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Ryria

Bewertungen

Insgesamt 68 Bewertungen
Bewertung vom 18.01.2025
Die Spur der Sehnsucht
Janssen, Jaane

Die Spur der Sehnsucht


ausgezeichnet

Das Leben auf Borkum im Jahre 1775 ist alles andere als einfach, was auch Sventje jeden Tag aufs Neue erfahren muss: Hochschwanger mit ihrem vierten Kind muss sie ihre Familie ernähren, während ihr Mann schon seit Monaten wieder als Walfänger auf See unterwegs ist. Zum Glück steht ihr Gutsherr Valentin zur Seite, jedoch sind ihre Gefühle füreinander im Grunde verboten...

Ohne Kitsch oder übertriebene Dramatik, dafür stattdessen mit authentischen Emotionen und einem Feingefühl für zwischenmenschliche Beziehungen entführt uns die Autorin in das damalige Inselleben. Man merkt auf jeder Seite die Liebe und Arbeit, die in die Geschichte geflossen sind, alles wirkt sehr realistisch, von damaligen Berufen über Haushaltsarbeiten, Klassenunterschieden, medizinischen Behandlungen, Transportationsmöglichkeiten und vielem mehr.
Da die Geschichte aus drei verschiedenen Perspektiven erzählt wird, ist dies nochmal beeindruckender und rundet alles perfekt ab, man taucht sowohl in das Leben einer "einfachen" Inselbewohnerin als auch in das eines Gutsherren ein - und zwischendurch geht es noch hinaus aufs Walfangschiff. Historisch super recherchiert und ich habe so einiges nebenbei dazulernen können!

Trotzdem wirkt es an keinem Punkt wie eine langweilige Geschichtsstunde, ich konnte im Gegenteil kaum aufhören zu lesen. Kurze Kapitel verführen zu dem "Nur noch ein Kapitel"-Problem und bieten hierbei eine gute Mischung aus spannenden Geschehnissen und ruhigeren Passagen, die sich den Charakteren widmen und die Bindung des Lesers zu diesen verstärken.
Ich habe die Charaktere richtig ins Herz geschlossen - einerseits sind sie alle sehr unterschiedlich, andererseits dabei auch noch sehr authentisch und sympathisch. Bereits jetzt vermisse ich sie und freue mich auf ein Wiedersehen im nächsten Band.

Ebenso hervorheben sollte man noch den Schreibstil: Das Buch lässt sich sehr flüssig lesen, doch zwischendurch habe ich manche Passagen gerne doppelt gelesen, weil die Sätze so schön oder berührend formuliert waren oder manches einfach auch richtig lustig war.
Dazu überrascht die Handlung auch immer wieder mal - während ich vorher dachte, dass es in eine bestimmte Richtung geht, kam es dann doch immer ganz anders. Klare Leseempfehlung von mir, ich bin schon sehr gespannt, wie es bald weitergeht!

Bewertung vom 17.01.2025
Only Margo
Thorpe, Rufi

Only Margo


ausgezeichnet

Nachdem sie ungeplant schwanger wird und ihren Job wegen des Babys verliert benötigt Margo schnell einen neuen Weg, an Geld zu gelangen - und entdeckt hierbei OnlyFans. Als Leser verfolgt man ihren Aufstieg auf der Plattform, aber auch ihre familiären Probleme und Konflikte mit den Behörden.
Der Schreibstil hat mir besonders gut gefallen, die ganze Geschichte ist gleichzeitig auch eine Liebeserklärung an das Spiel mit der Sprache: Die Perspektive wechselt von der ersten in die dritte Person und wieder zurück, je nachdem wie die "heutige" Erzähler-Margo zu ihrem damaligen Ich steht. Auch der Leser wird auf geschickte Art inkludiert, es fühlt sich an, als ob man die Geschichte einer Freundin erzählt bekommt, während einem gleichzeitig auch vermittelt wird, dass alles nur fiktiv ist.

