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LichtundSchatten

Bewertungen

Insgesamt 241 Bewertungen
Bewertung vom 16.10.2024
Der Siegeszug der Populisten
Schuler, Ralf

Der Siegeszug der Populisten


ausgezeichnet

Ralf Schuler wäre auf die Filmhochschule Babelsberg gekommen, wenn er zur NVA gegangen wäre. Er lehnte ab! Als der Springer Verlag konsequent auf die Seite von LBTQ kippte, kündigte er als Parlamentskorrespondent bei BILD. „Ich bin nicht bereit, für eine politische Bewegung, welcher Art auch immer, und unter ihrer Flagge zu arbeiten“, sagt er.

Lesenswert in diesem Buch ist schon das Vorwort von Monika Maron: „Wenn eine Regierung zwanzig bis dreißig Prozent der Wähler hinter eine Brandmauer verbannt und so vom Kampf um die Regierungsmehrheit ausschließt, stimmt etwas mit dem Demokratieverständnis nicht.“

Die AfD wurde vom Start an als illegitimer Feind unter Naziverdacht gestellt, von den sogenannten demokratischen Partei mit Verachtung gestraft. „Dieser undemokratische Umgang hat an der Radikalisierung der AfD einen entscheidenden Anteil.“ (Monika Maron)

Ganz anders Ralf Schuler. „Mit seiner unaufgeregten Art fragt er ohne zu urteilen, er will wissen, nicht bedrängen oder seine Gesprächspartner in verbale Fallen locken.“ Monika Maron gelingt eine treffende Hinleitung zum neuen Buch von Ralf Schuler, das ich tatsächlich von der ersten bis zur letzten Seite gelesen habe.

Heute sagen die Wessis den Ossis, was Anstand und Sitte ist, welche Partei man wählen solle. „Das riecht schwer nach Volkserziehung und vertieft alte Gräben, die nie ganz zugewachsen sind.“ Die alte Mauer wurde durch die neue Brandmauer ersetzt – statt die Probleme sauber zu analysieren und zu lösen.

Dringend nötig wäre, miteinander zu streiten und nicht, eine Seite aus dem demokratische Diskurs auszuschließen. Besser als alternativlos ist in Alternativen zu denken. Und in jedem Fall besser ist es, nicht zu schlafwandeln oder an 70 Jahre Theorien zu glauben, wie dies Merkel wohl tat, nachdem sie Die Schlafwandler von Christopher Clark gelesen hatte. Sie selbst war eine von etwas Getriebene, das sie selbst nicht so klar identifizieren konnte.

Die Rückblenden Ralf Schulers und die Verbindung zu Aktuellem besticht. Das Interview von Gottlieb und von Haaren mit dem Gottseibeiuns Haider aus 2000 ist ein Lehrbeispiel. Journalisten gerieren sich als Aktivisten, die einen Gegner zerstören wollen. Noch heute sehenswert, wie souverän Jörg Haider reagiert hat und die nun wirklich nicht fröhlich lächelnde Frau von Haaren in die Defensive drängte.

In diesen Tagen kann man Ähnliches beobachten, wenn AfD Politiker mal die Gnade erhalten, in das Öffentlich Rechtliche Debattierfernsehen geladen zu werden. Solange dieses Verhalten bleibt, wächst die AfD. Die Journalisten haben nur eine Aufgabe: sich um gute Informationen für den Wähler zu kümmern, eine Meinung können sich die Wähler dann schon selbst machen.

Die Politische Landschaftspflege war unter Kohl ein Thema - gegen eine ihm entgegenstehende Presse - und heute noch viel relevanter, im Gleichschritt mit der Presse. Der grüne Graswurzelteppich wird überall ausgelegt und immer enger gewoben. „Interessant: Projekte zur Bekämpfung des Linksextremismus wurden so gut wie nie gefördert - obwohl die Zahl linker und rechter Extremisten laut Verfassungsschutz etwas gleich hoch ist.“

Dabei ist vor allem auch die Sprache interessant. Schon in der DDR wurde ein enges Netz aus Propaganda und Agitation geschaffen und Worte umgedeutet, benutzt und infiltriert, die im Sinne des Sozialismus geprägt wurden. Sprache als Herrschaftsinstrument führt heute ebenso wie in der DDR zu einem großen Unbehagen, das sich in dem Wort Populismus bündelt und durch seine häufige, diffuse Benutzung ins Gegenteil verkehrt. Menschen reagieren allergisch, wenn es ins Feld geführt wird und erkennen die Absichten.

