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Milienne
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Essen

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Insgesamt 141 Bewertungen
Bewertung vom 10.04.2025
Freak City
Schrocke, Kathrin

Freak City


ausgezeichnet

Mika hat Liebeskummer. So richtig. Sandra, seine Ex, spielt Spielchen und lässt ihm immer noch eine Hintertür offen – was es nicht gerade leichter macht, sie zu vergessen. Und genau in dieser Gefühlsmischung trifft er Lea im Jugendtreff „Freak City“. Lea ist klug, schön – und gehörlos. Für Mika wirkt das anfangs wie eine unüberwindbare Barriere. Doch irgendwas an ihr lässt ihn nicht los. Ablenkung? Trotzreaktion? Echte Neugier? Mika ist sich selbst nicht ganz sicher. Aber er will sie verstehen – also macht er einen Gebärdenkurs. Der wird von Bine geleitet, einer der coolen Erwachsenen, die ihn endlich mal ernst nimmt.
Was zunächst wie ein typisches Teenager-Chaos beginnt, entwickelt sich zu einer wirklich besonderen Geschichte. Denn „Freak City“ erzählt nicht nur von der ersten Liebe, sondern auch von echter Annäherung – über Sprache, Kultur, Perspektiven. Und es zeigt, dass das größte Hindernis oft gar nicht im Gegenüber liegt, sondern in den eigenen Vorstellungen.
Mika ist zwar ein pubertierender Idiot, aber einer mit Herz und dem Mut, sich zu hinterfragen, also ein sympathischer Erzähler. Ich hätte vor dem Lesen nicht gedacht, dass Gebärdensprache, die von visuellen Zeichen lebt, so gut schriftlich umgesetzt werden kann. Barrieren werden verschoben, und auch Mika fragt sich, wer hier eigentlich was verpasst: die Gehörlosen oder die Hörenden, die sich gar nicht erst mit der Gebärdensprache und der Kultur der Gehörlosen auseinandersetzen wollen. (Nach dem Lesen bin ich mir sicher: Die Hörenden.)
Obwohl er schon 2013 erschienen ist, bleibt es ein zeitloser Roman über Sprache, Anderssein und das, was Menschen wirklich verbindet.

Bewertung vom 10.04.2025
Milo tanzt
Becker, Anne

Milo tanzt


ausgezeichnet

Milo tanzt. Und zwar Ballett – leidenschaftlich, mit ganzem Herzen. Nur: Das darf keiner wissen. Außer sein bester Freund Maxim. Doch selbst der ahnt nicht, wie weit Milo wirklich für seine Leidenschaft gehen würde – sogar bis zur Schulwechsel-Grenze. Und als wäre das Versteckspiel nicht schon schwer genug, taucht da auch noch der neue Schüler Luca auf, der es ziemlich gezielt auf Milo und Maxim abgesehen hat. Für Milo wird es immer schwieriger, sich selbst treu zu bleiben – besonders in einem Schulalltag, der manchmal eher gegen einen arbeitet als mit einem.
Diese Geschichte erzählt nicht nur davon, wie schwer es sein kann, sich zu zeigen, wie man wirklich ist – sie zeigt auch, wie wichtig Freundschaft ist, wenn’s mal nicht so leicht läuft. Besonders stark ist das Verhältnis zwischen Milo und Maxim, das gleichzeitig tief, witzig und absolut authentisch ist. (Spiderman-Zitate inklusive!)
Zwischen heimlichen Trainingseinheiten, echten Herausforderungen und kleinen Alltagsfluchten stellt sich ganz nebenbei auch die Frage: Fördert unser Schulsystem eigentlich, dass man sich versteckt – statt man selbst zu sein? Eine wichtige Frage, die hier ganz unaufgeregt mitschwingt.
Und das Beste: Trotz der ernsten Themen fühlt sich das Buch beim Lesen genauso leicht an wie Milo beim Tanzen. Keine Spur von übertriebener Dramatik oder falschem Glanz – einfach eine ehrliche, starke Geschichte über Freundschaft, Identität und Mut.
Unbedingt lesen – für alle, die gerne tanzen, zweifeln oder einfach sie selbst sein wollen.