Das Ergebnis ist eine Mischung aus lustigen Momenten, viel Sarkasmus, emotionalen Momenten und klugen Beobachtungen.
Die Realität einer Single-Mutter, das Verhalten mancher Menschen (im Internet) und die Schwierigkeiten des Lebens mit einem verpönten Beruf werden ungeschönt dargestellt - es ist nicht das, was man hören will, aber es wirkt dafür umso echter.
Auch die Charaktere wirken authentisch, teils mit Klischees, teils mit Tiefgang werden sie zum Leben erweckt. Sie sind alles andere als perfekt, haben komische Angewohnheiten und Macken und regen einen als Leser auch öfters mal auf.
Besonders interessant fand ich die verschiedenen Darstellungen der Eltern, wie sie ihre Liebe zeigen, wo ihre Grenzen liegen, was für sie "gute Eltern" ausmacht und die Kämpfe, die sie bestreiten müssen.

Ein weiteres Highlight für mich waren all die kreativen Ideen, die die Geschichte ergänzen: TikTok-Skripte, Fortnite-Runden, Pokemon-Referenzen und verrückte Erlebnisse. Für jemanden, der sich in dieser "Kultur" jedoch nicht so auskennt, geht vermutlich doch einiges verloren, auch wenn man die Handlung trotzdem gut verstehen sollte.
Allgemein wirkte alles sehr gut recherchiert, Gaming, Anime, Social Media, aber auch seriösere Themen wie Behördenabläufe, Gutachten, Anwaltstaktiken. Ich kenne mich in beiden Bereichen recht gut aus und fand es ziemlich realistisch und überzeugend für einen Unterhaltungsroman geschildert.
Lediglich die dunklen Seiten von OnlyFans hätten meiner Ansicht noch deutlicher beleuchtet werden können, daher empfehle ich nach der Lektüre noch die weitere Befassung mit dem Thema durch Youtube-Reportagen.

Bewertung vom 15.01.2025
Finsteres Herz / Die Toten von Marnow Bd.2
Schmidt, Holger Karsten

Finsteres Herz / Die Toten von Marnow Bd.2


ausgezeichnet

Mendt und Elling stoßen bei ihren Ermittlungen auf das Mädchen Sarah, zusammen landen sie schließlich in einem sicheren Haus für Zeugen. Dort geht jedoch etwas gewaltig schief, was dazu führt, dass zwei neue Ermittler den Fall übernehmen und herausfinden müssen, was genau passiert ist.
Für mich war es der erste Fall des Ermittlerduos, daher habe ich kurz gebraucht, um bei all den Personen und Namen durchzublicken, jedoch war dies schnell kaum noch ein Problem.
Man sollte jedoch generell darauf eingestellt sein, das Buch konzentriert zu lesen, da im weiteren Verlauf doch viele Zeugen, Kollegen und Verdächtige ihren Auftritt haben.
Auch wird die Geschichte auf zwei Zeitebenen erzählt: Wir verfolgen gleichzeitig die ursprüngliche Ermittlung von Mendt und Elling sowie die neue Ermittlung, in der sich die Ermittler auf ihre Spuren begeben. Dies kann eventuell kurz verwirrend sein, ich habe mich aber schnell daran gewöhnt und mochte diesen besonderen Erzählstil sehr. Dazu beigetragen haben auch die vielen Perspektivwechsel, zwischendurch erlebt man die Handlung immer wieder auch mal aus der Sicht von anderen Beteiligten und erhält so einen tiefen Einblick in das Geschehen, ohne dass zu viel verraten wird.

Generell konnte ich super mitspekulieren und es hat großen Spaß gemacht zu sehen, wie sich nach und nach sämtliche Puzzleteile logisch zusammenfügten.
Anstatt ein reines Gut gegen Böse abzuliefern, hat der Autor hier verschiedenste Parteien ins Rennen geschickt, was zu interessanten Verwicklungen führt und den eigenen Moralkompass herausfordert.
Aber auch abseits von den Verbrechen fühlte ich mich gut unterhalten, denn zwischendurch gibt es immer wieder Abschnitte, in denen wir das Privatleben und die Familien der Ermittler kennenlernen. Die Charaktere wurden dadurch noch viel authentischer und ich habe mich ihnen auf menschlicher Ebene noch näher gefühlt und einige schnell ins Herz geschlossen.
Ein weiteres Highlight: Der Krimi spielt Ende 2006/Anfang 2007, was zu vielen lustigen kleinen Anspielungen führt, die für die damalige Zeit sinnvoll erschienen, über die wir heute jedoch lachen - so ein IPhone hat bestimmt keinen Erfolg, nicht wahr?
Insgesamt eine wirklich tolle Mischung aus spannendem Kriminalfall, authentischen Charakteren mit berührenden Momenten und einer geschickt konstruierten Geschichte.

