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Top-Rezensenten Übersicht

Benutzername: 
katharina.51
Wohnort: 
Kaiserslautern

Bewertungen

Insgesamt 62 Bewertungen
Bewertung vom 27.07.2024
Sobald wir angekommen sind
Lewinsky, Micha

Sobald wir angekommen sind


gut

Satire
Ben ist ein Jude, ein Jude wie er im Buche steht und zwar in dem unsäglichen Buche von Maurice Fishberg von 1913, das er zitiert.
Er ist intelligent und "blickt durch", auch hypochondrisch, ängstlich und schwermütig, "Glück ist für ihn ein befremdlicher Zustand".
Wie Stefan Zweig, über den er als Autor schreibt, wird er getrieben von einer drängenden Sehnsucht nach dem fernen Ideal.
Aber das Leben hat ihn am Wickel, Frau, Kinder und Freundin haben Erwartungen an ihn, die er nicht erfüllen kann, da er, obwohl schon an die Fünfzig, immer noch verstrickt ist, in die Betrachtung und Beurteilung seiner selbst. Sein Ich und sein Penis regieren ihn.
Auf der Flucht vor dem Dritten Weltkrieg nach Brasilien wird vielleicht alles anders, oder auch nicht.
Das Buch ist eine ironische Betrachtung eines Juden über sein Leben und das Weltgeschehen.
Leicht zu lesen, vieles zum Lachen, doch nicht den bitteren Ernst dahinter zu vergessen. Seine sexuellen Betätigungen hätte er gerne für sich behalten können.

Der Autor hat seinem Werk ein Wort von Leon Uris vorangestellt, das besser nicht passen könnte!

Bewertung vom 16.07.2024
Die Unvollkommenheit des Glücks
Bagus, Clara Maria

Die Unvollkommenheit des Glücks


gut

Anfänglich hat mich der Text sogar begeistert. Der Aufbau des Buches, mit den naturwissenschaftlichen und zeitgeschichtlichen Einschiebungen, den kurzen Kapiteln über psychologische und allgemeine Erkenntnisse der Welt und der Menschheit hatten mir gefallen, all dies ist eingebunden und zusammengefasst in der Lebensgeschichte zweier Menschen.
Ohne diese romanhafte Erzählung, hätte man das Buch auch als Aphorismensammlung der Autorin herausgeben können.
Als Psychologin weis sie, wie sie mit ihrer depressiven Protagonistin Ana umgehen muss. Wie aus einem der vielen Lebensratgeber hören sich ihre Sätze an. Wenn nur die Umsetzung so einfach wäre.
Manchmal erscheinen ihre Sätze kryptisch, gewollt poetische Umschreibungen von inneren und äußeren Zuständen, postuliert ihre Erkenntnisse als Wahrheiten, die einer kritischen Erörterung bedürften.

Ich bin an einen Punkt gekommen, wo ich das Gelesene als kitschig empfinde und nicht mehr weiterlesen will, zuviel honigfarbenes Licht.

Bewertung vom 10.07.2024
Eve
Towles, Amor

Eve


ausgezeichnet

Pures Lesevergnügen!
Von katharina.51

Das Buch von Amor Towles beginnt mit einem kultivierten Parlando der verschiedenen Protagonisten, das sich langsam, ohne, dass der Leser es ahnt, zu einem literarischen Kriminalstück entwickelt. Die Szenen spielen im Hollywood der dreissiger Jahre und sind verknüpft mit den großen Filmstudios der Zeit, die auch heute noch existieren und sowohl ihren Zauber als auch ihre Macht ausüben. Eve, die Titelheldin war die "neueste Nachtigall in der Stadt" und eine Frau par excellence.
Eine leichte Lektüre in eleganter Sprache, gewürzt mit Humor und Schmerz, die direkt nebeneinander liegen.
Ein Autor, der schon lange Jahre den Menschen in der Gesellschaft beobachtet hat, seine klugen Schlüsse daraus zieht und fein formuliert, in einer geschliffenen und durchdachten Sprache, die von Bildung, Weltläufigkeit und Kultiviertheit zeugt.
Ein absolut unterhaltsames Buch, das mir großes Lesevergnügen bereitet hat!
Von diesem Autor werde ich sicher noch mehr lesen.

