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iGirl
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Bad Nauheim

Bewertungen

Insgesamt 147 Bewertungen
Bewertung vom 24.01.2024
Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge
Tsokos, Anja;Tsokos, Michael

Heinz Labensky - und seine Sicht auf die Dinge


ausgezeichnet

Raus aus den Pantoffeln!

Leider ist Heinz Labensky nicht besonders hell. Doch was für ein Glück, dass er seine Freundin Rita hat, selbst durch ihren familiären Hintergrund als Russenkind mit einer schwierigen Vergangenheit, die ihn dabei unterstützt alltagstaugliche Lebenskompetenzen zu erwerben. So findet Heinz für sich die Beschützerrolle während Rita der intellektuelle Teil des Duos ist. Doch dann ist Rita weg und erst viele Jahre später gibt es einen unerwarteten Kontakt. Doch nicht Rita selbst ist es, die sich bei Heinz meldet, sondern ihre Tochter. Heinz, mittlerweile im Seniorenheim, begibt sich auf die Suche, schließlich geht es um seine Rita.

Da betritt der Rechtsmediziner und Starautor Dr. Tsokos also, diesmal zusammen mit seiner Frau, ein neues Literaturgenre. Von der bisherigen Erzählgewalt seiner perfiden Mordgeschichten wagt er sich hinein in die Erzählung eines DDR-Lebens aus der Sicht seines eher simplen Protagonisten. Uns Lesenden offenbart sich die Gedankenwelt des schrulligen Herrn Labensky, Kniestrumpf- und Bundfaltenhosenträger, der neben tiefsinnigen Gedanken zu seinem Leben, seiner Liebe auch einen besonderen Blick hat, auf die Menschen, die ihm in der Vergangenheit und der Gegenwart begegnen. Die Lebensgeschichte in der DDR ist allgegenwärtig. Es gibt die lustigen, aber ebenso die miesen Erlebnisse eines Lebens in der Ostzone. Zahlreiche Spotlights beleuchten die DDR-Geschichte. Gelungen ist dem Autorenpaar eine humorvolle Geschichte in pointierter Sprache. Hin und wieder sind die Erzählungen etwas langatmig und verworren, insgesamt überwiegt für mich aber der Unterhaltungswert. Das Ende ist überraschend und entschädigt für die manchmal für meinen Geschmack etwas distanzierte Erzählung, die keinen Anspruch darauf erhebt sich mit dem Lesenden anzufreunden. Aber das hat ein Herr Labensky auch überhaupt nicht nötig.

Kurzum: mir hat's gefallen … bitte mehr davon.

Bewertung vom 25.12.2023
Der Schacherzähler
Pinnow, Judith

Der Schacherzähler


ausgezeichnet

Zimtschnecken, Freundschaft und ganz viel Gefühl
Judith Pinnow ist mit ihrem neuen Buch ein wunderbares Wohlfühlbuch gelungen. Obwohl, zumindest bei mir, das Lesen nicht ohne das eine oder andere Tränchen möglich war. Alles beginnt mit der Faszination des Schachspielens. Der 9-jährige Janne und der isoliert lebende „Oldman“ beginnen in einem Park, über das Schachspielen, eine wunderbar unbeschwerte Freundschaft, die ihre wohltuenden Wellen über viele weitere Menschen in ihrer Umgebung ausbreitet. Da gibt es Malu, Jannes Mutter, und deren Freundin Liv mit ihrer Familie, Hinnerk, der Kaffeehausbetreiber und Arbeitgeber Malus, mit seinen Geldsorgen und ein plötzlicher Retter als anonymer Investor. Und da gibt es die Familiengeheimnisse, die nach und nach ans Licht gebracht werden.

Die Geschichte ist in kurzen Kapiteln, jeweils aus der Sicht der einzelnen Erzählenden, hervorragend geschrieben. Es gelingt der Autorin, dass wir Lesende einen Blick in die Köpfe der Protagonist*innen mit ihren Gedanken, Sorgen, Ängsten und Plänen werfen können. Die Gefühle, die die Erzählungen bei mir auslösten waren wirklich intensiv und nahegehend. Doch letztendlich ist es die Freundschaft, die Liebe, die Innigkeit des Miteinanders, die ein richtig molliges Wohlfühlgefühl bei mir erzeugten.
Es ist einfach ein richtig tolles Buch bei dem ich mir am Ende wünschte die Geschichte möge doch noch weiter gehen.

