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Benutzername: 
luisa_loves_literature
Wohnort: 
NRW

Bewertungen

Insgesamt 115 Bewertungen
Bewertung vom 14.11.2024
Wohnverwandtschaften
Bogdan, Isabel

Wohnverwandtschaften


gut

„Wohnverwandtschaften“ gehen manchmal sehr viel tiefer als echte Verwandtschaft – das zeigt Isabel Bogdahn in ihrem liebevollen und warmherzigen Roman, der mir im Hinblick auf seine innovative Erzählidee gut gefallen hat.

Über einen Zeitraum von knapp zwei Jahren folgt der Leser dem Leben in der WG von Jörg, Constanze, Anke und Murat – Einblicke erhält man unmittelbar über die unterschiedlichen Ich-Perspektiven. Unterbrochen werden die einzelnen Reflexionen und Berichte der Figuren über ihr Leben in und außerhalb der WG, über ihre Gemeinschaft, Sorgen, Ängste und ihre Vergangenheit durch Gemeinschaftsszenen, die als dramatischer Text verfasst sind. Diese Erzählstruktur ist sehr gelungen und abwechslungsreich, allerdings hat mir bei der Umsetzung ein bisschen die ureigene Stimme der Figuren gefehlt. So unterschieden sich die Kapitel in ihrer inhaltlichen Ausrichtung natürlich, aber bis zu dem Zeitpunkt, an dem Jörgs Kapitel von der fortschreitenden Demenz gekennzeichnet werden, fehlte mir der klar identifizierbare Ton der jeweiligen Figur – so wie man es z.B. aus Nick Hornbys A Long Way Down kennt, wo man eigentlich gar keine Überschrift braucht, da die Erzählstimme so klar erkennbar dem entsprechenden Charakter zuzuordnen ist.

Inhaltlich haben mich sowohl die Darstellung tiefer erwachsener Freundschaft als auch die des sich entwickelnden Gemeinschaftsgefühls überzeugt, der schmerzhafte allmähliche Verlust eines Freundes an die Demenz wird von Isabel Bogdahn ebenfalls sehr eindrücklich dargestellt, zumal sie das Abgleiten in das Vergessen nicht nur aus der Perspektive der Umgebung, sondern auch aus dem Blickwinkel des Betroffenen selbst schildert.

Dennoch hat mich der Roman insgesamt nicht wirklich mitreißen und begeistern können. Mir war insgesamt alles ein wenig zu niedlich, oftmals auch hinsichtlich der Figurenkonzeption zu verspielt und kindlich, die Figuren denken und fühlen häufig nicht unbedingt erwachsen, auch wiederholt sich so einiges – das mag authentisch und unterhaltsam sein, aber es verleiht diesem in Thema und Erzählstruktur durchaus ambitioniertem Roman eine zu oberflächliche Note. So habe ich den Roman durchaus mit einigem Interesse und auch Vergnügen gelesen, aber er wird in mein Lesetagebuch als „nettes Buch“ eingehen – unterhaltsam und voller Wärme, aber ohne nachhaltigen Effekt.

Bewertung vom 02.10.2024
Three Swedish Mountain Men / Why Choose Bd.1
Gold, Lily

Three Swedish Mountain Men / Why Choose Bd.1


weniger gut

Schweden, Winter, Lovestory – was kann da schief gehen? Offenbar für mich persönlich so einiges, denn ich hatte wohl völlig falsche Erwartungen an den Roman. Erhofft hatte ich mir ein bisschen Eskapismus auf dem Weg in die dunkleren Jahreszeiten, eine schöne, etwas ungewöhnliche Liebesgeschichte mit viel Gefühl und ein bisschen Humor und Unterhaltung. „Three Swedish Mountain Men“ hat zwar einen witzigen Titel und ein niedliches Cover, aber abgesehen davon habe ich mich immer wieder zum Durchhalten zwingen müssen – obwohl ich ein großer RomCom-Fan bin.