Man könnte sagen, die Ideologie der Vielfalt fühlt sich heute umzingelt von der Wirklichkeit und findet keine entsprechenden Antworten mehr. Der Begriff Populismus richtet sich immer gegen die Gegner der Herrschenden und bewirkt eine Art Hab Acht bei den Bürgern. Warum das so ist, hat Ralf Schuler auf seine unnachahmlich sachliche Art in diesem Buch bestens herausgearbeitet. Selten habe ich so viel angestrichen bzw. Gelb hinterlegt.

Bewertung vom 11.10.2024
Frechheit
Zeller, Bernd

Frechheit


ausgezeichnet

Ein herrlicher Schelmenblick auf die Geschichte der Welt, angefangen bei Adam und Eva, endend mit dem berühmten Zettel, den Angela Merkel an Schabowski über-gab. Angela Merkel wie sie leibte, wirkte, lebte und radebrach.

Sie muss schon immer da gewesen sein und deshalb beginnt Bernd Zeller im Paradies, bei Adam und Eva, erzählt von Höhlenmalereien und die Geschichte, wie wir von den Bäumen herabgestiegen sind. Immer Angela als Treiberin des Ganzen.

Merkel gab der freien Gesellschaft nach Karl Popper (Machtwechsel durch Wahlen ermöglichen) eine völlig neue Prägung, sie konnte mit dem Zauberstab sogar Wahlen rückgängig machen, Tore weit öffnen und eine Gemeinschaft der Gleichgeströmten bilden, bei der man mit Staatsgeld noch mehr Gleichströmung erzeugen konnte.

Die Zeichnungen sind ein Erlebnis, ebenso die erklärenden Texte, ich kam aus dem Lachen nicht mehr raus. Ein tiefgehender, philosophischer Comic der Sonderklasse. Unglaublich, dass eine so kluge Frau aus dem Westen und Osten die Welt auch im Süden und Norden im Griff hatte.

Margot Honecker wäre stolz auf Angela, mir ist das völlig verständlich und niemand kann heute verstehen, warum uns diese Frau 16 Jahre lang zusetzen und schaffen konnte.

Bewertung vom 09.10.2024
Deutsche Dinge
Matlé, Andreas

Deutsche Dinge


ausgezeichnet

Eine Reise durch Alltagsgegenstände der jüngsten Vergangenheit, vom Kassettenrekorder bis zum e-Scooter, vom Billy Regal bis zum Lebertran. Die Dinge wurden nicht notwendigerweise in Deutschland entwickelt oder erfunden, sondern sie haben sich nachdrücklich mit unserem Leben verbunden, sie wurden hier mithin nahtlos integriert.

So zum Beispiel das Billy-Regal von Ikea, das auch mein Studentenleben begleitete. Das Duzen der Ikea Werbung kam damals radebrechend komisch daher, heute stört mich die Imitation dieser Ansprache in fast allen Lebensbereichen massiv. Alle, die mich kalt duzen, werden umgehend aus Kauferwägungen eliminiert, auch Ikea inzwischen.

Von 1949 an (Schellackplatte Capri-Fischer) und Rudi Schurickes Leben (er geriet in Vergessenheit, betrieb in München einen Waschsalon) werden pro Jahr Erinnerungen wach, die ich mit Spannung durchschritt. Tatsächlich kannte ich den Henkelmann noch, mit dem man die frische Milch bei der Bäuerin in der Nähe holte.

Aber auch das Mittagessen wurde von Kindern im Henkelmann an ihre Väter (noch warm) in die Fabrik gebracht oder von diesen morgens schon mitgenommen. „Mit der Zeit boten größere Betriebe ihren Arbeitern an, ihre morgens abgegebenen Speisen in der Fabrikkantine zu erwärmen.“

Später wurde Essen dann in immer mehr Kantinen angeboten und Andreas Malté erwähnt die Spiegel Kantine in ihren unnachahmlichen Farben und Objekten. Sie verursachen bei Besuchern wohl oft „Aquaplaning im Auge“. Seit dem Umzug der Kantine 2011 steht diese Kantine im Museum. „Ein Novum, fristet doch kaum eine Kantine ihren Ruhestand in einem Museum.“

Heute steht die alte Spiegel Kantine im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe. Das Buch „Die Spiegel-Kantine“ (von Ina Grätz) dokumentiert die Geschichte dieser begehbaren Stilikone. Eine Frage zum Rätseln: welches Auto wurde früher Henkelmann genannt?

