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Verena

Bewertungen

Insgesamt 154 Bewertungen
Bewertung vom 26.02.2025
Das Leben fing im Sommer an
Kramer, Christoph

Das Leben fing im Sommer an


gut

Solides Sommermärchen

Fußballweltmeister Christoph Kramer hat sich an einen Roman gewagt. Sympathisch ist er eh und v.a. nachdem er begeistert über das Lesen an sich, aber auch seinen Traum vom Schreiben sprach, war meine Neugier auf sein Debüt war groß. Ich war gespannt, ob er schriftstellerisch überzeugen kann, oder ob er veröffentlich wurde, weil er – nun ja – Christoph Kramer ist.

„Das Leben fing im Sommer an“ erzählt das ganz persönliche Sommermärchen des 15-jährigen Chris im Jahr 2006. Fußball, Heim-WM, Freibad und Freunde bestimmen Chris Tage. Sein größter Wunsch: Fußballprofi werden und cool sein. Was die Profikarriere angeht, sieht es nicht so gut aus, doch plötzlich interessiert sich Debbie, das tollste Mädchen der Schule, für Chris…

Wer erinnert sich nicht an den Sommer 2006? Kramers Roman mit autobiografischen Elementen setzt genau da an: Nostalgie und unbeschwerte Momente. Ich finde es toll, dass die Handlung in NRW spielt und nicht an einem (schlecht recherchierten) „Sehnsuchtsort“, wie das aktuell ihn ähnlichen Geschichten oft der Fall ist. Chris ist ein authentischer, schüchterner Teenager, der sich nicht den toxischen Idealen seiner Altersgenossen anpasst. Ich find’s super, einen jungen Protagonisten in einem Coming-of-Age Roman so darzustellen, einen, der 8 Jahre später Weltmeister wird in einer Sportart, die oft von toxischen Männlichkeitsbildern geprägt ist.

Dennoch ist der Roman nicht ohne Schwächen. Die Übergänge zwischen den Szenen wirken oft holprig, und der Handlungsstrang um Debbie hätte mehr Tiefe vertragen können. Ich glaube, die hätte es durchaus gegeben, wenn noch mehr Fokus auf Chris‘ Entwicklung gelegt worden wäre. Es ist natürlich auch einfach super süß, wenn man im Nachwort liest, dass die Ereignisse aus diesem Sommer eine ganz nachhaltige Auswirkung auf Chris‘ Leben hatten (echt, Zufälle gibt’s!!).

Fazit: Kramers Debüt ist ein solider Coming-of-Age-Roman. Man merkt, dass er das Genre liebt, doch es gibt noch handwerkliche Unebenheiten, die durch mehr „Training“ (Sportmetapher lol) hätten verbessert werden können. Das Potenzial ist da, und ich bin gespannt, ob er weiterhin schreiben wird.

Bewertung vom 25.02.2025
Coast Road
Murrin, Alan

Coast Road


sehr gut

Beeindruckendes Debüt

„Coast Road“ von Alan Murrin ist ein eindrucksvolles Debüt, das subtil zeigt, wie sehr doch eigentlich alles Menschen unter patriarchalischen Strukturen leiden. Der Roman spielt im Herbst und Winter 1994 im kleinen Küstenort Ardglas in Irland, wo der Einfluss der Religion trotz der säkularen Verfassung des Landes nach wie vor deutlich ist. Der gesellschaftliche bzw. politische Hintergrund des Romans ist nicht ohne: Der sehr knappe Volksentscheid von 1995 zur Legalisierung von Scheidungen zeigt, wie lange es dauert, grundlegende Rechte zu erkämpfen. Mehrfach habe ich das wirklich ungläubig realisiert. 1996, als die Verfassungsänderung dann endlich in Kraft trat, ist nicht weit in der Geschichte zurück – ich selbst war da schon eingeschult.

Mit Izzy und Colette stehen 2 Frauen stehen im Mittelpunkt des Romans. Colette Crowley, eine Dichterin, hat ihren Mann verlassen, um in Dublin Erfolg zu suchen. Ihre Rückkehr wird von der Gemeinde genau beobachtet: ihr Mann lässt keinen Kontakt zwischen ihr und den gemeinsamen Kindern zu; andere nutzen Colettes vulnerable Situation aus. Izzy ist unglücklich mit einem Lokalpolitiker verheiratet. Die Verbindung zwischen den beiden Frauen treibt nicht nur die Handlung voran, sondern auch die Entwicklung der einzelnen Figuren.