Bewertung vom 10.04.2025
Die letzten Ninjas und der Juwelenraub
Frank, Astrid

Die letzten Ninjas und der Juwelenraub


ausgezeichnet

Stell dir vor, du bist ein eher ruhiger Junge, Ninjalehrling (!), und dein Alltag plätschert so dahin – bis plötzlich ein echtes Energiebündel namens Toni samt störrischen Hunden in dein Leben platzt. Genau das passiert Josh, und damit beginnt eine verrückte, spannende und gleichzeitig richtig schöne Geschichte über Freundschaft, Mut und das Lösen eines Juwelierraubs.
Auf den ersten Blick wirken sie nicht gerade wie das ideale Team: Luis ist blind, Emil ist Autist, Josh sehr sensibel, und Toni ist alles andere als unauffällig. Doch gerade durch ihre Unterschiede ergänzen sie sich überraschend gut – und arbeiten gemeinsam an der Lösung des Falls. Auch wenn das nicht ganz ungefährlich ist …
Erzählt wird die Geschichte aus Joshs Sicht – und das ist super gelungen. Er ist einerseits total reflektiert, merkt viel um sich herum, denkt nach – und trotzdem ist da noch der 12-jährige Junge, der sich einfach nur riesig freut, endlich Freunde zu haben. Diese Mischung macht ihn wahnsinnig sympathisch. Am Rand findet man Tonis Kommentare zu Josh’s Bericht. Die Idee finde ich richtig kreativ, Tonis Kommentare wirken eher pseudofrech und nicht ganz so authentisch auf mich.
Insgesamt: eine tolle Geschichte mit gelungenen Illustrationen über das Anderssein und Zusammensein, über Vertrauen und darüber, dass man nicht perfekt sein muss, um gemeinsam Großes zu schaffen. Für alle, die gerne mitfiebern, mitfühlen und mitlachen – absolute Leseempfehlung.

Bewertung vom 31.03.2025
Hunting Souls Bd.1
Köpke, Tina

Hunting Souls Bd.1


ausgezeichnet

Das eindrucksvolle Cover und der stimmige Titel bereiten perfekt auf den Inhalt vor. Die Geschichte dreht sich um Katrina, deren untote Existenz viel besser zu ihr passt als ein menschliches Leben. Gefühle zeigt sie nur gegenüber ihrer Vampir-Eltern und ihrer Hexenschwester. Denn entgegen aller Erwartungen können Wesen unterschiedlicher Art eine Familie bilden und unauffällig unter Menschen leben. Die größte Bedrohung für sie sind jedoch die Jäger – weshalb es für Katrina eine bittere Ironie ist, dass sie ausgerechnet durch einen Fluch an den 18-jährigen Tate gebunden wird, der aus einer Jägerfamilie stammt. Widerwillig müssen sie zusammenarbeiten, doch mit der Zeit gewöhnen sie sich aneinander. Ist es das magische Band zwischen ihnen – oder beginnt Katrina wider Erwarten, echte menschliche Gefühle zu entwickeln?
Anfangs hatte ich die Befürchtung, dass hier typische Klischees bedient werden: Die unnahbare, "besondere" Protagonistin, die dadurch für den männlichen Gegenpart besonders reizvoll wird, oder eine klassische Enemies-to-Lovers-Geschichte, wie man sie schon oft gelesen hat – diesmal eben mit übernatürlichem Touch. Doch glücklicherweise geht die Erzählung einen anderen Weg. Katrina und Tate lernen sich auf eine authentische Weise kennen, und es ist nicht ihre Gegensätzlichkeit, die sie anzieht, sondern die Gemeinsamkeiten, die sich im Laufe ihrer unfreiwilligen Partnerschaft zeigen. Besonders gelungen ist, dass beide ihre eigene Perspektive erzählen dürfen, was ihre Charaktere noch greifbarer macht.
Auch die Fantasywelt rund um die beiden ist stimmig und gut durchdacht. Zwar gibt es einige Passagen, die sich etwas ziehen und manche Entwicklungen sind vorhersehbar, doch die starke Dynamik zwischen Katrina und Tate gleicht das aus. Da die Geschichte in einem zweiten Teil fortgesetzt wird, hoffe ich auf einige unerwartete Wendungen – denn am Ende dieses Bandes blieb ich etwas ratlos zurück, wie es weitergehen könnte. Allerdings würde ich das Buch eher ab 16 Jahren empfehlen, immerhin wird von der sexuellen Anziehung Volljähriger erzählt.

