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Benutzername: 
Max Gutbrod
Wohnort: 
Berlin

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Insgesamt 19 Bewertungen
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Bewertung vom 18.04.2024
Gesammelte Gedichte. 4 Bände
Krolow, Karl

Gesammelte Gedichte. 4 Bände


ausgezeichnet

Zu den 4 Bänden:

Herbstsonnette mit Hegel und Rilke gehören zu dem mir wesentlichen Gedichten, Die letzte Reise – vielleicht auch biographischen Gründen - und ein hier nicht veröffentlichtes, in der FAZ wohl so etwa um diese Zeit erschienenes Gedicht („Ein unbekannter Geruch, so duften Blumen zur Nacht, ich ...“) sowieso. Bei anderen fällt schwerer, den jeweiligen roten Faden zu finden, das Gedicht nicht nur als eine Abfolge interessanter Gedanken zu verstehen, großartig dann aber wieder. „Es ist schon spät und es wird schon kalt“, „Als es soweit war“, vielleicht immer dann, wenn er ein Thema festhält, nicht nur schweift.

Jedenfalls aber: Eine wichtige lyrische Stimme seiner Zeit, kein Revolutionär, aber auch kein Banaler, sondern ein immer neues Suchender.

Bewertung vom 05.04.2024
Ein Leben in Brennpunkten unserer Zeit
Stolper, Toni

Ein Leben in Brennpunkten unserer Zeit


ausgezeichnet

Wie im Telegrammstil läuft das hochaktive Leben eines der wirtschaftspolitischen Denker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ab, von seiner natürlich symphatisierenden, aber distanziert berichtenden, kenntnisreichen Wittwe beschrieben. Insbesondere die personelle Tragödie der Weimarer Republik wird handgreiflich, deren wichtige Führer wie Ebert, Rathenau, Stresemann, Preuß, Erzberger ermordet wurden oder früh starben, und die die, die der Allgemeinheit plausible Lösungen für die insbesondere wirtschaftspolitisch so schwierigen Fragen hätten darstellen können, wie Schacht und den besonders mitfühlend und doch hart gezeichneten Popitz, alsbald an den Nationalsozialisten verlor.

Persönlich kann man Gustav Stolper die Bewunderung und Symphatie schwer versagen: Sich für Reger, Mahler und Berg in den 20-igern begeistern zu können, noch kurz vor seinem Tod durch Anruf bei der Börse das Asset-Management betreiben, mit dem er offenbar sein Brot verdient hat!

Bewertung vom 05.04.2024
Deutschösterreich als sozial- und wirtschafts-problem
Stolper, Gustav

Deutschösterreich als sozial- und wirtschafts-problem


ausgezeichnet

Stolper war einer der Handelnden in der Weimarer Republik, aus Wien eingewandert, die das Unheil vorhergesehen und zu verhindern versucht haben. Schon daher verdient dieses Werk Interesse.

Bewertung vom 03.12.2023
Macbeth
Fischer-Dieskau/Grace Bumbry/Wolfgang Sawallisch

Macbeth


ausgezeichnet

Es handelt sich um ein beeindruckendes Dokument der Musik(-theater)-geschichte.

Sawallisch war in den 60-igern und 70-igern an den Musikzentern wie Wien, Mailand, Bayreuth und Berlin tätig. Sein Verdi ist fast so dramatisch aufgeladen wie der von Fritz Busch oder Gavazinni und von einem sehr persönlichen Sinn von Rhythmus bestimmt. Mit Fischer-Dieskau war er befreundet, ihn, die junge Bumbry und das restliche Ensemble zusammen zu bringen, dürfte eine Leistung gewesen sein. Fischer-Dieskaus ohnehin große technische Fähigkeiten scheinen unbegrenzt, die anderen Sänger scheinen (anders als z. B. die eher verschreckte Renata Scotto in der Rigoletto-Aufnahme) sich an ihm zu orientieren. Fischer-Dieskaus (damalige) Tendenz, den Sinn jeden musikalischen und textlichen Moments hervorzuheben verschiebt das Shakespearsche Drama von dem eines Wüstlings fast zu einem Lear, zu einer zusammenhängenden Etude über menschlichen Wahnsinn und Bosheit, demgegenüber vielleicht die Callas (mit ihr soll Fischer-Diskau ja einen gemeinsamen Macbeth geplant haben) eine Person hätte darstellen können, die Dramatik bedarf aber eigentlich keiner besonders bösen Lady, auch die übrigen sind durch die Wildheit des Haupthelden genügend charkterisiert.

