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Reiseweise

Bewertungen

Insgesamt 51 Bewertungen
Bewertung vom 09.01.2025
In einem Zug
Glattauer, Daniel

In einem Zug


sehr gut

Unterhaltsame Dialoge

Der Schriftsteller Eduard Brünhofer fährt von Wien nach München. Warum, traut sich der Ich-Erzähler Brünhofer zunächst nicht zu sagen, aber der Termin steht ihm bevor. Schräg gegenüber im Abteil sitzt eine Frau, von der er glaubt, dass sie ihn erkannt hat - und bald schon verwickelt sie ihn in ein Gespräch. Dieses nimmt so einige Wendungen, die Brünhofer so ganz sicher nicht erwartet hatte. Die Unbekannte heißt Catrin Meyr und stellt ihm so offene, teilweise unverfrorene, neugierige Fragen, dass er schnell mehr erzählt, als er eigentlich vorhatte (denn eigentlich würde er lieber zuhören).

Die Dialoge zwischen diesen beiden Protagonist:innen sind rasant, schlagfertig und klug. Wo sie im Mittelpunkt stehen, ist der Roman sehr unterhaltsam und man denkt oft, wie Recht der eine oder die andere doch hat. Zwischendurch fließen Gedanken des Ich-Erzählers oder seine Beobachtungen ein, die oft auch interessant sind. Einige Klischees (über Frauen, Männer, Italiener und die Liebe) tauchen auch auf, die sich der Autor hätte sparen können, insgesamt aber ein kurzweiliger Roman mit einigen Sätzen, die im Gedächtnis bleiben - und einem netten Twist am Ende!

Bewertung vom 27.11.2024
Antichristie
Sanyal, Mithu

Antichristie


sehr gut

Rasant

Dieser Roman ist definitiv nicht geeignet für Leser:innen, die ein Buch suchen, in dem man gemütlich schmökern kann. Er ist aber geeignet für alle, die sich auf einen wirklich rasanten Ritt durch die britisch-englisch-deutsche-globale Geschichte wagen wollen, bei dem man nebenbei fast ebenso viel in Wikipedia nachliest wie im Roman selbst liest. Man muss sich auf die Prämisse der verwirrenden Zeitsprünge einlassen und die ungewöhnlichen Einsprengsel von Kameraeinstellungen und Zitaten, aber wenn man das macht, erwartet einen ein ungewöhnlicher und ungewöhnlich weiterbildender Roman.
Beim Lesen erfährt man unglaublich viel Neues über die komplexe Geschichte des indischen Kampfes gegen die britische Kolonialmacht und wie Geschichte gemacht wird von Menschen und Umständen. Ein bisschen Doctor Who und am Ende auch Sherlock Holmes dazu, und alles in einem atemlosen Schreibstil. Herausfordernd, aber gut.

Bewertung vom 14.11.2024
Wir finden Mörder Bd.1
Osman, Richard

Wir finden Mörder Bd.1


ausgezeichnet

Unterhaltsamer Krimi
Steve Wheeler ist ein Polizist im Ruhestand, der seine verstorbene Frau vermisst und es sich gemütlich in der kleinen Welt des New Forest eingerichtet hat. Amy Wheeler ist seine Schwiegertochter, die als Bodyguard arbeitet. Und Rosie D‘Antonio ist eine sehr erfolgreiche Schriftstellerin mit Privatjet, die von Amy bewacht wird. Ohne, dass sie es geplant hätten, arbeiten die drei plötzlich zusammen und reisen um die Welt, um herauszufinden, wer Amy umbringen will. Und Rosie. Und eigentlich auch Steven.

Der neue Roman von Richard Osman ist nicht wie die Donnerstagsmord-Bücher. Nicht ganz so tiefgründig, ein etwas anderer Erzählstil, aber er ist trotzdem gut. Osman versteht sich darauf, sympathische und komplexe Charaktere zu erschaffen und ist ein wahrer Meister der kreativen, ironischen und überraschenden Dialoge. Ein lesenswerter, abwechslungsreicher Krimi mit einigen Twists and Turns.