Dass es in RomComs die ein oder andere spicy Szene gibt, gehört dazu, ist sehr erwünscht und belebt das Geschehen, bei den „Mountain Men“ entsteht allerdings der Eindruck, dass die Story völlig zweitrangig ist. Es gibt ein „Problem“, das letztlich nicht so recht überzeugt und letztlich nur dazu dient, eine erotische Passage an die nächste zu ketten, denn es gibt kaum ein Kapitel, in dem es nicht richtig zur Sache geht – und wenn ich „richtig“ schreibe, dann meine ich „RICHTIG“. Die Szenen sind äußerst explizit geschildert. Da die Handlung so mager ist und die Figurenzeichnung bis auf Äußerlichkeiten und männliches Höhlenmensch-Gehabe rudimentär ist (es wird sehr viel gegrunzt und geknurrt, die Frau muss beschützt werden, denn sie heißt Daisy (!) und so ein Blümchen ist zart und verletzlich), kommt man sich vor wie in einer ausgedehnten Männer-Fantasie oder einem P*-Film - von Gefühl oder Romantik leider keine Spur. Nordschweden selbst ist leider auch kaum mehr als eine holzschnittartige Kulisse mit Holzhäusern, sehr viel Schnee, Elchen, Huskies und natürlich Nordlichtern.

Dieser Roman und ich passen leider überhaupt nicht zusammen und ich kann nichts wirklich Positives ausmachen. Ich kann mir aber dennoch vorstellen, dass der Roman die Wünsche von Lesern, die ein Faible für heiße und ausufernde erotische Szenen haben und über eine quasi nicht existente Story hinwegsehen können, erfüllen kann.

Bewertung vom 23.09.2024
Und später für immer
Jarck, Volker

Und später für immer


sehr gut

Das Kriegstagebuch seines Großvaters inspirierte Volker Jarck zu „Und später für immer“ – dieser Umstand verleiht dem Roman noch eine zusätzliche faszinierende Note, dabei ist er auch so schon sehr gelungen. Im Gegensatz zu vielen Romanen, die im Zweiten Weltkrieg angesiedelt sind, setzt sich dieser Roman nur ganz am Rande mit dem politischen Geschehen auseinander, stattdessen betrachtet die letzten Kriegsmonate aus der Sicht eines einfachen Soldaten, der das Ende der Kämpfe nicht abwarten will, sondern bereits Wochen vorher die Flucht wagt. In der Scheune von Verwandten hält er sich versteckt, wird aber schon bald von der Nachbarstochter Frieda entdeckt und gerät in eine unkomfortable Abhängigkeit von ihr.

Oberflächlich betrachtet passiert in diesem Roman eigentlich nicht viel, denn eigentlich verschwimmen die Tage des desertierten Johann Meinert zu einer einzigen Masse des Wartens, geprägt von Furcht, Bangen, Hoffen, latenter Bedrohung und Einsamkeit. Jarck gelingt es jedoch diese Eintönigkeit durch die Figur der für ihr Alter recht undurchsichtigen Frieda zu durchbrechen. Obwohl auch die Zahl der Begegnungen zwischen Johann und Frieda überschaubar sind, entwickelt sich durch ihre Anwesenheit eine Dynamik und eine Spannung, die den Lesefluss bestimmen. Der eigentliche Handlungsstrang dieser eigenwilligen Beziehung wird durch zahlreiche Rückblicke unterbrochen. Diese sind nicht chronologisch angeordnet, aber Jarck versteht es diese vielen kurzen Einschübe mit zeitlichen Markierungen und so viel erzählerisch überzeugender Genauigkeit zu versehen, dass man an keiner Stelle die Orientierung verliert. Für mich sind es gerade diese Erinnerungen und Einblicke in Johanns Geschichte, die den Roman mitreißend und bedeutsam gemacht haben. Die Hilflosigkeit, das Grauen des Krieges und der Traum vom Frieden werden kitschfrei und überzeugend transportiert, man ist ohne Gefühlsdusel ganz nah dran am Seelenleben des Feldwebels Johann Meinert und kann sich sehr gut vorstellen, was die Ungewissheit, die Angst vor dem Tod und die Unausweichlichkeit der ungewollten Pflichten sowie die Unkenntnis des zeitlichen Rahmens für die Psyche eines Menschen bedeutet haben mögen.