Bewertung vom 06.09.2023
Der Totengräber und der Mord in der Krypta / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.3
Pötzsch, Oliver

Der Totengräber und der Mord in der Krypta / Inspektor Leopold von Herzfeldt Bd.3


ausgezeichnet

Skurrile höchstspannende Geschichte

Es ist einfach klasse, dass es der Autor schafft auch im 3. Band seiner „Totengräber“-Serie seine Figuren gleichbleibend pointiert einzusetzen und eine weitere superspannende Geschichte im Wien des ausgehenden 19-ten Jahrhunderts zu spinnen. Die ProtagonistInnen sind unverändert klasse. Mit jeder Geschichte entwickelt sich jeweils auch der Einsatz der noch recht neuen Kriminaltechnik weiter. Da kann man als LesendeR noch einiges dazu lernen. Sowohl die Liason um den Inspektor Leopold von Herzfeldt mit 'seiner' Tatort-Fotografin Julia Wolf, als auch der bücherschreibende Totengräber Augustin Rothmayer mit seiner klugen Adoptivtochter Anna laufen erneut zur Ermittlungshöchstform auf. Und diesmal bekommt das Team sogar noch 'sherlockhafte Unterstützung' durch Arthur Conan Doyle. Diesmal geht es um Morde im spiritistischen Umfeld und dem ungeklärten Verschwinden mehrerer Kinder. Grausig und gruselig geht es zu im altertümlichen Wien und wiederum fiebere ich bis zur letzten Zeile mit, ob die ProtagonistInnen wohl ungeschoren davon kommen werden.

Auch diesmal verknüpfen sich in der Geschichte verschiedene Verbrechen und es bleibt bis zum Ende im Dunklen wer der Mörder ist. Der Kontrast zwischen dem „Wiener Filz“ der Reichen und Mächtigen und der Armut der Wiener Arbeiterschaft ist wieder Thema. Das ist schon erschütternd, wenn man daran denkt, dass es noch gar nicht so sehr lange her ist und ein Teil davon ist ja immer noch vorhanden. Ganz nebenbei erhalten wir Lesenden wieder Einblicke in die Parallelwelt der Bordelle und dem dortigen Treiben eben jener Bürgerschaft mit Verbindung in die höchsten Kreise. Spritzig, facettenreich und bildhaft ist der Sprachstil von Oliver Pötzsch, gewürzt mit flotten Dialogen. Da fiel es mir richtig schwer das Buch aus der Hand zu lesen.

Mein Fazit: ein hervorragend gelungener dritter Krimi. Ich freue mich schon auf die Nr. 4!

Bewertung vom 27.08.2023
Prophet
Blaché, Sin;Macdonald, Helen

Prophet


ausgezeichnet

Wenn Erinnerung zum Horror wird.

Wer erinnerte sich nicht gerne an seine schönen Stunden der Kindheit und Jugend? Wie schön wäre es ein Stückchen davon ins Jetzt zurück zu holen. Ein schöner Gedanke, doch was, wenn die Gegenstände und nostalgischen Gedanken plötzlich Wirklichkeit, ja gar zur Bedrohung werden? Genau damit werden die beiden besonderen Protagonisten, der wahrheitserkennende Rao und der kampferprobte Adam, konfrontiert. Ihre Aufgabe ist es die Menschheit vor einem scheinbar nicht zu stoppenden Untergang zu retten. Obwohl beide bereits in einem Einsatz in Afghanistan zusammen gearbeitet hatten und danach am liebsten nichts mehr miteinander zu tun haben wollten, sind sie nun auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen. Doch angesichts des ganzen Entsetzens rund um „Prophet“ entwickelt sich eine tiefe Verbindung zwischen den beiden.

Dieses Buch enthält eine ungewöhnliche, eine spannende Geschichte. Spektakulär ist nicht nur die Handlung, vielmehr auch der Sprachstil. Ich hatte den Eindruck mich im Kopf der Protagonisten Rao und Adam zu befinden. Sprachlich wurde ich mit Gedankenfetzen befeuert, die mittels Dialogen abgebildet werden. Nicht immer ist es leicht das fragmentierte Gedachte bzw. auch gemeinsam Erlebte dahinter zu erfassen. Dennoch ist es gerade diese erzählerische Besonderheit, die die Faszination des Buches ausmacht. Ich jedenfalls war gefangen beim Lesen der Geschichte. Der Erzählstrang ist nicht gerade durchgängig, vielmehr ist es eine Anzahl an Vorkommnissen und ein stetiges Gefühl der Bedrohung und die Angst vor einer nahenden Katastrophe. Begeisternd finde ich, dass dieses intelligente Buch mal wieder eines ist, das sich von der konventionellen Literatur absetzt und den Reigen des konsumgesteuerten Publizierens ewig neuer Krimis, Thriller und Lebensgeschichten durchbricht.