Bewertung vom 12.01.2025
Der tote Antiquar von Limehouse / Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross Bd.9
Granger, Ann

Der tote Antiquar von Limehouse / Ein Fall für Lizzie Martin und Benjamin Ross Bd.9


sehr gut

Während Inspector Ross sowohl in einem Mord als auch im Diebstahl eines teuren Schmuckstücks ermitteln muss unterstützt ihn seine Frau durch das Sammeln von allerlei interessanten Informationen.
Ich kannte weder dieses Ehepaar noch die Krimi-Reihe vorher, aber bin trotzdem super in die Geschichte gestartet.
Die Charaktere werden kurz erklärt, vermutlich ohne dass es alte Leser stören würde, und anscheinend bekommen auch wiederkehrende Nebencharaktere einen Gastauftritt, was die Welt direkt noch lebendiger wirken lässt.
Ben Ross war mir auf Anhieb sympathisch, was sich auch im Verlauf der Geschichte nicht geändert hat, ein gelungener Hauptcharakter. Seine Frau Lizzie hatte ich mir anhand des Klappentextes jedoch etwas aktiver vorgestellt, sie hat nicht wirklich mitermittelt, eher zufällig erlangtes Wissen weitergegeben. Hier hätte ich mir mehr Zeit mit ihr gewünscht, sodass auch ihr Charakter besser zur Geltung kommen kann.
Dafür sind mir einige Nebencharaktere wie Zeugen umso mehr im Gedächtnis geblieben, da war wirklich eine gute Mischung dabei, auch wenn manche von ihnen etwas fragwürdig gehandelt haben.

Die große Stärke des Buches liegt für mich in den Beschreibungen und der Atmosphäre, man fühlt sich sofort in das damalige London versetzt. Vom Aussehen und der Kleidung der Menschen über gesellschaftliche Zustände bis hin zu Umgebungsbeschreibungen, alles wirkte sehr authentisch. Kleine Details oder Ereignisse runden alles perfekt ab.
Die Handlung selbst ist relativ gemütlich und legt mehr Wert auf Gespräche als auf Action oder viel Spannung, trotzdem kann man als Leser gut miträtseln und sich fragen, ob bzw. wie alles zusammenhängt.
Auch ein paar unerwartete Ereignisse kommen vor, insgesamt kann man sich gut überraschen und ins viktorianische London entführen lassen.

Bewertung vom 27.12.2024
So gehn wir denn hinab
Ward, Jesmyn

So gehn wir denn hinab


gut

Annis wurde bereits als Sklavin geboren und wünscht sich doch nur die Freiheit und sich selbst zu gehören. Als Leser begleitet man sie auf ihrem höllischen Weg, eine Station noch schlimmer als die andere.
Dies hat mir gut vor Augen geführt, wie schlimm die Zustände für die Slaven damals eigentlich waren - man weiß es zwar, aber es in Romanform so direkt mitzuerleben ist nochmal etwas anderes.
Die Schilderungen hierzu waren erschreckend und traurig, besonders die Schicksale der Frauen, die den Männern komplett ausgeliefert waren.
In diesem Aspekt hat mir das Buch gut gefallen, ich finde es wichtig, dass diese Zeit nicht in Vergessenheit gerät und man durch die Lektüre noch etwas lernen kann.
Auch gab es zwischendurch immer wieder spannende Hintergrundinfos wie zu Pilzen, Zuckerrohrverarbeitung, afrikanischen Traditionen oder auch dem Geisterglauben.
Diese Geisterwelt wurde mir nur leider im Laufe des Buches doch etwas zu viel - ich kann total verstehen, dass man sich in so einer schlimmen Situation in diese Vorstellungen flüchtet, aber statt Einbildung wurden die ganzen Geister quasi als real dargestellt und haben mehr Handlungsanteile gehabt als die richtigen Menschen. Mehr Interaktionen mit den anderen Sklaven wären mir persönlich lieber gewesen als ständig die Geister, aber das ist vermutlich Geschmackssache.
Auch haben sich einige Teile der Geschichte doch etwas gezogen, beispielsweise der lange Marsch zum Sklavenmarkt - es passt stilistisch schon irgendwie, so werden die Gefühle der Slaven indirekt nochmal unterstrichen, es zieht sich, es nimmt kein Ende, jedoch hat es bei mir dafür gesorgt, dass ich das Buch dann doch erstmal weggelegt habe.
Absolut positiv bewerten muss ich hingegen die Sprache, diese ist an vielen Stellen wunderschön und poetisch, ein Highlight in all dem Leid.
Insgesamt durchaus ein gutes Buch, jedoch keine leichte Lektüre und als Leser sollte man auch sehr offen sein für übernatürliche Elemente.

