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Romy

Bewertungen

Insgesamt 55 Bewertungen
Bewertung vom 28.06.2024
VIEWS
Kling, Marc-Uwe

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ausgezeichnet

Die 16-jährige Lena verschwindet spurlos über Nacht. Ihr Vater, ihre Mitschülerinnen – ganz Deutschland steht vor einem Rätsel. Und Yasira Saad soll nun genau dieses Rätsel lösen. Sie arbeitet beim BKA und wird mit dem Fall der verschwundenen Lena betraut. Nach kurzer Zeit taucht ein Video auf, das zeigt, wie Lena brutal vergewaltigt wird. Die Täter sind dunkelhäutig, somit ist das Video Öl in das Feuer der Fremdenfeindlichkeit, das in weiten Teilen Deutschlands bereits lodert. Welches Motiv steckt hinter dieser Tat? Warum gibt es ein Video der Tat, aber sonst keinerlei Spuren? Und wo ist Lena? Während die Stimmung in der Bevölkerung immer weiter hochkocht, muss Yasira dringend Antworten auf diese Fragen finden.
Marc-Uwe Kling ist Vielen sicher durch seine „Känguru Chroniken“ bekannt, in denen er mit viel Witz seinen Alltag mit dem kommunistischen Känguru schildert. Der Roman „Views“ geht da in eine diametral andere Richtung – deshalb war ich sehr gespannt, was mich erwarten würde, auch wenn ich mir kaum vorstellen konnte, welche Geschichte Kling in seinem neuen Roman erzählen wird. Ich hatte gehofft, dass auch im Setting einer spannungsgeladenen Erzählung sein Wortwitz und seine charmante Erzählweise durchscheinen würden. Diese Hoffnung wurde voll erfüllt, und sogar übertroffen, da Kling dabei auch noch einen fesselnden Kriminalroman geschrieben hat. Ihm gelingt es dabei, authentische Charaktere zu entwickeln, obwohl die Geschichte auf weniger als 300 Seiten passt. „Views“ ist einerseits ein unterhaltsames Buch, das mich als Leserin nur so durch die Seiten fliegen ließ. Andererseits behandelt es ein brandaktuelles Thema, dessen wahre Auswirkungen wohl noch niemand mit absoluter Sicherheit benennen kann. Er nimmt sich einem Thema an, das bereits gelegentlich in der Gegenwartsliteratur vorkommt, und doch noch nicht breit vertreten ist. Wer an „Die Burg“ von Ursula Poznanski oder „Der Wald“ von Tibor Rode Gefallen gefunden hat, der wird auch von „Views“ begeistert sein“

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Bewertung vom 28.06.2024
Die Sache mit Rachel
O'Donoghue, Caroline

