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Heidelberg

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Bewertung vom 30.11.2021
Nachruf auf mich selbst.
Welzer, Harald

Nachruf auf mich selbst.


schlecht

Der Herzinfarkt als persönliches Erweckungserlebnis

Rezension aus Deutschland vom 22. November 2021

Diesem Buch ist in vielerlei Hinsicht nur schwer beizukommen . Schon die Einordnung in ein bestimmtes Genre ist kaum möglich. Aufgrund der endlosen Flut von Zitaten soll wohl der Anspruch zumindest auf Populärwissenschaftlichkeit erhoben werden. Es gibt im Grunde keine einzige Seite , auf der nicht irgendjemand irgendetwas , zumindest nach Wahrnehmung des Autors, Sinnstiftendes zur Lösung der brennenden Probleme dieser Welt beizutragen hat . Hierbei wird kaum ein Thema bzw. ein wissenschaftlicher Bereich ausgelassen. Mit dem vermeintlichen Verständnis eines Universalgelehrten, deren beste Zeit bekanntermaßen schon lange vorbei ist , fühlt sich der Schreiber in allen wissenschaftlichen Disziplinen heimisch, trägt hierbei allerdings fast ausschließlich bereits Vorgedachtes, teilweise erratisch aneinandergereiht, zusammen. Vieles kommt über den Rang von Kalendersentenzen allerdings nicht hinaus. Wohin das führen soll, bleibt unklar. Möglicherweise besteht der Wunsch , die eigene Belesenheit (?) vor Publikum auszustellen. Genuin eigene Gedanken sind ganz überwiegend Fehlanzeige . Das Ganze wirkt in weiten Teilen wie eine überambitionierte Bachelorarbeit.
Ziemlich unangenehm, da äußerst gefühlig, wird es allerdings für den Leser , wenn der Autor über seinen eigenen Herzinfarkt berichtet. Sowohl inhaltlich wie auch stilistisch ist dies ein krasser Bruch. Vom Ductus her fühlt man sich am ehesten an einen Erlebnisaufsatz der Mittelstufe erinnert, wenn die behandelnde Kardiologin, die die Diagnose des akuten Myokardinfarkt stellt und dann das Gebotene veranlasst , dem Verfasser nach dessen laienhafter Einschätzung allerdings zweifelsfrei das Leben gerettet hat und damit mutmaßlich mindestens die Seligsprechung verdient hätte. Folgt man der Beschreibung nüchtern, ist davon auszugehen , dass sie nach einem Standardalgorithmus gehandelt hat, den man auch von jedem durchschnittlich begabten Hausarzt erwarten darf . Klar wird bei dieser Schilderung , dass dieses Ereignis weder emotional , geschweige denn intellektuell bewältigt wurde, wenn wenngleich der Autor sich einige Seiten vorher höchst selbstbewusst als eben solchen Intellektuellen klassifiziert .
Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, wird dies ganz offensichtlich zum individuellen Erweckungserlebnis im Hinblick auf die Probleme dieser Welt . Hieran arbeitet sich der Verfasser in der Folge teilweise mit missionarischem Eifer ab. Einzelne Fäkalworte sollen mutmaßlich die persönliche Betroffenheit untermauern , das Heranwerfen an Protagonisten/Helden der aktuellen Diskussion , wie L.Neubauer von FFF, soll offenbar signalisieren, auf der Höhe der Zeit und gleichfalls bedeutend zu sein. Vollkommen überflüssige Anglizismen fallen dann kaum noch negativ ins Gewicht.
Den Vogel schießt Herr Welzer allerdings dann ab, als er sich tatsächlich entblödet, Reinhold Messner per Telefon zu kontaktieren, nachdem er noch kurz zuvor die Ideen von Hannah Arendt als mögliche Rettung der Welt ins Spiel gebracht hat. Dieser darf dann, quasi als freundlicher Kummerkasten-Onkel, wie er es bereits seit Jahrzehnten bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit tut, seine universellen (Pseudo-)Weisheiten zu Protokoll gegeben und sich dabei, wie immer, in erster Linie selbst feiern. Der Autor hofft offensichtlich , dass etwas von dem Glanz, den er selbst wahrzunehmen meint, auf ihn abstrahlt.

Insgesamt ist dieses Buch ein ziemliches krudes Machwerk und riesengroßes Ärgernis, das einem streckenweise fast das Gruseln lehrt.
Geht man ins Netz, wird schnell klar , das Herr Welzer nicht nur ein Vielschreiber ist, sondern auch meint, zu fast allen Themen etwas zu sagen zu haben. Aufgrund des offensichtlich grenzenlosen Selbstvertrauens ist davon auszugehen, dass dieses Werk vor der Veröffentlichung nicht den Umweg über ein wie auch immer geartetes Lektorat genommen hat. Sonst wäre möglicherweise das Schli

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