Bewertung vom 26.12.2024
Suche liebevollen Menschen
Borger, Julian

Suche liebevollen Menschen


sehr gut

Zufällig findet der Autor heraus, dass sein Vater damals durch eine Zeitungsanzeige nach England vermittelt wurde, um der Verfolgung der Juden durch die Nazis zu entkommen.
Während seiner Recherche stößt er auf viele weitere, ähnliche Schicksale und berichtet über all diese Menschen in diesem Buch.
Die Gestaltung ist meiner Meinung nach sehr gelungen, durch viel Bildmaterial wie Fotos der Menschen oder Zeitungsausschnitte hat man direkt besser vor Augen, wie echt das alles ist, dass diese Menschen wirklich mal gelebt haben und nicht nur erfundene Romanfiguren sind.
Auch erzählt der Autor viel von seinem Vater sowie anderen Verwandten, was viele Teile des Buches sehr persönlich wirken lässt.

Die Schicksale der Kinder und ihrer Familien waren alle sehr berührend, teilweise traurig und oft auch erschreckend, wahrlich keine leichte Kost, aber dafür umso wichtiger.
Von den meisten historischen Begebenheiten hatte ich entweder noch nie etwas gehört oder nur sehr oberflächlich, durch das Buch konnte ich so viel dazulernen und in die Geschichte "eintauchen".
Lediglich die Strukturierung hat mir nicht so ganz zugesagt, diese war mir teilweise doch ein wenig zu chaotisch. Mitten im Abschnitt oder Kapitel zieht der Autor manchmal Vergleiche zu anderen Personen und wechselt plötzlich den Fokus, was gerade am Anfang oft verwirrend war, wenn man die ganzen Namen noch nicht auseinanderhalten kann.
Auch werden die Geschichten der Kinder oft mit historischen "Fun Facts" ergänzt, also Hintergrundwissen zu den Städten, Politikern etc. - dies liefert zwar interessanten Kontext, steht aber auch oft kaum in direkter Relevanz zu den einzelnen Schicksalen.
Als Leser sollte man offen für eine solch umfangreiche Geschichtsstunde sein und auch Interesse an der Zeit mitbringen, nicht nur an den Erzählungen über die Kinder.
Ein wirklich wichtiges Sachbuch, gegen das Vergessen und mit Lektionen für unsere heutige Gesellschaft.

Bewertung vom 18.12.2024
Don't hurt me. Life is a Story - story.one
Schneider, Elena

Don't hurt me. Life is a Story - story.one


ausgezeichnet

Ein kleines, aber feines Büchlein über den Schmerz einer gescheiterten Beziehung, der Suche nach einer neuen Liebe und der Hölle des Online Datings.
In kurzen Kapiteln werden hier die unterschiedlichen Gefühlszustände beschrieben, immer wieder ein Auf und Ab der Emotionen, von großer Enttäuschung und Trauer hin zur Hoffnung und wieder zurück.
Die Gedanken und Gefühle kommen absolut realistisch rüber, in vielen Momenten kann man sich als Leser leicht wiedererkennen. Generell wirkt es mehr wie die Geschichte einer Freundin als "nur" ein Roman, man fühlt sehr mit der Erzählerin mit.
Dazu trägt auch die Sprache bei, diese ist sehr passend zur aktuellen Zeit, viele Abkürzungen, Anglizismen, in Chatnachrichten auch mal Fehler. Für mich klang alles sehr natürlich, jedoch kann ich mir auch vorstellen, dass ältere Leser vielleicht nicht jeden Begriff verstehen.
Besonders schön fand ich ebenso den Wechsel von beinahe poetischen Formulierungen und den ungeschönten Gedanken, bei denen kein Blatt vor den Mund genommen wird.
Auch wenn ich selbst zum Glück keine Erfahrung mit Dating Apps habe, hört man ja doch immer wieder Horrorgeschichten, und so lesen sich auch die Dates im Buch wie wahre Begebenheiten.