Die Sache mit Rachel


sehr gut

Es ist das Jahr 2008. Rachel studiert an der Uni in Cork und arbeiter nebenher in einem Buchladen. Sie fühlt sich dort wohl, auch wenn ihr Verdienst eher mager ist. Angesichts der um sich greifenden Finazkrise ist sie froh, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen überhaupt noch einen Job hat. Da kommt ihr der Vorschlag ihres Kollegen James, gemeinsam in ein etwas heruntergekommenes Haus zu ziehen gerade gelegen. Die WG-Gründung markiert auch den Beginn einer engen Freundschaft zwischen Rachel und James. Die beiden feiern gemeinsam, geben einander Halt und unterstützen sich gegenseitig. Sei es mit einem offenen Ohr, einer Flasche Schnaps oder einer Tasse Tee. Als Rachels Professor Fred Byrne in das Leben der beiden tritt, verändern sich die Dinge jedoch, und plötzlich finden sich Rachel und James in einer unerwarteten Dreiecks-Konstellation wieder, die ihre Leben gehörig auf den Kopf stellt.
Die Geschichte rund um James, Rachel und Fred Byrne und außerordentlich unterhaltsam und sehr einnehmend. Auch wenn es keine Spannungs-Elemente gibt, die an einen Krimi oder Thriller erinnern, schafft es die Autorin allein durch die Intensität ihrer Erzählung, mich als Leserin in ihren Bann zu ziehen. Durch die vielen Bezüge auf die kulturelle Umstände Irlands in den 2000er Jahren bekommt das Buch eine gewisse Tiefe und Substanz. Diese steht in einem gewissen Kontrast zur Lebenswirklichkeit von Rachel und James, welche von Alkohol-Exzessen, Sex und ausschweifenden Parties geprägt ist. Hier war mir die sprachliche Gestaltung teilweise etwas zu derb, was die Autorin aber durch viel Witz und Humor wieder wettmachen konnte.
Ein weiterer Punkt, der mich beim Lesen hin und wieder stutzen ließ, war der Wechsel der Zeitebenen. Dieser passiert im laufenden Fließtext, teilweise ohne eindeutigen Hinweis für mich als Leserin. Doch dieser Umstand hat meine Lesefreude keinesfalls getrübt, sondern eher meine Konzentration beim Lesen verstärkt.
Insgesamt kann ich "Die Sache mit Rachel" auf jeden Fall weiterempfehlen - es erzählt eine Geschichte der ganz anderen Art, von denen ich gerne mehr lesen würde!

Bewertung vom 01.06.2024
Experienced. Die Liebe bietet unbegrenzte Möglichkeiten
Young, Kate

Experienced. Die Liebe bietet unbegrenzte Möglichkeiten


sehr gut

Bette erlebt gerade eine Art zweite Pubertät: Sie hat sich gerade erst als homosexuell geoutet und auch direkt die Frau gefunden, mit der sie ihr Leben verbringen will. Mei ist sexy, smart, witzig - und schon deutlich erfahrener als Bette. Also schlägt sie vor, dass die beiden eine kleine Pause einlegen, sodass Bette nachholen kann, was sie in ihrer Jungend verpasst hat. Mei denkt an spontane Treffen, Online-Dating und unverbindlichen Sex. Doch Bette denkt eigentlich nur an Mei und ist von der Idee alles andere als angetan. Doch Meis Entscheidungen steht fest, also lässt Bette sich auf die Sache ein. Was sind schon drei Monate wilde Dates für ein Leben mit Mei?

Bette erlebt allerhand in ihrer von Mei verordneten Beziehungspause. Da gibt es Höhen und Tiefen, prickelnde Dates und unangenehme Momente. Dabei sind die misslungenen Dating-Versuche nicht nur komödiantische Episoden, sondern echte und authentische Rückschläge, inklusive peinlicher Momente und Gewissensbisse. Das gibt der Geschichte Tiefgang und eine Ernsthaftigkeit, die mir gut gefallen hat. Ich habe die Liebesgeschichte um Bette sehr genossen und hatte Freude daran, mit ihr an ihren Erfahrungen zu wachsen. Insgesamt würde ich "Experienced" als moderne Love Story mit einem gewissen Twist beschreiben. Dabei steht Bettes queere Identität nicht im Mittelpunkt, sondern ist auf eine wunderbar unaufgeregte Art und Weise Teil der erzählten Realität.
Insgesamt empfehle ich die Geschichte rund um Bette gerne weiter!