„Und später für immer“ ist ein ruhiger, leicht melancholischer Roman, in dem die konkrete Gefahr der Entdeckung mit wenigen Ausnahmen nur als Hintergrundrauschen wahrnehmbar ist. In seiner Figurenzeichnung ist er norddeutsch reduziert – bis auf Johann durchdringt man keinen der Charaktere, denn Wortkargheit bestimmt die Dialoge. Gut zu lesen und angenehm geschrieben, gewährt der Roman eine eher seltene Perspektive auf eine besondere Form von Mut und Tapferkeit, die ich sehr gern gelesen habe.

Bewertung vom 12.09.2024
Die Gräfin
Nelles, Irma

Die Gräfin


gut

Die Halliggräfin Diana von Reventlow-Criminil ist eine schon fast legendäre Figur der schleswig-holsteinischen Geschichte. Mit ihrem unangepassten, eigenwilligen Charakter und ihrem der Gesellschaft abschwörenden Lebensstil bietet sie die Grundlage für zahlreiche Anekdoten und Erzählungen. Nachdem Florian Knöppler für seinen im vergangenen Jahr erschienen Roman „Südfall“ bereits die Rettung eines englischen Piloten im Wattenmeer während des Krieges durch die Halliggräfin als Ausgangspunkt seiner Erzählung nahm, widmet sich nun Irma Nelles ausführlich der Begebenheit und vor allem der schillernden Persönlichkeit und Biographie der bekannten Gräfin.

Nelles‘ Roman besticht besonders durch die Schilderungen der unvergleichlichen Halliglandschaft und des Wattenmeers. In der Kategorie „Atmosphäre“ verdient der Roman Höchstnoten. Ohne zu dick aufzutragen gelingt es der Autorin Hitze, flirrendem Licht und Wolkenbergen nachzuspüren, gleichzeitig aber auch die Naturgewalten zu entfesseln, denen die Hallig immer wieder ausgesetzt ist. Neben diesem sehr überzeugend gezeichneten Setting ist auch die Darstellung der Halliggräfin überaus gelungen. Immer wieder flicht die Autorin Begebenheiten und Ereignisse aus der Vergangenheit Dianas ein. Man erfährt viel Interessantes über die Historie des Gutes Emkendorf und der Adelsfamilie der Reventlow-Criminils, diese Einblicke sind wiederum überaus elegant an das Auftreten und die Figur der Halliggräfin während des Zweiten Weltkrieges gebunden. Aber Diana von Reventlow-Criminil ist nicht die einzige gut konzipierte Figur des recht kurzen Romans, auch das Arztehepaar wird umfassend und authentisch gezeichnet. Im Gegensatz zu diesem bleiben jedoch der englische Pilot und das Dienstpersonal der Gräfin eher blass.

Die Story selbst leidet etwas unter einer gewissen Ereignislosigkeit. Bei aller eigentlich gegebenen Dramatik passiert recht wenig bis nichts. Die Figuren leben alle eher nebeneinander her und bespiegeln sich hauptsächlich selbst, es findet – außer der erwartbaren obligatorischen Liebeshandlung, auf die sogar ich als bekennende Romantikerin in diesem Fall sehr gut hätte verzichten können – kaum eine nennenswerte Interaktion zwischen den Figuren statt. Die Bedrohung, der sich die Gräfin mit der Beherbergung des Piloten aussetzt, schwebt allenfalls diffus am Horizont, denn letztlich zieht das gesamte Personal des Romans an einem Strang. Auch das Ende hat mich leider, obwohl ich offene Ausgänge sehr schätze, nicht begeistert. Es kam für meinen Geschmack zu abrupt und unter Zuhilfenahme einer auf den letzten Metern eingeführten Figur. Da hatte ich mir einfach mehr erhofft. Auffällig waren für mich auch einige logische Unstimmigkeiten im Handlungsablauf und auf der Figurenebene. Dialoge setzten z.B. Inhalte voraus, die die andere Figur nicht wissen konnte oder bei der Figurenbeschreibung genannte Aspekte fanden sich in der Handlung nicht wieder.

