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MB
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Rösrath

Bewertungen

Insgesamt 345 Bewertungen
Bewertung vom 19.06.2024
Das andere Tal
Howard, Scott Alexander

Das andere Tal


gut

Interessant. Durchaus. Wer würde nicht gerne einmal ein Ereignis aus seiner Vergangenheit ungeschehen machen, mit dem Ziel, dem Leben dann einen entsprechend anderen Verlauf zu geben. Oder auch um Jahre nach vorne schauen können, um eine Idee von der eigenen Zukunft zu bekommen. Scott Alexander Howard verlangt seiner Leserschaft in seinem ersten Roman "Das andere Tal" einiges ab. Beginnend mit der Grundvoraussetzung für die Geschichte: Es existieren identische Täler nebeneinander, mit denselben Bewohnern... mit dem Unterschied, dass das jeweils östlich gelegene Tal in der Zeit 20 Jahre fortgeschritten ist, das jeweils westlich gelegene 20 Jahre hinter der Zeit liegt. Die Leser:innen erfahren aber an keiner Stelle etwas über mögliche Gründe. Die Täler sind streng voneinander abgegrenzt mittels bewachter Zaunanlagen, um Übertritte - die könnten nämlich Veränderungen bewirken - zu verhindern. Aber es gibt Ausnahmen, wenn nämlich jemand einen besonderen Grund hat, ein anliegendes Tal zu besuchen, dann entscheidet eine Kommission über den zu stellenden Antrag (ein wenig kafkaesk). Und die junge Protagonistin Odile hat einen Grund, nämlich den Tod eines Klassenkameraden, in den sie sich verliebt zu haben scheint. Der Autor verwendet viele Seiten dafür, zu erläutern, wie es sich mit den Anträgen, der Beurteilungskommission und der Ausbildung zu einem angesehenen Kommissionsmitlied verhält - deshalb hat der Roman einige Längen, weil wenig passiert. Die Geschichte ist immer dann gut, wenn der Autor nicht erklärt, sondern erzählt. Und damit belohnt das letzte Drittel des Buches. Und dennoch - aus dem Gedankenspiel des Zeitebenenwechsels mit all seinen Konsequenzen hätte man mehr rausholen und auch etwas mehr für den Spannungsbogen tun können.

Bewertung vom 14.06.2024
James
Everett, Percival

James


ausgezeichnet

Ungeheuer gut. Und das aus vielerlei Gründen. "James", der neue Roman von Percival Everett, erzählt nicht einfach nur die Geschichte einer Flucht, nämlich der des Sklaven James, der von seiner Familie getrennt und nach New Orleans verkauft werden soll; der Roman hält Amerika den Spiegel vor, indem er mit einer unrühmlichen Vergangenheit aus Menschenverachtung und Rassismus in seiner reinsten Form konfrontiert. Das ungeheuer Geschickte an dem Roman ist aber, dass die ganze Geschichte zunächst einmal wie ein Abenteuerroman daherkommt und vor allem diejenige Leserschaft mitreißen wird, die seinerzeit Mark Twains 'Die Abenteuer des Tom Sawyr' geliebt haben. Daher auch die Figur des Außenseiters Huck, der vor der Gewalt seines Vaters flüchtet, sich James anschließt. Die Geschichte ist mitreißend erzählt und zwingt gerade dadurch hinzuschauen und sich vielleicht auch gerade heute die Frage zu stellen, ob nicht noch einiges geblieben ist oder sich neu formiert, was die Haltung des Herrenmenschentums betrifft.

Bewertung vom 11.06.2024
Ein falsches Wort
Hjorth, Vigdis

Ein falsches Wort


sehr gut

Hard stuff. Meine Empfehlung - am Besten liest man Vigdis Hjorths Roman "Ein falsches Wort" ohne allzu große Pausen... er wird an Eindringlichkeit gewinnen. An einem Anlass, dem Tod des Vaters, entrollt sich das Drama einer Familie. Vordergründig entspinnt sich unter den vier Geschwistern und der Mutter eine Erbauseinandersetzung, aber es geht um viel mehr. Auch um viel mehr, als 'nur' um die Frage, wie die Liebe der Eltern unter den Geschwistern aufgeteilt war, oder wer die meiste Aufmerksamkeit bekommen hat. Es geht um ein düsteres Geheimnis, dass sich der älteren Schwester Bergljot offenbart, als sie beschließt eine Psychoanalyse zu machen. Sie stößt auf ein Ereignis in ihrer Kindheit, welches die gesamte Familiendynamik bestimmt. das Problem ist nur - es kann nicht sein, was nicht sein darf. Scharfsinnig und mit psychologischem Feingefühl komponiert die Autorin einen herausfordernden Bewältigungsversuch. Absolut lesenswert!

