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MB
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Rösrath

Bewertungen

Insgesamt 424 Bewertungen
Bewertung vom 03.06.2025
Die Kammer
Dean, Will

Die Kammer


gut

Gefühlte Luftnot beim Lesen. Engegefühle im Brustbereich. Ein klares Anzeichen von Angst. So geht es nicht nur den verbliebenen Sättigungstauchern, die den Auftrag haben eine Tiefseeleitung zu flicken. Sondern auch mir als Leser. Dem Autor Will Dean gelingt es in seinem Thriller "Die Kammer" recht gut, ein klaustrophobisch anmutendes Szenario aufzubauen. Zudem erfährt man eine Menge Details über die Herausforderungen derartiger Tauchgänge - Technikbegriffe sind im Glossar erläutert - was dem Lesefluss und Spannungsbogen nicht immer zuträglich ist. Nach ca. einem Drittel des Buches ereignet sich innerhalb der Besatzung (fünf Männer, eine Frau) ein Todesfall; ein zweiter, dritter und vierter folgen rasch; es gibt Verdächtigungen, aber unklar bleibt bis zum überraschenden Ende, ob die tödliche Gefahr von 'innen' oder von 'außen' kommt. Die Protagonist:innen müssen bis zum Auftauchen noch viele Stunden miteinander auf engstem Raum verbringen; Geschichtenerzählen lenkt ab - Geschichten über andere Taucher, die herausfordernden Situationen ausgeliefert waren. Die Erzählperspektive ist die von Ellen Brooke, des weiblichen Crue-Mitglieds; sie ist auch die einzige, über die wir etwas mehr erfahren; die meisten anderen Charaktere bleiben eher blass. Fazit: Die beklemmende Atmosphäre ist spürbar, zuviele technische Details, zuviele für die Handlung vollkommen unbedeutende Nebengeschichten, unzureichend ausgelotete Figuren.

Bewertung vom 02.06.2025
Himmlischer Frieden
Wen, Lai

Himmlischer Frieden


ausgezeichnet

Erzählte Lebensgeschichte. Allerdings nicht so ganz. Wohl eher autofiktional. Dreißig Jahre nach der blutigen Niederschlagung der studentischen Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens entschließt sich die in Kanada lebende Chinesin Lai Wen, von den Ereignissen, bei denen sie als Studentin selbst Zeugin war, zu berichten; dies mit den Freiheiten einer Autorin und ihres durch Elena Ferrante inspirierten Erstlings. Die schrecklichen Ereignisse auf dem Platz des Himmlischen Friedens sind aber lediglich der Schlusspunkt einer beeindruckenden Lebenserzählung. Lai Wen widmet ihrer rebellischen Großmutter eine große Aufmerksamkeit, beschreibt empathisch ihren durch seine schlechten Erfahrungen mit dem Regime 'still gewordenen' Vater, gibt ihrer Mutter die Rolle derjenigen, die mit einer gewissen Strenge und Forderung nach Anpassung die Familie zu schützen beabsichtigt. Lai Wen beschreibt ihre Erfahrungen als Heranwachsende, zunächst einmal wenig selbstbewusste Person; wir begleiten sie durch ihre Schulzeit hindurch und wie sie ihre ersten Erfahrungen mit der Liebe macht, wie sie schließlich als Studentin auf eine Gruppe von Menschen stößt, die ihren ganz eigenen Weg gehen, der eben nicht der Weg der Anpassung ist, wie sie in Anne eine bewunderte Freundin trifft, die sich am Tag X den Panzern des totalitären Statswesens entgegenstellt. Lai Wen macht mit ihrem Buch Geschichte erlebbar - gegen das Vergessen. Ein wichtiges und anrührendes Buch.