Obwohl ich anfangs mit den vielen Figuren zu kämpfen hatte, rücken Colette und Izzy schnell ins Zentrum. Murrin gelingt es, die komplexen Beziehungen innerhalb der Gemeinde zu entwirren. Die verschiedenen Charaktere bleiben nie eindimensional, sondern stehen stellvertretend für die Herausforderungen, die viele Menschen in ähnlichen Situationen durchleben.

Am Ende wird mir alles ein bisschen zu schnell abgewickelt, aber dennoch ist „Coast Road“ ein wirklich beeindruckendes Debüt und für mich ein Lesehighlight.

Bewertung vom 24.02.2025
Der Gott des Waldes
Moore, Liz

Der Gott des Waldes


sehr gut

Atmosphärischer Thriller

Ein starkes Cover, viel Lob und sogar eine Empfehlung von Obama – meine Erwartungen an „Der Gott des Waldes“ waren hoch. Darum geht’s: Im Jahr 1975 verschwindet die 13jährige Barbara Van Laar während eines Sommercamps. Ihrer sehr reichen Familie gehören das Camp und das Naturreservat, in dem es liegt. Besonders brisant: 14 Jahre zuvor verschwand bereits Barbaras Bruder Bear unter mysteriösen Umständen. Während die Suchaktion ihren Lauf nimmt, spielt die Geschichte mit Gerüchten und Geheimnissen innerhalb der Familie, aber auch der Angestellten des Camps sowie der Menschen aus der Umgebung. War das Verschwinden von Barbara ein Zufall oder steckt mehr dahinter?

Der Roman ist spannend und flüssig zu lesen, ein echter Pageturner. Doch nach ein paar Wochen fällt es mir schwer, mich an einzelne Details zu erinnern. Persönlich fand ich die vielen Perspektivwechsel nicht so ideal gewählt. Eine, maximal zwei Perspektiven oder gar ein auktorialer Erzähler, der häppchenweise Informationen an die Leser:innen weitergibt, hätten den Roman glaube ich gut tun können. Dadurch hätten evtl. auch einzelne Figuren mehr Eindruck hinterlassen können, denn obwohl keine davon flach oder stereotypisch war, blieb immer eine gewisse Distanz zu ihnen. Durch mehr Tiefe und eine größere Bindung hätte ich vll. stärker mitgefiebert, was einem Thriller grundsätzlich nicht schadet.

Hervorragend gewählt ist allerdings das Setting. Die 70er Jahre und die fehlende moderne Technologie verstärkt die Dramatik der Vermisstenfälle enorm. Und natürlich ist auch das Feriencamp mitten im Naturreservat eine wunderbare Location, die Liz Moore super in Szene setzt und in die beiden Fälle einbaut. Ich habe gelesen, dass der Roman als Mini-Serie adaptiert werden soll und kann mir die Orte, die Gebäude, die Klamotten wirklich richtig gut vorstellen.

Es sind auch zahlreiche gesellschaftliche Themen wie soziale Ungleichheit und Feminismus sind präsent, könnten aber noch besser wirken, wenn, wie erwähnt, weniger Figuren im Fokus stünden.

"Der Gott des Waldes": Ein richtig guter, atmosphärischer Thriller, der wunderbar unterhält, während der Lektüre zum Nachdenken anreget, aber zumindest bei mir keine nachhaltige Erinnerung hinterlässt.

Bewertung vom 19.02.2025
Achtzehnter Stock
Gmuer, Sara

Achtzehnter Stock


gut

Potential begraben unter Klischees

„Achtzehnter Stock“ war schon vor der Veröffentlichung omnipräsent, meine Erwartungen hoch. Leider konnte der Roman mich nicht überzeugen, trotz eines vielversprechenden Starts. Wanda lebt mit ihrer fünfjährigen Tochter Karlie in einem heruntergekommenen Berliner Plattenbau. Sie träumt von einer Karriere als Schauspielerin, will der tristen Realität entfliehen. Das Potential war da: der Roman hätte eine tiefgründige Milieustudie sein können, doch verliert sich in Klischees, die die Authentizität stark beeinträchtigen.

