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Reiseweise

Bewertungen

Insgesamt 39 Bewertungen
Bewertung vom 08.07.2024
Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland
Brooks, Sarah

Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland


sehr gut

Ungewöhnliche Fantasy

Dieses Buch mit dem ungewöhnlich langen Titel ist eine ebenfalls sehr ungewöhnliche Fantasy-Geschichte. Zunächst wirkt die beschriebene Romanwelt noch recht realistisch: Ein Zug der Transsibirischen Eisenbahn soll von Peking nach Moskau quer durch Sibirien fahren. Doch mit jeder Seite wird die Geschichte ungewöhnlicher und die Fantasyelemente wortwörtlich fantastischer. Wir folgen drei Passagierinnen, deren Erlebnisse im Zug mehr oder minder miteinander verknüpft sind durch eine zunehmend fantastischere Welt, als der Zug durch Sibirien fährt - denn in dieser Romanwelt ist Sibirien von mutierten Lebewesen und einer neuen Lebensform bewohnt, die man so eher aus Beschreibungen von extraterrestrischen Lebensformen aus anderen Fantasyromanen kennt. Was von der Geschichte als Allegorie verstanden werden soll und was einfach nur als Fantasy gelesen werden soll, ist manchmal unklar.

Bewertung vom 03.07.2024
Eve
Towles, Amor

Eve


sehr gut

Hollywood, Stars und ein Krimi

Die Charaktere aus Amor Towles neuem Roman Eve sind offenbar aus vorherigen Werken entlehnt. Man merkt beim Lesen aber schnell, dass sie so interessant sind, dass der Autor diese Geschichte unbedingt erzählen wollte. Über die Protagonistin Eve erfährt man eigentlich recht wenig und die meiste Zeit wird sie aus der Sicht anderer Charaktere beschrieben, die ihr begegnen. Das macht aber genau den Reiz des Romans aus: Die verschiedenen Charaktere begegnen sich in verschiedenen Konstellationen und Stück für Stück setzt sich eine spannende Geschichte zusammen, die zunächst wie eine lockere Beschreibung der Welt von Hollywood wirkt, sich dann aber zu einem Krimi entwickelt. Ab und zu fallen Tippfehler und sonderbare Übersetzungen auf, ansonsten schöne erzählt.
Zur Story: Ein Polizist im Ruhestand, ein gealterter Filmstar, die berühmte Schauspielerin de Havilland und die mysteriöse Eve treffen im Hollywood der 1930er Jahre aufeinander. Spannender, leicht erzählter Roman.

Bewertung vom 01.06.2024
Die kurze Stunde der Frauen
Gebhardt, Miriam

Die kurze Stunde der Frauen


sehr gut

Aufarbeitung der Nachkriegszeit

In ihrem Buch über Frauen im Nachkriegsdeutschland geht die Journalistin und Historikerin Miriam Gebhardt der Frage nach, inwieweit das Bild der tapferen Trümmerfrauen, die quasi mit bloßen Händen Deutschland und die demokratische Gesellschaft wieder aufgebaut haben, während sie gleichzeitig die Familien zusammengehalten und ein neues Zeitalter der Gleichberechtigung eingeläutet haben, der Wahrheit entspricht.
Sie kommt zu dem Schluss, dass dies ein Trugbild ist. Dabei erläutert sie anhand historischer Quellen - beispielsweise einer Vielzahl an Tagebucheinträgen und Zeitzeugeninterviews - aber auch statistischer Daten, dass das kollektive Bild dieser Zeit überarbeitet werden muss:
Die Trümmerfrauen waren tatsächlich meist Nazikader, die zur Strafe die Trümmer beseitigen mussten. Die Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt war der Not geschuldet und nur kurzlebig - sie wurden wieder von Männern verdrängt, als diese aus Kriegsgefangenschaft zurückkehrten. Die Feministinnen, die die Gleichberechtigung im Grundgesetz verankerten, waren bereits in der Weimarer Republik oder dem Kaiserreich politisiert, während die in der Nazizeit sozialisierten Frauen bereitwillig dem wieder aufkommenden konservativen Ideal der Kernfamilie, in der die Mutter sich zu verwirklichen hat, folgten.
Eine interessante Lektüre, die mit einigen neuen und einigen erwartbaren Erkenntnissen aufwartet.

Bewertung vom 29.04.2024
Der Wind kennt meinen Namen
Allende, Isabel

Der Wind kennt meinen Namen


sehr gut

Verknüpfte Migrationsgeschichten

Isabel Allendes neuer Roman „Der Wind kennt meinen Namen“ verknüpft die Lebensgeschichten mehrerer Einwanderer in den USA - von Leticia, die mit ihrem Vater einst vor dem Bürgerkrieg aus El Salvador floh, von Samuel, der als jüdisches Kind in Wien von seiner Mutter nach England geschickt wurde, um ihn vor dem Massenmord der Nationalsozialisten zu retten, und von Anita, die beim Grenzübertritt an der mexikanisch-amerikanischen Grenze von ihrer Mutter getrennt wird, wie es während Trumps Präsidentschaft tausendfach getan wurde. Auf verschlungenen Wegen verbinden sich ihre Schicksale.