Bewertung vom 04.07.2024
Am Himmel die Flüsse
Shafak, Elif

Am Himmel die Flüsse


sehr gut

Ein Weckruf!
Wenige Autoren sind mit sovielen Literaturpreisen bedacht wie Elif Shafak. Mit großer Leidenschaft, Mut und Mitgefühl für das Schicksal der Eziden hat sie dieses Buch geschrieben. Sie hat dafür eine umfassende Recherche betrieben, die sie ausführlich in ihren Anmerkungen beschreibt. Eine Fundgrube an Literatur, für alle die sich für die Vielzahl der, in ihrem Buch angesprochenen Themen weitergehend interessieren.
Alles beginnt in Mesopotamien, dort wo der Garten Eden war, wo die Wiege der Zivilisation und Kultur stand, dort wo die Sintflut ihren Anfang hatte und die Erzählung von Gilgamesch in Hieroglyphen in Lehm gedrückt, oder in Lapislazuli geschnitten wurde.
Am Ufer des Tigris fällt ein Regentropfen in Assurbanipals Haar und landet tausende Jahre später als Schneekristall an der Themse, auf dem Körper von Arthur, dem Entzifferer von Hieroglyphen, der sich aufmacht nach Mesopotamien und unterwegs die religiöse Rechtfertigung erfährt, aus welchem Grunde man die Eziden töten soll. Dieser Grund gilt heute noch und wurde auch bei dem letzten Massaker durch den IS angewendet.
Die Autorin setzt in ihrem Buch einen Gedenkstein für dieses Volk.

Bewertung vom 05.06.2024
Seinetwegen
Del Buono, Zora

Seinetwegen


sehr gut

Die Autorin ist sechzig geworden, vor ihr liegen der Lebensabschnitt des Alterns und der Tod, der schon früh in ihrem Leben eine Rolle gespielt hat.
Ihr Vater starb durch einen Autounfall, als sie gerade ein paar Monate alt war.
Sie kannte ihn nicht und doch war die Tatsache eines toten Vaters und eines vaterlosen Kindes immer in ihrem Leben präsent.
Ihr wurde früh bewusst, dass das Schicksal plötzlich zuschlagen kann, dass der Tod an jeder Ecke lauert, dass sich von einer Sekunde auf die andere alles radikal ändern kann. Nie kann man sicher sein.
Eine schreckliche Erfahrung und Gewissheit, die das Leben und Denken prägt.
Die Autorin ist aus ihrem anderen Leben, dass sich in Berlin und sonstwo auf der Welt abgespielt hat zurückgekehrt in ihre Heimat, zur Mutter, in die Schweiz.
In wöchentlicher Kaffehausrunde reden sie und ihre Freunde über alles, über das Leben und den Tod.
Immer wieder plagt sie die Frage, wie ihr Leben verlaufen wäre, wäre der Vater nicht getötet worden und die Frage nach dem Anderen, dem Unfallverursacher, dem Töter, hat er sein Leben lustig und in Freuden einfach so weitergelebt, wer ist er überhaupt.
Sie will sich nach so langer Zeit auf die Suche nach ihm machen, "Rede mit ihm, schließlich hat er tief in dein Leben eingegriffen", so bestärken sie ihre Freunde in ihrem Vorhaben.

Bewertung vom 02.06.2024
Solito
Zamora, Javier

Solito


sehr gut

Warum fliehen Menschen aus El Salvador, einem kleinen Land am Pazifik, ein tropisches Paradies, warm , fruchtbar und bunt. Warum nehmen Menschen diese lebensgefährliche Flucht auf sich, um in den USA schlecht bezahlte Hausangestellte und Hilfsarbeiter zu werden. Die Antwort liegt in der Politik der USA, nicht zuletzt in dem Massaker von El Mozote von 1981. Seit dieser Zeit gehört El Salvador zu den gefährlichsten Ländern der Welt.
Javiers Eltern sind aus dem Land geflohen und wollen ihren Sohn, der bisher bei Großvater und Verwandten wohnte zu sich holen.
Ein kleiner Junge von neun Jahren, solito - mutterseelenallein macht sich mit vielen anderen auf den Weg, ihr Leben vertrauen sie Schleppern an, die sich Kojoten nennen. Eine schreckliche Reise beginnt, zuerst über den Pazifik, nach Guatemala und Mexiko, und dort durch die lebensfeindliche Sonora-Wüste, die sie von ihrem Ziel, der Grenze trennt, immer in panischer Angst vor Entdeckung.
Das Buch ist der Bericht eines kleinen Jungen, der unterwegs versucht ein Mann zu sein, ein machismo, Selbstbeherrschung läßt ihn durchhalten und die liebevolle Zuwendung von drei völlig fremden Menschen.
Erst viele Jahre später kann er über das, was er erlebt hat reden und das Schreiben dieses Buches hat ihm bei der Verarbeitung, begleitet von einer Therapie, geholfen.
Das Buch hat seine Schwächen, doch beschreibt es eine Realität, die ein neunjähriges Kind durchmachen musste, um mit seinen Eltern leben zu können.