Bewertung vom 02.06.2025
Das Ministerium der Zeit
Bradley, Kaliane

Das Ministerium der Zeit


weniger gut

Schade. Sehr schade sogar! Bieten doch Zeitreise-Romane die wunderbare Möglichkeit einer kritischen Gegenwartsschau. Dabei hatte in Kaliane Bradley's "Das Ministerium der Zeit" alles recht gut begonnen - nämlich genau mit der erwähnten kritischen Gegenwartsschau. Die junge Protagonistin erhält einen neuen Job in einem 'geheimnisvollen Ministerium' mit nicht ganz so klaren Zielsetzungen; es ist mit Hilfe einer 'Zeitreisemaschine' gelungen, Menschen aus der Vergangenheit in die Gegenwart zu holen; und der neue Job besteht darin, diese Menschen bei der Integration in die für sie vollkommen neuen Lebensumstände zu begleiten. Die Intergrationsbeauftragten werden treffenderweise 'Brücken' genannt. Das ist anfangs auch alles recht amüsant, weil es ja gerade die Selbstverständlichkeiten unseres Lebens sind (z.B. Musik streamen zu können), welche die Neuankömmlinge in besonders großes Erstaunen versetzen. Die Protagonistin verliebt sich dann schließlich in ihren Klienten, den eigentlich 1847 verstorbenen Polarforscher Commander Graham Gore, Beteiligter der verschollenen Polarexpedition von Sir John Franklin. Es kommt zu Todesfällen und am Ende auch zu der Erkenntnis, dass die Gegenwart auch Teil eines Zeitreiseexperimentes der Zukunft ist... Fazit: Zuviel 'Liebes-Gedöns', zu wenig Philosphie! Und auch nur mäßige Spannung.

Bewertung vom 24.05.2025
Der Kaiser der Freude
Vuong, Ocean

Der Kaiser der Freude


sehr gut

Bewegende Story...- obwohl, so wahnsinnig storyartig ist Ocean Vuongs zweites Buch mit dem seltsamen Titel "Der Kaiser der Freude" gar nicht; vielmehr ist es ein sehr gelungener Versuch, das unterprivilegierte Amerika mit seinen 'Verlierern' abzubilden. Besonders hervorheben möchte ich die Sprache des Autors, eine Art extrem poetischer Unterschichts-Slang. Hai stammt aus Vietnam und lebt mit seiner Mutter in einem nichtssagenden, kleinen Ort in New England; des Lebens überdrüssig. Doch bevor er sich von der Brücke in einen Fluss stürzt, entdeckt ihn Grazina, eine alte Frau aus Litauen mit beginnender Demenz. Die beiden freunden sich an, Hai wohnt bei Grazina... und so bilden die beiden eine kleine Überlebensgemeinschaft; Hai beginnt, vermittelt durch den Kontakt seines Cousins Sony, in einem Diner zu arbeiten, derweil seine Mutter glaubt, er würde Medizin studieren. Im Diner findet Hai eine zweite 'Überlebensgemeinschaft' aus Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen. Was besonders beeindruckt - der unbedingte Überlebenswille aller Protagonisten, für die jeder Tag aufs Neue eine Herausforderung darstellt. Die Bezeichnung 'Sozialdrama' für Ocean Vuongs Roman wäre absolut unzureichend - dafür steckt zu viel Poesie zwischen den Buchdeckeln!

Bewertung vom 13.05.2025
Beeren pflücken
Peters, Amanda

Beeren pflücken


sehr gut

Eine bewegende Geschichte. Eine Story, in der man versinken kann. Eine Geschichte, die anrührt. Der Wunsch nach familiärem Zusammenhalt, Liebe, die die Jahrzehnte überdauern kann, herzerwärmend; aber auch die harte Wirklichkeit des Rassismus und des tragischen Lebensverlaufes finden sich wieder. Deshalb lohnt es sich, "Beeren pflücken" von Amanda Peters in die Hand zu nehmen, beziehungsweise sich das sehr gut zweistimmig eingelesene Hörbuch zu Gemüte zu führen. Die Handlung nimmt ihren Anfang bei einer Familie Indigener, die den Sommer über ihr Geld mit Beerenpflücken verdienen. Die vierjährige Ruthie verschwindet; die Familie ist in Aufruhr und insbesondere ihr größerer Bruder Joe macht sich Vorwürfe. Wenig später stirbt auch noch Bruder Charlie bei einer blutigen Streiterei. Die gebeutelte Familie fristet ihr Dasein in der festen Überzeugung, dass Ruthie noch lebt. Ruthie hatte sich von der Feldarbeit entfernt und war von einer Frau mit unerfülltem Kinderwunsch aufgegriffen worden, die sie fortan als ihre eigene Tochter Norma großzieht. Das ist die Grundanlage der Geschichte. Im Weiteren wechselt die Autorin zwischen beiden Familien regelmäßig die Erzählperspektive - die eine Familie mit den großen Verlusten, die andere mit der großen Lebenslüge und dem düsteren Geheimnis. Die Autorin stellt an keiner Stelle die Schuldfrage, beschreibt aber in höchst bewegender Weise, wie es den Familien ergeht, bis dann schließlich...