Sawallischs Karriere wirkt später nicht mehr so geradlinig, Fischer-Dieskaus Theater-Auftritte scheinen im Weiteren eher weniger von Ensembles unterstützt zu werden. Sawallisch scheint die Opernleitungrolle in seiner Heimatstadt München nicht gut getan zu haben: Er scheint aus Respekt vor Knappertsbusch und auch Keilberth die grosse Geste vermieden zu haben, die doch bei Wagner und Strauss hilft, um die Ablehnung, die der so viel orgineller Fricsay in München erlebte und wegen der Erfolge der italienischen Dirigenten Verdi und auch die gemässigte Moderne vermeden zu haben, die ihm ja eigentlich lagen. Bei der Sänger-Entwicklung scheint er Risiken gescheut zu haben: Er mag für die Kürze der Karriere von Ridderbusch nicht viel können, dass München in den 80-igern aber den Holländer und den Wotan nicht selbst besetzen konnte, Prey als Beckmesser und Schreier als David waren Ereignisse, Moll wurde eher konservativ gefördert, dass man häufig auf den doch nicht herausragenden Kollo angewiesen war, dass die sicher mal hoffnungsreiche Bjoner immer weiter die Isolde sang, man aber für die Ligendza die großen Gelegenheiten nicht hatte, die sie in Stuttgart bekam, dass die Fassbaender angestrengter als bei den Aufnahmen mit Adler oder Celibidache klang, spricht für wenig Sängerführung, ich habe auch Symphoniekonzerte in Erinnerung, die einfach schlecht geprobt waren.

Bewertung vom 14.09.2023
Im Alten Reich: Lebensbilder Deutscher Städte
Huch, Ricarda

Im Alten Reich: Lebensbilder Deutscher Städte


sehr gut

Diese Rezension gilt dem als drei Bände herausgegeben Werk, man sollte, wenn man eine konkrete Stadt wünscht, die Ausgaben prüfen.


Man kann sich eigentlich nur immer wieder neu anregen lassen und beweglich bleiben, weil die Vorlieben der Autorin so schnell wechseln: So lässt sie Kaiser Rudolf, Faust, Luther und König Gustav Adolf durch Erfurt streifen, regt an, indem sie Namen wie „Albrecht der Entartete“, „Friedrich mit der gebissenen Wange“ und „Eberhard der Greiner“ erwähnt, ohne sie zu entschlüsseln, erzählt Anekdoten um Kaiser Rudolfs Nase, um die Unabhängigkeit der Esslinger Bürger greifbar zu machen, lässt Erfurter und Esslinger Bürgerfamilien im Zusammenhang mit Napoleons Besatzung Revue passieren, zeichnet den Aufstieg der Württemberger Grafen und die Entstehung des Klosters Maulbronn, den Reichtum des Ries anhand von Nürtingen oder den Charakter von Erfurt angesichts seiner Samenproduktion nach, beurteilt den Wiederaufbau des Kölner Doms, die Dimensionen der Gebäude in Prenzlau, die Auswirkungen der Politik der Hohenzollern auf den Charakter der Prenzlauer, erläutert den Verkauf von Gerichtsbarkeitsrechten in Neubrandenburg und erzählt die Geschichte der „Hexe“ Grete Minde neu.

Man staunt, wie viel Information verarbeitet worden sein muss, und wünschte sich Anmerkungen für eine untypische Sicht der Städte, über die ja so viel (anderes) heute verfügbar ist.

Bewertung vom 13.09.2023
Als wär's ein Stück von mir
Zuckmayer, Carl

Als wär's ein Stück von mir


gut

Der Autor hat viel zu erzählen, vor allem wirken seine Erfahrungen im 1. Weltkrieg und der Emigration. Das muss so stark gerade auch auf Generationsgenossen gewirkt haben, dass die Memoiren in beinahe jedem Bürgerhaushalt standen, die über Jahrzehnte ans Schweigen gewohnte Münder öffnete und von „dem“ Zuckmayer gesprochen wurde.
Zuckmayers Ton ist erstaunlich gleichmütig, immer auch nach Wirkung schielend, auch wo es um Trauer wegen der aus der US-Emigration so fernen Heimat, das Entsetzen über das Sterben so vieler Freunde und die eigenen Irrtümer, etwa beim Aufbau der hartnäckig verfolgten Karriere und der späten Emigration geht. So ermüdet der Stil gelegentlich. Sehr ausführlich wird man etwa über die jeweiligen wirtschaftlichen Beschränkungen informiert, eher großmütig darüber, wenn es ihm – wie zeitweilig wohl sehr deutlich – gut geht.
Faszinierend sind zwei eher künstlerische Details: Wie er sich nach zwei „Durchfällen“ sicher war, einen eigenen Stil zu haben, und diesen dann im „Fröhlichen Weinberg“ durchsetzte, und wie er – was er sprachlichen Schwierigkeiten zuschrieb – unfähig war, diesen Stil amerikanischen Studenten zu erläutern – wie viel erhellender ist doch Lilli Palmer in ihrer Biographie über anglo-amerikanischen Humor.
Großartig, neugierig, eher positiv-begeistert, aber auch immer mit einer kritisch-distanzierten Note sind die Portraits, etwa von Stefan Zweig, Werner Krauss und Brecht, etwas störend nur, dass sich Zuckmayer immer eine eher kindische Rolle zuschreibt.
Eher bemüht, an name dropping grenzend, ohne viel Konkretes wiederum die Beschwörung der Freundschaften.