Bewertung vom 16.12.2024
Für immer
Lunde, Maja

Für immer


sehr gut

Die Grundidee des Buches ist wirklich spannend und interessant: Für die Menschheit bleibt die Zeit stehen, keiner stirbt oder wird geboren, Körper verändern sich nicht mehr.
Erzählt wird diese neue Situation für die Menschheit aus der Perspektive von einigen Personen, dazwischen bekommt man durch ihren Nachrichtenkonsum auch immer wieder mal Updates über die Lage in der Welt.
Der Schreibstil passt sich hierbei auch ein wenig den Charakteren an, durch den Aufbau der Texte lässt sich oft auf den Gefühlszustand der Menschen schließen. Die Autorin verwendet beispielsweise oft sehr lange Schachtelsätze, die ein wenig an fließende Gedanken erinnern. Wenn wir aufgewühlt oder beunruhigt sind denken wir schließlich nicht strukturiert, vielmehr springen die Gedanken hin und her und dies wird durch die Sprache hier gut eingefangen und hat mir besonders gefallen.
Dadurch ist es dem Leser zwar möglich, ein wenig in die Psyche der Charaktere einzutauchen, jedoch geschieht dies eher dezent. So kann es zwischendurch vorkommen, dass die Betrachtung ein wenig oberflächlich wirkt.

Schön fand ich, dass die einzelnen Charaktere durch Kleinigkeiten auch wieder miteinander verbunden werden und sich auch mal teilweise begegnen. Im Zentrum hiervon steht Jenny, bei der ich auch am Meisten mitfühlen konnte.
Auch gelungen war die die Beantwortung der Fragen, die man sich als Leser von Anfang an stellt. Hier wurden die Antworten geschickt in die Handlung eingebaut, wie z.B. das Schicksal von Unfallopfern während des Stillstandes.
Das Ende war für meinen Geschmack dann jedoch etwas zu plötzlich, aber das ist vermutlich Geschmackssache.
Insgesamt mochte ich diese Art von Gedankenexperiment "Was wäre wenn" sehr gerne und kann es durchaus als Unterhaltungslektüre weiterempfehlen.

Bewertung vom 13.12.2024
Der Duft der Sterne
Klemp, Simon

Der Duft der Sterne


ausgezeichnet

Jeder Mensch trauert auf seine eigene Weise, für Flo liegt die Lösung in der Vergangenheit: Mithilfe eines Aromaten nutzt er Gerüche, um in seine Erinnerungen abzutauchen und diese wieder und wieder zu erleben. Sein bester Freund ist hier noch lebendig, alles ist gut - doch ist dies wirklich wahr?
Als Leser begleitet man Flo über einen Monat hinweg, jedoch wechseln sich die Gegenwartskapitel mit Ausschnitten aus der Zukunft und Vergangenheitsszenen des Aromaten ab. Einen solchen Aufbau fand ich sehr ungewöhnlich, aber dafür echt gut gelungen und interessant, man lernt Flo und andere Charaktere auf mehreren Zeitebenen kennen und setzt so das Puzzle der Geschichte zusammen.
Durch unterschiedliche Schriftarten/Textgestaltung war mir auch leicht ersichtlich, auf welcher Zeitebene wir uns befinden, jedoch wäre generell ein entsprechender Hinweis am Kapitelanfang vielleicht noch hilfreich.

