter ich las, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass der Roman sein eigenes Potenzial verschenkt. Tamar Noort reißt viele große Themen an – Frauenbilder, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die Belastungen im Pflegealltag, die Gefahr des Burnouts –, aber sie geht kaum in die Tiefe. Stattdessen verliert sich die Erzählung immer stärker in einem eher amüsanten Roadtrip, der mich leider nicht überzeugen konnte.

Am stärksten waren für mich die Passagen, in denen die Protagonistinnen ihr eigenes Handeln reflektieren und sich mit ihren (Fehl-)Entscheidungen auseinandersetzen. Doch diese Selbstreflexion bleibt letztlich unvollständig, weil die Auseinandersetzung mit den Menschen um sie herum fast völlig fehlt. Warum konfrontiert Sina ihren Mann nicht mit ihrer Überlastung, sondern trägt die gesamte Last schweigend allein? Warum zieht Janis sich so radikal ins Schneckenhaus zurück, statt Unterstützung bei Freunden oder Kollegen zu suchen?

Und schließlich wirkt das Ende für mich schlicht unglaubwürdig. Eine einzige gemeinsame Nacht im Schlaflabor (und ein Gewaltmarsch mit Sofa durch die halbe Stadt) genügt, um die Lebenswege beider Frauen wieder „in die Spur“ zu bringen – das ist mir zu konstruiert und wirkt wie ein erzwungenes Wohlfühl-Happy-End. Gerade nach den durchaus ernsten Ansätzen zu Beginn hätte ich mir mehr Mut zur Konsequenz und mehr Tiefgang gewünscht.

Fazit: Der Schlaf der Anderen liest sich stellenweise unterhaltsam, verschenkt aber viel von dem Potenzial, das in der Geschichte steckt. Ich hatte eine tiefgründige Auseinandersetzung mit den Themen Überlastung, Rollenbildern und Selbstbestimmung sowie neue Denkanstöße erhofft und wurde enttäuscht.

Bewertung vom 11.09.2025
Schoeters, Gaea

Das Geschenk


ausgezeichnet

Gestern Abend war ich zu Gast beim ersten "Silent Reading" des Hanser Verlags in München. Dabei konnte man in das aktuelle Verlagsprogramm reinschnuppern und in angenehmer Atmosphäre knapp zwei Stunden nach Belieben lesen. Mein ursprünglicher Plan, nämlich mir einen ersten Eindruck von drei oder vier Romanen zu verschaffen, ging überhaupt nicht auf: Denn als erstes hatte ich "Das Geschenk" von Gaea Schoeters gewählt, und ich war vom Plot wie auch der inhaltlichen und sprachlichen Umsetzung derart fasziniert, dass ich die 144 Seiten in einem Rutsch komplett gelesen habe.

Die Idee zu Schoeters zweitem Roman basiert auf wahren Begebenheiten: Im April 2024 hatte der Präsident Botswanas, Mokgweetsi Masisi, angekündigt, der Bundesrepublik 20.000 Elefanten schenken zu wollen. Dies war eine Reaktion auf mutmaßliche Pläne des Bundesumweltministeriums über ein Einfuhrverbot von Jagdtrophäen. Schoeters lässt Masisis "Versprechen" in ihrer Geschichte auf geradezu groteske Weise wahr werden - mitten in der Hauptstadt tauchen urplötzlich afrikanische Elefanten auf, und es werden minütlich mehr. Aber keine Sorge, der Roman gerät nicht zum billigen Klamauk, denn abgesehen vom mysteriösen Erscheinen der Dickhäuter gerät alles nicht nur extrem unterhaltsam, sondern auch durchweg plausibel - in meinen Augen könnte der Plot in großen Teilen auch als Realsatire durchgehen.

Ich habe mich köstlich darüber amüsiert, wie die Bundesregierung zunächst Zuständigkeiten hin- und herschiebt, um letztlich ein Elefantenministerium aus dem Hut zu zaubern oder wie Entscheidungen nicht immer anhand von Fakten und wahrscheinlichen Folgen, sondern vielmehr im Hinblick auf mögliche Reaktionen der eigenen Wählergruppen getroffen werden. Wobei letzteres natürlich genau genommen nicht lustig ist. Wie gut die flämische Autorin die bundesdeutsche Politik kennt, ist beachtlich. Aber sie belässt es nicht dabei, diese zu entlarven, sondern hält uns überdies den Spiegel im Hinblick auf überhebliche postkoloniale Strukturen vor.

Alles in allem eine temporeiche Geschichte mit überzeugenden Figuren und unterhaltsamen Dialogen, wahnsinnig witzig und dennoch mit gesellschaftsrelevanten Themen, die es zu diskutieren gilt. Unbedingt lesen!