Bewertung vom 13.09.2023
Der Seelenbräu
Carl Zuckmayer

Der Seelenbräu


gut

Die Erwähnung der Musik von J. S. Bach und der Bilder sind wohl (vielleicht) als Offenheit für Fortschrittliches gemeint, werden aber leicht als altväterlich verstanden und heute wohl nur noch so wahrgenommen: Der einst aufständische Zuckmayer, der schon um sich durchzusetzen einigermaßen angestrengt nach allerlei Kompromissen mit dem Publikum suchte, wie besessen und vielleicht auch nicht immer sehr wählerisch nach Themen suchte, war nun ganz beim Populären angekommen, was etwa durch den Erfolg seiner Memoiren bestätigt wurde, die vielleicht – immerhin! – dazu beigetragen haben, dass über die jüngeren Kriegserfahrungen geredet werden konnte.

Bewertung vom 09.09.2023
Lexikon der Geschichte Rußlands
Lexikon der Geschichte Rußlands Torke, Hans-Joachim

Lexikon der Geschichte Rußlands


gut

Der Band enthält generell verlässliche und leicht zugängliche Informationen zu Einzelheiten, war mir umso mehr hilfreich erscheint, als Bewertungen bezüglich der sowjetischen Geschichte häufig von Voraussetzungen abhängen, die man lieber offengelegt hätte. Wenn Andropov beispielsweise als Kritiker von Breschnew bezeichnet wird kann man sich, vorstellen, dass inzwischen verfügbare Memoirenliteratur, die ein differenzierteres Bild zeichnet, bei Drucklegung so nicht verfügbar war.

Leider sind die Zusammenhänge und Querverweise nicht immer hilfreich, sie wirken, als wären Teile umfassenderer Pläne übrig geblieben. Die ähnlichen Texte zur unierten Kirche unter Religionsgemeinschaft und Orthodoxer Kirche verweisen z. B. nur im letzteren Fall auf Galizien und die Bukowina, von denen aus man auf die Ukraine verwiesen wird, wo nichts Einschlägiges steht. Bei START wird man zum INF-Vertrag verwiesen, der aber nicht beschrieben wird.

Bewertung vom 09.09.2023
Denken hören - Hören denken
Zender, Hans

Denken hören - Hören denken


gut

Unter den vielen Schriften Zenders mag meine Besprechung den falschen Band treffen, mir ist, als hieße die Essaysammlung, die ich meine und die mir abhandengekommen ist, „Die Sinne denken“, bessere Sucher mögen auch diese auf diesem Site finden.

Das Buch zeichnet Karriere, partielle Klugheit und eine sympathische Offenheit aus. Berührend der Nachruf über Fortner, obwohl er sich nach eigenem Bekenntnis von ihm „schon früh“ „abseilte“. Im Rückblick kaum mehr verständlich, dennoch aber wohl sehr charakteristisch für Musik in der BRD nach 1945 sind die berichteten Reaktionen auf Henze und Paik.
Nachdenkens Wert ist Zenders Bericht über die Musikpolitik in Hamburg.
Scelsis Prinzip ist eigentlich nicht beschrieben, aber ein Urteil darüber abgeben, was es nicht ist.
Freundlich ist Zender zu Brendel, offenbar mehr Persönlichkeit und Stellung wegen.
Erzählerisch und für Bewunderer Celibidaches wie mich außerorderntlich ist der Bericht von einem von H. Schiff veranlassten Video-Tagen mit Celibidache. Zwar sitzt Zender dem von Celibidache ja selbst gepflegten Bild des antimodernen Pultlöwen auf. Dabei könnte Celibidache durchaus unterschiedlicherer jeweils zeitgenössische Werke aufgeführt haben, als viele andere seiner Kollegen, genannt seien Genzmer, Hamel, Lidholm, Bekh, Shostakovich und Prokofiev, die Celibidache früh im Westen aufgeführt hat. Begeisterung
Insgesamt wirkt Zender angenehm und vielfältig, wie etwa auch seine Rekonstruktion der Winterreise voller Farben, aber mit nicht immer eindeutigem Neuigkeitswert.
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Bewertung vom 09.09.2023
Dietrich Fischer-Dieskau
Neunzig, Hans A.