So bleibt „Die Gräfin“ ein schöner Roman mit Nordseeluft und viel plattdeutschem Lokalkolorit, das mir persönlich sehr viel Freude gemacht hat (ich weiß nicht, wie das für Leser ist, die kein Plattdeutsch verstehen), der aber für meinen Geschmack in zu ruhigen Bahnen lief angesichts des historischen Kontexts.

Bewertung vom 01.09.2024
Ehemänner
Gramazio, Holly

Ehemänner


sehr gut

Lauren, Single, Londonerin, entdeckt nach dem feucht-fröhlichen Junggesellinnenabschied ihrer besten Freundin einen fremden Mann in ihrer Wohnung, der angibt, ihr Ehemann zu sein. Lauren ist zutiefst verwirrt, vor allem als sie bemerkt, dass, nachdem der Ehemann auf den Dachboden gestiegen ist, sie unmittelbar mit einem neuen Modell konfrontiert wird. Das System ausnutzend, tauscht sich Lauren fortan durch eine gewaltige Anzahl von Ehemännern, die allesamt unterschiedliche Auswirkungen auf ihr Leben mit sich bringen: von der Wohnungseinrichtung über die Gartengestaltung bis hin zu Frisur und Bankkonto oder Gesundheitszustand - jedes Mal, wenn Lauren einen Ehemann auf den Speicher schickt, wird quasi ihr persönlicher Reset-Knopf gedrückt.

Holly Gramazio ist ein ungemein unterhaltsamer Roman gelungen, der bei aller Heiterkeit auch sehr viele ernste Untertöne enthält, denn er wirft, wie so treffend von Autorin Gabrielle Zevin auf dem Buchrücken formuliert, immer wieder die Frage auf, "wie wir heutzutage leben." Im Grunde ist "Ehemänner" die überdrehte Form der Dating-Apps und denkt die grenzenlosen Auswahlmöglichkeiten und schiere Überforderung, die uns jeden Tag in unserer digitalen Welt entgegenschlägt, zu Ende. Laurens beständiges Streben nach dem "nächsten besten Mann", was dazu führt, dass potenzielle Partner schon nach wenigen Sekunden Begutachtung wieder ausgetauscht werden, hat etwas Rastloses, aber auch sehr Komisches. Gleichzeitig thematisiert der Roman so auch die zeitlose Unzufriedenheit der Menschheit und die Unruhe, die Entscheidungen vorausgeht.

Lauren als Figur muss sich in immer wieder neuen Szenarien zurechtfinden, immer wieder erschließen, wer sie in dieser Version ihres Lebens ist, was sie mag, welches Bild sie ihrem Ehemann und ihrer Umgebung vermittelt hat. Nur selten schafft sie es für längere Zeit an der Seite eines Mannes etwas zur Ruhe zukommen und wenn dies der Fall ist, setzt sie sich recht gründlich mit sich selbst auseinander und mit den Motiven, die dazu geführt haben, ausgerechnet bei diesem Menschen für eine Weile vor Anker zu gehen. Interessanterweise werden dabei zwar Facetten ihres Ichs ausgeleuchtet, aber dennoch bleibt Lauren in ihrer Zeichnung immer etwas vage - dass die Männer nur äußerst oberflächlich gezeichnet werden, versteht sich von selbst.

Die Geschichte selbst hat mich trotz einiger Längen sehr gefesselt. Zwar weiß man eigentlich die ganze Story über nicht, wo Laurens Entwicklung hingeht und wie die Autorin den Roman über die Ziellinie bringen will - dass sie dies dann schlussendlich mit einem hohen Maß an Spannung und Überzeugungskraft schafft, hat allerhöchsten Respekt verdient, denn das Jonglieren mit den Männern und anderen Vernetzungen ist nicht ohne.