Die nach Jahren geordneten Dinge sind in diesem Buch Zugriffspunkte, anhand derer die deutsche Geschichte entfaltet und in ihren Alltagswirkungen über einen längeren Zeitraum vermittelt wird. So wurde der Lebertran (1951) abgelöst durch den leichter einnehmbaren Sirup „Multi-Sanostol“, das kindgerechte Multi-Vitamin-Präparat für die Aufbaujahre. Viele hören die Werbung noch: „Wenn ein Kind lustlos ist, wenig Appetit hat und oft erkältet ist, braucht es Multi-Sanostol.“

Das Ampelmännchen (hier eingeordnet in 1990) wurde von Karl Peglau 1961 erfunden, mit Knollennase und Bauchansatz bzw. mit einem Strohhut bedeckt, den Karl Peglau bei Erich Honecker gesehen hatte. Heute ist dies die zentrale Idee einer Nostalgie, weltweit vermarktet mit vielen Produkten, auch in Ampelännchen-Shops in Tokio und Seoul.

Spannend, lehrreich Hintergründe aus der nahen Vergangenheit - ein Immer-Wieder-Lesbares Buch, insbesondere auch für Diskussionen, Treffen mit Freunden. In jedem Fall besser, als irgend eine Serie im TV/Stream anzuschauen.

Bewertung vom 06.10.2024
Retter in dunkler Zeit
Littek, Frank

Retter in dunkler Zeit


ausgezeichnet

In der Einleitung des Buches werden das Milgram und das Wellen Experiment erwähnt. Beide sagen, dass der Mensch unter großem Gruppendruck Dinge macht, die ihm diktatorisch aufgezwungen werden, unabhängig von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation oder Kultur. Die Frage bliebe, ob es in Nationen / Kulturen gewisse Tendenzen gibt, der Obrigkeit mehr zu folgen als in anderen.

Es gab und gibt sie zu allen Zeiten, an allen Orten. Gerechte, hilfsbereite Menschen, die Verfolgten Schutz bieten und weiterhelfen. So auch in Deutschland. „In den meisten Fällen geschah das, in dem die Retter Juden vor dem Zugriff von Gestapo und SS versteckten und mit Lebensmitteln versorgten.“ Die in diesem Buch erzählten Geschichten zeugen von Mut und Kreativität, ihre Helden werden heute unter dem Ehrentitel „Gerechter unter den Völkern“ in der Gedenkstätte Yad Vashem in Erinnerung gebracht. 651 Deutsche wurden bisher ausgezeichnet.

In der Tat stünde es Deutschland gut an, diese Retter sehr viel stärker zu ehren als dies bislang geschehen ist. Pro Tag lese ich eine Geschichte, eine Biografie, um zu erkennen, was Menschsein und Anteilnahme ausmacht. Hier werden mutige Personen beschrieben, die sich für anderen einsetzten, in größter Not nicht abseits standen.

Ein besonderes Versteck war in Lenggries / Oberbayern. Retter war der örtliche Polizeichef Paul Mayer, der Juden im Gebäude der Polizeistation versteckte. Zusammen mit seiner Frau Rosa Mayer beschützte er dort die jüdische Ärztin Sophie Mayer. Maria Letnar, die Schwester von Rosa Mayer lernte die Ärztin im Englischen Garten in München kennen und vermittelte die Polizeistation in Lenggries bzw. die Familie Mayer. Dr. Sophie Mayer lebte dort drei Jahre!! in der Dienstwohnung, die sich direkt über dem Polizeirevier befand. Der amerikanische Kommandeur stellte den Offizieren Sophie Mayer mit den Worten vor, sie habe sich direkt vor der Nase der Gestapo versteckt.