Wanda selbst ist leider keine Sympathieträgerin. Es wirkt meist so, als halte sie sich für etwas Besseres; sie betrachtet die anderen Frauen in ihrem Umfeld herablassend – dabei sind sie ihre einzige Unterstützung, besonders in Bezug auf die kleine Karlie. Wandas Charakterentwicklung hinterlässt mehr Fragen als Antworten: Als Karlie schwer erkrankt, wird Wanda zur Übermutter, ist Tag und Nacht im Krankenhaus. Doch dann lässt sie die Fünfjährige nachts allein zuhause, um mit einem Filmstar eine Affäre zu beginnen. Was will der Roman uns damit sagen? Irgendwie fehlt mir die Einordnung, v.a., nachdem die Figuren anfangs tiefgründiger wirkten. Da ist der Wunsch nach einem besseren Leben, die Enttäuschungen, strukturelle Probleme, aber je weiter die Handlung fortschreitet, desto mehr Raum nehmen die Klischees ein.

Besonders gehäuft sind die Klischees bei der Darstellung der Filmwelt: Wanda hat nur Castings für Hauptrollen (Komparsen, Werbung, kleine Episodenrollen – alles, was Geld bringt und realistisch ist, findet nicht statt). Vertragsverhandlungen? Vorbereitung? Alles, was in der Realität, Monate dauert, passiert innerhalb kürzester Zeit. Der Produzent wirft mit Geld um sich; mit dem männlichen Costar beginnt Wanda sofort eine Affäre.

Als privilegierte Person, die nur schwer nachvollziehen kann, wie es ist, in den prekären Verhältnissen zu leben, die der Roman darstellen will, frage ich mich daher wie realistisch diese Darstellung ist, wenn sonst die Klischees und Stereotypen überwiegen? Das, aber auch die unausgereifte Protagonistin blenden die gesellschaftlichen Strukturen, die dem Ganzen zugrunde liegen, aus. Insgesamt bleibt „Achtzehnter Stock“ hinter seinen Möglichkeiten zurück.

Bewertung vom 20.01.2025
Freiheit (MP3-Download)
Merkel, Angela; Baumann, Beate

Freiheit (MP3-Download)


sehr gut

Ende 2024 hörte ich Angela Merkels Biografie „Freiheit“ als Hörbuch , gelesen von Corina Harfouch, ergänzt durch ein Vor- und Nachwort von Merkel selbst.

Harfouchs angenehme Lesung lässt die 25 Stunden wie im Flug vergehen. Es ist beeindruckend, wie sie Merkels charakteristische Sprechweise einfängt, ohne sie zu imitieren: man erkennt die Kanzlerin a. D. in jedem Wort.

Autobiografien zu bewerten, ist oft eine Herausforderung, da die Autor:innen entscheiden, was sie teilen möchten. Merkel und ihre Vertraute Beate Baumann haben hier einen meist gelungenen Rückblick auf ihre politische Karriere geschaffen. Sie erzählt größtenteils chronologisch von den vielen Herausforderungen ihrer politisch aktiven Zeit, und schafft es, komplexe Themen klar und direkt zu vermitteln. Auch wenn ich mit ihrer Partei absolut gar nichts anfangen kann, so ist ihr klarer, direkter, schnörkelloser Stil, der versucht, komplizierte Sachverhalte (für die es selten einfache und noch seltener perfekte Lösungen gibt) einzuordnen, beinahe eine Wohltat im Vergleich zum aktuellen Ton vieler Politiker:innen.

Besonders interessant fand ich die kurze Passage über ihre Zeit bevor sie Politikerin wurde: die Kindheit, das Studium (v.a. die Studienwahl), tatsächlich auch wie sie – so kam es zumindest bei mir an – eher zufällig in der Politik landete.

Obwohl die Privatperson Angela hier und da durchscheint, bleiben ihre Erinnerungen distanziert. Das hat einerseits etwas Bedauerliches, andererseits wäre ein tieferer Einblick in ihr Privatleben vermutlich nicht authentisch gewesen.