Der Roman hat einige starke Passagen, zum Beispiel immer dann, wenn die kleine Anita zur Erzählerin wird und wir aus ihrer Sicht erfahren, wie sie versucht, sich selbst vor Trauer und Ungewissheit zu schützen. Auch der Anfang, der noch aus Sicht von Samuels Eltern erzählt wird, ist eindrücklich erzählt. Viele Stellen scheinen jedoch mehr der Hintergrundinformation für uninformierte Leser:innen zu dienen als der Entwicklung der Charaktere oder der Geschichte. Erstere bleiben dadurch leider teilweise etwas blass, letztere wirkt stellenweise etwas unzusammenhängend.

Bewertung vom 25.04.2024
Wo die Asche blüht
Que Mai, Nguyen, Phan

Wo die Asche blüht


ausgezeichnet

Vietnamerikanische Geschichte

In ihrem neuen Roman „Wo die Asche blüht“ widmet sich die Autorin dem Teil der Geschichte Vietnams, der allen bekannt sein dürfte, nämlich dem Vietnamkrieg. Ihr Zugang erfolgt jedoch über einen unbekannten Teil, nämlich über das Schicksal jener Kinder, die aus den Beziehungen US-amerikanischer GIs und vietnamesischer Frauen entstanden sind. Eines dieser Kinder ist Phong, der als Waisenkind aufgewachsen ist und nun versucht, seinen US-amerikanischen Vater aufzuspüren. Eine weitere Hauptfigur ist Dan, ein Vietnamkriegsveteran, der zurückkehrt auf der Suche nach seiner damaligen Freundin, über deren Leben man in den Rückblenden ins Saigon 1969 erfährt.

Wie schon in „Der Gesang der Berge“ arbeitet die Autorin mit Rückblenden und Zeitsprüngen und Charakteren, deren Geschichten erst nach und nach miteinander verbunden werden und auch die kleinen Plottwists ähneln denen im anderen Roman. Leider gelingt es ihr nicht immer so gut wie in „Der Gesang der Berge“, die besondere Atmosphäre einzufangen und manche Dialoge und inneren Monologe wirken, als würden sie mehr der Exposition dienen als der Story. An einigen Stellen bleiben Charaktere auch recht blass, von denen man gerne mehr erfahren hätte. Dennoch: Da „Der Gesang der Berge“ sechs Sterne verdient hätte, kommt „Wo die Asche blüht“ noch auf fünf Sterne.

Bewertung vom 14.04.2024
Die Spaghetti-vongole-Tagebücher
Maiwald, Stefan

Die Spaghetti-vongole-Tagebücher


sehr gut

Kulinarische Reise

Wenn man seinen Geburtstag mit der Familie feiert, sorgt man für gutes und ausreichend viel Essen - insbesondere, wenn man in Italien lebt wie der Autor. Das Problem ist allerdings, dass er damit auch noch seine Schwiegereltern beeindrucken möchte, die seinen Kochkünsten seid Jahren eher kritisch gegenüberstehen. Was ist die Lösung? Die regionalen Spezialitäten der italienischen Heimatregion kochen. Mutig, aber mit Hilfe von lokalen Köchinnen, Fischern, Restaurant-, Bar- und Marktstandbetreibern sollte es hoffentlich gelingen… so lautet zumindest der Plan des Autors!
Auf seiner kulinarischen Reise entlang der Küste des Venetos und Friauls schildert der Autor lokale Köstlichkeiten und ihre Zubereitung, die Traditionen dahinter und trifft lokale Expert:innen. Zwischendurch gibt es kleine Exkurse und alles ist sehr unterhaltsam geschrieben.

Bewertung vom 21.03.2024
Selbe Stadt, anderer Planet
Meindl, Dominika

Selbe Stadt, anderer Planet


sehr gut

Hallstatt meets China


Der kleine Ort Hallstatt im österreichischen Salzkammergut hat es vor kurzer Zeit in die Medien geschafft als einer jener Orte, die durch ihre „Instagrammability“ weltweit bekannt wurden und durch Overtourism nun an der Menge der Gäste zu verzweifeln drohen. Für die chinesischen Tourist:innen, die den Ort gerne besuchen, wurde inzwischen in China der Ort im subtropischen Boluo nachgebaut - als Neubaugebiet. Von diesem Nebeneinander handelt Dominika Meindls Roman und die verschiedenen Charaktere - österreichische wie chinesische - treten auch vor allem nebeneinander auf: Sie begegnen sich selten und wenn, dann ohne zu wissen, dass sie es tun. Der Roman beschreibt auf subtile Weise das Leben in der Kleinstadt Hallstatt, in der die meisten Menschen kaum noch große Pläne für ihr Leben haben und das Leben des chinesischen Tourismusplaners, der zwar große Pläne hat, aber damit auch nicht so recht glücklich wird. Ein schön geschriebener Roman, der zum Nachdenken anregt über das Reisen und Leben an Reisezielen.