"Ehemänner" ist definitiv keine RomCom und kein Wohlfühlroman, aber ein sehr flüssig geschriebener und wendungsreicher Unterhaltungsroman, der mehr Tiefe aufweist, als man bei einem Blick auf den Kaninchenreigen auf dem Cover vermuten würde - eine Leseempfehlung, wenn man sich auf ein fantastisch anmutendes Lifestyle-Experiment einlassen möchte und dafür keine extrem sympathische und mitreißende Heldin benötigt.

Bewertung vom 30.08.2024
Yoga Town
Speck, Daniel

Yoga Town


gut

Mit „Yoga Town“ geht es im Bulli direkt hinein in die Sechziger Jahre, rein in das Lebensgefühl von Hippie, Flower Power und Peace – und wo könnte man dies besser ergründen als in einem Ashram in Rishikesh? Zwischen Guru, Beatles, den Beach Boys und anderer Prominenz spielt sich hier im Dschungel ein Liebesdrama zwischen den Brüdern Lou und Marc und den sie begleitenden Frauen ab, das auch Jahrzehnte später noch Auswirkungen auf die Yoga-Lehrerin Lucy hat. Auf den Spuren ihrer Elterngeneration und an der Seite von Lou begibt sie sich ebenfalls auf die Reise nach Indien um an ihrer ganz persönlichen Erleuchtung zu arbeiten.

Man muss das „Love and Peace“-Feeling schon mögen, wenn man sich auf nach „Yoga Town“ macht, denn der größte Teil des Romans spielt in den Sechzigern und zeigt Rishikesh auf dem Höhepunkt der Hippie-Bewegung. Freie Liebe, Drogenexperimente, Transzendentalismus, Räucherstäbchen und esoterische Wege zum Glück durchwehen die Seiten – Daniel Speck hat das Lebensgefühl einer ganzen Generation mit ihrer heute kurios anmutenden Schrulligkeit perfekt eingefangen. Die Vergänglichkeit der Hippie-Bewegung, aber auch ihre Nachwehen, werden dabei von ihm überaus präzise mit der aktuellen Yoga-Bewegung kontrastiert, die sich bei genauerem Hinsehen gar nicht mal so stark von „Love and Peace“ unterscheidet.

Im Gegenwarts-Teil spazieren Lou und Lucy durch ein Rishikesh, das von einem Yoga-Festival beherrscht wird, in dem Europäer und Amerikaner sich in Designer-Sport-Klamotten verbiegen, in der Erwartung mental und physisch entspannter loszulassen – Meditation (wie schon in der Hippie-Zeit) inklusive. Diese Kontrastierung bzw. Nebeneinanderstellung hat mir außerordentlich gut gefallen und mich wiederholt zum Schmunzeln gebracht – Indien als Sehnsuchtsort der inneren Weisheit: es gibt Dinge, die sich wohl nie ändern werden. Allein eine stärkere Ausformulierung der eigentlichen Kulisse hätte ich mir schon gewünscht. Rishikesh bleibt als Setting insgesamt etwas blass und das, wo gerade Indien in der Realität ja ein wahres Feuerwerk der Sinneseindrücke abliefert.

Die Figurenzeichnung gelingt Speck hingegen überzeugend. Besonders das so ungleich anmutende Brüderpaar interessiert und fasziniert, Lou ist in seiner Entwicklung bzw. Nichtentwicklung ein durchaus vielschichtiger Charakter, denn der rationale und vernunftbegabte junge Mann rettet schließlich doch ausgesprochen viel Hippiegeschmack in die heutige Zeit und bleibt der Vergangenheit stets treu ergeben. Die Frauenfiguren erscheinen dagegen etwas schwächer, gerade in Bezug auf Corinna entsteht gar der Eindruck, als müsse sie künstlich mit einer Backstory versehen werden, um als Figur aufgewertet zu werden. Das größte Problem aber ist Lucy selbst, die eigentliche Protagonistin, die als Figur recht distanziert und spröde angelegt ist. Der Grund dafür ist, dass sie mit sich selbst nicht so wirklich klarkommt, leider färbt diese Tatsache auf das Leseerlebnis ab und so fehlte mir doch so manches Mal der rechte Zugang.