Aus jeder Geschichte bzw. den Namen, die in diesem Buch erwähnt werden, könnte man vermutlich einen Roman entwickeln. Verzweiflung, Mut und Hilfe sind trotz allem nahe beieinander, sie sind Züge des Menschlichen in finsterer Zeit, es kommt immer darauf an, was wir daraus machen. Wichtig ist immer, miteinander zu reden, so wie dies Maria Letnar im Englischen Garten in München mit der Ärztin Dr. Sophie Mayer tat. Nicht alle sind ideologisch verblendet und vermutlich erkennt man diese Menschen, wenn man ihnen in die Augen und das Herz schaut.

Max Nagler in Krakau, ein Postangestellter, rettete 6 Menschen vor dem Zugriff der Nazis, in dem er sie 3 Jahre bei sich in der Wohnung aufnahm, er wurde von den Russen im Mai 1945 trotzdem verhaftet und blieb bis 1949 in Kriegsgefangenschaft. Er starb 1996, seine Anerkennung als Gerechter unter den Völkern wurde 2015 erklärt. Die Berichte sind kurz und ergreifend, ich lese in diesem Buch immer wieder.

Bewertung vom 01.10.2024
Anschluss verpasst!
König, Johann-Günther

Anschluss verpasst!


ausgezeichnet

Nach dem ersten Weltkrieg mussten die Reparationszahlungen an die Siegermächte zu großen Teilen von der Deutschen Bahn getragen werden. Und auch nach dem zweiten. Die Bahn und ihre Instandsetzung leiden bis heute darunter. Aufgewachsen bin ich in Hörweite zu einem Dampflok-Schuppen, dessen Geräusche mir als Kind aufstehen signalisierten, um in 15 Minuten in den Zug zur Schule einzusteigen (20km entfernt). Das Rattern ist mir bis heute noch im Ohr, trotzdem bin ich später eher wenig Bahn gefahren.

Die entscheidende Rolle spielt in Deutschland der SchienenNahverkehr, ihn nutzen 95% der Bahnfahrer, so wie ich damals. Der Fernverkehr hat einen Anteil von 5%. Bis 2030 will die Bahn 4000 km Strecken generalsanierten, die dann für fünf Monate und länger gesperrt sein werden.

Wie hoch sind die Chancen, dass Deutschland endlich dem klimafreundlichsten Fortbewegungsmittel jene Qualität wiederbringt, die dem gewohnten deutschen Qualitätsanspruch entsprechen? Darum geht es in diesem Buch, das die Strategie der DB und ihre Geschichte analysiert und in seinen Einzelteilen erklärt.

Der altersbedingte Nachholbedarf für Instandsetzungen der Bahn wurde 2023 auf 103,4 Milliarden Euro beziffert, etwas mehr als die Hälfte davon alleine für die Brückensanierung. Die Carola Brücke in Dresden lässt grüßen.

Sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene wurde eine Privatisierung der Bahnen vorangetrieben, allerdings nicht mit entsprechenden Erfolgen. In Baden-Württemberg wird aktuell über eine Zwangsabgabe für den öffentliche Personennahverkehr diskutiert inkl. Zurückdrängen und Kontrolle von Autos im öffentlichen Raum.

2022 betrug der Anteil des motorisierten Individualverkehrs 81%, der des Schienenpersonennahverkehrs nur 9%. Wer auf dem Land wohnt ist mehr mit dem Auto unterwegs, der Städter mit Bahn und Bus. Die Treibhausgasemissionen sollen von 1994 bis 2050 um 95% gesenkt werden. Dafür braucht die Schiene den absoluten Vorrang. Seit der Bahnreform von 1994 hat sich die Eisenbahnnutzung jedoch kaum erhöht. Die Bahn verdient zudem kein Geld im freien Wettbewerb, es bleibt ein staatliches Zuschussgeschäft.