Einige Punkte, die mir in Erinnerung bleiben werden:
- Merkel ist reflektiert und kritikfähig – Eigenschaften, die in der Politik oft fehlen
- Es ist faszinierend und ein wenig befremdlich zugleich, dass sie und ihre langjährige Vertraute Beate Baumann sich stets siezen
- Die Anwesenheit von Dolmetscher:innen bei wichtigen internationalen Verhandlungen ist nicht nur logisch, sondern auch faszinierend, wenn man sich der Bedeutung ihrer Rolle bewusst wird

Insgesamt ist „Freiheit“ ein interessanter Einblick in das Leben und die Gedanken einer der einflussreichsten Politikerinnen unserer Zeit.

Bewertung vom 09.12.2024
Die Lungenschwimmprobe
Renberg, Tore

Die Lungenschwimmprobe


gut

Geschichtsstunde mit Schwächen

In "Die Lungenschwimmprobe" wird ein realer Fall aus Leipzig erzählt, der im Jahr 1681 seinen Lauf nimmt: die erst 15-jährige Anna Voigt wird beschuldigt, ihr Neugeborenes getötet zu haben. Ein Vorwurf, der damals zahlreichen jungen Frauen zum Verhängnis wurde und oft in grausamen Verurteilungen endete. In Annas Fall allerdings steht ihre Familie hinter ihr; ihr Vater hat die Mittel, um einen Anwalt zu engagieren. Glücklicherweise fällt seine Wahl auf einen Wegbereiter der Aufklärung, der sich für eine Trennung von Rechtsprechung und Religion einsetzt. Ein weiterer „Pionier“, ein Arzt, führt eine neue forensische Untersuchung durch, die sogenannte Lungenschwimmprobe, mit der man eine Totgeburt nachweisen kann. Wie nicht wenige wissenschaftlichen Erkenntnisse, wird diese nicht nur angezweifelt, sondern teils sogar verteufelt.

Der norwegische Autor Tore Renberg hat jahrelang recherchiert, um Annas Geschichte zu rekonstruieren. Im Mittelpunkt der Erzählung steht ihr Anwalt, Christian Thomasisus, ein Gegner von damals gängigen Praktiken wie Hexenprozessen und Folter – eine faszinierende Figur der Zeitgeschichte.

Doch bedauerlicherweise tritt Anna, die zentrale Figur, in den Hintergrund. Während Thomasisus im Mittelpunkt steht, bleibt die junge Frau oft im Schatten, was in einem Roman, der sich mit dem Unrecht an Frauen auseinandersetzt, schon ein wenig enttäuschend ist. Da hatte ich definitiv andere Erwartungen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Länge des Werkes. Renbergs akribische Recherche zeigt sich in einem Übermaß an Details und oft wirkte es so, dass sie alle ihren Weg in den Roman finden sollten, was den Lesefluss gelegentlich hemmt (v.a. bei 700 Seiten). Manchmal hatte ich den Eindruck, der Roman hätte als Sachbuch besser funktioniert.

Die Geschichte und das Thema sind zweifellos fesselnd und teilweise erschreckend aktuell, doch als Roman blieb „Die Lungenschwimmprobe“ hinter meinen Erwartungen zurück. Daher nur eine eingeschränkte Empfehlung: Wer sich an den teils zähen Passagen nicht stört und darüber hinwegsehen kann, dass die weibliche Hauptfigur nicht die gebührende Aufmerksamkeit erhält, wird diesen historischen Roman sicherlich mehr genießen als ich.

Bewertung vom 24.10.2024
Der längste Schlaf
Raabe, Melanie

Der längste Schlaf


ausgezeichnet

Sweet Dreams

Ein bisschen mulmig war mir schon, als ich mit dem Buch begann. Schließlich handelt es sich um Schlafstörungen – ein Thema, das mir leider nicht fremd ist. Mara, die Protagonistin des Romans, leidet ebenfalls unter Schlafstörungen, während sie als Wissenschaftlerin zum Thema Schlaf forscht, sich selbst aber nicht helfen kann. Sie erhält anfangs die Nachricht, dass ihr eine Villa in Deutschland, dem Land ihrer Kindheit, vermacht wird – von einem Mann, mit dem sie nicht verwandt ist und der keinen Kontakt zu ihr wünscht. Skeptisch, aber neugierig, reist sie dorthin, um das Anwesen schnellstmöglich zu verkaufen.