Bewertung vom 01.05.2024
Vor einem großen Walde
Vardiashvili, Leo

Vor einem großen Walde


sehr gut

Georgien, ein Vielvölkerstaat, ein kleines Land auf dem direktesten Weg zwischen Europa und Asien. Deshalb haben schon viele ein Auge darauf geworfen, ob in der Antike, oder in der Neuzeit

In den neunziger Jahren, als das Chaos eines Bürgerkrieges in Georgien ausgebrochen ist, entschließt sich eine Familie zu gehen. Der Vater mit den zwei kleinen Söhnen macht sich auf den Weg nach England, die Mutter soll später nachkommen, weil das Geld nicht für alle reicht. Nach zwanzig Jahren endlich macht sich der Vater auf den Rückweg, zuerst folgt ihm der erste Sohn, dann der zweite, um beide zu suchen, den Verbleib der Familie zu ergründen.
Eine abenteuerliche Suche beginnt.
Saba erfährt von den schrecklichen Schicksalen von den Lebenden und von den Toten, die sich bei ihm melden, alle haben Geheimnisse versteckt, die ihn auf den Weg führen sollen. Machen ihn aufmerksam, führen ihn in die Irre und helfen ihm, um dann wieder zu verschwinden, in ihr Schattenreich, oder wo sonst sie auch immer sein mögen.
"Vor einem großen Walde" spielen sich die politischen Schlüsselszenen ab.
Es ist nicht der geheimnisvolle Wald einer Baba Yaga, sondern die Demarkationslinie der Russen zwischen Südossetien und Georgien. Eine tödliche Linie, die Mensch und Tier voneinander trennt, uralte Pfade, Georgien war schon währen der Bronzezeit besiedelt, werden durch Stacheldraht, Gräben und Palisaden zu Todesfallen gemacht und es wird scharf geschossen.

Die erzählte Geschichte ist beispielhaft für viele Fluchtschicksale dieser Welt.
Die Ezählweise des Autors erinnert ein wenig an persische Dichtung, nur blühen in ihr keine Rosen und singen keine Nachtigallen. Nur die hässlichen Hinterlassenschaften Russlands, die es in die georgische Erde und in manche georgische Köpfe gesät hat wuchern darin weiter.
Auf jedem georgischen Friedhof rostet ein Exemplar des ersten Panzers der Berlin erreicht hat vor sich hin, so sehen die russischen Rosen der Vergebung aus.
Ein Buch, das spannend ist, aber auch leider ein paar Längen hat.

Man kann das Buch als Anregung nehmen, um sich über seine Handlung hinaus mit der langen wechselvolle Geschichte Georgiens zu befassen. Dort, wo gestern die Menschen gelitten haben, gehen heute die Touristen spazieren.

Dazu sei empfohlen:MAGAZIN AMNESTY AMNESTY-MAGAZIN SEPTEMBER 2023: GEORGIEN
EIN TAL VOLLER STACHELDRAHT

Bewertung vom 18.04.2024
Treibgut
Brodeur, Adrienne

Treibgut


sehr gut

Adam, ein siebzigjähriger Meeresbiologe, immer noch begeistert von den Schnittpunkten der Mathematik mit der Kunst, der Magie mit den Wissenschaften und den Walen in dem Ozean vor seiner Haustüre auf Cape Cod. In seinen manischen Phasen ist er überzeugt, dass er kurz vor dem Durchbruch zu einer großen Entdeckung ist, die in den Gesängen der Wale schlummert. In seinen depressiven Phasen stürzt er ab, in eine tiefe Schwärze der Sinnlosigkeit von aller Existenz.
Seine beiden Kinder, Ken und Abby hat er im Sturm dieser Krankheit allein aufgezogen. Die Mutter der Kinder, seine große Liebe, hat er nach der Geburt der Tochter verloren.
Beide Kinder sind in großer Freiheit, in einer engen Symbiose aufgewachsen, sie hatten sich selbst und gaben sich gegenseitig Halt .
In diesem einsamen Biotop entwickelten sich seelische Verzweigungen, die die Autorin im Laufe der Geschichte enthüllt, bis zu einem großen Showdown, bei dem sich jeder bekennen muss.
Der Roman ist eingebettet in die Beschreibungen der eindrucksvollen Natur von Cape Cod. Die Schreibweise der Autorin ist schnörkellos, gleicht der Landschaft, in der sie auch zuhause ist. Ohne Pathos und Überschwang, ohne "tiefgründelnde" Psychoanalyse, einfach und klar beschreibt sie die Personen in ihrem Alltag.
Das Cover des Buches ist ein Ausschnitt des Gemäldes "Strand bei Ebbe" von Frederick Milner. Es ist ausgezeichnend zu diesem Buch ausgewählt.
Ein Buch, das dem Leser Lesevergnügen schenkt.
Mit dem Originaltitel:"Little Monsters" hätte mich das Buch nicht interessiert.
Gut, dass man für die deutsche Ausgabe einen anderen Titel gewählt hat.