Bewertung vom 02.05.2024
Funny Story
Henry, Emily

Funny Story


sehr gut

Daphne steht vor dem Scherbenhaufen ihres bisherigen Lebens: Gerade noch hat sie mit ihrem Verlobten Peter ihre Traumhochzeit geplant, sündhaft teure Deko geshoppt und ihr Designer-Brautkleid abgeholt, dann ist mit einem Mal alles anders. Peter eröffnet ihr, dass ihm bei seinem Junggesellenabschied klar geworden ist, dass sein Herz eigentlich und unsterblich für seine beste Freundin Petra schlägt. Daphne komplementiert er kurzerhand aus dem gemeinsamen Haus und so bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich mit gebrochenem Herzen und ein paar Umzugskisten bei Miles einzuquartieren. Miles war bisher der Verlobte von Petra, und ist sozusagen ein weiterer Kollateralschaden der gerade entdeckten Liebe zwischen Peter und Petra. Miles und Daphne haben wenig gemeinsam, außer dass sie beide frisch verlassen wurden und sich nun in einer ungewöhnlichen Liebeskummer-WG wiederfinden. Daphnes Entschluss steht fest: Den Sommer wird sie noch überstehen, schließlich hat sie schon seit Ewigkeiten einen Lesemarathon in der Bibliothek geplant, wo sie als Kinderbibliothekarin arbeitet. Doch danach ist sie weg. Egal wohin, Hauptsache dort gibt es einen Job für sie und keine Erinnerungen an ihr gemeinsames Leben mit Peter. Doch sie hat die Rechnung ohne Miles gemacht: Denn der blüht nach und nach auf und hat sich in den Kopf gesetzt, Daphne von ihren Umzugsplänen abzubringen – dafür zeigt ihr ihr seine liebsten Strände, Bauernhöfe und auch einige Seiten an ihm, von denen Daphne bisher nicht einmal geahnt hat.
Schon der erste Satz des Klappentext liefert uns als versierten Leserinnen alle Informationen die wir brauchen, um die grobe Entwicklung der Beziehung zwischen Daphne und Miles vorherzusehen – und genau so soll es sein. „Funny Story“ ist ein leichter Liebesroman, der einem das ein oder andere Lächeln entlockt, der ein wenig auf die Tränendrüse drückt und ab und an auch Herzklopfen verursacht. Er erfüllt genau die Erwartungen, die er weckt, liefert Herzschmerz und sich zaghaft entwickelnde Gefühle. Dabei spielen auch Daphnes Liebe zu Büchern (und Kindern, die Bücher lesen!) sowie Miles‘ tiefe Verbundenheit mit seinem Wohnort Waning Bay eine wiederkehrende Rolle, die der Erzählung einen ganz besonderen Charme verleihen. Ich habe die Zeit zwischen den Bücherregalen, bei der Vorlesestunde, aber auch auf der Lavendelfarm und am Strand der Locals sehr genossen. Auch wer sich eine gewisse Spannung zwischen den Protagonisten wünscht, wird hier auf seine Kosten kommen. Mein einziger Kritikpunkt: Im letzten Viertel der Geschichte kommt eine meinem Empfinden nach unbegründete Dramatik auf, die wohl das Finale der Erzählung unterstützen soll. Für mich wirkt das etwas übertrieben und gekünstelt, und eben auch überflüssig. Sonst hat mir der Spannungsaufbau und die logische Entwicklung der Story gut gefallen.
Ein weiterer Punkt, der mit aufgefallen ist: An der ein oder anderen Stelle hat die Übersetzung einen Schnitzer, der einen stutzen lässt. Das tut dem Lesevergnügen zwar keinen Abbruch, lässt das Buch aber einen Moment wie Massenware auf dem Wühltisch wirken. Das passt nicht zum Gesamteindruck, den der Roman vermittelt. Insgesamt kann ich „Funny Story“ guten Gewissens empfehlen und bin mir sicher, dass noch viele Leserinnen damit ihre Freude haben werden!