Mein Fazit: Chapeau für das Autorinnen-Duo. Bitte mehr davon!

Bewertung vom 14.05.2023
Die Revanche des Monsieur Lipaire / Die Unverbesserlichen Bd.2
Klüpfel, Volker;Kobr, Michael

Die Revanche des Monsieur Lipaire / Die Unverbesserlichen Bd.2


gut

Bitte keine Fortsetzung

Eine bunt zusammengewürfelte Truppe, die Unverbesserlichen, versucht die Übernahme einer lieblichen französischen Lagunenstadt. Die sich adelig fühlende Familie Vicomte versucht einen von Frankreich unabhängigen Staat zu schaffen und gleichzeitig unerwünschte Einwohner zu vertreiben. Und alles basierend auf einer alten Urkunde, die ausgerechnet die Unverbesserlichen der Familie Vicomte verschafft hatte. Diesen Fehler wollen sie unbedingt ausbügeln und das Schlimmste verhindern.

Soweit klingt alles nach einer netten Ganovengeschichte und irgendwie ist sie das auch. Allerdings hatte ich mir, angesichts des erfahrenen Autorenduos mehr erwartet. Bisher glänzten sie durch pointierte Charaktere und passende Dialoge in den Allgäuer Kluftinger-Romanen und auch 'In der ersten Reihe sieht man Meer' war ein gelungener Roman. Ihre Fähigkeit den handelnden Figuren bildhaft Leben und Authentizität einzuhauchen machten die bisherigen Bücher lesenswert, ja liebenswert. Wie enttäuscht war ich nun beim Lesen von 'Die Unverbesserlichen'. Die auf den ersten Blick scheinbar facettenreichen Figuren erscheinen im Leseverlauf skurril und ziemlich verpeilt. Zwanghaft wird eine begleitende Hundegeschichte eingeflochten. Und damit nicht genug. Anstatt selbst durch Recherche auf Ideen in der Gruppe zu kommen, gibt es kurze Handymitteilungen eines Unbekannten, die die Gruppe mit Informationen versorgt und das Handeln dadurch steuert. Lesen lässt sich die Geschichte zwar gut, alles andere wäre auch verwunderlich, angesichts der erfahrenen Autoren, doch der Funke der Begeisterung wollte bei mir nicht zünden. Ich gehe sogar noch weiter zu vermuten: wäre das Autorenduo nicht bereits so berühmt hätte dieser Roman vermutlich keinen Verlag zur Veröffentlichung gefunden.
Daher meine Bitte, auch an den Verlag: nicht einfach irgend etwas schreiben und veröffentlichen– bitte erinnert Euch daran, warum die bisherigen Romane so erfolgreich waren.

Bewertung vom 18.04.2023
Das Café ohne Namen
Seethaler, Robert

Das Café ohne Namen


ausgezeichnet

Worte zaubern Bilder

Robert Seethaler ist erneut ein feinfühliger, perfekt geschriebener Roman gelungen. Wir werden ins Wien der 60er Jahre geführt. Robert Simon schlägt sich als Hilfsarbeiter durch. Die Gelegenheit eine lange leer stehende Gastwirtschaft zu pachten ergreift er beim Schopf. Den herunter gekommenen Räumen verpasst er neuen Glanz und eröffnet ein, sein Café, das nicht einmal einen Namen braucht und nur ein kleines Angebot an Getränken und Speisen anbietet. Doch bald finden sich die ersten Gäste ein und mit der arbeitssuchenden Mila erhält er eine patente Hilfe. Es entspinnt sich ein Geflecht aus Einzelschicksalen verschiedenster Menschen, die in Roberts Café einen gemeinsamen Ort finden.

