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Benutzername: 
P. Schwark
Wohnort: 
Berlin

Bewertungen

Bewertung vom 06.02.2018
Alt, arm und abgezockt
Enger, Sven

Alt, arm und abgezockt


schlecht

Habe das Buch (gekauft als epaper) sehr gründlich gelesen und muss als Brancheninsider sagen, dass die Hauptthese Engers eines "Crash der privaten Altersvorsorge" am Beispiel der Lebensversicherung von ihm überhaupt nicht richtig begründet wird. Im Buch verarbeitet er zwar seine bereits mehrere Jahre (2013) zurück liegenden Berufserfahrungen bei niederländischen, skandinavischen und englischen Lebensversicherungsgruppen, die sämtlichst vergeblich versuchten, in Deutschland nennenswerte Marktanteile zu erobern. Zwei der Unternehmen sind heute im Run-off. Wenig Verständnis hat er dementsprechend aber für die klassische deutsche Lebensversicherung, um die es im Buch gehen soll.

Das lässt sich schon am ersten Argument pro angeblichen Crash erkennen: Der angebliche Crash der Lebensversicherung würde kommen, wenn die Auszahlungen an die Babyboomer mangels Liquidität nicht gestemmt werden können. Man säße in der Demografiefalle (S. 14). Dabei beruht das System auf Kapitaldeckung. Liquidität ist für Lebensversicherer noch nie ein ernstzunehmendes Risiko gewesen und ist es auch künftig nicht. Demografieabhängig ist nur die Umlagefinanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Kapitalanlagen der Lebensversicherer werden planmäßig aufgebaut und bei Vertragsende unabhängig von der Zahl der Beitragszahler aus den vorhandenen Kapitalanlagen gedeckt. Verpflichtungen von 953 Milliarden Euro standen Ende des Jahres 2016 Kapitalanlagen in Höhe von 987 Mrd. Euro gegenüber. Auszahlungen lassen sich wegen der bekannten Vertragslaufzeiten perfekt planen (fachchinesisch: „Asset-Liability-Management“, kurz ALM, kann man googeln).

Das zweite Argument lautet, dass die Unternehmen mit ihren Anlagen eine Rendite erzielen würden, die unter der liegt, die sie ihren Kunden auszahlen müssen (S. 13). Richtig ist dagegen, dass die laufenden Kapitalerträge der Lebensversicherer bei durchschnittlich 3,35 Prozent liegen (2016) und die Garantieverpflichtungen wegen der bereits in der Vergangenheit zurück gestellten Zinsreserven (die sogenannte Zinszusatzreserve, Ende 2017 rund. 60 Mrd. Euro) nur noch bei 2,1 Prozent. Da Versicherer auch diese und andere Kapitalpuffer verzinslich anlegen, benötigen sie lediglich eine Anlagerendite von 1,9 Prozent, um die garantierten Kundenansprüche zu erfüllen. Selbst in der Neuanlage ist diese Rendite im speziellen Anlagemix der Branche zu erwirtschaften, trotz des aktuell niedrigen Zinsniveaus.

Ich habe den Eindruck, dass die Crash-These allein dafür dient, das Buch mit einer reißerischen Schlagzeile besser zu vermarkten. Eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Sicherheit des Systems Lebensversicherung in Deutschland ist damit nicht verbunden und offenbar auch nicht ernsthaft intendiert.

Dr. Peter Schwark, Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV)

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