Bewertung vom 11.05.2025
Der Gott des Waldes
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


sehr gut

Spannung mit Anspruch. Beide Aspekte zu bedienen und in knapp 600 Seiten zu packen, dabei Leserin und Leser an keiner Stelle zu langweilen... das ist schon anerkennenswerte Schreibkunst. Und genau das ist der US-amerikanischen Autorin Liz Moore mit ihrem neuen Roman "Der Gott des Waldes" recht gut gelungen. Sie spannt einen zeitlichen Bogen von den 50-er Jahren bis in das Jahr 1975. In einem Feriencamp in einer Waldregion verschwindet die 13-Jährige Barbara. Barbara ist anders als die gleichalten Mädchen, kleidet sich auffällig, hört Punk-Musik und steht im Konflikt mit ihrem Elternhaus, den reichen van Laars. In ebendieser Region verschwand auch Barbaras Bruder Bear vor 14 Jahren. Gibt es einen Zusammenhang? Die Spannung von Liz Moores Roman speist sich aus der Suche nach Barbara, in den Rückblenden aus der Geschichte des Verschwindens ihres Bruders und in wechselnden Vermutungen und Verdächtigungen; zumal es im Wald eine mysteriöse, herumirrende Frau zu geben scheint und ein entflohener Straftäter in der Region vermutet wird. Die Spannung ist aber nur das eine; der Autorin gelingt es ausgesprochen gut, verschiedene Ereignisse, die Geschichten der Familien, die Beziehungsdynamiken der Jugendlichen im Camp und die Polizeiarbeit nicht nur miteinander zu verknüpfen, sondern auch den gesellschaftlichen Hintergrund eindrücklich zu portraitieren. Leseempfehlung!

Bewertung vom 03.05.2025
Stars
Kullmann, Katja

Stars


sehr gut

Vier Sterne. Die hat Katja Kullmann mit ihrem neuen Roman "Stars" wahrlich verdient, geht es doch tatsächlich Sterne, beziehungsweise, wie die Sterne den Lauf der Dinge beeinflussen können, was daran vielleicht einfach nur Glaubenssache ist und wie das alles vielleicht das Leben verändern kann. Carla Mittmann hat ihr Philosophiestudium nicht abgeschlossen und arbeitet in der Serviceabteilung einer Möbelabteilung (ein großer Genuss übrigens, wie die Autorion 'das Arbeitsleben' beschreibt). 'Nebenberuflich' betreibt Carla unter dem Pseudonym 'Cosmic Charlie' ein bescheidenes Astro-Business. Würde man Carla befragen, worin ihr Talent bestünde, würde sie sagen: "In der softphilosophisch-alltagssoziologisch-behelfspsychologisch-astrologischen Zeitgenossenberatung". Der Zufall lässt ihr durch einen Steinwurf eine beachtliche Summe Dollars durch die zersprungene Fensterscheibe segeln. Dieses Ereignis bildet den Anstoß, sich in ihrem Astro-Business weiter zu professionalisieren, was ihr auch fantastisch gelingt und ihr gut zahlende und bedeutsame Kunden zuspielt. Fast glaubt Clara schon selbst daran, dass es die Sterne sind, die ihr Leben in seiner zweiten Hälfte derart erfolgreich machen - dies sieht sie auch durch das eigene Horoskop bestätigt... bis dann am Ende doch die große Überraschung wartet. Nett und amüsant geschrieben. Empfehlung!

Bewertung vom 30.04.2025
Haus Waldesruh
Krems, David

Haus Waldesruh


weniger gut

Ein Kammerspiel. Kann funktionieren. Ein Handlungsort, eine begrenzte Personenzahl für die Handlung, unterschiedlichste Charaktere mit ihren individuellen Lebensgeschichten, jeder Träger eines Geheimnisses, spannende Dialoge, Konflikteskalation, Zuspitzung bis zur Katastrophe... Genau das hätte es sein können, ist es in David Krems neuem Roman "Haus Waldesruh" aber leider nicht geworden. Vielleicht hätte die visuelle Umsetzung besser funktioniert, wenn man die Rollen gut besetzt hätte. Im Roman bleiben die Figuren blass, die Handlung bleibt an der Oberfläche und auch die Zuspitzung verpasst ihre Wirkung. Dabei ist die Idee eine gute: vier alte Schulfreund:innen treffen sich nach 15 Jahren wieder und wollen sich in einem abgelegenen Jagdhaus ihr Leben erzählen. Nur Max fehlt, der damalige Freund von Anna - Max hat sich vor 15 Jahren das Leben genommen. Marco hatte eingeladen und zusammen mit Lea hat er aber einen etwas anderen Plan für das gemeinsame Wochenende in der Hinterhand... nämlich Rache zu nehmen an einem damaligen Lehrer, den er für Max' Selbstmord verantwortlich macht. Es kommt noch zu anderen Enthüllungen. Insgesamt wirkt die recht kurze Geschichte aber ein wenig unausgereift, fast wie ein erster Entwurf - und wird daher wohl schnell in Vergessenheit geraten.