Bewertung vom 27.04.2024
Mit den Jahren
Steenfatt, Janna

Mit den Jahren


gut

Janna Stenfatt erzählt in “Mit den Jahren“ die Geschichten von Lukas, Eva und Jette. Lukas ist Künstler und Familienvater und der Ehemann von Eva. Eva ist Lehrerin und liebt ihre beiden Kinder über alles. Jette schreibt gerade an ihrem ersten Roman und arbeitet nebenher in einer Videothek. In einer Kneipe in der Nähe der Videothek läuft sie schließlich Lukas über den Weg, die beiden kommen ins Gespräch und enden schließlich in seinem Atelier. Jette hatte bisher ausschließlich Beziehungen mit Frauen und ist unsicher, was diese neue Entwicklung bedeuten könnte. Eva bemerkt natürlich, dass Lukas abends immer öfter nochmal ins Atelier verschwindet und nach Alkohol riecht, wenn er sich später zu ihr ins Bett schleicht. Als er eines Tages erst zum Frühstück zurückkehrt, zieht sie einen Schlussstrich. Zurück bleiben Jette, Lukas und Eva als Einzelpersonen, die sich mit den grundlegenden und fundamentalen Fragen des Lebens beschäftigen müssen.
Die Covergestaltung hat mich neugierig gemacht und passt auch gut zur künstlerischen Ader von Lukas, die im Roman eine wiederkehrende Rolle spielt. Allerdings hat das Cover eine gewisse Erwartung in mir geweckt, die nicht wirklich erfüllt wurde. Ich hatte eine feinsinnige Erzählung erwartet, die aus Kunst und Worten Emotionen entwickelt. Tatsächlich ist der Roman eher derb, Alkohol und Sex sind wie ein roter Faden, der sich durch die gesamte Erzählung zieht. Das ist nicht unbedingt schlecht, war aber nicht, was ich aufgrund des Covers erwartet hatte. Das Thema der Geschichte finde ich trotzdem sehr gut umgesetzt, da der Schreibstil der Autorin authentisch wirkt, und die Leben, die sie skizziert, gleichermaßen alltäglich und bemerkenswert erscheinen.
Ich fand die handelnden Personen interessant, konnte mich allerdings nicht immer mit ihnen identifizieren, was auch daran liegt, dass die drei Hauptfiguren deutlich älter sind als ich. Das habe ich jedoch nicht negativ empfunden, sondern eher als Herausforderung, mich auch in deren Lebensrealität hineinzuversetzen. Insgesamt war das Buch für mich ein willkommener Kontrast zu den Geschichten aus dem Bereich Young Adult, die ich sonst lese.

Bewertung vom 19.04.2024
You'd Be Home Now (MP3-Download)
Glasgow, Kathleen

You'd Be Home Now (MP3-Download)