Die Story selbst liest sich flüssig, aber so richtig mitreißend ist sie nicht. Denn es gibt zahlreiche Szenen, die sich ähneln. Oftmals scheint die Handlung nicht recht vom Fleck zu kommen und so wird der Roman insgesamt etwas langatmig – gelegentliche Straffung, die das grundlegende Dahinplätschern der Geschichte verhindert hätte, wäre angezeigt gewesen.

So bleibt „Yoga Town“ eine Leseempfehlung für alle, die Zeit und Lust haben, tief in die Hippie-Zeit einzutauchen, denn es ist ein Roman der trotz der genannten Schwächen durchaus Spaß macht und immer wieder gute Unterhaltung bietet, vor allem wenn es um den Hauch des kritischen Kommentars auf unseren heutigen Lifestyle geht.

Bewertung vom 14.08.2024
Wolke Sieben ganz nah
Greenwood, Kirsty

Wolke Sieben ganz nah


sehr gut

Delphi Bookham – was ein Name – ist eine eher unfreundliche Zeitgenossin. Sie selbst würde sich nie so beschreiben, aber nachdem sie unfreiwillig im Jenseits gelandet ist und von ihrer Mentorin eine letzte Chance auf die Liebe und das Leben bekommen hat, wird immer deutlicher, dass sie weder Familie noch Freunde hat. In „Wolke Sieben ganz nah“ schildert Kirsty Greenwood auf hinreißende Art und Weise, wie aus dem leicht antisozialen Mauerblümchen eine gut vernetzte, engagierte und liebevolle Freundin wird, die nebenbei in einer klassischen, aber deshalb nicht minder unterhaltsamen, enemies-to-lovers-Story die große Liebe findet. Delphi ist die typische Antiheldin des Liebesromans, peinliche Situationen eingeschlossen, dabei aber überaus liebenswert und sehr nachvollziehbar und menschlich konzipiert. Dazu ist ihr love interest einfach so, wie man sich ihn wünscht. Begleitet werden die beiden von einem wirklich großartigen Aufgebot an verrückten, spleenigen und besonderen Nebenfiguren, die für sehr viele lustige, rührende und aberwitzige Situationen sorgen – kurzweilige Lektüre garantiert.

Durch seine absurde und fantastische Ausgangssituation bekommt der Roman einen ganz besonderen Twist. Eigentlich sind der Tod und das Jenseits ja alles andere als eine geeignete Zutat für einen leichtfüßigen Liebesroman, doch auch diese Hürde nimmt die Autorin mit bemerkenswerter Nonchalance und schafft es so, dem Romance-Genre einen frischen Anstrich zu verpassen. Die Story selbst unterhält bestens, bringt zum Lachen, rührt an und animiert zum Weiterlesen – ein wunderbares Lesevergnügen zum Abschalten und Genießen.

Zum Ende hin schwächelt der Text ein wenig. Er scheint nicht recht zu wissen, wie er zum Schluss kommen, überspannt die Glaubwürdigkeit hinsichtlich der „realen“ Welt (was natürlich angesichts der ganzen Geschichte ein etwas merkwürdig anmutender Kritikpunkt zu sein scheint) und braucht bis zum letzten Satz einfach zu lang. Dennoch: „Wolke Sieben ganz nah“ hat mir außerordentlich gut gefallen. Als Urlaubsbuch und Entspannung-am-Wochenende-Buch ist diese RomCom perfekt geeignet.

Bewertung vom 24.06.2024
Jezebel Files - Wenn der Golem zweimal klingelt (eBook, ePUB)
Wilde, Deborah

Jezebel Files - Wenn der Golem zweimal klingelt (eBook, ePUB)


gut

Im ersten Teil der „Jezebel Files“ geht es hoch her: Golems, Magie, eine geteilte Gesellschaft, kriminelle Machenschaften, Liebe – das sind die Zutaten des Reihenauftakts. Erzählt wird dies alles von der sehr schlagfertigen, kratzbürstigen und flapsigen Privatermittlerin Ash, die so gar nicht auf den Mund gefallen ist und sich zwischen Weltigen und Magiebegabten, ihrer Mutter, der führenden Politgröße der „Reinheitsliga“, und dem überaus attraktiven Chef des Hauses der magischen Menschen, Levi Montefiore, behaupten muss. Als junge Menschen verschwinden und Ash an sich selbst Veränderungen beobachtet, nimmt die Verwirrung ihren Lauf, zumal sie immer wieder mit Levi aneinandergerät.