Doch die Villa hat andere Pläne mit Mara. Kaum betritt sie das Haus, wird sie von einer merkwürdigen Anziehungskraft ergriffen, die tief in ihr etwas aufwirbelt. Der Verkaufsplan gerät ins Wanken, während sie zunehmend alles in Frage stellt. Kann sie den Menschen in dem kleinen Ort wirklich vertrauen? Was ist mit ihren eigenen Gedanken? Sind ihre ständigen Halluzinationen und düsteren Vorahnungen einfach nur das Resultat von Schlafentzug, oder steckt mehr dahinter?
In kurzen Einschüben wird zudem die Geschichte zweier verunglückter Kinder erzählt, die sich zunächst nur schwer einordnen lässt, sich aber schließlich mit Maras Geschichte verwebt und schließlich ein stimmiges Gesamtbild ergibt.

Die Sogwirkung von „Der längste Schlaf“ ist enorm; während ich unter der Woche nur Zeit für die ersten 70 Seiten hatte, verschlang ich den restlichen Roman an einem Sonntag, weil ich unbedingt wissen musste, wie es weitergeht. Die Themen Schlaf und Träume sind ohnehin spannend und das Übernatürliche ist so geschickt in die Erzählung eingebaut, dass es durchaus realistisch wirkt. Diese wirklich gelungene Mischung aus Thriller und Schauerroman machen das Buch für mich zur perfekten Herbstlektüre.

Bewertung vom 08.10.2024
La Louisiane
Malye, Julia

La Louisiane


gut

Spannende Thematik, zähe Umsetzung

„La Louisiane“ ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie aus einer faszinierenden Grundidee nicht immer eine fesselnde Geschichte wird. Was für ein einnehmender historischer Roman hätte das sein können, der die Schicksale von Frauen beleuchtet, die einst im Schatten der Gesellschaft lebten, weggesperrt, deren Stimmen nie gehört wurden. Doch leider verliert die Autorin sich in langen, zähen Passagen, während das Leben der Protagonistinnen vor sich hinplätschert.

Im Jahr 1720 ist die berüchtigte Anstalt Salpêtrière in Paris überfüllt mit Frauen, die aus den unterschiedlichsten Gründen der Gesellschaft ein Dorn im Auge sind. Schließlich werden „Freiwillige“ gesucht, um in die Neue Welt zu reisen und dort den Männern als Ehefrauen zu dienen. Unter den Ausgewählten sind Charlotte, Pétronille und Geneviève, die sich mit vielen anderen auf den Weg in die Kolonie La Louisiane machen. Der Roman begleitet sie über viele Jahre, von Paris bis ins heutige Louisiana und darüber hinaus in den nordamerikanischen Kontinent.

Die langen Kapitel, durchzogen von häufigen Perspektivwechseln, machen das Leseerlebnis mühsam. Ein character-driven Ansatz wäre hier dringend notwendig gewesen, und mir ist nicht klar, warum dieser nicht gewählt wurde. Die Biografien der drei Frauen hätten vielschichtig und spannend gestaltet erfolgen können, jedoch bleiben sie leider oft flach und stereotyp. Es fehlt an Tiefe und Emotion. Immer wieder gibt es Szenen, die mit emotionaler Wucht und packendem Erzählfluss begeistern, nur um abrupt durch Wechsel in Perspektive oder Ort unterbrochen zu werden.

Es ist so schade, denn ich hätte diesen Roman wirklich gerne mehr gemocht. „La Louisiane“ bietet inhaltlich und erzählerisch viel Potenzial, das jedoch leider nicht voll ausgeschöpft wird.

Bewertung vom 08.10.2024
Das Comeback
Berman, Ella

Das Comeback


weniger gut

Rückkehr ins Rampenlicht?

Grace Turner, einst ein Kinderstar und dem Filmgeschäft und v.a. ihrem „Entdecker“ ausgeliefert, kämpft in „Das Comeback“ um ihre Rückkehr. Leider konnte mich der Roman trotz der eigentlich spannenden & aktuellen Thematik nicht überzeugen.

Die Autorin begann 2017 mit ihrem Roman, ließ jedoch den aufkommenden Weinstein-Skandal und die #MeToo-Bewegung außer Acht – eine unglückliche Entscheidung. Kurz nach der Veröffentlichung 2020 wurde auch der Machtmissbrauch in der Produktion von Kinder- und Jugendserien offengelegt. Diese Entwicklungen lassen den Roman, der sich viel mit Machtgefällen in der Filmindustrie beschäftigt, veraltet wirken. (Auch Anspielungen auf Britney Spears' „Absturz“ haben einen bitteren Nachgeschmack.)