Bewertung vom 19.10.2024
Empathie und Widerstand
Lunz, Kristina

Empathie und Widerstand


sehr gut

Aktivismus-Ratgeber

In ihrem neuen Buch schreibt die bekannte Aktivistin und Unternehmerin Kristina Lunz über die beiden scheinbar gegensätzlichen Prinzipien, die ihr Leben und ihr Handeln prägen: Widerstand und Empathie. Empathie bedeutet für sie, zunächst immer Verständnis aufzubringen und offen zu bleiben, Widerstand heißt, sich aber aufzulehnen und zu widersprechen bei Themen und Positionen, die den Weg in eine bessere Zukunft verstellen. Das schmale Buch funktioniert als Ideenratgeber für Aktivist:innen und hat einige schöne Gedanken: Beispielsweise, dass man seltener „ja, aber“ sagen sollte und eher an ein „ja, und dazu…“ denken sollte - statt Bedenken also Erweiterungen und Tipps äußern sollte. Auch die Beispiele widerständig-empathischer Aktivistinnen waren interessant. Etwas anstrengend fand ich dagegen, dass gefühlt jeder zweite Satz mit „Ich habe / bin / mache“ beginnt und die Autorin sehr viel über ihren eigenen Erfolg und ihre Tätigkeit schreibt.

Bewertung vom 10.10.2024
Suche liebevollen Menschen
Borger, Julian

Suche liebevollen Menschen


ausgezeichnet

Geschichten des Überlebens

In diesem berührenden Buch stellt der britische Journalist Julian Borger ausgehend von der Geschichte seines eigenen Vaters die Überlebensgeschichten mehrerer jüdische Wiener Jugendlichen dar, welche die Shoah überlebt hatten. Sie überlebten, weil sie über Zeitungsinserate an britische Familien vermittelt wurden, die ihnen nach der Machtübernahme der Nazis in Österreich die Flucht aus dem Land ermöglichten.
Ausgehend von den Zeitungsinseraten im Guardian, in denen verzweifelte Wiener Eltern für ihre Kinder Menschen suchten, die sie aufnehmen würden, recherchiert er deren Geschichten. Bei manchen konnte Borger nur wenig finden, bei anderen finden er Überraschendes (so auch bei seinem eigenen Vater) und bei wieder anderen treten so verworrene, unglaubliche und unglaublich berührende Schicksalswege zutage, dass man das Buch kaum aus der Hand legen mag. Er erzählt von Geschichten des Widerstands und des Überlebens, aber auch des Grauens und des intergenerationellen Traumas, das viele Kinder der Überlebenden mit sich tragen. Lesenswert - insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklungen, in denen wieder Grenzen geschlossen und Schuldige in Minderheiten gesucht werden.

Bewertung vom 30.09.2024
Wallis Simpson
Lindinger, Michaela

Wallis Simpson


weniger gut

Klatsch und Tratsch

Wallis Simpson, Duchess of Windsor und Frau des abgedankten Königs von England, ist eine eher ungewöhnliche Wahl für eine Buchreihe, die sich ansonsten offenbar als Heldinnen zu bezeichnenden Frauen widmet. Denn als Heldin wird Wallis in diesem Buch definitiv nicht dargestellt - im Gegenteil: Sie wird als berechnend, verletzend, unsicher, masochistisch, unbelesen, unsympathisch und machthungrig beschrieben. Nach zweihundert Seiten ist die erste Szene zu finden, in der sie Bewundernswertes tut.
Ihr Ehemann Edward kommt ähnlich schlecht weg (dumm, willenlos, kindisch) in den Kapiteln, die als Doppelbiographie der beiden Berühmtheiten dienen.
Dass ich dieses Buch so schlecht bewerte, liegt aber nicht an den unsympathischen Personen - dies sind historische Wahrheiten, das ist nicht das Problem. Problematisch ist, wie viel Spekulation das Buch enthält:
Da wird über mehrere Kapitel erzählt, dass Wallis Simpson intersexuell gewesen sein müsse. Beweis? Die Vermutungen einer Autorin eines anderen Buches über sie und ihre - Zitat! - "großen Hände". Und Edward? Bestimmt schwul. Beweis? Sein bester Kumpel war möglicherweise schwul, aber das weiß man auch nicht genau, denn über so etwas wurde ja nicht geredet damals. Diverse bekannte Persönlichkeiten werden nebenbei als lesbisch benannt, was ja alles interessant wäre, wenn mehr als regenbogenpresseartige Vermutungen geliefert werden würden.
Ebenso hat mich gestört, wie viele inhaltliche und redaktionelle Fehler es gab. Es macht einen Unterschied, ob von einer guten Partei oder einer guten Partie geschrieben wird und Wallis Simpson, die 20 Jahre nach dem Ende der Sklaverei in den USA geboren wurde, konnte unmöglich wie im Buch beschrieben, den Lynchmord an einem Sklaven in Baltimore gesehen haben.