Es scheint richtig, dass die Bahn ihre Vielzahl von unproduktiven Untergesellschaften wieder abbaut und ihre privaten Absichten in eine gemeinwohl-orientiertes Unternehmen überführt. Die Schweiz lässt grüßen. „Pendelnde Fahrgäste und Reisende, die sich einen Pünktlichkeit auf die Minute erhoffen, sollten daher besser mit einem Umzug in die Schweiz liebäugeln, denn deren Eisenbahnen sind hinsichtlich Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Sauberkeit vorbildlich.“

Stuttgart 21 habe ich erlebt und kann Herrn König zu dem beschriebenen Desaster nur zustimmen. Es ist ein Flop ersten Grades, dessen aktueller Sach- und Schuldenstand vom Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 gut zusammengefast wird. Heute klagt die Bahn gegen das Land BW, um die gestiegenen Kosten zurückzuholen. Klagen und Anwaltskosten sind vorprogrammiert. „Auffällig ist im Übrigen, dass der Finanzierungsvertrag für das Riesenprojekt S21 ungewöhnlich vage gestaltet ist.“

Die Beschreibungen und Schlussfolgerungen (20 Kapitel) von Johann-Günther König sind höchst lesenswert und waren für mich als WenigBahnReisenden sehr aufschlussreich. Eine Fülle von Formulierungen und Daten habe ich mir rausgeschrieben und kann den 7 Optimierungspunkten am Ende des Buches nur zustimmen. Besonders interessiert wäre ich an den Nachtzug-Angeboten, die wieder kommen sollten. Und wie schön wäre es, wenn verfallende Bahnhöfe wieder zu attraktiven Zugängen zur Bahn umgestaltet würden.
Bis dorthin blickt man auf verfallende, funktionslose Steinhüllen, die gar keine oder keine angemessenen Toilettenanlagen aufweisen.

Bewertung vom 20.09.2024
Im Grunde gut
Bregman, Rutger

Im Grunde gut


ausgezeichnet

"Only bad news are good news". Wer dieser leider zutreffenden Aussage in den Medien ausweichen möchte - und man sollte das dringend tun - ist mit diesem Buch an einer höchst spannenden Adresse gelandet. Alleine die Erklärungen über das Buch "Herr der Fliegen" ist es wert, den Gedanken des Autors zu folgen. Ich habe es inzwischen mehrfach gehört und bin begeistert.

Bewertung vom 19.09.2024
Die einsame Buchhändlerin von Tokio
Hanada, Nanako

Die einsame Buchhändlerin von Tokio


ausgezeichnet

Fast alle Bücher, die wiederum von Büchern oder Buchhandlungen, gerne auch Verlagen handeln, lese ich. So also war auch dieser Roman nicht Pflicht, sondern mitten in meinem Kern-Interesse als Buchliebhaber.

Nanako Hanada, eine Buchhändlerin, hat sich von ihrem Mann getrennt und verabredet sich auf der Plattform ThirtyMinutes (Erfindung) mit unbekannten Menschen. Ziel: ein 30-minütiges Gespräch, in dem man sich kennenlernt und austauscht, die Sicht- und Denkweise von anderen kennenlernt, in hin und her fließenden, guten, hilfreichen Gesprächen. Hanako inseriert als sexy Buchhändlerin zu Beginn und verspricht jedem nach dem Gespräch eine passende Buchempfehlung.

Mit den Erfahrungen dieser Gespräche wird sie immer selbstbewusster und charakterisiert im Buch die unterschiedlichsten Gespräche, auch die Korrektur ihres Profils - weg vom üblichen, Äußeren hin zu anderen Werten. Jedes Gespräch beantwortet sie dann mit passenden, hilfreichen Buchempfehlungen.

Angeblich würde sie über 10.000 Bücher kennen, so gibt sie in ihrem Profil vor. Natürlich kann sie nicht alle gelesen haben, aber den Kern eines Buches ist etwas anderes als alle Seiten zu kennen. Leider sind viele der Bücher nicht bei uns präsent, trotzdem war es spannend alle Rezensionen und Tipps zu lesen. Dieses Buch von Nanako Hanada hat mich bereichert, gefesselt und bewegt.

Eine der Gesprächspartnerinnen sagt ihr z.B. das: „Bitte schlage mir ein Buch vor, das mir das Herz langsam auseinanderreißt.“ Ich dachte dabei an Kafka’s Aussage: „Das Buch sei die Axt für das gefrorene Meer in Dir.“ Zufriedene Menschen fand Nanako auf ThirtyMinutes nicht, sondern jene, die an einem Wendepunkt des Lebens standen oder gingen.