Bewertung vom 30.03.2025
Die Bibliothek der Wahren Lügen
Cañadas, Jesús

Die Bibliothek der Wahren Lügen


sehr gut

Oskar liest im Deutschunterricht seine eigene Geschichte vor – doch statt Applaus erntet er Spott. Selbst die Lehrerin findet kein gutes Wort für seinen Text. Als wäre das nicht genug, wird er an seinem 14. Geburtstag, dem letzten Schultag vor den Ferien, wie jedes Jahr Opfer eines gemeinen Streichs: Seine Mitschüler bewerfen ihn mit Wasserbomben, diesmal gefüllt mit Wein.
Was Oskar zu diesem Zeitpunkt nicht ahnt: Genau dieses belächelte Schreibtalent wird ihm den aufregendsten Sommer seines Lebens bescheren. Der renommierte Autor Simon Bruma lädt ihn zu einem Schreibwettbewerb ein und nimmt ihn unter seine Fittiche. Oskar nutzt die Gelegenheit, um seinem schwierigen Zuhause zu entfliehen, wo ihn sein Stiefvater schikaniert.
Brumas Anwesen ist wie geschaffen für angehende Schriftsteller: imposant, ein wenig verlassen, mit einer großen Bibliothek und altmodischem Charme. Doch neben Bruma selbst gibt es dort noch eine weitere Herausforderung – seine scharfzüngige Tochter November, die sich ständig in Oskars Schreibprozess einmischt. Erst nach und nach begreift er den wahren Grund: Seine Geschichte soll November retten, denn sie ist krank.
Während er schreibt, gelangen die beiden in eine Fantasiewelt, in der sie sich dem Bösen stellen müssen. Nur wenn sie diese überstehen, gibt es vielleicht auch Hoffnung für die reale Welt …
Dieser Roman ist eine Liebeserklärung an das Lesen, Schreiben und die Kraft von Geschichten. Durch unterschiedliche Schriftarten wird deutlich, in welcher Welt man sich gerade befindet – ein Konzept, das an Die unendliche Geschichte von Michael Ende erinnert. Wie Bastian Balthasar Bux findet auch Oskar Trost in Büchern, bis er schließlich selbst Teil einer Geschichte wird.
Mich persönlich hat vor allem der reale Erzählstrang fasziniert – die Fantasiewelt wirkte auf mich stellenweise unübersichtlich. Besonders spannend fand ich hingegen die Reflexion über den Schreibprozess und die Macht guter Geschichten. Novembers bissige Kritik, wenn Oskar sich mit plötzlichen magischen Wendungen aus der Affäre ziehen will, sorgt für herrlich amüsante Momente.
Das Ende wird sicher nicht jedem und jeder gefallen, aber für mich war es ein stimmiger, bittersüßer Abschluss dieser Verschmelzung zweier Welten.
Ein tolles Buch für alle, die Die unendliche Geschichte lieben und sich von der Magie des Erzählens verzaubern lassen möchten.