Soziale Medien spielen kaum eine Rolle; stattdessen dominieren Klatschblätter und Paparazzi, wodurch der Roman endgültig wie ein Relikt aus den 2010er Jahren wirkt. Die Darstellung von Abel als Indie-Filmheld ist fragwürdig. Seine Kooperation mit Grace, u.a. an einer Reihe über Teenie-Auftragskiller, erweckt eher den Eindruck von großem Blockbuster-Kino. Angesichts des Erfolgs und Reichtums, den die beiden mit ihren Projekten erlangen, wird dieser Eindruck noch verstärkt.

Die Erzählweise leidet unter zähem Tempo und langen Dialogen, die die Handlung kaum voranbringen. Es scheint, als wolle die Autorin ein bereits bekanntes Geheimnis künstlich lange aufrechterhalten. Graces „Befreiungsschlag“, nachdem das Buch dann auch abrupt endet, fühlt sich eher wie eine Erleichterung für die Leser:innen an, als ein richtiger Wendepunkt für die Protagonistin. Trotz des vielen Unrechts, das ihr widerfährt, kam kaum echtes Mitgefühl auf. Graces Emanzipation bleibt zwischen den Zeilen verborgen. Die Beziehungen zu ihrer Familie, zu Dylan, ihrem Team sowie die merkwürdige Verbindung zu Emilia (die sehr viel Raum in der Erzählung einnimmt) bleiben zu oberflächlich und klischeebehaftet.

Leider ist auch die Übersetzung stellenweise holprig; die englischen Vorlagen einiger Formulierungen sind deutlich zu erkennen.

Insgesamt sehr schade, denn „Das Comeback“ hätte das Potenzial zu einem packenden und aktuellen Roman gehabt hätte.

Bewertung vom 02.10.2024
In den Wald
Vaglio Tanet, Maddalena

In den Wald


sehr gut

Zurück ans Tageslicht

Inspiriert von wahren Begebenheiten versucht dieser Roman, Geheimnissen zu enträtseln, die im Inneren der Menschen schlummern und oftmals so tief vergraben sind, dass sich die Betroffenen ihrer tragenden Kraft nicht einmal bewusst sind. Unterdrückte Gefühle und längst vergangene Erinnerungen wirken wie Schatten, die das Leben der Protagonist:innen bestimmen.

Maddalena Vaglio Tanet greift auf eine reale Geschichte in ihrer eigenen Familie zurück und weist dennoch auf die Fiktionalität ihres Werkes hin.

Schauplatz der Erzählung ist die kleine Stadt Biella im Piemont. Im Mittelpunkt der Handlung stehen die Lehrerin Silvia sowie die beiden elfjährigen Kinder Giovanna und Martino, wobei Silvia als verbindendes Element fungiert. Eines Morgens verschwindet sie spurlos. Spurlos, jedoch keineswegs grundlos. Morgens erfährt sie auf dem Weg zur Schule vom tragischen Suizid ihrer Schülerin Giovanna. Von Schuldgefühlen zerfressen, begibt sich Silvia auf eine ziellose Wanderung durch den Wald, wobei längst vergessene Erinnerungen und unterdrückte Emotionen an die Oberfläche drängen. In einer einsamen Hütte verschmilzt sie förmlich mit der Natur und ihren eigenen Gefühlen. Bis Martino sie findet. Der Junge aus der Großstadt, ein Außenseiter und aus gesundheitlichen Gründen nach Biella gekommen, wünscht sich nichts sehnlicher, als wieder nach Hause zu können; Silvia hingegen weiß nicht, ob sie überhaupt je zurückkehren möchte.

Währenddessen ist die Dorfgemeinschaft in Aufruhr: die Suche nach Silvia, die Frage, warum ein Kind sich das Leben nimmt.

In eindrucksvollen Episoden wird das Innenleben von Silvia und Martino entfaltet; zwei Seelen, die aus unterschiedlichsten Gründen unglücklich sind, doch vielleicht gemeinsam einen Ausweg aus dem dunklen Wald finden können? Parallel wird Giovannas Geschichte in Rückblenden erzählt.

Ein fesselnder Roman, der mit einer perfekten Mischung aus magischem Realismus, Nature Writing und Gesellschaftskritik aufwartet. Große Empfehlung!