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Reiseweise

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Insgesamt 57 Bewertungen
Bewertung vom 22.03.2025
Schweben
Ben Saoud, Amira

Schweben


gut

Zu viele Ideen

In diesem Debutroman wird eine dystopische Zukunftsversion beschrieben, in der die vom Klimawandel in ihrer Zahl reduzierte Menschheit in Siedlungen lebt, deren einzige Verbindung zu den Siedlungen der Außenwelt im Warenaustausch besteht. Das „Streben nach mehr“ und das Ansammeln von Wissen über die Zeit des „Davor“ sind verboten, ebenso die Anwendung von Gewalt. In dieser Welt lebt die Protagonistin davon, dass sie die Rolle anderer Frauen annimmt - Geliebte, Töchter, Ehefrauen. Gleichzeitig scheint es mit der Welt in der Siedlung zu Ende zu gehen und merkwürdige Dinge geschehen.

Wie man aus der Übersicht der Themen erkennen kann, sind in dem Roman sehr viele dystopische Ideen miteinander verknüpft worden. Leider zu viele. Viele Ideen sind grundsätzlich gut, aber nicht zu Ende geführt (wie das Auftreten der Gewalttätigkeit unter Jugendlichen) und eigentlich geht es auch vielmehr um toxische Beziehungen als eine dystopische Zukunft. Schade, gute Ideen vergeben.

Bewertung vom 06.03.2025
Heimweh im Paradies
Mittelmeier, Martin

Heimweh im Paradies


gut

Exil-Geschichten

In „Heimweh im Paradies“ schildert Autor Martin Mittelmeier die Exil-Jahre von Thomas Mann und dessen Familie in Kalifornien. (Fast) jedem Kapitel entspricht ein Jahr zwischen 1938 und 1952 und damit die gesamte Zeit, die Mann im Exil verbrachte. Eine produktive Zeit, in der diverse wichtige Schriften (u.a. Dr. Faustus) entstanden und Thomas Mann gegen die Herrschaft der Nationalsozialisten anschrieb, Reden hielt und die deutsche künstlerische Exilgemeinde vernetzte. Einige dieser Kapitel sind interessant, z.B. jenes, das sich den Diskussionen um Musik widmet, die Adorno und Mann geführt haben. Einige sind aber auch banal, ohne großen Erkenntnisgewinn und anstrengend zu lesen. Der Schreibstil ist teilweise verkünstelt - da ist die Rede von den „epischen Riesenentwürfen, die Gegenwärtigkeit und mythischen Gesang auf so bezwingende Weise zusammenbringen“ oder Reliefs, in denen durch Ironisierung das Wesen der Idee erst sichtbar werde. Auch wenn hier vielleicht an den Stil Thomas Manns erinnert werden soll, hemmt es den Lesefluss und lässt einen ratlos zurück, was konkret denn damit gemeint sein könnte. Insgesamt ein eher schwächerer Beitrag zum Mann-Jubiläum.

Bewertung vom 18.02.2025
Russische Spezialitäten
Kapitelman, Dmitrij

Russische Spezialitäten


ausgezeichnet

Bittersüße Familiengeschichte

Der neueste Roman von Dmitrij Kapitelman ist die Fortsetzung seiner preisgekrönten „Formalie in Kiew“ und ebenso großartig geschrieben. Der Autor hat einen besonderen Sprachwitz, kann überzeugende melancholische Sprachbilder zeichnen und lustig wie nachdenklich über sein komplexes Familienleben zwischen Leipzig und Kyjiw schreiben.
Der Roman ist (wie immer bei ihm) recht autobiographisch und gleichzeitig von einigen magisch-realistischen Szenen durchdrungen. Der Erzähler berichtet von der Entfremdung zwischen ihm und seiner Mutter aufgrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine, da seine Mutter ihre Informationen ausschließlich aus russischen Propagandasendern bezieht. Außerdem berichtet er von dem schwierigen Leben als Aussiedlerfamilie in Leipzig, wie der Laden der Familie in der Pandemie endgültig schließen musste und generell erzählt er von seiner komplexen ukrainisch-jüdisch-deutsch-russischen Identität. Absolut lesenswert und berührend geschrieben!

Bewertung vom 13.02.2025
Das Leben fing im Sommer an
Kramer, Christoph

Das Leben fing im Sommer an


weniger gut

Tagebuch

Christoph Kramer schreibt über drei Tage im Leben des fünfzehnjährigen…Christoph Kramer. Autor und Protagonist / Erzähler sind dieselben und der ganze Roman scheint sehr autobiographisch zu sein. Er handelt von drei Sommertagen, in denen sich Christoph verliebt, feiert, und sein Herz gebrochen wird.