Bewertung vom 30.04.2025
Fischtage
Brandi, Charlotte

Fischtage


sehr gut

Erfrischend anders. Endlich einmal keine Protagonistin, die in einer Agentur arbeitet und ständig frustriert um sich selbst kreist, weil ihre Posts nicht genügend Likes auf Instagram generieren und es mit der aktuellen Beziehung etwas arg holprig zugeht. So gesehen ist Charlotte Brandi mit ihrem Erstling "Fischtage" etwas ziemlich Ungewöhnliches gelungen. Ort der Handlung ist Dortmund. Die sechzehnjährige Ella ist Kind unkonventioneller Eltern, die sich allerdings mehr um das eigene Leben drehen, statt sich für Ella und ihren Bruder Lui verantwortlich zu fühlen. Ella 'leidet' unter unkontrollierten Wutausbrüchen. Als ihr Bruder plötzlich verschwindet, zieht Ella in die Kleingärtner- Laube des alten, demenzkranken Eckhard und 'betreut' dort dessen sprechenden Plastikfisch. Zusammen mit dem Fisch in einer Aldi-Tüte begibt sich Ella auf die Suche nach Luis. Was nun beginnt, ist ein regelrechtes 'Road-Movie', wobei Dortmund zwar nie verlassen, aber unterschiedlichste Szenen und Milieus aufgesucht werden... und der Fisch sich als Dialog-Partner bewährt. Es gibt Begegnungen mit unterschiedlichsten Menschen, mit Gewalt und Freundschaft. Und der letzte Satz gibt in wunderbarer Weise wieder, worum es in der Geschichte eigentlich geht: "... und ich verstehe, wenn man aufhört, auf der Welt zu sitzen wie auf einem Hühnerei, wird alles größer, gefährlicher und schöner" Ein Roman, der auffordert, Welterkundung zu betreiben; und die großen Entdeckungen erfordern nicht das Bereisen eines anderen Kontinents - der Nahbereich ist spannend genug. Auch eine Geschichte vom Erwachsenwerden, aber erfrischend anders als der übliche Coming-of-age-Kram!!! Leseempfehlung!

Bewertung vom 23.04.2025
Wut und Liebe
Suter, Martin

Wut und Liebe


sehr gut

Ein grundsolider Suter. Alle Jahre wieder freue ich mich auf ein spannend-geistreiches Leseerlebnis mit unerwartetem Ausgang. Jedes Jahr aufs Neue bin ich gespannt auf einen Roman von Martin Suter. Jetzt ist "Wut und Liebe" erschienen und ich habe mich - im übertragenen Sinne - für zwei Tage frei gemacht von allen Verpflichtungen, um in die Geschichte von Noah und Camilla einzutauchen. Noah ist ein erfolgloser Künstler, seine langjährige Partnerin Camilla finanziert als Buchhalterin beider Leben. Camilla verdient das Geld in einem Job, den sie nicht mag, und finanziert ihren Partner Noah in einer Tätigkeit, die dieser mag. Camilla kommt zu dem Schluss, dass sie Noah zwar liebt, nicht aber das Leben mit ihm. Camilla verlässt Noah. Noah trifft kurz darauf in einer Kneipe auf die todkranke, 65-jährige Betty, die Andeutungen macht, dass sie dem ehemaligen Geschäftspartner ihres vor 3 Jahren verstorbenen Mannes den Tod wünscht, weil der ihren Mann einst in den Tod getrieben habe; und dass ihr der Tod des Geschäftspartners - der auch Kunstsammler ist (!) - durchaus eine beachtliche Summe wert sei. Noah wittert eine Möglichkeit, Camilla zurückzuerobern, wenn er ihrer Liebe einen 'anderen finanziellen Rahmen' bieten kann. Natürlich verläuft die Geschichte alles andere als gradlinig und selbstverständlich erfährt man, wie bei Suter üblich, so ganz nebenher auch ein paar Beziehungs- und Lebensklugheiten. Absolute Leseempfehlung!!!