Es ist eine wunderbare Geschichte. Nicht lustig und doch auch nicht traurig. Einfach mittendrin im Leben der Menschen mit allen Höhen und Tiefen. Schon auf den ersten Seiten nehme ich, als Leserin, die Atmosphäre der aufstrebenden Stadt und ihren Bewohner:innen auf. Das Markttreiben, die Gerüche und die kantigen Figuren mit all ihren Gedanken, Gesprächen, Sorgen und Freuden, prasseln auf mich ein. Es ist eine wahre Lesewonne. Obwohl keine Einzelgeschichte im Zentrum des Romans steht, berühren mich die vielen kleinen Schicksale, die schlichtweg das Leben zu erzählen scheinen. Darin findet sich das kleine Glück, der kleine Erfolg und Misserfolg, das stetige Hoffen und Zueinanderfinden und das Beobachten durch Roberts Augen. Doch vor allem finde ich beim Lesen Freundschaft und Verbundenheit und Momente großer Freude und Zuversicht.

Mein Fazit: ein wunderbar geschriebener leiser Roman, der Bilder aufruft und noch lange nachklingt.

Bewertung vom 05.04.2023
Going Zero
Mccarten, Anthony

Going Zero


ausgezeichnet

Katz und Maus oder doch Big Brother?

3 Millionen Dollar erhalten, wenn es gelingt 30 Tage lang seinen Häschern zu entkommen. In einer social-media-Welt scheint das ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Zehn Kandidat:innen sind ausgewählt, um ein neues Überwachungssystem zu erproben. Verläuft der Wettbewerb erfolgreich, dann besteht die Aussicht auf einen Milliardenvertrag durch die US-Geheimdienste. Sehr verlockend für einen Wirtschaftsmogul, der vor fast nichts zurückschreckt. Schließlich erscheint es allzu leicht, angesichts der vorhandenen Überwachungsmöglichkeiten, die Kandidat:innen zu entdecken. Wäre da nicht eine Frau, der es gelingt, sich dem immer enger werdenden Netz zu entziehen. Aber geht es ihr wirklich nur ums Geld?

Grob erinnert mich die Story an 'running man', aber eben mit den modernen Möglichkeiten der digitalen Welt und mit der Aussicht auf viel Geld. Was ist das für eine grausame Vorstellung, dass ein Machtmensch mit einer virtual-reality-Brille die Jagd auf die Teilnehmenden verfolgt und von seinem Bürosessel aus seine Häscher steuert. Die Figur des Cy Baxter entspricht dem Prototypen eines 'hat-keine-Freunde'-Menschen: intelligent, egomanisch, machtgierig, grenzenlos. In meiner Vorstellung erhält er das Aussehen eines Elon Musk. Seine Gegenspielerin, Kaitlyn, furchtlos, strategisch planend, durchsetzungsstark, verfolgt jedoch ein ebenso klares Ziel wie Cy. Doch ihr Ziel in diesem gnadenlosen Spiel enthüllt sich uns Lesenden erst nach und nach.

„Going zero“ ist eine gut geschriebene, rasante Geschichte, die ich in einem Rutsch gelesen habe. Es war fast unmöglich einen guten Zeitpunkt für eine Lesepause zu finden, so spannungsgeladen ist die Handlung. Natürlich fieberte ich einem Happyend entgegen, doch die Geschichte geht ganz anders aus, als zunächst erwartet. Dem Autor ist ein perfektes Katz-und-Maus-Spiel gelungen mit starken Figuren, deren Charakter sich erst im Verlauf der Handlung heraus kristallisiert . Ein ziemliches Bauchgrummeln bleibt bei mir zurück angesichts der, wieder einmal vor Augen geführten, Missbrauchsmöglichkeit durch unsere täglichen, oft ungewollt hinterlassenen digitalen Spuren.

Mein Fazit: Spannende Lesestunden garantiert! In diesem Buch verbirgt sich Material für einen Film.

Bewertung vom 01.04.2023
Das Bücherschiff des Monsieur Perdu
George, Nina

Das Bücherschiff des Monsieur Perdu


ausgezeichnet

Mr Perdu trouve l'amour

Mr Perdu ist auf der Suche nach der Liebe, ebenso wie Max, Pauline, Tony und viele andere. Hätte Max nicht mit seiner baldigen Vaterschaft gehadert wäre das Bücherschiff vielleicht nie mehr in Fahrt gekommen. Und so viele Menschen und Tiere hätten nicht zueinander gefunden. Natürlich dreht sich alles rund um und handelt von Büchern. Doch das Besondere an Mr Perdu ist seine Fähigkeit den einzelnen Personen, die sein Bücherschiff besuchen, die dem jeweils vorherrschenden Gemütszustand der Person die passenden Bücher zu zu ordnen und ganz nebenbei die Menschen zueinander zu führen. Und dann ist da das Vermächtnis des berühmten Schriftstellers, José Saramago, das Mr Perdu erst öffnen darf, wenn er bestimmte Aufgaben erledigt hat und ein bestimmtes Alter erreicht hat. Was mag darin wohl stehen und wohin führt die „Lesereise“?