Bewertung vom 13.04.2024
Der Wind kennt meinen Namen
Allende, Isabel

Der Wind kennt meinen Namen


gut

In diesem Buch von Isabel Allende geht es um Fluchtgeschichten. Es beginnt mit Samuel, dessen Eltern ihn noch in einen Zug nach England setzen können, ehe sie in den Konzentrationslagern Hitlers für immer verschwinden. Viele Jahre später verliert ein kleines Mädchen, Anita, seine Mutter auf der Flucht vor einem Mörder an der amerikanischen Grenze, wo zu der Zeit die Schergen Donald Trumps sich in Unmenschlichkeit überbieten. Dann ist da noch Leticia, die mit ihrem Vater als einzige Überlebende des Massakers von El Mozote, vor vierzig Jahren aus San Salvador geflohen ist. Wie diese drei und andere Personen zusammentreffen erzählt dieses Buch.

Isabel Allende ist eine Vielschreiberin, eine routinierte Autorin. In ihrem Buch eilt sie durch viele Themen, von denen jedes einzelne ein Buch wert sein könnte. Die Charaktere bleiben eindimensional und sie bemüht auch öfters einmal die Klischees.
Das Buch hat Längen und Schwächen, wenn es seine Handlung nicht mit den kriminellen Machtspielen der Politik verknüpft hätte, könnte man es als Schmöker bezeichnen. Dass sie darauf aufmerksam macht ist ihr Verdienst.
Dieses Buch wird sicher nicht zu den großen Werken der Weltliteratur gezählt werden, aber die Leser von Isabel Allende werden sich über ein neues Buch von ihr freuen, auch über das schöne Cover.

Bewertung vom 19.03.2024
Issa
Mahn, Mirrianne

Issa


sehr gut

„Issas Geschichte ist meine Geschichte und gleichzeitig ist sie fiktional. Nicht alles darin ist wahr, aber alles daran ist echt“, so sagt die Autorin.
Sie hat in ihrem Debutroman bewußt die Begriffe Kolonialismus und Rassismus ausgeklammert und trotzdem ist davon die Rede.
"Ein großer Stein lastet auf ihrer Brust, wenn sie durch deutsche Straßen geht, ein Stein der Angst. "

Issas Wurzeln liegen in Kamerun, einer ehemaligen deutschen Kolonie, in der schwarze Menschen als Diener der Weißen mit einem Brandmal auf der Hand unauslöschlich gekennzeichnet wurden, wie Vieh. Ihre Urgroßmutter entstand aus einer Vergewaltigung durch einen Deutschen an einem 11jährigen Mädchen.
Als Issa selbst schwanger ist, wird sie von ihrer Mutter dazu gedrängt, sich den animistischen Ritualen der Ahnenverehrung, die in weiten Teilen Zentralafrikas herrschen, zu unterziehen.
Während dieser Zeit erzählt ihr ihre Urgroßmutter von den Schicksalen der Frauen ihrer Familie.
Das Leben aller war bestimmt durch die Herrschaft des Wollens und Trachtens der Männer.
Der jungen Issa ist während ihres Aufenthalts in Kamerun und im Laufe der mehrwöchigen Rituale, zu denen sie eigentlich keinen Zugang hatte, bewußt geworden, dass sie sich nicht zwischen den Kulturen entscheiden muss, sie kann beides sein. Sie hat erkannt, dass sie die Wahl hat, sich selbst zu schätzen, sich zu achten und sich zu lieben.

Dieses Buch erlaubt einen Blick in das Innere einer ganz anderen Gesellschaft.