Bewertung vom 09.02.2025
Kanak Kids (eBook, ePUB)
Dimitrova, Anna

Kanak Kids (eBook, ePUB)


ausgezeichnet

Dessi oder Daisy? Das kommt darauf an, wen man fragt. Am Gymnasium der Münchener Innenstadt ist Dessislava die blonde, perfekt angepasste „Daisy“ – Jeans, Bluse, Kontaktlinsen, kein bulgarisches Essen in der Lunchbox. In Neuperlach, wo Hochhäuser das Stadtbild prägen und die Realität weit entfernt von Münchens Schickeria ist, wird sie wieder zu „Dessi“ – Jogginghose, wilde Locken, keine Maskerade. Nicht, weil sie das Beste aus beiden Welten will, sondern weil sie es muss. Doch dann taucht Bo auf. Er durchbricht die sorgsam gezogene Grenze zwischen Dessis zwei Leben und erkennt ihr Dilemma, r hat ein ähnliches.
Was dieses Buch so besonders macht, ist die Perspektive. Zu selten wird gezeigt, wie Menschen aus osteuropäischen Einwandererfamilien die „Almans“ wahrnehmen. Dessis deutsche Freund*innen müssen erst ihre Welt betreten, um zu verstehen, wie schwer es ist, kulturelle Grenzen zu überwinden. Mit viel Witz und Intelligenz hält Dessi sowohl ihren Eltern als auch den intoleranten Mitschüler*innen den Spiegel vor. Sie erzählt mit pointiertem Humor und messerscharfem Verstand von den scheinbar unüberwindbaren Gegensätzen zwischen Münchens Schickeria und der Neuperlacher „Bronx“.
Besonders Bo bringt als charmanter, einfühlsamer Freund genau die Unterstützung, die Dessi braucht. Die Dynamik zwischen den beiden macht einfach Spaß – ihre Gespräche sprühen vor Schlagfertigkeit und Echtheit. Dieses Buch ist mehr als nur eine Coming-of-Age-Geschichte. Es ist eine treffende, humorvolle und gleichzeitig tiefgründige Analyse davon, wie sich Anpassung manchmal wie Überleben anfühlt. Und ganz nebenbei mit Liebesgeschichten (die vielleicht doch Grenzen durchbricht?), die wirklich niedlich sind.

Bewertung vom 10.11.2024
Who's to blame - Direkt, brutal, realitätsnah: ein spannender Jugendthriller über ein brandaktuelles Thema
Heimes, Silke

Who's to blame - Direkt, brutal, realitätsnah: ein spannender Jugendthriller über ein brandaktuelles Thema


sehr gut

Es sollte eine normale Schulstunde kurz vor den Ferien werden …

Wir erfahren gerade mal, dass der Deutsch-LK zu einer Podiumsdiskussion am Nachmittag antanzen soll und davon ein wenig genervt ist, da kommt schon der fahrige Lehrer rein, verschließt die Tür und holt eine Waffe heraus. Genauso überrascht wie wir, halten die Schüler*innen das zunächst für einen Scherz, einen etwas komischen Einstieg. Bis sie den Ernst realisieren. Doch irgendwie wird nicht klar, worum es herrn Riedl geht - er faselt von Gerechtigkeit und Schuld, anscheinend gibt er einigen der Schüler*innen ausgerechnet Schuld an dem Tod seiner Frau. Ein Spiel soll entscheiden, wer gehen darf und wer bleibt. Richtig Kontrolle hat niemand über die Situation, weder der verzweifelte Herr Riedl, nochd ie Schüler*innen, die versuchen, Antworten zu geben, die ihm gefallen, noch die Polizisten, die draußen stehen - eine davon ist auch Sams Tante und Sam sitzt im besagten Klassenraum.
Entgegen aller Erwartungen entfaltet sich die Situation als hochbrisant – doch auf eine völlig unerwartete Weise. Herr Weidl ist kein reiner Geiselnehmer, sondern ein zutiefst gebrochener Mensch, dessen Verzweiflung den Schüler*innen ihre eigenen Schwächen und Unsicherheiten vor Augen führt. Doch macht diese Verletzlichkeit seine Taten nachvollziehbarer? Kann man für jemanden Mitleid empfinden, der einem gerade Schaden zufügt?
Diese Situation wirft tiefgehende Fragen über die Menschlichkeit auf: Wer hält in solch extremen Momenten zusammen? Im Leistungskurs (LK) wird die Gruppe zu einem Spiegel der Gesellschaft, der sich den eigenen Fehlern stellt und schließlich auf das Gute im Menschen vertrauen muss. Die Perspektiven wechseln zwischen den Schüler*innen Sam und Liam sowie der Polizistin Alex, und die Kapitel enden stets so, dass man nicht aufhören kann, weiterzulesen.
Der durchgehende Einsatz von Gendern mag bei einigen Leser*innen kritisch aufgenommen werden, doch gerade in Bezug auf Sams Charakter und den Herausforderungen wird deutlich, warum es eine Rolle spielt – ein Aspekt, dem man sich durchaus einmal öffnen kann. Auch wenn einige Fragen am Ende offenbleiben und das Ende absehbar erscheint, bleibt der Thriller fesselnd und regt zum Nachdenken an. Ein spannender psychologischer Thriller über die Abgründe und die Menschlichkeit in uns allen und mentale Gesundheit.