1 von 1 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 22.09.2024
Pi mal Daumen
Bronsky, Alina

Pi mal Daumen


sehr gut

Mathe mal anders

In Alina Bronskys neuem Roman „Pi mal Daumen“ treffen Oscar - hochbegabter Teenager mit Synästhesie, Matheobsession und nicht unbedingt sozialkompatiblem Verhalten - und Moni - dreifache Großmutter aus sozioökonomisch schwierigen Verhältnissen und verworrener Großfamilie - im Hörsaal der mathematischen Fakultät aufeinander. Oscar wählt sich den vermeintlich hoffnungslosen Fall Moni aus, um bei den erzwungenen Partnerarbeiten allein lernen zu können und findet sich nach kurzer Zeit in Monis erstaunlich komplexes Leben verstrickt.
Die beiden Charaktere sind teilweise (wie auch die Nebencharaktere) etwas zu klischeehaft überzeichnet, aber meist dennoch sympathisch und man glaubt ihnen ihr Verhalten und die Dialoge. Schön sind die kleinen mathematischen Anspielungen, beispielsweise in den Namen einiger Nebencharaktere und insgesamt ist der Schreibstil so locker und spannend, dass man das Buch fix durchlesen will.

Bewertung vom 14.09.2024
Als wir Schwäne waren
Karim Khani, Behzad

Als wir Schwäne waren


ausgezeichnet

Buchpreiswürdig!
Das neue Werk von Behzad Karim Khani hätte auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2024 landen müssen!
In diesem Werk schildert der Autor das Aufwachsen des Protagonisten, dessen Eltern mit ihm aus dem Iran geflohen sind, im Bochum der 1990er Jahre. Zwischen dem langsamen Gewöhnen an deutsche Merkwürdigkeiten, den ersten Erfahrungen mit Rassismus aber auch dem wütenden Auflehnen dagegen und den verschiedenen Herausforderungen, die die Pubertät mit sich bringt, wird geschildert, welche Allianzen, Freundschaften und Feindschaften sich im Arbeiterviertel dieser abgehängten Stadt bilden. Die Jugendlichen bilden zunächst Banden (als Kinder) und später Gangs, sie sammeln Erfahrungen mit Gewalt, Hoffnungslosigkeit, aber auch Stolz.
All das beschreibt Behzad Karim Khani in manchmal poetischen, manchmal lakonischen Sätzen, die man oft mehrmals liest, weil sie so großartig formuliert sind. Ein tolles Buch!

Bewertung vom 31.08.2024
Mord in der Charing Cross Road
Hamilton, Henrietta

Mord in der Charing Cross Road


weniger gut

Langweilig und verworren

Dieser Krimi reiht sich ein in die Werke fast vergessener Autor(inn)en, die in den letzten Jahren wiederentdeckt und neu aufgelegt wurden. Teilweise werden so echte Schätze gefunden. In diesem Fall hätte man es sich aber sparen können, das Buch neu aufzulegen.