sehr gut

Emorys Leben ist an nur einem Abend in tausend Stücke zerbrochen: Sie war mit ihrem Bruder auf einer Party, irgendwann wollte sie heim. Ihrem Bruder ging es nicht gut, und außerdem war da ein Mädchen, das sich auf der Party unwohl fühlte und Emory gebeten hatte, sie sicher nach Hause zu bringen. Am Steuer saß schließlich ein Kumpel von ihrem Bruder, der die kleine Gruppe durch die Dunkelheit und den immer stärker werdenden Regen chauffierte. Doch irgendwann verlor er die Kontrolle über den Wagen und verursachte einen Unfall. Dieser Unfall kostet nicht nur das Mädchen auf der Rückbank ihr Leben, sondern löst noch eine ganze Reihe weiterer Konsequenzen aus. Emory wird am Knie verletzt und kann sich vielleicht nie wieder so bewegen wie vor dem Unfall. Ihren Platz im Tanzteam ist sie damit los. Bei ihrem Bruder wird im Krankenhaus eine Überdosis festgestellt – damit ist sein Drogenkonsum öffentlich, Emory kann ihn nicht länger vor ihren Eltern und der ganzen Welt verstecken. Ihre Eltern stecken Joey in eine Entzugsklinik, wo er lernen soll, ohne die Drogen zurecht zu kommen und sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Emory hat Zeit, körperlich zu genesen, doch auch die seelischen Folgen des Unfalls belasten sie. Das ändert sich auch nicht, als Joey endlich wieder nach Hause kommt und dort der größten Herausforderung bisher begegnet: Clean bleiben in seinem alten Leben, mit alten Freunden, Gewohnheiten und Problemen. Emory ist unglaublich froh, ihn wieder zu haben, und doch fällt es ihr unglaublich schwer zu sehen, wie sehr Joey zu kämpfen hat. Wird er es schaffen, seine Sucht in Schach zu halten?
Die Geschichte von Emory und Joey spielt sich in unzähligen Varianten und Variationen in vielen Familien in Deutschland, den USA und auf der ganzen Welt ab. Dabei geht es nicht nur um die Sucht und ihren Effekt auf den oder die Betroffene, sondern auch um deren Umfeld. Es geht dabei um Eltern und Kinder, Geschwister, Freunde und Arbeitskollegen, die mit einem Gefühl von Machtlosigkeit dabei zusehen müssen, wie jemand einer Substanz verfällt und ihr jegliche anderen Aspekte seines Lebens unterordnet. Doch eine Sucht ist eine psychische Erkrankung, vor der niemand vollständig sicher ist. Eine Sucht ist keine persönliche Verfehlung oder Schwäche, sondern eine Krankheit, die es zu behandeln und zu kurieren gilt. Dabei brauchen Betroffene Unterstützung und Halt, aber auch professionelle Hilfe. Dieser Weg fällt vielen nicht leicht und er verläuft auch selten so linear, wie es sich die meisten wünschen würden. Diese Erkenntnis bildet den Kern von Kathleen Glasgows Roman „You’d be home now“. Sie ist die Basis, auf der die Geschichte von Emory und Joey sich entwickeln kann. Emory war mir von Anfang an sehr sympathisch mit ihrer geschwisterlichen Liebe zu Joey, die teilweise auch ihr Urteilsvermögen getrübt hat. Auch das schwierige Verhältnis zu ihren Eltern hat sie als Charakter nahbar und sympathisch gemacht. Insgesamt hat mir das High School-Setting gut gefallen, ohne dass es zu sehr im Vordergrund stand. Die Autorin erzählt mit einer angenehmen Spannung. Diese rührt allerdings nicht von einer sich rasant entwickelnden Handlung sondern von einer tiefen emotionalen Verbundenheit mit den Charakteren und ihren Gefühlen. Man freut sich mit Emory, bangt und hofft mit ihr. Insgesamt ein sehr schöner Roman, den ich wirklich gerne gelesen habe und auch weiterempfehlen kann.

Bewertung vom 12.04.2024
The April Story - Ein wirklich erstaunliches Ding
Green, Hank