Bewertung vom 11.06.2024
Der ehrliche Finder
Spit, Lize

Der ehrliche Finder


ausgezeichnet

Ein gutes Büchlein. Und mit einem Mal ist es ausgelesen - viel zu schnell. Mit "Der ehrliche Finder" ist der belgischen Autorin Lize Spit ein wahres Kleinod gelungen. Sie schreibt in einer Art, dass es den Lesenden wie ein Film vor Augen abläuft... mit Musik, einer emotionalen Begleitmusik. Der Klappentext gibt den Inhalt des knapp über einhundert Seiten langen Textes schon recht vollständig wieder und würde man mehr erzählen, wäre es fast schon gespoilert. Der einheimische Jimmy und der geflüchtete Tristan haben sich gesucht und gefunden; der eine klug und einsam im Klassenverband, der andere anschlusssuchend und traumatisiert durch die Flucht. Faszinierend zu verfolgen, wie die beiden Jungen in ihrem Zusammensein ihre ganz eigene Welt aufbauen (erinnert an die heimeligen Freundschaftsmomente aus der eigenen Lebensgeschichte); faszinierend, wie anders das Zusammenleben von Tristans Familie aus dem Kosovo abläuft (das Trauma der Flucht stets präsent). Und dann die Nachricht, dass abgeschoben werden soll. Da fasst die Gemeinschaft einen Plan... (ab jetzt wäre gespoilert, deshalb unbedingt selber lesen - ein Gewinn!!!)

Bewertung vom 04.06.2024
Die Auszeit
Rudolf, Emily

Die Auszeit


gut

Als Netflixserie sicher ok. Natürlich ist Emily Rudolf mit ihrem aktuellen Thriller "Die Auszeit" auf der Höhe der Zeit. Junge und erfolgreiche (aber in ihren Persönlichkeiten nachreifungsbedürftige) Menschen nehmen sich eine Auszeit (wer braucht nicht auch mal ne Pause?) in einem eigentlich recht teuren und abgelegenen Retreat in den Wäldern der Alpen. Schöne Umgebung, schöne Körper (deshalb wäre der Roman, würde er visuell als Netflix-Serie umgesetzt, sicher auch ganz gut funktionieren...). Der Besitzer des Retreats braucht dringend gute und öffentlichkeitswirksame Rückmeldungen von 'wichtigen' Menschen - was also liegt näher, als die Gruppe der Influencer:innen kostenlos retreaten zu lassen, und so als Gegenleistung geschäftsförderliche feeds auf den Socialmedia-Kanälen zu erhalten. Natürlich entwickelt sich alles anders als erwartet, jeder bringt seine Vorgeschichte mit, es gibt ein wenig Beziehungsdurcheinander und es gibt jemanden, den niemand auf dem Plan hatte, mit einem ganz eigenen Motiv. Schon auf den ersten Seiten ist klar - es ist ein Mord geschehen. Auf einer zweiten Zeitebene wird dann countdownartig erzählt, was vor dem Mord geschah... Eigentlich eine tolle Idee, aber vor lauter 'wer mit wem und wann und wie'-Beziehungsdurcheinander bleibt die Spannung ein wenig auf der Strecke. Aber durchaus unterhaltsam...

Bewertung vom 01.06.2024
Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland
Brooks, Sarah

Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland


ausgezeichnet

Fesselnd. Und nicht nur das! Ein liebevoll gestaltetes Buchcover, fast schon im Stil der Zeit, in die die Handlung von Sarah Brooks Romans mit dem seltsamen Titel gelegt ist: "Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland". Mit Ödland ist dabei die 'verlassene Wildnis zwischen China und Russland' gemeint, welche der Transsibirien-Express im ausgehenden 19. Jahrhundert durchquert. Und 'vorsichtig reisen' sollte man, weil, wie stets auf Reisen, in der Begegnung mit dem Unbekannten und Ungewissen Gefahren drohen... So machen sich einige Reisende mit unterschiedlichsten Motiven auf den Weg durchs Ödland, beispielsweise, um Nachforschungen anzustellen, was bei der letzten Fahrt passiert ist. Die Figuren sind gut gezeichnet, es gibt einen kontinuierlichen Spannungsbogen und - was das Genialste ist - Seite für Seite dringen mehr und mehr fantastische Elemente in die Geschichte ein - Lovecraft lässt grüßen! Für mich ist die gesamte Geschichte ein Sinnbild dafür, wie die Menschheit versucht, die Natur unter Kontrolle zu bekommen und zu beherrschen, wie es dabei aber nicht gelingt, das Irrationale, das Unvorhersehbare zu elliminieren. Auch das Thema 'Diktatur vs Freiheit' drängt sich sinnbildlich auf. Je länger die Reise durch das Ödland dauerte, desto begeisterter war ich von dem Buch!

Bewertung vom 01.06.2024
Der Lärm des Lebens
Hartmann, Jörg

Der Lärm des Lebens


gut

Interessant. Den Dortmunder Tatortkommissar mal nicht auf dem Bildschirm sondern als Erzähler seines Lebens zu erleben. Zuweilen meint man, man halte eine Art Tagebuch von Jörg Hartmann in Händen, da erzählt er einfach so - auch ein wenig anekdotenhaft, aber stets sehr reflektiert und kritisch - aus seinem Leben. In seinem Buch "Der Lärm des Lebens", welches sich im übrigen sehr gut liest (auch Schauspieler können schreiben!), trifft die Leserschaft nicht einfach nur auf eine unverbundene Ansammlung von Lebensereignissen. Den zentralen Erzählstrang bildet Hartmanns Schauspielerkarriere - was nicht jede/n in dieser Ausführlichkeit interessieren dürfte - von seinen ersten Versuchen bis an die großen Bühnen. Auch die Zeit der Corona-Pandemie erhält ihren Raum, die Demenz des Vaters und schließlich noch das Lebensgefühl der Heimatregion. Ein kluges Buch, sehr persönlich erzählt!

