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ina

Bewertungen

Bewertung vom 01.03.2020
Metanoia
Flegel, Ben

Metanoia


ausgezeichnet

Nicht für schwache Nerven und Harmoniejunkies
Es ist schon eine Kunst, das menschliche Horröse mit ebenso konsequenter Würde zu entfalten – zumal im Text – wie das rettende erlösende „Gute“, auf dessen Besinnungszwang jeder Mensch letzten Endes doch pocht und pochen muss, um eben nicht(!) unterzugehen. Dass Ben Flegel diese Kunst beherrscht, steht für mich fest, und insofern ist nicht nur die enorme Ehrlichkeit des Romans glaubwürdig, sondern auch die Penetranz, mit der einer affektierten Harmonisierung widerstanden wird.
Dennoch ist die Geschichte der Metanoia auf vielerlei Weise schwer zu ertragen, um nicht einfach nur zu sagen: ganz und gar nicht leicht zu lesen. Denn tatsächlich liest sie sich ausgenommen schnell (weg), wenn man sich dafür nicht willentlich Zeit nimmt. Das spricht natürlich für den fast unmenschlichen Sog, der dem jungen Autor hier geglückt ist. Als Leserin bin ich damit konfrontiert, mich zu diesem Sog zu verhalten und gleichzeitig jede Haltung aufzugeben – Letzteres gebietet schon das inhaltliche Anliegen, welches in seitenlangen Kaskaden innerpsychischer Zustandsbeschreibungen „vorgetragen“ wird, Gott sei Dank ohne suggestive Mittel. Das ist so beeindruckend wie raffiniert.
Für Leser mit einer Tendenz zur Transzendenz wird es eine Herausforderung sein, auf Glorreiches zu verzichten und sich der Maßgeblichkeit zu unterziehen, dass „wach“ nicht synonym „heil“ bedeutet. Und Leser mit fatalen traumatischen Dispositionen müssen im Zuge garantierter Resonanz für sich ein sicheres Setting finden, um das Lesen selbst gut zu überstehen. Was der Autor vigilant zur Verfügung stellt, ist eine großartige Dosierung im Ausführen der Tiefendimensionen des Protagonisten, gerade weil diese im Wortsinn so überwältigend sind. Was das Buch wirklich schafft, ist eine Art minutiöser „Wegbeschreibung“ menschlicher Verlorenheit – man darf sozusagen in „Zeitlupe“ mitverfolgen, wie sich Chaos verhält, (soweit das überhaupt möglich ist). Andererseits ankert es immer wieder zum Luftholen und Neusortieren in szenischen Bodenhaftungen, was der dramaturgischen Geschicklichkeit zuzuschreiben ist.
Literarisch gesehen erinnert mich dieses Debüt an die Konsequenz eines Michel Houellebecq, allerdings ohne dessen typische depressive Grundfärbung. Vom Bedrückenden her liest es sich ähnlich wie „LJOD. Das Eis“ von Vladimir Sorokin. Nicht zuletzt aber – würde ich das Werk von Ben Flegel tatsächlich vergleichen wollen – steht es dicht bei den fein sezierenden Spaltszenarien von Haruki Murakami.