Die Geschichte ist schnell umrissen - in einem Londoner Buchantiquariat wird ein Buchhändler erdolcht und fast alle aus der Belegschaft sind verdächtig. Außerdem spukt offenbar ein Geist durch den Laden und Sally und Johnny, die im Antiquariat arbeiten, versuchen, dem Mörder auf die Spur zu kommen, um ihre Kolleg:innen zu entlasten. Was ein spannender Krimi hätte sein können, wird aber schnell eine verworrene und langweilige Geschichte.

Sehr viele Seiten werden damit gefüllt, zu spekulieren, welche Person wann in welchem Stockwerk hätte sein können, wer wohl einen Schlüssel zu welcher Tür haben könnte oder wer „charakterlich“ gar nicht zum Mörder taugen würde. Im Laden arbeiten ein Dutzend Menschen, sodass es schwerfällt, sich Namen und Hintergrundinfos zu ihnen zu merken. Ein Großteil der Geschichte wird durch Dialoge gefüllt, die oft aber zu seitenlangen Monologen werden - wortwörtlich seitenlang! Diese Dialoge sind oft nach demselben Muster aufgebaut, wo eine Person die andere etwas fragt und die lange Antwort dann Hintergrundwissen liefert: „Oh, was du noch nicht wusstest: …“ oder „Ich hatte neulich vergessen, dir zu sagen, dass alles ja ganz anders ablief, aber jetzt fällt es mir wieder ein!“. Das ist das Gegenteil von „Show, don‘t tell“.

Negativ aufgefallen sind auch einige unwahrscheinliche Stellen - so ermitteln Sally und Johnny anhand von Zeugen, dass sich jemand um „fünf nach halb sechs, vielleicht auch später“ in einem Pub einfand, Sandwiches kaufte und noch ein Weilchen etwas trank, um dann um „zwanzig vor sechs, vielleicht auch früher“ wieder zu gehen. Das erscheint dann doch auch bei englischen Trinkgewohnheiten etwas knapp bemessen. Auch die im Klappentext benannte „wunderbare Liebesgeschichte“ zwischen den beiden Ermittelnden wirkt sehr blutleer und unwahrscheinlich.

Dazu ist einiges an Beschreibungen und Verhalten der Charaktere wirklich nicht gut gealtert. Über sexuelle Belästigungen wird einfach hinweggegangen von den Charakteren, viele der Sekretärinnen sind sehr emotional und die Herren ritterlich und mit starken Armen ausgestattet… Und ein Buchhändler, über den erzählt wird, er sei in Wien von der Geheimpolizei verhaftet und ins Konzentrationslager gebracht worden (es wird also angedeutet, er könne jüdisch sein), wird später geschrieben, er sei wohl ein „Mann ohne Wurzeln“, eine „Promenadenmischung“ mit „lichtscheuen Machenschaften“: Das klingt dann doch zu sehr nach antisemitischen Formulierungen, als dass man einfach darüber hinweglesen kann. Insgesamt also der Auftakt zu einer Krimireihe, deren weitere Bände ich nicht lesen werde.

Bewertung vom 20.08.2024
Das Wesen des Lebens
Turpeinen, Iida

Das Wesen des Lebens


ausgezeichnet

Ein echter Schatz

Dieser Debütroman ist ein echter kleiner Leseschatz. In überraschend zarter Sprache geschrieben, entspannt und doch spannend erzählt, verknüpft die Autorin die Entdeckung der riesigen Seekuh durch den Naturforscher Steller im 18. Jahrhundert mit der Suche nach ihren Knochen in der untergehenden Zarenkolonie Alaska und der Restaurierung des Fundes in Helsinki hundert und zweihundert Jahre nach der letzten Sichtung eines lebenden Tieres der Art. Sie schildert das herzzerreißend traurige Schicksal der Seekuh, die zu einer der ersten Arten wurde, anhand derer der Mensch erkennen musste, dass er für die Ausrottung von Lebewesen verantwortlich ist mit den Biographien der Forscher:innen und Künstler:innen, die sich mit dieser Art beschäftigten. Die Sprache erinnert ein wenig an die „Vermessung der Welt“ und die Bücher von Florian Illies - unbedingt lesenswert!