Im Interview sagte der Autor, das Buch sei ein Herzensprojekt gewesen und das glaubt man beim Lesen. Das macht den Roman aber nicht automatisch gut. Es scheinen viele Erlebnisse zu sein, die er unbedingt mal mitteilen und verarbeiten wollte. So wird die Geschichgte leider eher zu einer Art Tagebuch und nicht zu einem Roman, was schade ist. Einige Beschreibungen der Gefühlswelt eines Fünfzehnjährigen sind gelungen und auch die Jugendsprache ist es in den meisten Fällen. Allerdings hätten dem Buch einige Kürzungen und Straffungen gut getan. Ein roter Faden fehlt irgendwie und ich habe noch nie so oft über Akne und Pickel am Rücken lesen müssen, das war nach dem zehnten Mal wirklich zu viel. Ein zweites Buch des Autoren würde ich nicht lesen.

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Bewertung vom 01.02.2025
Klapper
Prödel, Kurt

Klapper


sehr gut

Ein bisschen wie Tschick

„Klapper“ ist einerseits ein typischer Coming-of-Age-Roman: Der Protagonist ist Außenseiter, erfährt durch eine ungewöhnliche Freundschaft eine Wandlung und erlebt Höhen und Tiefen des Teenager-Daseins. Anderseits ist der Roman anders, denn es gibt zwar ein versöhnliches Ende, aber doch auch einige sehr tragische Momente, die nicht wieder gekittet werden. Auch das Springen zwischen 2011 und 2025 ist ungewöhnlich, aber literarisch gut umgesetzt.

Die Story dreht sich um Klapper und Bär - Klapper ist Gamer und der krasse Außenseiter in seiner 11. Klasse, Bär ist neu dort und freundet sich mit ihm an. Beide verbindet das Counterstrike-Spielen und das Leben in ihren dysfunktionalen Familien, die ihnen aber trotzdem Halt geben, worüber sie aber nie sprechen. Eigentlich sprechen sie auch sonst nie viel über Persönliches.

Der Roman liest sich gut. Einige Verweise (Christina-Aguilera-Parfüm und Axe-Deo, Overheadprojektoren in der Schule und der Sharan als Familienauto) erinnern an die eigene Jugend, passen aber teilweise nicht ganz ins Jahr 2011. Trotzdem: Auch aufgrund der realistischen Jugendsprache empfehlenswert.

Bewertung vom 22.01.2025
Dancing Queen
Fabbri, Camila

Dancing Queen


gut

Deprimierend.

Der Roman beginnt mit einem Autounfall. Paulina erwacht, überall Blut, Schmerzen, ihre Sinne spielen verrückt, ein Hund läuft herum, man will ihr helfen. Dann folgt der erste Rückblick: Ihr Freund Felipe und sie befinden sich in einem lang andauernden, quälenden Beziehungsende.
Der ganze Roman ist aus Zeitsprüngen aufgebaut zwischen dem Autounfall, dem Ende der Beziehung von Paulina und Felipe und der Reise von Paulina und ihrer Freundin Maite aufs Land, um ihren Beziehungsproblemen zu entkommen. Und alles ist deprimierend - es geht um gescheiterte Beziehungen, um sexuelle Gewalt, um Monotonie, ums Scheitern, langweilige Jobs und Vereinsamung, verletztem Schweigen. Laut Jury, die das spanischsprachige Original des Romans prämiert hat, trifft das das Lebensgefühl von Frauen Mitte bis Ende Dreißig…was den Roman irgendwie noch deprimierender macht.
Kann man lesen, muss man aber auch nicht. Und schon gar nicht, wenn man in der falschen Stimmung dafür ist.

Bewertung vom 09.01.2025
In einem Zug
Glattauer, Daniel

In einem Zug


sehr gut

Unterhaltsame Dialoge

Der Schriftsteller Eduard Brünhofer fährt von Wien nach München. Warum, traut sich der Ich-Erzähler Brünhofer zunächst nicht zu sagen, aber der Termin steht ihm bevor. Schräg gegenüber im Abteil sitzt eine Frau, von der er glaubt, dass sie ihn erkannt hat - und bald schon verwickelt sie ihn in ein Gespräch. Dieses nimmt so einige Wendungen, die Brünhofer so ganz sicher nicht erwartet hatte. Die Unbekannte heißt Catrin Meyr und stellt ihm so offene, teilweise unverfrorene, neugierige Fragen, dass er schnell mehr erzählt, als er eigentlich vorhatte (denn eigentlich würde er lieber zuhören).