Bewertung vom 16.03.2024
Mein ziemlich seltsamer Freund Walter
Berg, Sibylle

Mein ziemlich seltsamer Freund Walter


sehr gut

Anders sein ist ok

Lisas Leben ist nicht einfach. Ihre Eltern gammeln den ganzen Tag nur rum und kümmern sich nicht um sie, in der Schule hat sie keine Freunde und von den gelangweilten Jugendlichen auf dem Spielplatz wird sie geärgert. Und ihr großes Hobby, die Astronomie, ist allen eh egal. Aber dann kommt Walter: ein kleiner Außerirdischer auf der Durchreise. Und nun wird alles anders…

In dieser Comic-Adaption des gleichnamigen Theaterstücks haben Sibylle Berg und Julius Thesing ein hübsches kleines Kinderbuch erschaffen, das die - zugegebenermaßen nicht besonders neue - Idee, dass es ok ist, anders zu sein und alle gerne Freund:innen hätten, kindgerecht darstellt. Die Zeichnungen sind hübsch anzuschauen und der Comicstil ist passend: Nicht zu cartoonhaft, simpel und mit netten kleinen Details im Hintergrund. Der Text von Sibylle Berg ist lakonisch geschrieben und eignet sich gut zum Vorlesen für alle ab ca. 8 Jahren.

Bewertung vom 15.03.2024
Das Befinden auf dem Lande. Verortung einer Lebensart
Vedder, Björn

Das Befinden auf dem Lande. Verortung einer Lebensart


sehr gut

ESSAY GEGEN DIE PROVINZ

Das Landleben, so Björn Vedder in diesem kleinen Büchlein, ist schrecklich. Er muss es wissen, denn er lebt selbst dort. Er beschreibt in seinem Manifest (bzw. Essay, denn das Werk ist doch recht kurz) das Leben auf dem Land als geprägt von sozialem Druck, einer konservativem Norm zu entsprechen, sich anzupassen und einzufügen. Er beschreibt das Landleben als Leben der Provinz, die sich abschottet von liberalen und demokratischen Grundsätzen und auf vormoderne Sitten zurückzieht. Dies gilt insbesondere für rechte und konservative Landbewohner:innen, aber auch für jene vermeintlich Aufgeklärten, die aus den Städten aufs Land - in Vedders Fall: den Ammersee - ziehen. Vedder zitiert viele Philosoph:innen von Nietzsche über Eva Illouz bis Hartmut Rosa und schreibt teils bitterböse, teils reflektiert, teils sehr geprägt von eigenen Erfahrungen. Regt zum Nachdenken an, denn auch wenn ein paar Inkonsistenzen auffallen (so kritisiert er z.B. den Egoismus des Liberalismus, um dann selbst liberale Vereinzelung einzufordern), ist er sicher in der soziologischen und geographischen Theorie über die Nachteile des „räumlich weiten, aber sozial nahen“ Lebens auf dem Lande. 22 Euro für 140 Seiten sind allerdings recht happig.

Bewertung vom 09.03.2024
Mayfair House
Hay, Alex

Mayfair House


sehr gut

Dienstmädchen-Coup

London Mayfair, 1905: Mrs. King, die Haushälterin der Familie de Vries in der größten und prächtigsten Villa in der Stadt wird aus fadenscheinigen Gründen entlassen und beginnt umgehend, ihren lang entwickelten Racheplan in die Tat umzusetzen: Während Miss de Vries ihren prächtigen Ball gibt, werden sie und ihre Freundinnen (die alle etwas mit dem Haus de Vries verbindet) die Villa leer räumen. Und zwar vollständig.
Die Beschreibungen der Opulenz der Londoner Villen mit ihren dekadenten Schmuckstücken und Kunstwerken, die aufgesetzten Höflichkeiten der Oberschicht und die rauen Umgangsformen der Halbwelt werden detailreich beschrieben, so dass man sich das Setting und die Charaktere sehr gut vorstellen kann. Viele der Charaktere sind vielschichtig gezeichnet, aber leider nicht alle. Die Plot-Twists sind überzeugend und machen das Buch spannend, manche Erzählstränge werden aber leider nicht ganz zu Ende geführt. Trotzdem: Lesen!