Hinter jedem Satz spüre ich die Liebe der Autorin zu Büchern, zum Lesen und zum Leben. Zunächst bin ich gar nicht so leicht in das Buch hinein gekommen und dachte schon daran es zur Seite zu legen. Doch was hätte ich verpasst! Nachdem der anfängliche Leseblues überwunden war fand ich mich in einer wunderbaren Geschichte wieder, zwischen fabelhaften Menschen, ihren Lebenssorgen und ganz viel Aufbruch. So viele Menschengeschichten werden verpackt zu einem Geschichten-Ganzen. Nicht nur einmal lief mir beim Lesen eine Träne über die Wange und dennoch fühlte ich mich rundherum geborgen und irgendwie verstanden.

Wie wahr ist es doch, was Bücher alles bewirken können, insofern man zur richtigen Zeit das richtige Buch liest. Wie traurig, dass es immer noch so viele Mädchen gibt, denen man das Glück des Lesens vorenthält und sie selbst damit klein hält. Und wie glücklich man sich schätzen kann, noch eine richtige Buchhandlung vor Ort zu haben, die passende Empfehlungen aussprechen können. Was doch Amazon alles nicht leistet! Die Autorin jedenfalls leistet ganze Arbeit. Nicht nur ihrer perfekter Schreibstil, sondern auch ihre Hommage an Bücher und das Lesen macht jede gelesene Zeile zum Genuss. Ein Auszug aus Mr Perdus „Große Enzyklopädie der Kleinen Gefühle“ rundet jedes Kapitel ab. Es ist eine hingebungsvolle, intelligente Aufarbeitung des Lesens und des Lebens und wahrlich eine Handlungsempfehlung als Lesearznei für Suchende, ob Büglerin oder Präsident.

Mein Fazit: Dieses Buch ist ein Muss für jede*n Bücherfreund*in.

Bewertung vom 24.03.2023
Agnes geht
Keweritsch, Katja

Agnes geht


ausgezeichnet

Raus aus dem Hamsterrad

Alles beginnt mit der akademischen Feier des Ehemanns. Agnes, die völlig unwissend über den Hintergrund zu diesem Event geht, stolpert in eine Katastrophe, aus der sich ein verletzender Streit mit Tom, ihrem Ehemann, entspinnt. Agnes, deren angestaute, unausgesprochene Enttäuschung sich dabei Raum bricht, lässt alles hinter sich und begibt sich auf einen, ihren, Weg entlang der Elbe. Das Gehen, die Landschaft und die Menschen, die sie trifft, helfen ihr sich auf eigene Wünsche zu fokussieren und letztendlich über ihr weiteres Leben nachzudenken. Doch Agnes' Losgehen hat selbstverständlich Einfluss auf ihre eigene Familie. So nehmen die Ereignisse ihren Lauf.

Katja Keweritsch ist mit „Agnes geht“ ein atmosphärischer Roman gelungen. Die Protagonist*innen sind glaubwürdig, deren Gedanken wurden bildhaft in Worte gepackt. Manches ereignet sich zwar etwas 'nach Drehbuch', aber eine geradlinige Handlung ist es sicher nicht. Ganz nebenbei lernen wir Lesende die schöne Landschaft der Elbe-Auen kennen. Es ist ein Buch, das Lust macht aufzubrechen, sich eine ausgiebige Auszeit zu gönnen, um sich an Träume aus der Jugend zu erinnern, an das was einmal wichtig war, an das was einen glücklich machte. Und darüber nachzudenken wohin der weitere Lebensweg noch führen könnte.

Ich denke, dass jede*r, sich in einem Bullshit-Job, in einem 7/24-Job-/Familienalltag, in einem Caring-Hamsterrad befindende Mensch, einiges über sich selbst wiederfindet in der Geschichte. Wer wäre im Gedanken nicht schon einmal gerne im Urlaubsort geblieben und einfach nicht zurückgefahren. Wer hatte nicht schon einmal den Gedanken einfach etwas ganz Neues zu beginnen und die Alltagsmühle zu verlassen – sofern denn die finanziellen Ressourcen vorhanden sind, wie bei Agnes der Fall. Wer kennt das Gefühl der Erwartung und Verpflichtung der eigenen Umgebung nicht? Beim Lesen bin ich richtig wütend geworden: mit welchem Recht verfügt die Gesellschaft eigentlich über das Leben von Menschen, vorrangig Frauen, damit alles sozialverträglich weiterläuft? Ohne jegliche monetäre Anerkennung? Es ist höchste Zeit, dass sich etwas ändert!

