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Benutzername: 
Maribu
Wohnort: 
Hamburg

Bewertungen

Insgesamt 2 Bewertungen
Bewertung vom 26.10.2018
Wenn Liebe nicht reicht
Meierhenrich, Nova

Wenn Liebe nicht reicht


ausgezeichnet

"Wenn Liebe nicht reicht"

Kein Buch, dass das Thema Depression behandelte, hat mich mehr erschüttert als dieses!
Nova Meierhenrich, eine bekannte Schauspielerin und Moderatorin, hat den Mut gehabt, über ihren depressiven Vater zu schreiben. Das Niederschreiben war sicherlich auch eine Therapie für sie!
Trotz aller Fürsorge der Familie war es nicht genug! - Der Vater hat sich das Leben genommen.
Die Selbstvorwürfe und Einsicht, dass es nicht ausgereicht hat, ist gleichzeitig plakativ und titelgebend.

Ich konnte sehr vieles nachvollziehen, da ich einen Freund habe, der bipolar ist, was man vor einigen Jahren noch als manisch-depressiv bezeichnet hatte. Diese Krankheit ist vielschichtiger. Es gibt auch die depressive Strecke, die wochen- oder monatelang anhalten kann, und dann in das Hoch einer Manie übergeht und danach meistens in die manische Phase mündet. Die ist aber ebenso gefährlich, weil sie das andere Extrem ist! Die Betroffenen sind dann nicht nur übersteigert selbstbewusst, sondern übermütig. Einige meinen, sie könnten jetzt sogar fliegen!
Wenn mein Freund depressiv ist, komme ich eben sowenig an ihn heran wie alle anderen. Selbst seiner Familie gibt er keine Chance!
Hat er seine manische Phase, möchte er mit mir die verrücktesten Dinge anstellen und ich brauche viel Geduld,
um ihn das auszureden und zu zu bremsen.
Deshalb habe ich das Buch sehr gut verstanden und halte es für sehr wichtig, nicht nur für die Betroffenen, sondern auch für die Angehörigen und den Bekannten- und Freundeskreis!
Frau Meierhenrich als "Co-Depressive", die ja selber einen Zusammenbruch hatte und fachliche Hilfe in Anspruch nehmen musste, kann jetzt hoffentlich ohne Selbstvorwürfe leben.
Sehr hilfreich sind auch die Erklärungen von Herrn Dr. Mazda Adli.
Solange die Depression immer noch als Stigma angesehen und nicht wie z.B. Alkoholismus und Spielsucht als Krankheit eingestuft wird, werden es die Betroffenen weiterhin sehr schwer haben!
Sollte sich das durch Aufklärung und Fähigkeit zu Toleranz in der Öffentlichkeit ändern, würden sich nicht viel zu viele mit Suizid-Gedanken und dem Danach für die Angehörigen quälen! Abgesehen davon - wie in diesem Fall der Vater - mancher oder manche nicht zu retten ist! Andere würden sich nicht in ihrer Wohnung verstecken oder sogar verkriechen, sondern wieder selbstbewusst und vieleicht sogar fröhlich auf die Straße gehen!

18 von 18 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.

Bewertung vom 24.08.2017
Rotblaue Nelken
Gogolin, Wolfgang A.

Rotblaue Nelken


sehr gut

Manchmal gehen Träume in Erfüllung
Der Protagonist Vincent Bentz hatte das Schicksal, 1934 von einer gefühlskalten Frau, die eigentlich kein Kind haben wollte, geboren zu werden. Sein Tanzlehrer begründete es später mit: "Sie wäre vielleicht ein sibirischer Eisberg mit vertrocknetem Becken." Als sie starb, war er noch sehr jung und seine Trauer sehr kurz. Er vermisste seine Mutter nicht, die diesen Namen sowieso nicht verdiente, er hasste sie sogar.

Was sein Vater vor dem Krieg gelernt und gearbeitet hatte, erfährt man nicht. Er hat den Blumenladen von seiner Frau geerbt und führt ihn schlecht und recht ohne große Ideen.
Vincent, der nach dem Tode seiner Mutter in der Pflegefamilie Holzapfel aufgenommen worden war, ging 1946 zum Vater, der aus der englischen Gefangenschaft zurück kam. Dass sich gerade diese Familie angeboten hatte, war sicherlich kein Zufall; die ein Jahr jüngere Tochter Edith hatte das gleiche Grübchen wie sein Vater Hans-Otto.

Vincent ist kein Handwerker, deshalb kam die Lehre bei Elektro-Lehmann nicht zustande. Er liebte die Natur.
Die Lehre im väterlichen Blumengeschäft könnte die Grundlage für die berufliche Zukunft sein.

Der Roman beginnt und endet im Jahre 1953.
Wolfgang A. Gogolin gelingt es sehr gut, die Aufbruchszeit der Fünfziger in dieser kleinen Stadt am Fluss, irgendwo im noch größtenteils zerstörten Deutschland, einzufangen. Von "Emanzipation" träumte man noch nicht mal. Diese Frauenbewegung kam erst ein Jahrzehnt später. Hier galt noch verlogene Moral und vorgetäuschte Prüderie.
Aufklärungs-Gespräche von den Eltern gab es nicht. Es hat Mädchen gegeben, die ernsthaft Angst hatten, von einem Kuss schwanger zu werden! Homosexualität wurde verschwiegen; der berüchtigte Paragraf 175 hatte noch lange Bestand.

Weshalb Hans-Otto Bentz seinem Sohn gegenüber so niederträchtig ist, kann man nur vermuten. Wenn es keine charakterliche Schwäche war, kam es vielleicht durch die Verbitterung über seine unglückliche Ehe. Es kann auch der Krieg gewesen sein, der sein Wesen so verändert hat. Viele Männer und Väter haben über die Fronterlebnisse und die von allen Seiten verübten Gräueltaten nicht sprechen können und versucht, es allein zu verarbeiten. Hans-Ottos Schicksal: Unfall, Suizid oder sogar Mord? - Leserinnen sollten selbst darüber spekulieren.

Jedenfalls geht Vincent´s Traum von Italien dadurch in Erfüllung. Ich wünsche ihm, dass er in Florenz seinen Blumenladen "Flora 60" eröffnen und am Ufer des Arno mit seiner Liebsten spazieren gehen kann. Vielleicht fährt er trotz "One-Way-Ticket" zurück in seine kleine Stadt am Fluss, irgendwo in Deutschland, um mit seiner Halbschwester das Erbe zu teilen und den Laden gemeinsam weiterzuführen. - Beides ist denkbar!

11 von 11 Kunden fanden diese Rezension hilfreich.