Bewertung vom 10.11.2024
Julian und Birke
Langenegger, Lorenz

Julian und Birke


ausgezeichnet

Julian ist ein typischer 12-Jähriger, noch sehr kindlich, aber interessiert an seinen Mitmenschen. Dass seine Mutter die Trennung von seinem Vater nicht gut verkraftet, sein bester Freund Bela in seine Schwester Mara verknallt ist und Mara wiederum langsam erwachsen wird, fällt ihm auf. Als Frau Materski, die beliebte nette alte Dame aus der Nachbarschaft zur “Hexe” wird und sich verschanzt, wird er misstrauisch. Als dann auch noch Birke hinter ihm auftaucht und nicht mehr verschwindet, ist die Verwirrung komplett. Birke ist nämlich ein Geist und erzählt ständig was von einem Geisterkompass, weiß aber nicht, wie lange eine Minute ist …

Am Anfang war ich ein wenig verwirrt, in welche Richtung das gehen soll, eine “Hexe”, ein Geist … . Es geht aber nicht einfach um übernatürliche Wesen, sondern um das Gefüge von Gut und Böse, das in Julians Welt irgendwie ins Ungleichgewicht geraten ist. Birke hilft Julian, die Dinge, die von Menschen erschaffen wurden, mal aus einer anderen Perspektive zu sehen, z.B. das Konzept der Zeit. Eine ziemlich niedliche und auch interessante Perspektive! Nebenbei wird es wirklich spannend und Julian kriegt langsam ein Gefühl dafür, mit was für einer Mission Birke zu ihm geschickt wurde. Ich hätte gerne mit 12 einen Geist wie Birke an meiner Seite gehabt und man merkt auch bei Julian, dass die Freundschaft ihm gut tut.
Eine bemerkenswerte Geschichte über das Leben und die Freundschaft. Ich mochte die kindliche Perspektive Julians, dadurch wurde der Roman noch authentischer!

Bewertung vom 26.10.2024
Wünsche an die Wellen
Balen, Katya

Wünsche an die Wellen


ausgezeichnet

Von Wünschen und Ängsten zweier Gegensätze

Normalerweise spricht man von „Feuer und Eis“, wenn es um Gegensätze geht. Bei Tom und Zofia trifft dieser Gegensatz jedoch anders zu: Während Zofia eine tiefe Verbindung zum stürmischen Meer verspürt, sucht der eher schüchterne Tom Geborgenheit im Licht. Es passt also besser, sie als „Meer und Licht“ zu bezeichnen. Das bevorstehende Aufeinandertreffen der beiden verspricht, ihr Leben völlig auf den Kopf zu stellen: Zofias Vater und Toms Mutter verlieben sich und erwarten ein Kind. Tom zieht zu Zofia und ihrem Vater Marek ins Cottage. Zofia, die in Tom nur einen schüchternen Jungen sieht, der stets Licht zum Schlafen braucht und sich leise wie ein scheues Vögelchen verhält, kann zunächst gar nichts mit ihm anfangen. Für Tom ist Zofias impulsive Art eine Herausforderung, die ihm das Gefühl gibt, ständig um sie herumschleichen zu müssen.