Die Dialoge zwischen diesen beiden Protagonist:innen sind rasant, schlagfertig und klug. Wo sie im Mittelpunkt stehen, ist der Roman sehr unterhaltsam und man denkt oft, wie Recht der eine oder die andere doch hat. Zwischendurch fließen Gedanken des Ich-Erzählers oder seine Beobachtungen ein, die oft auch interessant sind. Einige Klischees (über Frauen, Männer, Italiener und die Liebe) tauchen auch auf, die sich der Autor hätte sparen können, insgesamt aber ein kurzweiliger Roman mit einigen Sätzen, die im Gedächtnis bleiben - und einem netten Twist am Ende!

Bewertung vom 27.11.2024
Antichristie
Sanyal, Mithu

Antichristie


sehr gut

Rasant

Dieser Roman ist definitiv nicht geeignet für Leser:innen, die ein Buch suchen, in dem man gemütlich schmökern kann. Er ist aber geeignet für alle, die sich auf einen wirklich rasanten Ritt durch die britisch-englisch-deutsche-globale Geschichte wagen wollen, bei dem man nebenbei fast ebenso viel in Wikipedia nachliest wie im Roman selbst liest. Man muss sich auf die Prämisse der verwirrenden Zeitsprünge einlassen und die ungewöhnlichen Einsprengsel von Kameraeinstellungen und Zitaten, aber wenn man das macht, erwartet einen ein ungewöhnlicher und ungewöhnlich weiterbildender Roman.
Beim Lesen erfährt man unglaublich viel Neues über die komplexe Geschichte des indischen Kampfes gegen die britische Kolonialmacht und wie Geschichte gemacht wird von Menschen und Umständen. Ein bisschen Doctor Who und am Ende auch Sherlock Holmes dazu, und alles in einem atemlosen Schreibstil. Herausfordernd, aber gut.

Bewertung vom 14.11.2024
Wir finden Mörder Bd.1
Osman, Richard

Wir finden Mörder Bd.1


ausgezeichnet

Unterhaltsamer Krimi
Steve Wheeler ist ein Polizist im Ruhestand, der seine verstorbene Frau vermisst und es sich gemütlich in der kleinen Welt des New Forest eingerichtet hat. Amy Wheeler ist seine Schwiegertochter, die als Bodyguard arbeitet. Und Rosie D‘Antonio ist eine sehr erfolgreiche Schriftstellerin mit Privatjet, die von Amy bewacht wird. Ohne, dass sie es geplant hätten, arbeiten die drei plötzlich zusammen und reisen um die Welt, um herauszufinden, wer Amy umbringen will. Und Rosie. Und eigentlich auch Steven.

Der neue Roman von Richard Osman ist nicht wie die Donnerstagsmord-Bücher. Nicht ganz so tiefgründig, ein etwas anderer Erzählstil, aber er ist trotzdem gut. Osman versteht sich darauf, sympathische und komplexe Charaktere zu erschaffen und ist ein wahrer Meister der kreativen, ironischen und überraschenden Dialoge. Ein lesenswerter, abwechslungsreicher Krimi mit einigen Twists and Turns.

Bewertung vom 19.10.2024
Empathie und Widerstand
Lunz, Kristina

Empathie und Widerstand


sehr gut

Aktivismus-Ratgeber

In ihrem neuen Buch schreibt die bekannte Aktivistin und Unternehmerin Kristina Lunz über die beiden scheinbar gegensätzlichen Prinzipien, die ihr Leben und ihr Handeln prägen: Widerstand und Empathie. Empathie bedeutet für sie, zunächst immer Verständnis aufzubringen und offen zu bleiben, Widerstand heißt, sich aber aufzulehnen und zu widersprechen bei Themen und Positionen, die den Weg in eine bessere Zukunft verstellen. Das schmale Buch funktioniert als Ideenratgeber für Aktivist:innen und hat einige schöne Gedanken: Beispielsweise, dass man seltener „ja, aber“ sagen sollte und eher an ein „ja, und dazu…“ denken sollte - statt Bedenken also Erweiterungen und Tipps äußern sollte. Auch die Beispiele widerständig-empathischer Aktivistinnen waren interessant. Etwas anstrengend fand ich dagegen, dass gefühlt jeder zweite Satz mit „Ich habe / bin / mache“ beginnt und die Autorin sehr viel über ihren eigenen Erfolg und ihre Tätigkeit schreibt.