The April Story - Ein wirklich erstaunliches Ding


sehr gut

April führt ein ganz normales Leben: Nach ihrem Studium in Produktdesign ist sie bei einem Start-Up gelandet. Nicht unbedingt ihr Traumjob, aber immerhin kann sie es sich so leisten, weiterhin in Manhatten zu leben. Zwar teilt sie sich ihre Wohnung weiterhin mit ihrer Mitbewohnerin Maya, aber gegen deren Gesellschaft hat sie eh nichts einzuwenden. Als sie eines nachts mal wieder später das Büro verlässt, als sie sollte, entdeckt April eine ungewöhnliche Skulptur, mitten auf dem Gehweg. Beinahe wäre April vorbei gelaufen, doch als Kunstliebhaberin schämt sie sich direkt dafür, wie wenig Aufmerksamkeit sie diesem einzigartigen Werk geschenkt hat. Also ruft sie kurzerhand ihren Freund Andy an – diese Skulptur wäre doch ein tolles Thema für ein Video auf seinem YouTube-Kanal, den er seit einer Weile betreibt. Andy ist zunächst nicht begeistert, lässt sich jedoch breitschlagen, ein kurzes Video zu drehen und lädt es auch direkt hoch. Die beiden verabschieden sich, April fällt todmüde in ihr Bett – und am nächsten Morgen ist nichts mehr, wie es vorher war. April und Andy werden überrannt von Anfragen von Journalisten, denn die Skulptur in Manhatten ist nicht die einzige ihrer Art: Weltweise sind in großen Städten Dutzende von ihnen aufgetaucht. Keiner weiß wer sie aufgestellt hat, zu welchem Zweck, oder wie das ganze logistisch funktioniert hat. Auf mysteriöse Weise gibt es keinerlei Material von Überwachungskameras. Und Andy und April waren die ersten, die ihr Erscheinen auf Video festgehalten haben, noch vor den großen Nachrichten-Magazinen oder Lokalreportern.
Ich wusste nicht genau, was ich von der Geschichte erwarten sollte, wie sie sich entwickeln würde, oder was im Zentrum der Erzählung stehen würde. Entsprechend hatte ich keine konkreten Erwartungen an den Verlauf der Geschichte. Dachte ich zumindest, denn das, was April und Andy widerfährt, hat mich trotzdem überrascht. Tatsächlich werden eigentlich zwei Geschichten erzählt: Die plötzliche Bekanntheit von April, was es mit ihr macht, mit ihrem Alltag aber auch ihren Beziehungen. Und der Auslöser für ihre Bekanntheit, die Skulpturen, die Spurensuche nach ihrem Ursprung und ihrem Zweck. Beide Erzählstränge sind natürlich tief miteinander verwoben und können nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Sie bedingen sich gegenseitig, was ich mir beim Lesen immer mal wieder bewusst machen musste, wenn mich die Entwicklungen um die Skulpturen stutzig werden ließen. Umso besser hat mir die Schilderung von Aprils kometenhaftem Aufstieg gefallen. Ihre Geschichte steht dabei exemplarisch für so viele Phänomene unserer Zeit, die von der Macht der Aufmerksamkeitsökonomie geprägt ist. Mehr als es vielen von uns bewusst ist bringen wir jenen Macht, häufig sogar Geld, denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken. Die Schilderung ihrer Erfahrungen und auch ihre eigene reflektierte Erzählweise hat mich gefesselt, und nur so durch die Seiten fliegen lassen. Am Schluss hat mich das Buch jedoch etwas unzufrieden zurück gelassen. Doch vielleicht ist es genau das, was ich aus dem Buch mitnehmen sollte: Dass wir selbst in unserer heutigen Zeit, die uns so viele Informationen zugänglich macht wie nie zuvor, nicht alles wissen und verstehen können.

Bewertung vom 16.03.2024
Leute von früher
Höller, Kristin

Leute von früher


sehr gut

Marlene hat gerade ihr Studium abgeschlossen und weiß nicht so recht, wohin mit sich. Also entschließt sie sich, erstmal einen Saisonjob auf einer Insel im Wattenmeer anzunehmen. Das Besondere: Ihr Arbeitsort ist ein Erlebnisdort, das so gestaltet ist wie um das Jahr 1900 herum üblich war. Das bedeutet, es gibt keinen Metzer sondern eine Räucherei, keine Cafés sondern ein Teehaus, und keine modernen Geräte, sondern altmodische Küchenwaagen – zumindest offiziell. Denn schnell lernt Marlene, hinter die Fassaden zu blicken und die Gebäude im Dorf als das zu erkennen, was sie sind: Kulissen. Denn natürlich kann man im Dorf auch mit Karten bezahlen, und die Zimmer im Gästehaus sind selbstverständlich mit Regenduschen ausgestattet. Ganz anders als die Baracken, in denen das Personal untergebrach ist: Diese liegen hinter der sogenannten Kostümgrenze, ab welcher alle Angestellten sich nur noch in ihren zugeteilten Kostümen und ohne moderne Gerätschaften wie Handys oder Armbanduhren bewegen dürfen. Marlene lebt sich schnell ein, und bleibt doch eher für sich. Sie erkennt, dass die anderen Angestellten aus ganz verschiedenen Gründen auf die Insel kommen: manchen gefällt die Arbeit und die Abgeschiedenheit, anderen gefällt vor allem das Geld, das sich dort in einer Saison verdienen lässt. Nach einer Weile lernt Marlene Janne kennen, die in der Räucherei arbeitet und keine Saisonkraft ist, sondern fest auf der Insel wohnt. Die beiden kommen sich näher, und doch wirkt es auf Marlene als würde Janne sie auf Distanz halten.
Kristin Höller hat mit „Leute von früher“ ein Buch voller Melancholie und unbeantworteter Fragen geschrieben. Das Setting ist toll gewählt, einerseits der Naturraum Wattenmeer, der eine raue und doch ruhige Atmosphäre schafft, andererseits das Erlebnisdorf mit seinen Geheimnissen und geflüsterten Mythen. Auch die Beschreibung der Saisonkräfte als eingeschworene und doch lose Gemeinschaft von austauschbaren Schauspielern im Gegensatz zu den neugierigen Touristen, die nur zu gerne über historische Ungenauigkeiten hinwegsehen, hat mir gut gefallen. Die Erzählung rund um Marlene ist weniger stringent verlaufen, als ich das erwartet hätte, und entsprach auch nicht ganz dem, was mir der Klappentext vermittelt hatte. Trotzdem hatte ich Freude dabei, mit ihr die Saison zu erleben, und mich dem Zauber der Vergangenheit hinzugeben. Allerdings bleibt das Verhältnis zu Marlene, wie auch den anderen Charakteren, eher kühl, was eine harmonische Reflektion der beschriebenen Wetterverhältnisse darstellt. Insgesamt war „Leute von früher“ eine angenehme und unaufgeregte Lektüre, die mich mit viel Liebe zum Detail für eine Weile ins Wattenmeer entführt hat.