Die „Jezebel Files – Wenn der Golem zweimal klingelt“ bietet nicht allzu abgedrehte Fantasyaction, die mit sprachlicher und situativer Komik präsentiert und auf der Handlungsebene mit dem sehr beliebten Trope der „enemies-to-lovers“ kombiniert wird. Diese gelungene Mischung, die durchaus mit guten Spannungsmomenten daherkommt, bietet ein sehr süffiges und unterhaltsames Lesevergnügen, bei dem die Seiten ziemlich rasant durch die Finger rauschen. Besonders die salopp-freche Erzählstimme und der frische Stil verleihen dem Roman und natürlich seiner Protagonisten sehr viel Charakter und Unterhaltungswert. Auch die Liebesgeschichte ist zumindest in Ansätzen ansprechend, manchmal hatte ich den Eindruck, dass sie etwas unverbunden zum Rest des Textes stand und besonders die erotischen Szenen als Nachgedanke eingefügt wurden, ein wenig getreu der Maxime: hier fehlt die Würze, also peppen wir es am Schluss noch etwas auf.

Das Gefühl der Unverbundenheit besteht auch im Hinblick auf den Rest des Textes. Es gibt einige Dialoge oder Szenen, bei denen die Zusammenhänge sich nicht erschließen, wo es so wirkt, als ob wesentliche Details herausgestrichen oder vergessen wurden. Die Übergänge gestalten sich dann doch recht holprig und man steht unter dem ständigen Eindruck, etwas übersehen zu haben. Gleichzeitig bindet der Text den Leser nicht so recht in die Handlung ein, die Konstruktion ist mitunter etwas hölzern, das Gerüst der Geschichte zu deutlich ersichtlich, fast so als ob ein Programmpunkt nach dem nächsten abgehakt werden soll. Das ist natürlich legitim, aber sowohl handlungstechnisch als auch in der Figurenkonzeption bleibt der Roman zu oberflächlich, um so richtig zu fesseln. Da muss dann doch etwas mehr in die Tiefe gearbeitet werden.

So bleibt der erste Teil der „Jezebel Files“ ein sehr unterhaltsames Buch mit einer amüsanten Erzählstimme, das sich flüssig lesen lässt und auch für Leser, die nicht allzu oft in fantastische Welten abtauchen, eine gute Möglichkeit bietet ein neues Genre zu entdecken.

Bewertung vom 13.06.2024
Was der Morgen bringt
Ibbotson, Eva

Was der Morgen bringt


ausgezeichnet

Hach, es ist doch einfach wunderbar, wenn ein Roman einfach nur schön und wohltuend ist! Und genau das ist „Was der Morgen bringt“ von Eva Ibbotson – ein Roman für die Seele, eine wunderbare Liebesgeschichte mit Charakteren, die man am liebsten sofort in einer Netflix-Serie sehen würde, dabei ist die Story aber, allein schon wegen des historischen Kontexts, alles andere als oberflächlich.

Der Roman spielt unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg: die Jüdin Ruth Berger lebt in Wien; im Gegensatz zu ihren Eltern, die Österreich bereits verlassen haben, ist ihr die Flucht nicht gelungen. Als der englische Wissenschaftler Quin Sommerville, der ihrem Vater freundschaftlich verbunden ist, ihr anbietet sie pro forma zu heiraten, damit sie legal ausreisen kann, geht sie auf das Angebot ein, nichtahnend, dass es nicht so einfach sein wird, dieses Arrangement wieder aufzulösen.