Mein Fazit: 'Agnes geht' ist ein mutmachender Roman, eine Geschichte, die einlädt sich auf den Weg zu machen und sein eigenes, einziges Leben in Erfüllung und Sinnhaftigkeit zu verbringen. Es ist nie zu spät dafür.

Bewertung vom 21.03.2023
Der Geheimnishüter von Jaipur / Jaipur Bd.2
Joshi, Alka

Der Geheimnishüter von Jaipur / Jaipur Bd.2


ausgezeichnet

Nicht alles Gold was glänzt

Die Neueröffnung eines prunkvollen Kinos endet in einer Katastrophe. Der gerade erst errichtete Kinokomplex stürzt während der Eröffnungsvorstellung ein, es gibt Tote und Verletzte. Schnell wird ein Schuldiger festgelegt, der jedoch ganz unschuldig an dem Unglück ist. Daraus entspinnt sich ein Geflecht an üblen Machenschaften, Vertuschung und Gier. Lakshmi, Nimmi und Malik sind die Hauptakteure in der Geschichte. Malik lernt die junge Witwe Nimmi mit ihren 2 Kindern kennen und lieben. Des Berufs wegen, und auf Wunsch von Lakshmi, geht er jedoch nach Jaipur und entdeckt dort einige Unregelmäßigkeiten beim Bau des Kinos. Gleichzeitig kümmert Lakshmi sich in Shimla um Nimmi und gerät dabei in eine gefährliche Situation als Nimmi plötzlich vom hochriskanten Goldschmuggel ihres Bruders erfährt und nun selbst in Lebensgefahr schwebt.

Das 2. Buch der Autorin, Alko Joshi, spielt in Indien, diesmal Ende der 60er Jahre. Die Autorin zeichnet Bilder mit Worten und zaubert dadurch eine atmosphärische, märchenhaft anmutende Stimmung in ihre Geschichte. Die feinen Zwischentöne in der Kommunikation der Handelnden werden anhand wohlgewählter Worte, Gestik und Mimik für uns Lesende sichtbar. Armut, Reichtum, Kastensystem, Religion, Tratsch und Grausamkeit kennzeichnen die indische Gesellschaft. Und doch gibt es da die einzelnen, wie Nimmi, die durch Kraft, Mut und Kampfgeist ihr vorbestimmtes Schicksal nicht hinnehmen, sondern sich ihr Leben und ihre Rechte erkämpfen. Oft sind das eben die armen Frauen, die nicht nur für das (Über-)Leben für sich, sondern vor allem für ihre Kinder kämpfen. Wie traurig, dass man ihnen Lesen, Schreiben und Bildung vorenthält, denn wie viel weiter könnte die Welt sein, wenn man das Steuern und Entscheiden auch Frauen überließe. Dennoch gibt die Autorin auch den 'guten Männern', in den Figuren von Malik und Jay, angemessenen Raum. Malik war bereits als Kind im Vorgängerroman, die Hennakünstlerin, ein gewitzter Stratege und charmanter Lebenskünstler. Diese Rolle führt er nun in der Geschichte als intelligenter und mittlerweile auch gebildeter junger Mann, hervorragend weiter. Er ist wahrlich eine sehr sympathische Figur. Ebenso wie Lakshmi, die nach vielen schweren Jahren und durch ihr Wissen als Heilerin ihren Platz in der Ambulanz, zusammen mit ihrem Mann Jay, gefunden hat. Ich finde, dass die Charaktere der einzelnen Protagonist*innen sehr gut dargestellt sind. Ebenso ist die Geschichte schlüssig, spannend und vor allem hervorragend geschrieben.
Auch diesmal erhalten wir Lesende im Glossar Hilfe zum Wortschatz in Hindi. Die Autorin würzt am Ende ihre Geschichte mit einem indischen Rezept zum Nachkochen und einem Exkurs zur Liebe der Inder*innen zum Gold.

Mein Fazit: Wiederum ist es der Alka Joshi gelungen, uns Lesenden, ein Fenster in eine exotische Gesellschaft zu öffnen. Chapeau für diesen beeindruckenden Roman.