Bewertung vom 11.03.2024
Der Ausflug - Nur einer kehrt zurück
Kvensler, Ulf

Der Ausflug - Nur einer kehrt zurück


sehr gut

Wie jedes Jahr im Sommer haben Anna, Hendrik und Melina eine mehrtägige Wanderung im Norden Schwedens geplant. Sie freuen sich auf ein paar Tage Natur, Ruhe und Abstand vom Stress des Stockholmer Trubels. Die drei kennen sich noch aus der Uni und sind ein eingespieltes Team. Anna und Hendrik sind ein Paar, Melina ist mit beiden eng befreundet. Doch dieses Jahr kommt alles etwas anders: Melina hat einen neuen Freund, der sich sehr fürs Wandern begeistert, und gerne mitkommen würde. Anna und Hendrik stimmen zu, und so machen sich die vier mit dem Zug auf den Weg gen Norden. Doch noch auf der Zugfahrt treten erste Spannungen auf: Jacob, der Neue in der Runde, will die von langer Hand geplante Wanderroute ändern. Zunächst sind Anna und Hendrik alles andere als begeistert, lassen sich dann aber doch umstimmen. Und so machen die vier sich auf den Weg in unbekanntes Terrain, durch unberührte Natur und unberechenbare Wildnis. Was als anspruchsvolle Wanderung beginnt, entwickelt sich schnell zu einem Trip, den keiner der vier so schnell vergessen wird. Denn mitten im schwedischen Nationalpark kann jeder Fehler lebensbedrohlich werden, kann jeder unaufmerksame Moment fatal sein. Wie geht man damit um, wenn einem plötzlich klar wird, dass die größte Gefahr nicht in der Wildnis lauert, sondern man an ihrer Seite wandert?
„Der Ausflug“ von Ulfs Kvensler ist ein unglaublich packender Thriller, den ich in nur wenigen Tagen verschlungen habe. Ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, so einnehmend war die Geschichte. Es gelingt dem Autor bereits nach wenigen Dutzend Seiten, ein unglaublich beklemmendes Gefühl beim Leser auszulösen. Da ist einerseits eine dunkle Vorahnung, andererseits eine augenscheinliche Sicherheit. Diese Beklemmung klingt nicht wieder ab, sondern begleitet die Wanderer, und somit den Leser, durch die Geschichte. Die Entscheidungen der einzelnen Charaktere sind manchmal zum Haare raufen, und trotzdem sind sie nicht abwegig – wahrscheinlich würde man selbst in der Situation ähnlich handeln. Ich war geschockt vom Verlauf der Handlung. Auch wenn ich darauf vorbereitet war, dass etwas passieren würde, bin ich aus allen Wolken gefallen, als es dann so weit war. Ich bin bis zum Schluss durch die Seiten geflogen, teils ungläubig, teils verwirrt, teils verzweifelt. Die Verwirrung hat sich bis zum Schluss nicht ganz gelegt, doch zu einem gewissen Maße macht genau das den Reiz der Geschichte aus. Für mich persönlich war das Ende jedoch nicht ganz befriedigend – für mich der einzige Makel an diesem sonst wirklich atemberaubenden Buch.