Dietrich Fischer-Dieskau


weniger gut

Wie vielleicht typisch für einen Künstler seine Bedeutung sind Fischer Dieskaus Biographien typischerweise so unbefriedigend wie dieses Buch. Über einen sein Privatleben so Abschottenden und so rastlos Tätigen kann kaum ohne seine Zustimmung portraitiert werden, und diese scheint hier besonders an die Wiedergabe eines Selbstbildes gebunden gewesen zu sein, das ohne Zweifel vieles Richtige, aber auch manches Problematische enthält, jedenfalls aber bei weitem die Bedeutung des Künstlers nicht zu erfassen fähig ist. So kommt etwa die Rolle als Falstaff, die Fischer-Dieskau zu so wichtig war, dass er sie außer in Berlin und München in Japan, London und Wien vorstellte, kommt eher als Arabeske, nach dem Motto vor, Komik habe der eher ernste Sänger auch gekonnt. Dabei hat er gerade in ihr eine ans Übermenschliche grenzende, jedenfalls ungewöhnliche Kombination von schauspielerischer und sängerischer Beherrschung des Details geboten, die Komik als das eben nur beinahe Richtige völlig jenseits des Üblich-Klamaukhaften verkörpert. Fischer-Dieskaus Darstellung des Gebrochen-Bürgerlichen durch seinen Mandryka (dass die Arabella in München, Berlin und London auf den Spielplan kam wird auch seiner Bereitschaft zum Auftritt zu verdanken sein), mit den schwierigen Intervallen des Barak ins Magische hinüberspielend (vom dem – außer Lear - einzigen Bühnenauftritt, in dem ich ihn, schon nahe am Ende seiner Bühnenkarriere, life sah, ist mir vor allem seine Natürlichkeit, die Fähigkeit in Erinnerung, ein Arbeiter zu sein) wird ebenso wenig gewürdigt wie die Amalgamation des Unheimlich-Dämonisch-Komisch-Schlüpfrigen durch seine Auftritte Giovanni, Figaro und Cosi. Sein Zögern beim Aufbrechen der Rollengrenzen (ich erinnere mich an eine Vorlesung in Paris, bei der seine Übernahme des Rheingold-Wotan als Zeichen eines neuen Wagner-Bilds gewertet wurde) kommt nur indirekt, im Zusammenhang mit seinem Zögern mit der Übernahme der Sachs-Rolle vor. Ganz fehlt die Faszination, die er mit seinen regelmäßigen Lieder-Tourneen ausüben konnte, große Säle etwa für die auch musikalischen Eigenarten der Schubert‘schen Zyklen oder die Aufweichung des Bürgerlichen bei Wolf-Mörike begeisternd.
Grotesk wird die Fehleinschätzung, wenn die eher zweifelhafte schriftstellerische Tätigkeit Fischer-Dieskaus uneingeschränkt gewürdigt wird, dabei aber seine gemeinsame Herausgeberschaft der Schubert-Lieder mit dem großartigen Elmar Budde nicht erwähnt wird. Mit Elmar Budde hat Fischer-Dieskau auch in der Wolf-Akademie v. a. zu Ehren Schuberts interessant zusammen gearbeitet, von Elmar Budde hat ein aufschlussreiches Interview mit Fischer-Dieskau darüber geführt, wie sich Fischer-Dieskaus wandelnde Sicht auf die Winterreise in den Aufnahmen wiederspiegelt. Budde kommt in dem Band aber nur (auf S. 202) als Klavierpartner vor, obwohl er vielleicht Fischer-Dieskaus wichtigster musikalisch-intellektueller Freund war. Grotesk und traurig ist zudem, dass selbst im Rückblick nach Jahrzehnten weder Fischer-Dieskau, noch der Autor, noch der Verlag gemerkt zu haben scheinen, dass ein Brief an die noch kleinen Söhne, in dem Fischer-Dieskau (bemüht scherzhaft oder einfach nur (pädagogisch) unsensibel?) eine Reihe berühmter, Fischer-Dieskau anhimmelnden Künstler aufführt, vielleicht für Fischer-Dieskaus gute Organisation, aber auch für den hohen Preis des Ruhms spricht.

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