Das World Building ist hier eher dezent gehalten, immer wieder gibt es zwischendurch kleine Hinweise auf die Eigenheiten der Gesellschaft, neue Erfindungen etc., aber keine expliziten Erklärungen. Es reicht aus, um die Welt zu verstehen, aber man merkt auch schnell, dass diese nicht im Vordergrund steht, sondern vielmehr die Emotionen und Besonderheiten der Charaktere.
In diesem Punkt liegt auch die große Stärke des Romans, die Personen wirken sehr authentisch und im Laufe der Geschichte werden Emotionen jeglicher Art so realistisch beschrieben, dass man permanent mitfühlt. Es gibt hier keine Unterteilung in gut und böse, jeder Charakter ist einfach nur extrem menschlich, voller Fehler, Unsicherheiten, Ängsten, aber auch Freude, Witz und Glück. Flo beispielsweise ging mir teilweise auch mal auf die Nerven, weil er egoistisch und rücksichtslos handelte, aber trotzdem konnte ich ihn auch irgendwie verstehen.
In diesem Sinne hilft das Buch auch, andere Menschen vielleicht ein wenig großzügiger zu "bewerten" - man weiß nie, was die Person gerade durchstehen muss. Ebenso zeigt die Geschichte aber auch, dass man jemanden schnell mag, wenn man nur seine guten Seiten kennenlernt, dies aber noch lange nicht das ganze Bild ist.
Der Autor spielt geschickt mit eben diesen Themen und sorgt so auch regelmäßig für kleine und große Überraschungen und Plottwists, die ich oft so gar nicht erwartet habe.

Weiterhin hervorheben muss ich noch den Schreibstil, der für einen angenehmen Lesefluss sorgt, aber gleichzeitig schon fast poetisch anmutet. Immer wieder habe ich kurz angehalten und eine Stelle nochmal gelesen, weil sie schön formuliert war und große Ausdruckskraft hatte. In all der Trauer gibt es auch durch die Erinnerungen viele schöne und auch magische Momente, je mehr man liest, desto leichter fällt es einem auch zu verstehen, warum Flo sich immer mehr in der Vergangenheit verliert.
Ein gleichzeitig wunderschönes und tieftrauriges Buch, das zum Nachdenken anregt und sämtliche Emotionen erweckt.

Bewertung vom 11.12.2024
Endlich das ganze Leben
Recchia, Roberta

Endlich das ganze Leben


ausgezeichnet

In "Endlich das ganze Leben" begleitet der Leser eine italienische Familie über viele Jahre hinweg, wobei sich die im Fokus stehenden Familienmitglieder abwechseln. Thematisch geht es vor allem um die Folgen einer tragischen Nacht, in der die junge Betta ihr Leben verliert, jedoch lernt man zunächst die Eltern und ihre Geschichte besser kennen. Dies mochte ich sehr, so sind sie mir als Charaktere direkt ans Herz gewachsen und ich habe eine Bindung zu ihnen aufbauen können.
Aber auch die später auftauchenden Charaktere waren großartig, sie alle hatten ihren Platz in der Geschichte und ihre ganz eigenen Stärken, Fehler und Sorgen. Kritisieren würde ich lediglich, dass manche Familienmitglieder zwar kurz erwähnt werden, dann jedoch später gar keine Rolle mehr spielen.

Der Schreibstil hat mir sehr zugesagt, ich war emotional immer komplett dabei und konnte auch in die Geschichte eintauchen, obwohl die Erzählperspektive im Grunde ja eher distanziert war. Das Ergebnis war eine bunte Mischung aus richtig schönen Momenten auf der einen Seite und Trauer und Verzweiflung als Kontrast dazu. Teilweise wirkte es auch ein wenig märchenhaft oder vielleicht auch kitschig, aber für mich hat es so gut gepasst - nach viel gelesener Traurigkeit habe ich mir auch wieder etwas Positives gewünscht. Für Fans von sehr realistischen und ungeschönten Romanen über dieses Thema mag dieses Buch daher evtl. nicht so passend sein, auch wenn es viele solcher Momente im Verlauf der Geschichte gibt.
Auch ein paar übernatürlich zu interpretierende Szenen kommen vor, jedoch meiner Meinung nach sehr dezent und geschmackvoll platziert. Sie haben das Geschehen für mich schön abgerundet statt störend zu sein.
Das Buch spielt generell gerne mit Metaphern und Parallelen in der Handlung, Ähnlichkeiten über mehrere Generationen. Ich mochte alle Handlungsstränge, daher fand ich den Fokuswechsel auch toll, immer wollte ich wissen, wie es weitergeht.
Von daher klare Empfehlung von mir, aber auch mit dem Hinweis, dass es wie erwähnt keine super realistische Geschichte in allen Punkten ist.