Bewertung vom 17.02.2024
Geordnete Verhältnisse
Lux, Lana

Geordnete Verhältnisse


sehr gut

Philipp und Faina kennen sich, seit Faina als kleines Mädchen mit ihren Eltern aus der Ukraine nach Deutschland geflohen ist. Eines Tages hat Philips Lehrer sie der Klasse vorgestellt, und Philipp hat entschieden, dass die beiden beste Freunde werden würden. Dafür hat Philipp Faina Deutsch beigebracht, er hat seine liebsten Dinge mit ihr geteilt und ihr alles abgewöhnt, was ihn an ihr gestört hat. Sie wurde zu seiner Faina. Und aus dem einsamen Jungen Philipp, der sich hin und wieder einnässt und außer seiner alkoholkranken Mutter keine Bezugsperson hat, wurde der beste Freund Philipp, der mit der hübschen Faina Zeit verbringt, sie an die deutsche Kultur anpasst und nach der Schule sogar mit ihr zusammenwohnt. Doch eines Tages kommt es zum Bruch, Faina packt ihre Sachen und verschwindet. Philipp weiß natürlich, dass sie zurückkehren wird. Was ist seine Faina schon ohne ihn? Und was ist er ohne seine Faina? Also wartet er ab, behält sie aus der Ferne im Blick, und bereitet sich auf den Tag vor, an dem sie zu ihm zurückkehren wird. Und tatsächlich kommt dieser Tag: Faina steht vor seiner Tür. Und für Philipp ist klar, dass sie ihr Leben von nun an wieder gemeinsam verbringen werden. Doch Faina hat sich verändert, und auch die Probleme, die sie einst auseinander getrieben haben, sind nicht verschwunden. Doch Philipp wird dafür sorgen, dass nichts und niemand die beiden trennen kann – koste es was es wolle.
Der Roman „Geordnete Verhältnisse“ von Lana Lux ist aufgeteilt in drei Abschnitte: zunächst wird Philipps Geschichte erzählt, dann lernen wir Faina kennen. Und schließlich erfahren wir, wie ihr gemeinsames Leben verläuft. Der erste Teil hat aufgewühlt, ich fand die Schilderungen von Philipps Verhaltensweisen und Gedanken abstoßend und irritierend. Faina kennen zu lernen war dagegen angenehm und spannend. Auch in ihrem Leben gibt es Widrigkeiten, doch allgemein konnte ich mich mit ihr als Charakter identifizieren. Spätestens nach der Hälfte des Buches beschleicht einen als Leser eine dunkle Vorahnung, und man traut sich kaum zu spekulieren, was noch alles passieren wird. Lana Lux gelingt es, beim Leser gleichzeitig Neugierde und Spannung, aber auch eine gewisse Hemmung auszulösen. Als könnte man verhindern, dass die Dinge ihren Lauf nehmen, wenn man nur nicht davon lesen würde… Mir hat das Buch „Geordnete Verhältnisse“ gut gefallen, auch wenn es mich frustriert und unzufrieden zurückgelassen hat. Es ist wichtig, Aufklärung über das Thema Hass gegen Frauen in die Gesellschaft zu tragen, denn nur so ist Prävention und Hilfe möglich. Das ist Lana Lux mit ihrem Roman „Geordnete Verhältnisse“ gelungen. Ich hoffe, dass er noch vielen Menschen die Augen öffnen wird – sodass sie sehen, wer Opfer wird, aber auch wer Täter ist oder sich zu einem solchen entwickelt.