Eva Ibbotson hat mir mit ihrer Liebesgeschichte auf jeder Seite Freude bereitet, auch wenn der Text sprachlich manchmal nah an der Jugendliteratur vorbeischrammte, das ein oder andere Klischee eingefügt wurde und auch einige Wendungen vorhersehbar waren. „Was der Morgen bringt“ ist sehr viel Gefühl und Liebe, einfach etwas fürs Herz, aber eben auch von seinem Personal her gut erdacht. So kann Quin Sommerville es beinahe mit Jane Austens Mr. Darcy aufnehmen, er gehört auf jeden Fall zu den Romanhelden, die man so schnell nicht vergisst. Zwar könnte man die Figurenkonzeption dahingehend kritisieren, dass sie vielleicht etwas zu stark auf stereotype Darstellungen setzt, aber Ibbotson gibt sich so viel Mühe mit ihren Figuren, betrachtet selbst die kleinste Nebenfigur, wie z.B. die unsympathische Psychologin aus Breslau, noch mit liebevoller Aufmerksamkeit, dass man mühelos über etwaige Reduzierungen auf hervorstechende Eigenschaften hinwegsehen kann.

Dazu unterhält und fesselt die Geschichte, denn die Verwicklungen des Herzens und die Tatsache, dass man als Leser die Missverständnisse und Irrungen der Protagonisten amüsiert durchschaut, bieten ein abwechslungsreiches und kurzweiliges Lesevergnügen und das alles spielt sich wahlweise vor der immer gut funktionierenden Kulisse Londons oder der dramatisch-wilden Küstenlandschaft Northumberlands im Norden Englands ab – tatsächlich ist „Was der Morgen bringt“ einer der wenigen Romane, die ich in diesem Jahr fast ohne Unterbrechungen durchgelesen habe und den ich schließlich mit einem etwas wehmütigen Seufzer zuklappte, denn „Hach, es war einfach schön!“ Meine romantische Seele konnte jubilieren und bittet den Kampa-Verlag um mehr Eva Ibbotson!

Bewertung vom 19.05.2024
Sieben Tage Mo
Scherz, Oliver

Sieben Tage Mo


gut

"Sieben Tage Mo" greift zweifelsohne ein sehr wichtiges Thema auf, das vor allem in letzter Zeit ein wenig aus dem Blickfeld der Kinderbuchliteratur verschwunden war: wie lebt es sich als Heranwachsender mit einem Geschwisterkind, das von Geburt an in seiner Entwicklung eingeschränkt ist? Wie geht na damit um, wenn einem zu früh zu viel Verantwortung aufgebürdet wird? Wie kann man sich selbst sein eigenes Leben und Wohlbefinden bewahren?

All diese Fragen behandelt Oliver Scherz in seinem Roman, einfühlsam und auch nachvollziehbar, aber leider auf der Ebene der Handlung nur begrenzt überzeugend, denn bei allem finanziellen Druck, den die Familie spürt, kann ich mir leider kein Szenario vorstellen, in dem die Verantwortung für den jüngeren Bruder so vollkommen, umfassend und nachhaltig auf einen Heranwachsenden übertragen wird. Aus Sicht der Handlungskonstruktion leuchtet dieser Aufbau zwar ein, denn die Kinderbuchliteratur ist ja quasi auf die Abwesenheit von Eltern spezialisiert, glaubwürdig war diese Verschiebung der Aufgaben von der Mutter auf ihren Sohn nicht.

Darüber hinaus habe ich mich über den ganzen Text schwer damit getan, in den Roman hineinzufinden. Stilistisch findet der Roman nicht so recht in einen Flow, viele Absätze sind abgehackt, fast sprunghaft, ganze Passagen wirken so, als seien einzelne, die Handlung fließend zusammenhaltende, Sätze herausgestrichen worden. Oftmals hatte ich den Eindruck, dass hier nur möglichst schnell ein neuer Problembereich abgehandelt, eine neue Belastung angerissen werden sollte. Im Grunde hat der Roman kaum gelungene Übergänge und dies verhindert ein Mitfiebern und einen ansteigenden Spannungsaufbau; Komponenten, die gerade im Kinderbuchbereich wesentlich sind.

Für mich waren die "Sieben Tage mit Mo" ein wichtiger Beitrag zu einem wesentlichen Thema, der aber in der Umsetzung großes Optimierungspotenzial aufweist.