Ihr selbst geht es genauso und spannend ist zu beobachten, wie sie sich durch die Begegnungen verändert. „Ich lernte auch, auf das Bedürfnis zu verzichten, um jeden Preis dazugehören zu wollen. Ich ließ mein lange antrainiertes Höflichkeitslachen fallen und lachte nur noch, wenn ich etwas wirklich lustig fand. Ich wurde zu einer in sich ruhenden Person, die keine Angst vor dem Unbekannten hatte.“

So entwickelt sie sich weiter, anschaulich und tiefgehend beschrieben, ein sehr schönes, nicht lautes, sondern selbst erkennendes Buch, in dem es auch darum geht, wie man mit anderen gute Gespräche führt und sich selbst als mitfühlenden Menschen weiter bringt - vor allem hin zu einer Tätigkeit, die einen begeistert. Weil Arbeit dann keine mehr ist, sonder tägliche überraschende, fließende Erkenntnis.

Interessant ist, wie höflich man in Japan miteinander umgeht und dass andere Kulturen im Grund kein Thema sind. Aus diesem Grund würde ich Hanako Hanada ein Buch von Sabatina James empfehlen, mit dem Titel „Gefangen zwischen zwei Welten.“ Es könnte ihr die Perspektive auf Europa eröffnen bzw. die Problematik, die hier aktuell die Menschen beschäftigt.

Bewertung vom 17.09.2024
Die Realität der Ideale
Boehm , Omri;Adrian, Michael

Die Realität der Ideale


schlecht

Mir fällt es sehr schwer Boehm zu lesen und noch schwerer, ihn zu verstehen. Ein Konvolut von paraphrasierten Gedanken, die er auf Israel und Gaza anwenden will. Kann es nach dem 7.10.23 noch israelisch-palästinensische Freundschaften geben? Für ihn schon.

Überraschend, wo Boehm überall Rechte und Rechtsextreme sieht, nur bei der Hamas verwendet er diesen Terminus nicht, obwohl er vermutlich höchst angebracht wäre. Immerhin gesteht er den rechten Israelis zu, dass sie sich verteidigen dürfen.

Kolonialismus und Palästinenser, meines Erachtens müsste das auf das Osmanische Reich angewendet werden, nicht aber auf die Europäer. Osmanen haben nach 500 Jahren ohne Buchdruck den Gaza Landstrich als nichts hinterlassen. Juden kamen und kauften ihr Land erneut, sie machten aus ihm einen Garten Eden, während die Hamas den Gaza-Streifen im grauen Müll der Korruption verenden lässt.

Nichts lese ich in diesem Buch von einer Analyse der islamischen Religion, die auf die Ungläubigen wenig anwendet, um Freundschaften zu erzielen. Ganz im Gegenteil. Ungläubige sind höchsten zur Zahlung von Strafsteuern wert.

Kant, Lessing, Hannah Arendt u.v.a. werden in diesem schmalen Büchlein zitiert, im Kreis gedreht und so unleserlich bzw. unverständlich wie möglich dargeboten.

Sein Aufruf an Europa: Besteht auf der Realität Eurer Ideale des kosmopolitischen Universalismus, der Menschenrechte mithin, die überall zu gelten hätten. (Aha, und was haben die islamischen Staaten dazu beschlossen?) Kann man trotzdem so sagen, aber wo bleibt die Realität dieser einen Kultur, die keine Freundschaft und keine Versöhnung will. Sondern, wider alle modernen Erkenntnisse, herrschen mit einer Welt von VorVorVorgestern?

Bewertung vom 17.09.2024
Tu was!
Polenz, Ruprecht

Tu was!


schlecht

Ruprecht Polenz sei einer der reichweitenstärksten deutschen Politiker in den sozialen Medien und hätte ca. 100.000 Follower bei X (genau 99.500). So wird er in diesem Buch angekündigt. Es mag durchaus stimmen und ich rate jedem, Polenz auf X zu besuchen und ihn dort als Verteidiger der Demokratie zu erleben. Er wiederholt in diesem Buch im Grunde das dort Geschriebene, allerdings ohne Diskussion.

Am 13. Juni 2022 postete Polenz: „Allein debattieren wird nicht reichen. Wir werden eine ImpfPflicht brauchen, endlich bessere Corona Daten durch repräsentatives Testen und Maskenpflicht in geschlossenen Räumen abhängig von den Inzidenzzahlen.“ Hier zeigt sich ein Geist, der hinter Diskussionen reicht, die wer auch immer diktatorisch zu beenden habe. Damit ist vieles über Polenz gesagt. Im Grunde das Meiste.