Die Geschichte wird abwechselnd aus beiden Perspektiven erzählt, was einen tiefen Einblick in ihre jeweiligen Beweggründe und Verletzlichkeiten ermöglicht. Zofia wirkt zunächst wenig sympathisch, besonders im Kontrast zum sensiblen Tom – dafür aber umso authentischer. Als Zofia sieht, wie gut Tom sich mit ihren Freunden versteht, fühlt sie, als würde er ihr alles wegnehmen und sie aus ihrer neuen Familie ausschließen. Tom hingegen versucht, seine Gefühle stets zu kontrollieren und zu „kleinzufalten“, genau wie die Origami-Figuren, die er jede Nacht formt. Eine japanische Legende besagt, dass man 1000 Kraniche falten muss, um sich etwas wünschen zu können. Zunächst wünschen sich beide nichts mehr, als dass alles wieder so wird wie früher, bis ein Ereignis ihr Leben endgültig durcheinanderwirbelt.

Die unterschiedlichen Emotionen, so stürmisch oder leise sie auch sein mögen, wurden hier ganz wunderbar in Worte verpackt. Ein Familienroman über die schweren Zeiten, der auch Licht in Aussicht stellt. Ich fand vor allem gut, dass nicht linear auf ein Happy End zugesteuert wurde, sondern Hoch und Ab’s eingebaut wurden, wie nur das Leben selbst sie schreiben kann.
Am Ende findet sich noch eine Anleitung zum Falten von Kranichen. Ich brauche für meinen Wunsch noch 999.

Bewertung vom 20.10.2024
Ein Sommer, drei Monde
Sutcliffe, Silke

Ein Sommer, drei Monde


ausgezeichnet

“In Kunst setzt sich Bastian zwischen uns.”

Doch es bleibt nicht nur beim Kunstunterricht, in dem Bastian sich zwischen die Freundinnen drängt. Zu Beginn des Sommers sind Alicia und Jule noch beste Freundinnen – seit ihrer Kindheit unzertrennlich, am selben Tag geboren. Doch am Ende des Sommers sitzen sie schweigend zusammen im Zug, wie bereits im Prolog angedeutet wird. Dazwischen liegt ein Sommer, in dem Bastian irgendwie dazwischenkommt. Er wirkt sehr anziehend, während Alicia ihm eher kühl begegnet, doch Jule scheint immer mehr Gefallen an ihm zu finden. Bastian spricht oft von einem Hund, den niemand je zu Gesicht bekommt, und nicht alles, was er erzählt, ergibt Sinn. Doch trotz seiner Ungereimtheiten will man ihm glauben. Alicia, die auch die Erzählerin ist, bleibt von Bastians Einfluss nicht unberührt und setzt damit ihre Freundschaft zu Jule aufs Spiel.
Alicias Perspektive hat mir besonders gut gefallen, da sie Bastian anfangs rationaler zu beurteilen scheint als ihre beste Freundin Jule. Sie beschäftigt sich zudem mit eigenen Problemen, etwa der schwierigen Beziehung zu ihrer Mutter. Dass auch sie sich letztlich Bastians Lügen nicht ganz entziehen kann, verdeutlicht auf subtile Weise, wie geschickt er – bewusst oder unbewusst – die Dynamik zwischen den beiden Freundinnen manipuliert.

Der Schreibstil ist außergewöhnlich und gleichzeitig unaufdringlich. Er lässt viel Raum für eigene Interpretationen und Bilder, was angesichts des Themas „Lügen“ besonders passend ist. Und auch sonst mag ich das, wenn Autor*innen ihre Leser*innen für schlau genug halten, auch mal zwischen den Zeilen zu lesen. So auch z.B. die Mondmetapher. Eigentlich ist nur Jule besessen vom Mond und sieht in seiner Form ein Zeichen. Doch irgendwie ändert auch Bastian seine Gestalt, je nach Zeit und Ort.


Ein toller Roman, der ganz überheblich von Jugendlichen erzählt und durch Sprache, Stil und Inhalt überzeugt.