Bewertung vom 28.05.2024
Die Entflammten
Meier, Simone

Die Entflammten


sehr gut

Gelungen. Man kann ruhig sagen: Wieder einmal hat Simone Meier - diesmal mit "Die Entflammten" - ein faszinierendes, literarisches Werk erschaffen. Die Story handelt auf zwei Zeitebenen, die sich zunehmend miteinander vermischen und ineinanderfließen (ohne dass der Leserschaft dabei die Orientierung verloren geht). Da ist die gegenwärtige Erzählebene, in der die Kunsthistorikerin Gina auf die Person aufmerksam wird, die maßgeblich zum posthumen Ruhm Vincent van Goghs beigetragen hat, wie sie sich auf dem Anwesen des Vaters, der sich nach seinem ersten Erfolg an seinem zweiten Roman versucht, an der Geschichte von Jo begeistert; Jo, die verheiratet ist mit dem Bruder von Vincent van Gogh; Und wie Gina dabei mehr und mehr in Jos Leben eintaucht. Die zweite Erzählebene dann die ausklingenden 1890-er Jahre und das Liebes- und Eheleben von Johana (Jo). Was das Besondere an dem Roman ist? Es geht um Menschen, die für die Kunst 'entflammt' sind und dafür über ihre eigenen Grenzen hinausgehen. Und genau das spiegelt sich auch sehr stimmig in Simone Meiers Schreibstil wider - getrieben, voraneilend, übersprudelnd, entfesselt, entflammt... Unbedingt lesenswert!

Bewertung vom 26.05.2024
Stimme der Angst / Max Bischoff - Mörderfinder Bd.4
Strobel, Arno

Stimme der Angst / Max Bischoff - Mörderfinder Bd.4


schlecht

Nein. Das war nix. Das man bei den meisten Krimis keine literarischen Ansprüche stellen darf, das ist schon klar. Aber dieses neue 'Werk' "Stimme der Angst" aus Arno Strobels Mörderfinder-Reihe rund um den Düsseldorfer Fallanalytiker Max Bischoff und seinen Psychologenfreund aus Duisburg wirkt wie das vorläufige Ergebnis einer ersten Unterrichtsstunde in einem Schreibkurs für Anfänger. Die Handlung ist vorhersehbar und zudem wirkt sie ungeheuer konstruiert... um ehrlich zu sein wirkt der Thriller, wie wenn er unter Zeitdruckgeschrieben wäre, dann greift man wohl, weil einem im Moment nichts besseres/eigenes einfällt zurück auf Unmengen üblicher Klischees. Tja, vielleicht ist "Stimme der Angst" ja einfach nur das Resultat eines unter Veröffentlichungsdruck stehenden Bestsellerautors. Zudem einige Logikfehler. Das Schlimmste an diesem Thriller aber ist, dass der Autor seiner Leserschaft rein gar keine eigene Denkleistung zutraut und glaubt, alles mindestens zweifach erklären zu müssen. Und das finde ich persönlich 'tödlich'...

Bewertung vom 19.05.2024
Selbe Stadt, anderer Planet
Meindl, Dominika

Selbe Stadt, anderer Planet


gut

Netter Versuch. Liest man den Klappentext zu Dominika Meindls Erstling "Selbe Stadt, anderer Planet", erwartet man eine zeitkritisch-humorvolle Geschichte. Was der Autorin in Ansätzen auch recht gut gelingt. Doch zuweilen hat man als Leser das Gefühl, dass die Autorin sich rund um ihre Grundidee ein wenig verläuft. So taucht das Grundmotiv der 'Verdopplung' nicht nur im Nachbau des Örtchens Hallstadt im Salzkammergut durch die Chinesen auf sonder auch in Personae der Zwillingsschwestern auf: Die Ärztin Johanna, die nach Hallstadt kommt unddie väterliche Praxis übernimmt und die im Ort verbliebene Schreinerin Doris, die sich gerne nocheinmal verlieben könnte. Und da ist der chinesische Regierungsberater Ren, der auf Österreicherfahrung zurückgreifen kann und den Auftrag hat, Hallstadt für das Imitat zu studieren. Alles nett erzählt und gut lesbar, durchaus amüsant; ein bisschen über die Schattenseiten des Tourismus, ein wenig über das Dorfgefüge, Einwohner-Krankengeschichten, Landschaftsbilder... aber am Ende bleibt der Eindruck eines zwar netten Puzzles, bei dem aber der eine oder andere Stein fehlt, der alles gut miteinander verknüpft.