Immerhin muss er erleben, dass ihm auf X direkt widersprochen wird, jeder sollte diese Antworten mindestens bei 10 Themen lesen. Polenz könnte erkennen, dass er auch mit diesem Buch auf einem Holzweg ist, der dazu beiträgt, die so genannte nicht-demokratische Partei weiter anwachsen zu lassen. Sie vermittelt das Programm der CDU aus den 90ern, bevor Merkel den Marsch nach links antrat.

Massive Ausgrenzungen der sogenannten demokratischen Parteien gegen die Unsägliche haben nur weiter zum weiteren Erfolg der letztgenannten beigetragen. Polenz baut den Popanz der üblichen Verdächtigungen in diesem Buch massiv auf, wiederholt das bis zur Grenze des Erträglichen Vorgetragene und auch der Beck Verlag muss sich fragen lassen, warum er diesen Wiederholungen Raum gibt, während Maaßen das Wort verboten wurde.

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Bewertung vom 16.09.2024
Brief in der Nacht
Polak, Chaja

Brief in der Nacht


weniger gut

Chaja Polak vermischt die Erlebnisse aus dem Holocaust bzw. dem osteuropäischen Judentum mit den aktuellen Ereignissen in Israel, sie schiebt Netanyahu die Schuld zu wie sie eine extremistische Hamas als Verursacher der Probleme sieht. Was sie nicht unternimmt, ist eine Analyse der religiösen Gründe, die man in den Grundlagenwerken des Islam extrahieren kann. Leider.

So bleibt dieses Buch ein Stückwerk, ein emotionaler Griff in die Vergangenheit, in dem ihr Mann auch noch als Zeuge herhalten muss, der das oder das wohl genau so gemacht/gemeint hätte. „Rafael Baroch, ein auf Menschenrechte und Migration spezialisierter Jurist, scheint sich den Gedanken meines Mannes anzuschließen.“ Die wahre Tragödie des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern läge im Verlust ethischer Werte“. Es sei ein Kampf um Menschlichkeit und Ethik.

Natürlich ist es das. Aber wodurch wird es begründet? Durch besonders liebenswerte, nicht aggressive Worte im Koran, den Hadith? Diese Frage stellt sich die Autorin nicht.

„Juden, gerade Juden sollten Empathie mit dem palästinensischen Volk empfinden.“ Israel, kritisiert Polak, sei von einer biblischen Romantik in Geiselhaft genommen. Dies würde alle in den Abgrund reißen. Die Frage wäre, ist es eine jüdische oder islamische, biblische Geiselhaft?

Ich habe die Passagen, die von Holocaust, Vertreibung und jüdischem Leben handeln, mit größtem Mitgefühl und Mitleiden gelesen, alleine die Folgerungen überzeugen mich nicht.

Ihre Position des „Denn das geht nicht, was Israel jetzt tut" kann ich emotional nachvollziehen, aber das reicht nicht. Auch nicht die Aufzählung der Genozide, die bislang stattfanden. Wozu insbesondere die Vertreibung und Tötung der Armenier gehört: „Türken zwangen die Armenier dazu, ihre Häuser zu verlassen, trieben sie wochenlang in endlosen Kolonnen bis tief in die syrische Wüste hinein, wie sie ihrem Schicksal überlassen wurden und an Durst und Erschöpfung starben.“

Woher kommt der Antisemitismus in der islamischen Welt? Ich wünsche der Autorin die Neugierde, z.B. dieses Buch zu lesen: „Frauen sind Eure Äcker“ von Ilhan Arsel. Oder schlicht die Grundlagenwerke des Islam zu studieren. Satz für Satz.

Die Sanftmütigen Menschen, die gegen Netanyahu demonstrieren, die Freunde von Frau Polak, die freundschaftlichen Kontakt mit Palästinensern hatten, sie alle werden nicht richtig informiert in diesen Tage von Twitter und Sozialen Medien. Ernsthaft?

Die Entmenschlichung der Hamas hat ihre Gründe, die in unauslöschlichen Worten definiert sind. Wer diese Gründe nicht kennt und weiß, dass Unmenschlichkeit nicht mit Menschlichkeit beantwortet werden kann, schreibt solche Essays und paraphrasiert ohne Ende Gedanken anderer.